JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 10. November 1993
1. Wir haben bereits festgestellt, dass der für das Leben der Laien kennzeichnende Weltcharakter nicht nach einer rein „irdischen” Dimension erfasst werden kann, weil es das Verhältnis des Menschen zu Gott innerhalb der Heilsgemeinschaft, und das ist die Kirche, einschließt. Im Christen gibt es deshalb einen transzendenten Wert des Laientums, der von der Taufe kommt, durch welche der Mensch Adoptivkind Gottes und Glied des mystischen Leibes Christi, der Kirche, wird.
Deshalb haben wir auch von der ersten „Katechese über die Laien” an gesagt, dass das Wort „Laie” (davon abgeleitet „laizistisch” Anm. d. Red.) nur missbräuchlich als eine Christus oder der Kirche entgegengesetzte Haltung der Trennung, der Unabhängigkeit oder auch nur der Gleichgültigkeit verstanden und verwendet werden kann. Im christlichen Sprachgebrauch ist der „Laie” derjenige, der Glied des Volkes Gottes ist und zugleich in die Welt eingebunden lebt.
2. Die Zugehörigkeit der Laien zur Kirche als ihr lebendiger, aktiver und verantwortlicher Bestandteil entspringt demselben Willen Jesu Christi, der seine Kirche für alle offen haben wollte. Es sei hier nur an das Verhalten des Weinbergbesitzers in dem so bedeutsamen und eindrucksvollen Gleichnis erinnert, das Jesus erzählt hat. Als er die arbeitslosen Männer sieht, sagt der Gutsbesitzer: „Geht auch ihr in meinen Weinberg” (Mt 20,4). Dieser Ruf, sagt die Bischofssynode von 1987 (Christifideles laici, Nr. 2), „erklingt in der Geschichte weiter … Er richtet sich an jeden Menschen, der in diese Welt eintritt”. „Der Ruf ergeht nicht nur an die Hirten, an die Priester, an die Ordensleute. Er umfasst alle. Auch die Laien sind persönlich vom Herrn berufen, und sie empfangen von ihm eine Sendung für die Kirche und für die Welt.” Alle sind aufgerufen, „sich mit Gott versöhnen zu lassen” (vgl. 2 Kor 5,20), sich retten zu lassen und am weltumspannenden Heil mitzuwirken, denn Gott „will, dass alle Menschen gerettet werden” (1 Tim 2,4). Alle sind eingeladen, mit ihren persönlichen Fähigkeiten im „Weinberg” des Vaters zu arbeiten, wo jeder seinen Platz und seinen Lohn hat.
3. Die Berufung der Laien bringt ihre Teilnahme am Leben der Kirche und eine konsequente enge Gemeinschaft mit dem Leben Christi mit sich. Sie ist ein göttliches Geschenk und verpflichtet gleichzeitig zur Antwort. Hat denn Jesus die Jünger, die ihm gefolgt waren, nicht aufgefordert, ständig mit ihm und in ihm vereint zu sein und die gleiche mitreißende Lebenskraft in ihren Geist und in ihr Herz eindringen zu lassen? „Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch; … getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen” (Joh 15,4-5). Wie für die Priester gilt auch für die Laien: Die wahre Fruchtbarkeit hängt von der Verbundenheit mit Christus ab.
Der Satz „Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen” bedeutet nicht, dass die Laien ihre Fähigkeiten und Eigenschaften in den zeitlichen Tätigkeiten ohne Christus nicht entfalten können. Aber die vom Johannesevangelium überlieferten Worte Jesu mahnen uns alle, Kleriker und Laien, dass wir ohne Christus nicht die besondere Frucht unserer christlichen Existenz hervorbringen können.
Für die Laien ist diese Frucht insbesondere ihr Beitrag zur Umgestaltung der Welt mit Hilfe der Gnade und zum Aufbau einer besseren Gesellschaft. Nur durch die Treue zur Gnade ist es möglich, in der Welt die Wege der Gnade zu öffnen: sowohl durch die Erfüllung der eigenen familiären Pflichten, besonders in der Kindererziehung, als auch in der eigenen Arbeit, im Dienst an der Gesellschaft auf allen Ebenen und in allen Einsatzformen für Gerechtigkeit, Liebe und Frieden.
4. Im Einklang mit dieser Lehre des Evangeliums, die vom Apostel Paulus wiederholt (vgl. Röm 9,16) und vom hl. Augustinus hervorgehoben wird (vgl. De Correptione et Gratia, c.2), hat das Konzil von Trient gelehrt: Obwohl es möglich ist, „gute Werke” zu tun, ohne im Stand der Gnade zu sein (vgl. DS 1957), verleiht nur die göttliche Gnade den Werken heilbringenden Wert (ebd., 1551). Papst Pius V., der zwar die Aussage dessen verurteilte, der behauptete: „Alle Werke der Ungläubigen sind Sünden, und die Tugenden der Philosophen sind Laster” (ebd., 1925), lehnte jeden Naturalismus und Legalismus ab, um zu bekräftigen, dass das verdienstvolle und heilbringende Gute vom Heiligen Geist kommt, der die Gnade ins Herz der Adoptivkinder Gottes eingießt (ebd. 1912-1915). Es ist die vom hl. Thomas von Aquin verfolgte Linie der Ausgeglichenheit, die auf die Frage, „ob der Mensch das Gute ohne die Gnade wollen und vollbringen könne”, antwortete: „Weil die menschliche Natur durch die Sünde nicht ganz bis zu dem Punkt verdorben ist, dass sie jedes natürlichen Guten beraubt wird, kann der Mensch kraft seiner Natur manches bestimmte Gute tun, wie Häuser bauen, Weinberge pflanzen und andere Dinge dieser Art (im Bereich der Werte und der Welt der Arbeit, Technik und Wirtschaft), aber er kann nicht alles seinem Wesen entsprechende Gute vollbringen, wie ein Kranker von sich aus nicht die Bewegungen eines gesunden Menschen vollkommen nachmachen kann, wenn er nicht mit Hilfe der Arznei geheilt wird” (Summa Theologica, I-II, q.109, a.2). Noch weniger kann er das höhere und übernatürliche Gute (bonum superexcedens, supernaturale) vollbringen, welches das Werk der eingegossenen Tugenden und vor allem der aus der Gnade erwachsenen Liebe ist (vgl. ebd.).
Wie man sieht, ist auch in diesem die Heiligkeit der Laien betreffenden Punkt einer der grundlegenden Leitsätze der Theologie der Gnade und der Erlösung mit einbezogen.
5. Die Laien können in ihrem Leben die Gleichgestaltung an das Geheimnis der Menschwerdung gerade durch den Weltcharakter ihres Standes verwirklichen. Wir wissen tatsächlich, dass der Sohn Gottes unseren menschlichen Zustand teilen wollte, indem er sich in allem, ausgenommen in der Sünde, uns gleich machte (vgl. Hebr 4,15). Jesus hat sich als derjenige bezeichnet, „den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat” (Joh 10,36). Das Evangelium bestätigt uns, dass der ewige Sohn sich voll in unsere Lage versetzt und in der Welt die eigene Heiligung gelebt hat.
Das ganz menschliche Leben Jesu in der Welt ist das Modell, das das Leben aller Getauften erhellt und inspiriert (vgl. Gaudium et spes, Nr. 32): Das Evangelium selbst lädt uns ein, im Leben Christi ein perfektes Modell zu entdecken, das Vorbild für all jene sein kann und soll, die ihm als Jünger nachfolgen und an der Sendung und der Gnade des Apostolats teilhaben.
6. Wir können insbesondere feststellen, dass der Sohn Gottes, indem er das gewöhnliche Leben der Menschen annahm, diesem Leben einen neuen Wert verliehen und es auf die Ebene göttlichen Lebens erhoben hat (vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologica III, q.40, aa.1-2). Weil er Gott ist, hat er auch in die einfachsten Gesten des menschlichen Lebens seine Teilhabe am göttlichen Leben hineingelegt.
In ihm können und sollen wir den Gott erkennen und ehren, der als Mensch geboren ist und gelebt hat wie wir: der gegessen, getrunken, gearbeitet und die notwendigen Tätigkeiten aller verrichtet hat, so dass sich im ganzen Leben, in allen auf eine höhere Ebene erhobenen Tätigkeiten der Menschen, das Geheimnis des dreifältigen Lebens widerspiegelt. Wer wie die Laienchristen im Licht des Glaubens das Geheimnis der Menschwerdung lebt, durchwirkt auch die zeitlichen Tätigkeiten mit dem Sauerteig der Gnade.
Im Licht des Glaubens haben die Laien, die dem Gesetz der zu unserer Rettung geschehenen Menschwerdung folgen, auch am Geheimnis des heilbringenden Kreuzes teil. Im Leben Christi sind die Menschwerdung und die Erlösung ein einziges Liebesgeheimnis. Der Sohn Gottes ist Mensch geworden, um die Menschheit durch seinen Opfertod loszukaufen: „Der Menschensohn ist … gekommen, um … sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele” (Mk 10,45; Mt 20,28).
Wenn der Brief an die Hebräer bekräftigt, dass der Sohn uns in allem, außer der Sünde, gleich geworden ist, spricht er von der Ähnlichkeit und der Mitbeteiligung an den schmerzlichen Prüfungen des jetzigen Lebens (vgl. Hebr 4,15). Auch im Brief an die Philipper liest man, dass derjenige, der den Menschen gleich wurde, gehorsam war bis zum Tod am Kreuz (vgl. Phil 2,7-8).
Wie die Erfahrung der täglichen Schwierigkeiten im Leben Christi im Kreuz gipfelt, so finden im Leben der Laien die täglichen Prüfungen ihren Höhepunkt in der Vereinigung des Todes mit dem Kreuzestod Christi, der den Tod besiegt hat. In Christus und all seinen Jüngern, Priestern und Laien, ist das Kreuz der Schlüssel zum Heil.
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Liebe Schwestern und Brüder!
Zur Generalaudienz in der Basilika St. Peter heiße ich Euch, die zahlreichen Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache, herzlich willkommen. Zugleich danke ich Euch für dieses Zeichen der Verbundenheit mit dem Nachfolger des hl. Petrus.
Mit dieser Betrachtung grüße ich Euch alle sehr herzlich. Mein besonderer Gruß gilt den Schülern und Lehrern des diözesanen Musikgymnasiums Linz sowie allen Schülerinnen und Schülern aus Österreich und Deutschland. Weiter begrüße ich die Mitglieder der Historischen Deutschen Schützenbruderschaft Leverkusen, die anläßlich des 575–jährigen Gründungsjubiläums nach Rom gepilgert sind.
Christus, der uns in allem gleich geworden ist, außer der Sünde, der mit uns das Leid und die Schmerzen des Lebens teilt, führe Euch zum Heil des ewigen Lebens. Dazu erteile ich Euch, Euren Lieben zu Hause sowie den mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbundenen Gläubigen von Herzen meinen Apostolischen Segen.
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Aus ganzem Herzen grüße ich die kroatischen Pilger, seid willkommen!
Meine Lieben, in den schweren Prüfungen des derzeitigen Augenblicks stütze euch die Hoffnung des Glaubens an Christus, den Erlöser des Menschen. Euch und allen, die unter den tragischen Folgen des Krieges in Kroatien und in Bosnien und Herzegowina leiden, erteile ich meinen Apostolischen Segen.
Gelobt seien Jesus und Maria!
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