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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 5. Oktober 1994

DE  - ES  - IT

1. Das gottgeweihte Leben, das die Entwicklung der Kirche im Laufe der Jahrhunderte gekennzeichnet hat, kannte und kennt verschiedene Ausdrucksformen. Diese Vielfalt ist zu berücksichtigen, wenn man das Kapitel liest, das die Konstitution Lumen Gentium dem Bekenntnis der evangelischen Räte widmet. Es trägt den Titel „Die Ordensleute”, aber in den Bereich seiner Lehrmeinungen und seiner Pastoralanliegen gehört die viel weitere und differenziertere Wirklichkeit des geweihten Lebens, wie es sich in jüngster Zeit herausgebildet hat.

2. Nicht wenige Menschen entscheiden sich auch heute für den Weg des gottgeweihten Lebens innerhalb religiöser Institute oder Kongregationen, die seit Langem in der Kirche wirken, aus deren lebendiger und fruchtbarer Anwesenheit sie immer wieder neue Bereicherungen für das geistliche Leben schöpft.

Aber in der Kirche gibt es auch offensichtlich neue Gemeinschaften von geweihten Personen, die in kanonischer Hinsicht anerkannt und geregelt sind. Es handelt sich vor allem um die Säkularinstitute, in denen nach dem Codex des kanonischen Rechts „in der Welt lebende Gläubige nach Vollkommenheit der Liebe streben und sich bemühen, zur Heiligung der Welt, vor allem von innen her, beizutragen” (CIC, can. 710). Die Mitglieder dieser Institute verpflichten sich zur Übung der evangelischen Räte, aber im Einklang mit einem Leben, das sich weltlichen Tätigkeiten und Einrichtungen widmet. Seit vielen Jahren, schon vor dem Konzil, gab es einige geniale Pioniere dieser Form des geweihten Lebens, die – nach außen – mehr dem der „Säkular”- als dem der „Ordens”-Institute ähnelte. Für manche Menschen mochte diese Entscheidung von einer Notwendigkeit abhängen, das heißt, dass sie aufgrund gewisser familiärer Verpflichtungen oder bestimmter Hindernisse keiner Ordensgemeinschaft beitreten konnten, aber für viele war es der volle Einsatz für ein Ideal: eine authentische Weihe an Gott zu vollziehen, auch durch ein Dasein, das als Berufung in den Wirklichkeiten der Welt gelebt wird. Es ist das Verdienst von Papst Pius XII., die Rechtmäßigkeit dieser Weiheform durch die Apostolische Konstitution Provida Mater Ecclesia (1947) anerkannt zu haben.

Außer den Säkularinstituten erkennt der Codex des kanonischen Rechts die Gesellschaften des apostolischen Lebens an, „deren Mitglieder ohne Ordensgelübde das der Gesellschaft eigene apostolische Ziel verfolgen, ein brüderliches Leben in Gemeinschaft führen und gemäß der eigenen Lebensordnung durch Befolgung der Konstitutionen nach Vollkommenheit der Liebe streben” (can. 731). Unter diesen Gesellschaften, die den Instituten des gottgeweihten Lebens „gleichgestellt” sind, gibt es einige, in denen die Mitglieder sich durch ein in den Konstitutionen festgelegtes Gelübde zur Übung der evangelischen Räte verpflichten. Auch das ist eine Form der Weihe.

3. In jüngerer Zeit ist eine Reihe von „Bewegungen” oder „kirchlichen Vereinigungen” entstanden. Darüber habe ich voll Anerkennung anlässlich des Treffens gesprochen, das die Italienische Bischofskonferenz über „Die christliche Gemeinschaft und die Vereinigungen der Laien” veranstaltet hat, wo ich sagte: „Das Phänomen der kirchlichen Vereinigungen ist ein charakteristisches Merkmal für den jetzigen Augenblick in der Geschichte der Kirche. Und man muss mit Zufriedenheit gleichfalls feststellen, dass das Spektrum dieser Zusammenschlüsse den ganzen Bogen der Präsenzweisen des Christen in der heutigen Gesellschaft umfasst” (Insegnamenti, VII, 2, 1984, 290). Wie damals wünsche ich auch heute, dass diese Laienzusammenschlüsse „in voller kirchlicher Gemeinschaft mit dem Bischof” stehen (ebd., 292), damit die Gefahr einer bestimmten Selbstgefälligkeit durch jemanden, der seine eigene Erfahrung verabsolutieren möchte, und ebenso die Gefahr einer Isolierung vom Gemeinschaftsleben der Ortskirchen und der Oberhirten ausgeschlossen werden. Diese „Bewegungen” oder „Vereinigungen”, von Laien gebildet, lenken ihre Mitglieder – oder einen Teil ihrer Mitglieder – auf die Praxis der evangelischen Räte hin. In der Folge bilden sich in ihnen, obwohl sie sich Laien nennen, Gruppen oder Gemeinschaften des geweihten Lebens. Und diese Form des geweihten Lebens kann noch dazu von einer Aufgeschlossenheit für das Priestertum begleitet werden, wenn einige Gemeinschaften Priester aufnehmen oder Jugendliche auf die Priesterweihe hinlenken. So geschieht es, dass einige dieser Bewegungen das Bild der Kirche in den drei Richtungen verkörpern, in denen sich ihre geschichtliche Zusammensetzung entwickelt: die der Laien, der Priester und der gottgeweihten Personen, die die evangelischen Räte leben wollen.

4. Es genügt, auf diese neue Wirklichkeit hinzuweisen, ohne die verschiedenen Bewegungen in ihren Einzelheiten zu beschreiben. Hervorzuheben ist vielmehr die Bedeutung ihrer Präsenz in der Kirche von heute.

Es ist wichtig, in ihnen ein Zeichen der Charismen zu erkennen, die der Kirche vom Heiligen Geist in immer neuen, manchmal unvorhergesehenen Formen geschenkt werden. Die Erfahrung dieser Jahre erlaubt uns zu bekräftigen, dass das charismatische Leben – weit entfernt davon, sich zu erschöpfen – im Einklang mit den Glaubensgrundlagen in der Kirche neue Ausdrucksweisen, besonders in den Formen des gottgeweihten Lebens, findet.

Ein besonderer und in gewisser Weise neuer Aspekt dieser Erfahrung ist die Bedeutung, die in ihm im Allgemeinen der Laiencharakter hat. Es ist wahr, dass es bei dem Wort „Laie” auch im religiösen Bereich zu Missverständnissen kommen kann. Wenn die Laien den Weg der evangelischen Räte wählen, treten sie zweifellos in gewissem Maß in einen geweihten Lebensstand ein, der sehr verschieden ist vom üblichen Leben der anderen Gläubigen, die den Weg der Ehe und der Berufe weltlicher Ordnung wählen. Trotzdem wollen die „geweihten” Laien weiterhin die Bezeichnung „Laie” bewahren und festigen, weil sie Glieder des Volkes Gottes im ursprünglichen Sinn des Wortes „Laie” (von laos = Volk) sind, sich als solche behaupten und diese Zugehörigkeit bezeugen wollen, ohne sich von ihren Brüdern und Schwestern zu trennen, auch nicht im Zivilleben.

Von großer Bedeutung und Interesse ist auch die kirchliche Sicht der Bewegungen, in denen sich die feste Absicht bekundet, das Leben der ganzen Kirche als Gemeinschaft von Jüngern Christi zu teilen und es durch die tiefe Verbindung und Zusammenarbeit zwischen Laien, Ordensleuten und Priestern in der persönlichen Lebenswahl und im Apostolat widerzuspiegeln.

Es ist wahr, dass diese drei Merkmale, das heißt die charismatische Lebenskraft, der Wille, die Zugehörigkeit zum Volk Gottes zu bezeugen, und das Erfordernis der Gemeinschaft der Geweihten mit den Laien und den Priestern Eigenschaften sind, die allen Formen des geweihten Ordenslebens gemeinsam sind; aber man kann nicht umhin anzuerkennen, dass sie in den heutigen Bewegungen deutlicher hervortreten, die im Allgemeinen durch ein tiefgehendes Bemühen der Zugehörigkeit zum Geheimnis der Kirche und des qualifizierten Dienstes an ihrer Sendung herausragen.

5. Neben den Bewegungen und Gemeinschaften, die auf den „kirchlichen Laien” ausgerichtet sind, müssen wir jetzt noch andere, jüngere Gemeinschaftsformen nennen, die den Akzent hauptsächlich auf die traditionellen Elemente des Ordenslebens legen. Einige dieser neuen Kommunitäten sind eigentlich monastisch ausgerichtet, mit einer beachtlichen Entwicklung des liturgischen Gebets; andere liegen auf der Linie der „kanonischen” Tradition, die neben der im engeren Sinn „monastischen” im Mittelalter so lebendig war, wobei sie besonders für die Pfarreien sorgen und dann das Apostolat im weiteren Umfeld pflegen. Noch entschiedener ist heute die neue „eremitische” Tendenz mit der Gründung oder dem Wiederaufbau von Einsiedeleien in der alten und zugleich neuen Form.

Dem, der nur oberflächlich hinschaut, könnten einige dieser Formen des geweihten Lebens im Missklang zu den heutigen Ausrichtungen des kirchlichen Lebens stehen. Die Kirche braucht sicher die Geweihten, die sich unmittelbarer der Welt zuwenden, um sie zu evangelisieren; aber in Wirklichkeit hat sie genauso und vielleicht noch größeren Bedarf an Menschen, die die Gegenwart und die Vertrautheit Gottes suchen, pflegen und bezeugen, ebenfalls in der Absicht, die Heiligung der Menschheit zu erlangen. Es sind zwei Aspekte des gottgeweihten Lebens, die in Jesus Christus aufscheinen, der zu den Menschen ging, um ihnen Licht und Leben zu bringen, aber andererseits die Einsamkeit suchte, um sich der Kontemplation und dem Gebet zu widmen. Keines dieser beiden Erfordernisse darf im heutigen Leben der Kirche vernachlässigt werden. Wir müssen dem Heiligen Geist dankbar sein, dass er uns das unaufhörlich durch die Charismen zu verstehen gibt, die er reichlich ausspendet, und durch die oft überraschenden Initiativen, zu denen er die Inspiration gibt.

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Mit diesen Überlegungen zur Bedeutung des gottgeweihten Lebens für die Kirche unserer Tage erneuere ich meinen herzlichen Willkommensgruß an Euch alle. Gestattet mir, mich besonders an die über 1.000 Meßdienerinnen und Meßdiener aus der Erzdiözese Köln zu wenden. Euer Besuch erfüllt mich mit besonderer Freude. Ihr repräsentiert die grobe Zahl junger Menschen, die einen besonderen Dienst am Altar und in der Wortverkündigung verrichten. Oft ist es nicht einfach, zu diesem Engagement zu stehen. Doch mehr denn je ist es wichtig, ”Farbe zu bekennen“ und den Wert der reichen Gaben zu erkennen, die Gott jedem von uns geschenkt hat. Auch ihr habt Teil an der Sendung der Kirche, ja ihr seid ihre Hoffnung und Zukunft. Grübt die anderen Jugendlichen zu Hause in Euren Pfarreien und Gruppen und sagt ihnen, wie sehr sich der Papst auch ihnen verbunden weiß.

Einen weiteren Gruß richte ich an die Teilehmer der Diözesanpilgerfahrt aus dem Bistum Münster und an die Pilgergruppe unter Leitung von Bischof Ludwig Averkamp aus Osnabrück. Schließlich danke ich den zahlreichen Chören für ihren Besuch und für ihren Gesang, mit dem sie diese Audienz umrahmt haben.

Euch allen, liebe Schwestern und Brüder, Euren Angehörigen daheim sowie all jenen, die uns in diesem Augenblick geistlich verbunden sind, erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.