JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 13. April 1994
1. Es gibt eine Ordnung von Wirklichkeiten - Einrichtungen, Werte, Tätigkeiten -, die man gewöhnlich zeitlich nennt, weil sie unmittelbar die Dinge betrifft, die zum Bereich des gegenwärtigen Lebens gehören, obwohl auch sie auf das ewige Leben ausgerichtet sind. Die lebendige Welt ist nicht aus trügerischen Erscheinungsformen und Schatten gemacht und kann auch nicht nur in Bezug auf das Jenseits betrachtet werden. Das II. Vatikanische Konzil lehrt: „Alles, was die zeitliche Ordnung ausmacht, … ist nicht nur Hilfsmittel zur Erreichung des letzten Zieles des Menschen, sondern hat seinen Eigenwert” (vgl. Apostolicam actuositatem, Nr. 7). Der biblische Schöpfungsbericht stellt uns diesen Wert als von Gott anerkannt, gewollt und begründet dar, der nach dem Buch Genesis „sah, dass es (das, was er geschaffen hatte) gut war” (1,12.18.21), ja nach der Erschaffung von Mann und Frau sogar „sehr gut” (1,31). Durch die Menschwerdung und die Erlösung wird der Wert der zeitlichen Dinge nicht aufgehoben oder beeinträchtigt, als ob das Werk des Erlösers im Gegensatz zum Werk des Schöpfers stünde, sondern wiederhergestellt und erhöht, entsprechend dem Plan Gottes, „in Christus alles zu vereinen” (Eph 1,10) und „durch ihn alles zu versöhnen” (Kol 1,20). Deshalb haben alle Dinge in Christus Bestand (vgl. Kol 1,17).
2. Und doch kann man die geschichtliche Erfahrung des Bösen und - für den Menschen - der Sünde nicht übersehen, die nur durch die Enthüllung des Sündenfalls der Stammeltern und der unter den Generationen danach geschehenen Sünden zu erklären ist. „Im Lauf der Geschichte wurden die zeitlichen Dinge durch schwere Missbräuche entstellt”, sagt das Konzil (Apostolicam actuositatem, Nr. 7). Nicht wenige werden auch heute, anstatt dass sie über die Dinge nach dem Plan und Auftrag Gottes herrschen, wie es die Fortschritte in Naturwissenschaft und Technik erlauben, durch ihr übermäßiges Vertrauen in ihre neuen Fähigkeiten deren Sklaven und erleiden sogar großen Schaden.
Aufgabe der Kirche ist es, den Menschen zu helfen, die ganze zeitliche Ordnung gut zu lenken und sie durch Christus auf Gott auszurichten (vgl. ebd.). Die Kirche macht sich so zur Dienerin der Menschen, und die Laien haben an der Sendung teil, „den Menschen und der Gesellschaft zu dienen” (Christifideles laici, Nr. 36).
3. Dabei ist vor allem zu bedenken, dass die Laien berufen sind, zu der heute besonders notwendigen und dringenden Förderung der Person beizutragen. Es geht darum, den zentralen Wert des Menschen zu retten und oft wiederaufzurichten, der, gerade weil er eine Person ist, nie als „benutzbares Objekt, als Werkzeug, als ein Ding” (ebd., Nr. 37) behandelt werden darf.
Hinsichtlich der personalen Würde sind alle Menschen untereinander gleich: Keine Diskriminierung ist erlaubt, sei sie rassisch, geschlechtlich, wirtschaftlich, sozial, kulturell, politisch oder geografisch begründet. Es ist eine Pflicht der Solidarität, die Unterschiede, die aus den Orts- und Zeitumständen erwachsen, unter denen jeder geboren wird und lebt, durch tatkräftige menschliche und christliche Unterstützung in konkreten Formen von Gerechtigkeit und Liebe auszugleichen, wie Paulus den Korinthern erklärte und empfahl: „Denn es geht nicht darum, dass ihr in Not geratet, indem ihr anderen helft; es geht um einen Ausgleich … Euer Überfluss [soll] ihrem Mangel abhelfen, damit auch ihr Überfluss einmal eurem Mangel abhilft. So soll ein Ausgleich entstehen” (2 Kor 8,13-14).
4. Die Förderung der Würde der Person ist verbunden mit der „Achtung, dem Schutz und der Förderung der Rechte der menschlichen Person” (vgl. Christifideles laici, Nr. 38). Erforderlich ist vor allem die Anerkennung der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens, des Rechts auf Leben, und es kann als „erstes und fundamentales Recht … als Bedingung für alle anderen Rechte” (ebd.) betrachtet werden. Daraus folgt, dass all das, „was zum Leben selbst in Gegensatz steht … was immer die Unantastbarkeit der menschlichen Person verletzt… was immer die menschliche Würde angreift… all diese … Taten sind … in höchstem Maße ein Widerspruch gegen die Ehre des Schöpfers” (Gaudium et spes, Nr. 27), der den Menschen als sein Abbild, ihm ähnlich und seiner Herrschaft unterstellt, geschaffen haben wollte (vgl. Gen 1,26).
Besondere Verantwortung für diesen Schutz der personalen Würde und das Recht auf Leben tragen die Eltern, die Erzieher, die im Gesundheitswesen Tätigen und die Träger der wirtschaftlichen und politischen Macht (vgl. Christifideles laici, Nr. 38). Die Kirche ruft die Laien besonders auf, die Herausforderungen mutig in Angriff zu nehmen, die durch die neuen Probleme im Bereich der Bioethik entstanden sind (vgl. ebd.).
5. Zu den zu schützenden und fördernden Rechten der Person gehört das der Religionsfreiheit, der Gewissensfreiheit und der Freiheit, den eigenen Glauben zu bekennen (vgl. ebd., Nr. 39). Die Kirche besteht darauf, dass die Gesellschaft die Pflicht habe, das Recht der Person sicherzustellen, damit diese ihre Überzeugungen bekennen und ihre Religion in den gebührenden, von der gerechten öffentlichen Ordnung bestimmten Grenzen praktizieren kann (vgl. Dignitatis humanae, Nr. 2.7). An Märtyrern für den Schutz und die Förderung dieses Rechts hat es nie gefehlt.
Die Laien sind berufen, sich im politischen Leben den Fähigkeiten und den Zeit- und Ortsbedingungen entsprechend zu engagieren, um das Gemeinwohl in all seinen Erfordernissen zu fördern und besonders die Gerechtigkeit zugunsten der Bürger in ihrer Eigenschaft als Personen anzuwenden. Wir lesen im Apostolischen Schreiben Christifideles laici: „Eine Politik, die auf den Menschen und auf die Gesellschaft ausgerichtet ist, findet darüber hinaus ihre kontinuierliche Richtlinie in der Verteidigung und Förderung der Gerechtigkeit” (Nr. 42). Es ist klar, dass bei dieser Aufgabe, die allen Gliedern der irdischen Stadt gestellt ist, die christlichen Laien gerufen sind, das gute Beispiel eines ehrenhaften politischen Verhaltens zu geben, das keine persönlichen Vorteile sucht, noch vorgibt, Gruppen- und Parteiinteressen mit unerlaubten Mitteln auf Wegen zu dienen, die tatsächlich zum Zusammenbruch auch der edelsten und heiligsten Ideale führen.
6. Die Laien werden es nicht unterlassen, sich den Anstrengungen der Gesellschaft anzuschließen, um in der Welt den Frieden wiederherzustellen. Für sie geht es darum, den von Christus gegebenen Frieden (vgl. Joh 14,27; Eph 2,14) in seinen sozialen und politischen Dimensionen, in den einzelnen Ländern und in der Welt zu verwirklichen, wie es das Gewissen der Völker immer mehr verlangt. Es ist ihre Aufgabe, zu diesem Zweck eine weitverzweigte Erziehungsarbeit zu leisten mit dem Ziel, die bisherige Kultur des Egoismus, der Rivalität, der Überwältigung, der Rache zu überwinden und die der Solidarität und Nächstenliebe zu entfalten (vgl. Christifideles laici, Nr. 42).
Den Laien obliegt es auch, sich in der wirtschaftlich-sozialen Entwicklung einzusetzen. Es ist ein Erfordernis der Achtung der Person, der Gerechtigkeit, der Solidarität und Nächstenliebe. Ihre Sache ist es, mit allen Menschen guten Willens zusammenzuarbeiten, um Wege zu finden, damit die allgemeine Bestimmung der Güter sichergestellt werde, welches soziale System auch herrschen mag (vgl. ebd., Nr. 43). Weiter steht es ihnen zu, die Rechte der Arbeitnehmer zu schützen, angemessene Lösungen für die äußerst schweren Probleme der wachsenden Arbeitslosigkeit zu suchen und für die Überwindung aller Formen von Ungerechtigkeit zu kämpfen. Als christliche Laien sind sie in der Welt Ausdruck der Kirche, die die eigene Soziallehre verwirklicht. Sie sollen sich jedoch ihrer persönlichen Freiheit und Verantwortung in diskutierbaren Fragen bewusst sein, wobei die von ihnen gefundenen Lösungen, immer von den Werten des Evangeliums inspiriert, nicht als die für die Christen einzig möglichen dargestellt werden dürfen. Auch die Achtung vor den legitimen Meinungen und Entscheidungen, die sich von den eigenen unterscheiden, ist ein Erfordernis der Nächstenliebe.
7. Die christlichen Laien haben zum Schluss die Aufgabe, zur Entwicklung der menschlichen Kultur mit all ihren Werten beizutragen. Anwesend in den verschiedenen Bereichen der Wissenschaft, des künstlerischen Schaffens, des philosophischen Denkens, der geschichtlichen Forschung usw. bringen sie die notwendige, aus ihrem Glauben erwachsende Inspiration ein. Und weil die kulturelle Entwicklung immer mehr zum Einsatz der Massenmedien führt, die für die Formung der Mentalität und der Sitten so wichtigen Instrumente, sollen die Laien hinsichtlich ihres Engagements in Presse, Film, Rundfunk, Fernsehen und Bühnenkunst ein lebendiges Verantwortungsbewusstsein haben, indem sie ihre Arbeit durch das Licht des Auftrages erhellen, das Evangelium in der ganzen Welt zu verkünden: Dieser ist besonders aktuell in der Welt von heute, in der es dringend ist, die von Jesus Christus für alle eröffneten Heilswege aufzuzeigen (vgl. ebd., Nr. 44).
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Liebe Schwestern und Brüder!
Nach dieser kurzen Betrachtung grübe ich Euch alle, liebe Schwestern und Brüder, nochmals sehr herzlich. Mein besonderer Grub gilt den Pilgern, die an der von der Kirchenzeitung ”Tag des Herrn“ in den neuen Bundesländern organisierten Pilgerreise teilehmen, sowie den zahlreichen Schülern und Jugendlichen. Euch allen, Euren lieben Angehörigen zu Hause sowie den mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbundenen Gläubigen erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.
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