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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 5. April 1995

DE  - ES  - IT

1. In der weiterführenden Reihe der Katechesen über die Kirche sind wir vom ewigen Plan Gottes ausgegangen, der sie als Sakrament gewollt hat, als Mündung und Zentrum der Ausstrahlung der Ökonomie des Heiles. In Anbetracht der verschiedenen Aspekte des Mysteriums der Kirche als Volk Gottes, als Sakrament der Vereinigung der Menschheit mit Gott, als Braut Christi, als Communio und als priesterliche Gemeinschaft erläuterten wir, worin die Dienste bestehen, die zu leisten sie berufen ist. In Bezug auf diese Dienste betrachteten wir die Sendung des Bischofskollegiums in der Nachfolge des Apostelkollegiums; den Sendungsauftrag des Papstes, des Nachfolgers des Petrus im römischen Episkopat und im Primat über die Gesamtkirche; die Sendung der Priester und die Verflechtungen, die sie für ihren Lebensstand bedeuten; die Mission der Diakone, die heute wieder wie in den Anfängen des Christentums von großer Bedeutung sind und mit Recht als neuer Sauerteig der Hoffnung für das ganze Volk Gottes gelten. Dann sprachen wir über die Laien, indem wir sowohl ihre Bedeutung und Sendung als „Anhänger Christi“ im Allgemeinen als auch inmitten ihrer unterschiedlichen persönlichen, familiären und sozialen Lebensbedingungen herausstellten. Zum Schluss richteten wir unsere Aufmerksamkeit auf das gottgeweihte Leben als Reichtum der Kirche in den traditionellen Formen und in ihren vielfältigen, heute blühenden Erscheinungsformen.

Im Laufe dieser Ausführungen sprachen wir auch immer über die Sendung der Kirche und jedes ihrer Glieder. Aber jetzt ist es Zeit, dass wir sie eingehender behandeln, um mit größerer Klarheit das Wesen der universalen Sendung der Kirche zu bestimmen und zugleich die damit verbundenen Probleme anzugehen. So haben wir die Möglichkeit, noch eingehender die Reichweite der „Katholizität“ zu erklären, die das nizäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis der Kirche als mit der „Einheit“ verbundenes Wesensmerkmal zuerkennt. Auf diesem Weg können wir hochaktuelle Themen aufgreifen und Probleme untersuchen, die durch den wachsenden Einsatz für die Ökumene entstehen.

2. Das II. Vatikanische Konzil hat daran erinnert, dass die Universalität der Sendung der Kirche, die sich müht, „das Evangelium allen Menschen zu verkünden“, auf dem Auftrag Christi und „dem innersten Anspruch der Katholizität“ der Kirche beruht (Ad gentes, Nr. 1).

Jesus erteilt den Aposteln den klaren Auftrag: „Verkündet das Evangelium allen Geschöpfen“ (Mk 16,15), „Geht zu allen Völkern“ (Mt 28,19) mit der Verkündigung, „sie sollen umkehren, damit ihre Sünden vergeben werden“ (Lk 24,47). Im Augenblick der Himmelfahrt hoffen die Jünger nur auf das Reich Israels; denn sie fragen ihren Meister: „Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her?“ (Apg 1,6). In der Antwort zeigt der Erlöser ihnen ganz klar, dass dieser Horizont erweitert werden muss und dass sie selbst seine Zeugen nicht nur in Jerusalem, sondern in ganz Judäa und Samarien und „bis an die Grenzen der Erde“ sein sollen (Apg 1,8).

Der Erlöser rechnet nicht nur mit der Folgsamkeit der Jünger gegenüber seinem Wort, sondern mit der höheren Kraft des Geistes, den er ihnen verspricht: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird“ (Apg 1,8). Bedeutsam ist hierbei der Auftrag, in Jerusalem zu bleiben: Die Jünger dürfen die Stadt zum weltweiten Zeugnisgeben nicht verlassen, solange sie nicht die verheißene göttliche Kraft empfangen haben: „Bleibt in der Stadt, bis ihr mit der Kraft aus der Höhe erfüllt werdet“ (Lk 24,49).

3. Die Universalität der Sendung dringt ins Herz der Jünger ein durch die Gabe des Heiligen Geistes. Die universale Öffnung ist also kein von außen auferlegtes Merkmal der Kirche, sondern Ausdruck einer Eigenschaft, die zu ihrem Wesen selbst gehört. Die Kirche ist „katholisch“, „allumfassendes Heilssakrament“ (Lumen Gentium, Nr. 48), denn in ihr wird durch das Wirken des Heiligen Geistes das Reich Gottes vorweggenommen.

Bevor er die Frage der Jünger nach der Wiederherstellung des Reiches Israel anführt, erzählt der Evangelist Lukas, wie Jesus bei seinen Erscheinungen in den vierzig Tagen nach der Auferstehung über das „Reich Gottes“ gesprochen hat (Apg 1,3). Das „Reich Gottes“ ist ein universales Reich, das in sich das Wesen Gottes widerspiegelt, der unendlich ist, ohne die für menschliche Reiche charakteristischen Grenzen und Teilungen.

4. Der christliche Universalismus hat seinen Ursprung in der Dreifaltigkeit. Jesus hat offensichtlich das Werk der Apostel und somit der Kirche in der weltweiten Evangelisierung der Kraft des Heiligen Geistes zugeschrieben. Er sprach vom „Reich des Vaters“ (Mt 13,43; 26,29) und lehrte, um das Kommen dieses Reiches zu bitten: „Vater unser … dein Reich komme“ (Mt 6,9–10; vgl. Lk 11,2); aber er sagte auch: „mein Reich“ (Lk 22,30; Joh 18,36; vgl. Mt 20,21; Lk 23,42) und erklärte, dass dieses Reich für ihn von seinem Vater bereitet worden sei (vgl. Lk 22,30) und nicht von dieser Welt war (vgl. Joh 18,36).

Für die Jünger ging es darum, die kulturellen und religiösen Grenzen zu überschreiten, innerhalb derer sie zu denken und zu leben gewohnt waren, damit sie sich auf der Höhe eines Reiches von universaler Ausdehnung fühlen konnten. Im Gespräch mit der Samariterin unterstreicht Jesus die Notwendigkeit, die kulturellen, nationalen bzw. ethnischen – historisch mit besonderen Heiligtümern verbundenen – Konflikte zu überwinden, um den authentischen Kult Gottes festzulegen. „Die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet … Aber die Stunde kommt, und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn so will der Vater angebetet werden“ (Joh 4,21.23). Es ist der Wille des Vaters, den Jesus seinen Jüngern abverlangt: der Übergang vom Reich Gottes über Israel allein zum Reich Gottes über alle Völker. Der Vater hat ein universales Herz und legt durch den Sohn und im Geist einen universalen Gottesdienst fest. Wie ich in der Enzyklika Redemptoris missio sagte, geht die Kirche aus dem universalen Herzen des Vaters hervor und ist katholisch, weil der Vater seine Vaterschaft auf die ganze Menschheit ausdehnt (vgl. Nr. 12).

5. Die Universalität des ewigen Plans des Vaters zeigte sich konkret im messianischen Werk seines eingeborenen, menschgewordenen Sohnes, der am Ursprung des Christentums steht.

Die Verkündigung Jesu im Auftrag des Vaters war auf das jüdische Volk beschränkt, auf die „verlorenen Schafe des Hauses Israel“: Das erklärt er selbst (vgl. Mt 15,24). Diese Verkündigung war aber nur eine Einleitung für die universale Evangelisierung und den Eintritt aller Nationen in das Reich, den er selbst in Übereinstimmung mit der tiefen Bedeutung der Verheißungen der Propheten angekündigt hatte: „Ich sage euch: Viele werden von Osten und Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen“ (Mt 8,11). Diese allumfassende Sichtweise entsteht dadurch, dass Jesus sich selbst als „Menschensohn“ und nicht nur als „Sohn Davids“ vorstellt, weil ja er selbst Davids Herr ist (vgl. Mt 22,45; Mk 12,37; Lk 20,44).

Der Titel „Menschensohn“ ist im Sprachgebrauch der vom Propheten Daniel (7,13) inspirierten apokalyptischen jüdischen Literatur ein Hinweis auf die himmlische Personhaftigkeit, die von Gott das eschatologische Reich erhalten sollte. Jesus verwandte diese Ausdrucksweise, um den wirklichen Charakter seines Messianismus zu verdeutlichen, der auf der Ebene wahrer Menschlichkeit vollbracht wurde, aber eine jeden ethnischen, nationalen und religiösen Partikularismus übersteigende Sendung war.

6. Die Universalität, die vom Vater und vom menschgewordenen Sohn ausgeht, wird der Kirche am Pfingsttag endgültig mitgeteilt, als der Heilige Geist die erste Christengemeinde erfüllt und sie zu einer universalen Gemeinschaft macht. Die Apostel geben dann Zeugnis für Christus und wenden sich an die Menschen aller Nationen, die sie verstehen, als ob sie in der Muttersprache jedes Einzelnen redeten (vgl. Apg 2,7–8). Von diesem Tag an handelt die Kirche deutlich mit der „Kraft des Heiligen Geistes“, der Verheißung Jesu entsprechend, „in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8).

Die universale Sendung der Kirche kommt also nicht von unten, sondern von oben, vom Heiligen Geist, gleichsam durch das Eindringen der Universalität der dreifältigen Liebe in sie. Es ist das dreifältige Mysterium, das durch das Geheimnis der Erlösung, durch das Einwirken des Heiligen Geistes der Kirche die Eigenschaft des Universalismus mitteilt. So gelangt man vom Geheimnis der Dreifaltigkeit zum Geheimnis der Kirche.

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Mit dieser kurzen Betrachtung grüe ich herzlich die sehr zahlreichen deutschsprachigen Pilger und Besucher. Mein besonderer Gru gilt der Gruppe aus Stuttgart, die den Vatikanischen Museen ein Werk des Künstlers Otto Herbert Hayek überreicht hat. Ferner grüe ich die Chöre sowie die Jugend– und Schülergruppen. Euch allen wünsche ich bereits heute ein frohes und gesegnetes Osterfest. Von Herzen erteile ich Euch meinen Apostolischen Segen.

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In dieser Passionszeit lade ich euch ein, euren Brüdern und Schwestern in Bosnien und Herzegowina besonders nahe zu sein; sie gehen ihren schmerzlichen Kreuzweg aufgrund eines schrecklichen Krieges weiter, der schon so viele Zerstörungen und Todesopfer hervorgerufen hat.

Gerade gestern gedachten die Bewohner von Sarajevo des tragischen Tages vom 4. April 1992, an dem die bewaffneten Zusammenstöße in der Stadt begannen. Schon drei Jahre sind vergangen, und die Menschen haben immer noch nicht verstanden, dass der Weg des Krieges nur zum Tod führt und nicht die Zukunft der Völker aufbaut. In Wirklichkeit stehen wir vor der größten Tragödie, die in Europa nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ausgebrochen ist. Von unserer Seite aus müssen wir weiter beten und uns dafür einsetzen, dass dieser sinnlose Krieg bald ein Ende nimmt.