JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 26. Januar 1994
1. Gemäß dem II. Vatikanischen Konzil haben alle in der Kirche, dem mystischen Leib Christi, nicht nur teil an der Würde und Sendung Christi, des ewigen Hohenpriesters, wie wir in den Katechesen über das „allgemeine Priestertum” gesehen haben, sondern auch an seiner Würde und Sendung als „großer Prophet”, worüber wir in dieser Katechese nachdenken wollen.
Lesen wir zu Beginn den Text der Konstitution Lumen Gentium, wonach Christus „sein prophetisches Amt nicht nur durch die Hierarchie [erfüllt], die in seinem Namen und in seiner Vollmacht lehrt, sondern auch durch die Laien. Sie bestellt er deshalb zu Zeugen und rüstet sie mit dem Glaubenssinn und der Gnade des Wortes aus, damit die Kraft des Evangeliums im alltäglichen Familien- und Gesellschaftsleben aufleuchte” (Lumen Gentium, Nr. 35; vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 904).
2. Wie aus dem Text hervorgeht, handelt es sich um eine Einsetzung durch Christus selbst, der die Laien „zu seinen Zeugen bestellt” und sie mit dem „Glaubenssinn” und „der Gnade des Wortes” ausrüstet für eine rein kirchliche und apostolische Zielsetzung: Denn Zweck des Zeugnisses und der Einsetzung ist es, zu bewirken, dass das Evangelium Christi in der „Welt” aufleuchtet, das heißt in den verschiedenen Bereichen, wo die Laien ihr Leben entfalten und ihre irdischen Pflichten erfüllen. Das Konzil sagt weiter: „Diese Evangelisation, das heißt die Verkündigung der Botschaft Christi durch das Zeugnis des Lebens und das Wort, bekommt eine eigentümliche Prägung und besondere Wirksamkeit von daher, dass sie in den gewöhnlichen Verhältnissen der Welt erfüllt wird” (Lumen Gentium, Nr. 35; vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 905). Das ist also das Merkmal der Berufung der Laien, am prophetischen Amt Christi teilzuhaben, des wahren und treuen Zeugen (vgl. Offb 1,5): zu zeigen, dass kein Widerspruch besteht zwischen seiner Nachfolge und der Erfüllung der Aufgaben, die den Laien in ihrer „weltlichen” Situation aufgetragen sind, und dass ja die Treue zum Evangelium auch dem Wohl und der Verbesserung der irdischen Institutionen und Strukturen dient.
3. Hier ist jedoch das Wesen des Glaubenszeugnisses und, wir können sagen, des „Prophetentums” der Laien wie der ganzen christlichen Gemeinschaft gemäß dem Konzil zu bestimmen. Jesus spricht davon, als er vor der Himmelfahrt zu den Jüngern sagt: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein” (Apg 1,8). Wie zur Ausübung des allgemeinen Priestertums, so ist auch zur Erfüllung des Zeugnisauftrags das Eingreifen des Heiligen Geistes notwendig. Es ist nicht nur eine Frage des prophetischen Temperaments, das an besondere „Charismen” natürlicher Art gebunden ist, wie sie manchmal im Sprachgebrauch der modernen Psychologie und Soziologie verstanden werden. Es ist vielmehr eine Frage des Prophetentums übernatürlicher Ordnung, wie es im Spruch des Joel (3,2) angedeutet wird, den Petrus am Pfingsttag zitiert: „In den letzten Tagen … [werden] eure Söhne und eure Töchter Propheten sein” (Apg 2,17). Es geht darum, die offenbarten Wahrheiten, Trägerinnen des neuen, vom Heiligen Geist gespendeten Lebens, zu verkünden, mitzuteilen und in den Herzen zum Schwingen zu bringen.
4. Deshalb sagt das Konzil, dass die Laien zu Zeugen bestellt und im „Glaubenssinn und der Gnade des Wortes” geformt sind (Lumen Gentium, Nr. 35). Und das Apostolische Schreiben Christifideles laici fügt hinzu, dass sie befähigt und verpflichtet sind, „das Evangelium im Glauben anzunehmen, es durch ihre Worte und ihre Werke zu verkündigen und mutig auf das Böse hinzuweisen” (Christifideles laici, Nr. 14). All das ist möglich, weil sie vom Heiligen Geist die Gnade empfangen, den Glauben zu bekennen und den besten Weg dafür zu finden, ihn zum Ausdruck zu bringen und allen mitzuteilen.
5. Die Laienchristen sind als „Söhne und Töchter der Verheißung” außerdem gerufen, in der Welt die Größe und Fruchtbarkeit der Hoffnung zu bezeugen, die sie im Herzen tragen, einer Hoffnung, die auf der Lehre und dem Werk Jesu Christi gründet, der zum Heil aller gestorben und auferstanden ist. In einer Welt, die trotz allen Anscheins so oft in Angst lebt, aufgrund der immer neuen und enttäuschenden Erfahrung der Grenzen, Mängel und sogar der Leere vieler Strukturen, die für das Glück der Menschen auf der Erde geschaffen wurden, ist das Zeugnis der Hoffnung besonders notwendig, um die Menschen in der Suche nach dem zukünftigen Leben über den relativen Wert der Dinge der Welt hinaus anzuleiten. Darin haben die Laien, als Arbeiter, die „durch die Strukturen des weltlichen Lebens” im Dienst des Evangeliums stehen, eine besondere Bedeutung: Sie zeigen, dass die christliche Hoffnung nicht Weltflucht oder Verzicht auf eine volle Verwirklichung ihres irdischen Daseins bedeutet, sondern dessen Öffnung zur transzendentalen Dimension des ewigen Lebens, das allein diesem Dasein seinen wahren Wert verleiht.
6. Glaube und Hoffnung dehnen unter dem Antrieb der Liebe ihr Zeugnis auf den ganzen Lebens- und Arbeitsbereich der Laien aus, die berufen sind, dahin zu wirken, „damit die Kraft des Evangeliums im alltäglichen Familien- und Gesellschaftsleben aufleuchte” (Lumen Gentium, Nr. 35). Es ist die „Kraft des Evangeliums”, die sich in der „ständigen Hinwendung” der Seele zum Herrn, im Kampf gegen die in der Welt wirkenden Mächte des Bösen und in dem Bemühen kundtut, die Schäden wiedergutzumachen, die von verborgenen oder augenscheinlichen Kräften verursacht werden, welche die Menschen von ihrer Bestimmung abbringen wollen. Es ist die „Kraft des Evangeliums”, die im alltäglichen Verhalten durchscheint, wenn man in jeder Umgebung und in allen Situationen ein mutiger Christ bleibt, der keine Angst hat, seine Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen, eingedenk der Worte Jesu: „Denn wer sich meiner und meiner Worte schämt, dessen wird sich der Menschensohn schämen, wenn er in seiner Hoheit kommt und in der Hoheit des Vaters und der heiligen Engel” (Lk 9,26; vgl. Mk 8,38). „Wer sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem wird sich auch der Menschensohn vor den Engeln Gottes bekennen” (Lk 12,8). Es ist die „Kraft des Evangeliums”, die offenbar wird, wenn man in den Prüfungen Geduld bewahrt und sich als Zeuge des Kreuzes Christi verhält.
7. Die „Kraft des Evangeliums” wird nicht nur von den Priestern und Ordensleuten in ihrer Sendung als Diener des Wortes und der Gnade Christi verlangt; sie ist ebenso notwendig für die Laien bei der Evangelisierung des Umfeldes und der weltlichen Strukturen, wo sich ihr Alltagsleben abspielt. In diesen weltlichen Bereichen beeindruckt ihr Zeugnis noch mehr und kann unerwartete Wirkung haben, angefangen vom Umfeld des „Ehe- und Familienlebens”, wie das Konzil sagt (Lumen Gentium, Nr. 35).
Für sie und für alle Anhänger Christi – die berufen sind, Propheten des Glaubens und der Hoffnung zu sein – bitten wir um die Kraft, die man nur durch ständiges und eifriges Gebet vom Heiligen Geist erhalten kann.
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Liebe Schwestern und Brüder!
Wenn wir heute unsere Katechese über Sendung und Dienst der Laien weiterführen, so wollen wir uns nun deren Teilhabe am prophetischen Amt Christi zuwenden. In der Tat erinnert das Konzil daran, dass dieses prophetische Amt nicht nur durch die Hierarchie, „sondern durch die Laien” ausgeübt wird (Lumen Gentium, Nr. 35). Auch hat sie der Herr mit dem „Glaubenssinn” und der „Gnade des Wortes” ausgestattet; durch die Einsetzung Christi selbst sind sie dazu bestellt, seine Zeugen zu sein, damit die Kraft des Evangeliums im alltäglichen Leben der Familie und der Gesellschaft aufleuchtet.
Es gibt also keinen Gegensatz zwischen der Nachfolge des Herrn und der Erfüllung der Aufgaben, denen sich die Laien im Alltag zu stellen haben. Im Gegenteil, die Treue zum Evangelium dient und nützt einer Verbesserung der irdischen Institutionen und Strukturen.
Die Christen als „Kinder der Verheißung” sind aufgerufen, in der Welt von der Hoffnung Zeugnis zu geben, die sie erfüllt. „Denn wer sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem wird sich auch der Menschensohn vor den Engeln Gottes bekennen” (Lk 12,8).
Dabei liegt das Wesen dieser prophetischen Glaubensbezeugung nicht in irgendeiner Eigenart des menschlichen Charakters begründet, sie ist vielmehr eine übernatürliche Gabe aus der Kraft des Heiligen Geistes. Mit seiner Hilfe vermag jeder Gläubige, die Berufung zum prophetischen Amt zu verwirklichen und die Wahrheit des Glaubens zu verkünden und in den Herzen der Menschen zum Klingen zu bringen. Mit dieser kurzen Betrachtung grübe ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher sehr herzlich. Auch Ihr, liebe Schwestern und Brüder, seid als Jünger Christi gerufen, Verkünder des Glaubens und Zeugen Eurer Hoffnung zu sein. Vereinen wir uns im Gebet und bitten wir den Herrn um die bestärkende Kraft des Heiligen Geistes für diese unsere prophetische Sendung in unserer Zeit.
Euch allen und Euren lieben Angehörigen daheim erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.
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