JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 21. Dezember 1994
Liebe Brüder und Schwestern!
1. In wenigen Tagen feiern wir die Geburt des Herrn, und wir alle bereiten uns auf dieses Ereignis vor, damit der Sohn Gottes in unseren Herzen einen freien und gastlichen Raum findet. Welch großes Geheimnis erleben wir wieder in der Heiligen Nacht! Am Ende der Adventszeit stellt die Liturgie die Erwartung der ganzen Schöpfung in den Vordergrund, so, als würde diese die Ankunft dessen ahnen, der ihre ursprüngliche Harmonie wiederherstellt, die durch die Verweigerung Adams zerstört worden war; sie wartet auf den, der sie wieder zur vollen Einheit mit ihrem Schöpfer führt. Indem das Wort Fleisch wird – so betont der Apostel Paulus –, stellt es die kosmische Ordnung der Schöpfung wieder her (vgl. Eph 1,10; Röm 8,19-22). Das bevorstehende Weihnachtsfest ist das Fest der Schöpfung, aber vor allem des Menschen, denn der, der kommt, ist der Erlöser des Menschen, der „in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen selbst voll kundmacht und ihm seine höchste Berufung erschließt” (Gaudium et spes, Nr. 22). Indem er Fleisch von dem Menschen annimmt, der die Vertrautheit mit Gott abgelehnt hatte, heilt und rettet Jesus Christus die gesamte Menschheit und stellt in ihr das Bild und die Freundschaft Gottes wieder her, die durch die Sünde zerstört worden war. Jesus kommt in die Welt, „damit sie (die Menschen) das Leben haben und es in Fülle haben” (Joh 10,10).
2. Die Atmosphäre, die das Ereignis von Betlehem umgibt, ist immer von Freude, Licht und Liebe erfüllt. Zu Recht fühlt man in diesen Tagen stärker den Ansporn zur Güte und zum Frieden, die Einladung, das Böse zu meiden und sich dem Guten zuzuwenden.
Was sucht denn der Gläubige in der einfachen Krippe, neben der Josef, Maria und die ganze Schöpfung wachen? Der Mensch sucht Gott, weil er spürt, dass Gott ihn sucht. Das Menschenherz sehnt sich danach, Gott zu begegnen und in ihm Ruhe zu finden. Das sagte der hl. Augustinus und betonte, dass der himmlische Vater uns auf sich hin geschaffen hat und unser Herz unruhig ist, bis es Ruhe findet in ihm.
Der Erlöser, das ewige Wort „voll Gnade und Wahrheit” (Joh 1,14), kommt auf die Erde und lädt die Menschheit zum Hochzeitsmahl in seinem Licht ein, und er enthüllt dem, der ihn aufnimmt, seine Herrlichkeit, „die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit” (Joh 1,14). Wir sind Kinder Gottes! „Gott will – so schrieb ich in dem jüngst veröffentlichten Brief an die Kinder –, dass wir alle durch die Gnade seine Adoptivkinder sind. Hier liegt die wahre Quelle der Weihnachtsfreude.” Wir sollen uns freuen über dieses „Evangelium der Gotteskindschaft”.
Jedes Mal, wenn wir Weihnachten feiern, verkünden wir dieses einzigartige Wunder: Das Wort, in dem das Leben ist, wird Fleisch und wohnt unter uns. So können wir die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater betrachten, das Licht der Wahrheit; jeder ist gerufen, sich mit ihm auseinanderzusetzen, wenn er imstande sein will, das Gute von dem Bösen, das, was zum Leben führt, von dem, was ihn dem Tod ausliefert, zu unterscheiden. Weihnachten ist deshalb das Fest des Lichts, denn das Licht von Gottes Antlitz erstrahlt in seiner ganzen Schönheit auf dem Antlitz Jesu Christi, der in Betlehem Mensch wird.
Das II. Vatikanische Konzil weist darauf hin, dass „sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft aufklärt” (Gaudium et spes, Nr. 22). Das göttliche Kind kommt zu uns als „Licht der Völker”, damit alle die Wahrheit erkennen können, die er ist; es erfüllt so die Sehnsucht nach dem wahren Sinn des Lebens und liefert einen sicheren Grund zur Hoffnung, die im Menschenherz wohnt.
3. Weihnachten ist nicht nur das Fest Gottes, der Mensch wird, Weihnachten ist auch das Fest der Familie und des Lebens. Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt (vgl. Jes 9,5). Durch sein Erscheinen unter den Menschen hebt der Sohn Gottes die volle Bedeutung jeder menschlichen Geburt hervor.
Jedes Kind, das auf die Welt kommt, bringt Freude mit sich: Freude vor allem für seine Eltern und dann für die Familie und die ganze Menschheit (vgl. Joh 16,21). In Kürze geht das Jahr der Familie zu Ende, das wir 1994 gefeiert haben. Die verschiedenen Veranstaltungen, die es gekennzeichnet haben, boten vielfach Gelegenheit, das „Evangelium der Familie” zu vertiefen und auf die Herausforderungen hinzuweisen, vor die sich die Familien in allen Teilen der Welt gestellt sehen.
Ich möchte erneut Gott danken, dass er in der Heiligen Familie von Nazaret geboren werden wollte. In dieser Zeit vor der Krippe, die uns das Bild des neugeborenen Lebens zur Betrachtung anbietet, spüren wir den lebhaften Wunsch, mit Nachdruck zu bekräftigen, dass die Familie, jede Familie, berufen ist, Fest und Heiligtum des Lebens zu sein. Das ist die Hauptberufung der Familie: Jedem ihrer Glieder das Leben zu schenken und es mit Liebe und Achtung zu fördern.
Angesichts so vieler Bedrohungen und Gefahren für die Familie, der Urzelle der Kirche und der Gesellschaft, sind wir aufgerufen, uns unserer Verantwortung als Glaubende neu bewusst zu werden. Alle!
Jede Familie wird sich dann vor der Krippe gedrängt fühlen, das menschliche Leben, vor allem wenn es schwach und schutzlos ist, zu schützen, zu lieben und ihm zu dienen.
Die rettende Menschwerdung des Sohnes Gottes steht im Mittelpunkt des Glaubens der Kirche, und diese wird nie nachlassen, das „Evangelium des Lebens” in der ganzen Welt und allen Geschöpfen zu verkünden (vgl. Mk 16,15).
4. Ich hoffe, liebe Brüder und Schwestern, dass jede christliche Familie nach dem Vorbild der Heiligen Familie eine Schule des Glaubens, des Gebets, der Menschlichkeit und der wahren Freude sein will, indem sie Gott mit den Anforderungen seines Gesetzes, das in jedes Herz eingeschrieben ist und in Jesus Christus, unserem Erlöser, voll offenbar wurde, in den Mittelpunkt stellt. Nur so wird es möglich sein, eine glückliche und fruchtbringende Zukunft für alle zu gestalten.
Der Herr gibt jedem diesen Sendungsauftrag, aber zu Weihnachten ganz besonders den Familien und den Kindern. In dem zuvor genannten Brief schrieb ich: „Der Papst zählt sehr auf das Gebet der Kinder”, und er bittet sie, „das Gebet für den Frieden” zu ihrem besonderen Anliegen zu machen. In der Tat: „Liebe und Eintracht bauen den Frieden auf, Hass und Gewalt zerstören ihn.”
Liebe Brüder und Schwestern, ich wünsche euch allen hier Anwesenden und euren Familien gesegnete Weihnachten. Mein herzliches Gedenken gilt in besonderer Weise den Kranken, den Leidenden und all jenen, die aus irgendeinem Grund gezwungen sind, Weihnachten außer Haus zu verbringen. Der Papst ist ihnen nahe im Gebet und mit seiner Liebe. Ich begleite diese Weihnachtswünsche mit einem besonderen Segen als Unterpfand reichen himmlischen Trostes.
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Liebe Schwestern und Brüder!
In wenigen Tagen feiern wir das Geburtsfest des Herrn. Jeder von uns wird bemüht sein, sich auf Weihnachten vorzubereiten, damit der Sohn Gottes Aufnahme in den Herzen der Menschen finde. Das Ereignis von Betlehem ist von reicher innerer Freude gekennzeichnet, von Licht und Liebe. Umso deutlicher empfinden wir in diesen Tagen die Einladung zu Güte und Frieden, die Aufforderung, vom Bösen abzulassen und sich dem Guten zuzuwenden.
Weihnachten ist nicht nur das Fest Gottes, der Mensch geworden ist; es ist auch das Fest der Familie und des Lebens. Ein Kind wird uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt, heißt es beim Propheten Jesaja. Jedes Kind, das zur Welt kommt, ist seinen Eltern, der Familie, ja der ganzen Menschheit Freude und Hoffnung. Der Sohn Gottes, der Mensch wird, erschließt den vollen Sinn jeder menschlichen Geburt.
Bald endet das Jahr der Familie, durch das den vielfältigen Herausforderungen begegnet werden sollte, denen sich jede Familie zu stellen hat. Sie ist dazu berufen, Heiligtum des Lebens zu sein. Angesichts der Krippe von Betlehem sollen die Familien sich ihrer Pflicht bewusst werden, das menschliche Leben zu verteidigen, es zu achten und ihm zu dienen. Der Herr vertraut diese Sendung einem jeden an. In dem „Brief an die Kinder” habe ich geschrieben: Der Papst zählt sehr auf das Gebet der Kleinen, auf das Gebet für den Frieden. Ja, Liebe und Eintracht bauen den Frieden auf, Hass und Gewalt zerstören ihn.
Liebe Schwestern und Brüder, an euch und an eure Familien richte ich meine herzlichsten Wünsche zu diesem Weihnachtsfest. Meine Gedanken wenden sich vor allem den Kranken und Leidenden zu und all jenen, die aus welchem Grund auch immer zu Weihnachten nicht bei ihrer Familie sein können. Der Papst ist ihnen mit seinem Gebet nahe. Diese meine Weihnachtsgrüße verbinde ich als Unterpfand reicher himmlischer Gaben mit meinem besonderen Apostolischen Segen.
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