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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 3. Mai 1995

DE  - ES  - IT

1. In der Alltagssprache spricht man von den „Missionen“ in der Mehrzahl und von den „Missionaren“, die dort in besonderem Auftrag tätig sind. Es ist eine Ausdrucksweise, die der Einheit der „Mission“ der Kirche nicht entgegensteht, ja, sie macht mit größerer Intensität diese Hauptaufgabe der Evangelisierung sogar noch deutlicher. Die Missionare stellen das Prinzip, dass die ganze Kirche missionarisch ist, keineswegs in den Schatten, sondern verwirklichen es in eigener Person.

Was sind die Missionen? Nach dem Konzil handelt es sich um „spezielle Unternehmungen, wodurch die von der Kirche gesandten Boten des Evangeliums in die ganze Welt ziehen und die Aufgabe wahrnehmen, bei den Völkern oder Gruppen, die noch nicht an Christus glauben, das Evangelium zu predigen und die Kirche selbst einzupflanzen“ (Ad gentes, Nr. 6). In der Enzyklika Redemptoris missio wird betont, dass sie in den Ländern, wo die Kirche „noch nicht Wurzeln geschlagen hat“, und bei den Völkern, „deren Kultur noch nicht vom Evangelium beeinflusst ist“, eröffnet werden (Redemptoris missio, Nr. 34).

2. Wir können klar sagen, dass diese Tätigkeiten den Aufbau der Ortskirche zum Ziel haben. Sie tragen nicht nur dazu bei, Strukturen und eine kirchliche Hierarchie zu errichten, sondern fördern die Bildung von Gemeinschaften des christlichen Lebens durch die Verkündigung des Wortes Gottes und die Sakramentenspendung. Schon Thomas von Aquin sprach von diesem Einpflanzen der Kirche als einem apostolischen „munus“ (vgl. I Sent., D.16, q.2, ad 2 und 4; a.3; Summa Theol., I, q.43, a.7, ad 6; I-II, q.106, a.4, ad 4). Ein Begriff, der zur fundierten ekklesiologischen Tradition gehört und von den Päpsten unseres Jahrhunderts in verschiedenen Dokumenten vertieft wurde, die auch in das II. Vatikanische Konzil Eingang gefunden haben (vgl. Ad gentes, Nr. 34). Meine ehrwürdigen Vorgänger und ebenso Thomas von Aquin verwenden auch den Ausdruck „dilatatio Ecclesiae“, das heißt Ausbreitung, Vergrößerung der Kirche (vgl. Thomas v. Aquin, Matthäuskomm. 16,28). Das Konzil erläutert, dass „das hauptsächliche Mittel dieser Einpflanzung die Verkündigung der Frohbotschaft von Jesus Christus“ ist… „So sollen aus dem Samen des Gotteswortes überall auf der Welt wohlbegründete einheimische Teilkirchen heranwachsen“ … „damit die Menschen, wiedergeboren durch das Wort Gottes, mittels der Taufe der Kirche eingegliedert werden, die … vom Wort Gottes und vom eucharistischen Brot genährt wird und lebt“ (Ad gentes, Nr. 6; vgl. Apg 2,42; 1 Petr 1,23). Es sind „mit eigener Kraft und Reife begabte“ und mit einer eigenen Hierarchie ausgestattete Teilkirchen, die die entsprechenden Mittel zum Vollzug des christlichen Lebens ihrer Mitglieder besitzen und zum Wohl der Gesamtkirche beitragen können (vgl. ebd.). Das ist das Ideal, das die missionarische Tätigkeit anstrebt: die Gründung einer Kirche, die von sich aus für ihre Hirten und für alle Bedürfnisse des Glaubenslebens sorgt, während sie in Gemeinschaft mit den anderen Teilkirchen und dem Stuhl Petri steht.

3. Zu unterscheiden sind verschiedene Stufen missionarischer Tätigkeit (vgl. Ad gentes, Nr. 6): die des „Neubeginns oder Pflanzens“, wobei die Verkündigung des Evangeliums darauf zielt, die Menschen zur Taufe zu führen; danach folgt die Phase „der Neuheit oder Jugend“ durch die Erziehung zum Glauben und zu einer entsprechenden Lebensweise, durch die Gründung von Ortsgemeinschaften und die Erweckung und Entfaltung von Priester- und Ordensberufen. Auf diesem Bildungsweg wird die Gemeinschaft mit einer Dienststruktur ausgestattet und so unterstützt, dass sie sich in der Sicht missionarischer Öffnung und Zusammenarbeit entwickelt.

Im Hinblick auf die missionarische Tätigkeit und den Wert der Missionen hat es leider auch in jüngster Zeit nicht an Unverständnis gefehlt. Ausgehend von der Verbindung, die durch historisch bedingte Gründe eine gewisse Zeit lang zwischen der Missionstätigkeit und der Kolonialpolitik entstanden war, wollte man daraus ableiten, dass der allmähliche Schwund des geschichtlichen Phänomens der Kolonien gleichzeitig das Verschwinden der Missionen zur Folge haben müsse.

Zu dieser Unsicherheit kam die Überlegung, dass in den Kirchen der Evangelisierung des Altertums, aus denen viele in den „Missionsländern“ tätige Missionare stammen, immer mehr das Bewusstsein wuchs, dass auch ihr Gebiet „Missionsland“ ist und einer „Neuevangelisierung“ bedarf. So entstand das Problem, zwischen den Missionen in den noch nicht evangelisierten Ländern und den dringenden Apostolatsaufgaben in den altchristlichen Ländern zu wählen.

4. Die Frage kann nicht dadurch gelöst werden, dass man sich ausschließlich für die zweite Alternative zum Schaden der ersten entscheidet. Ja, man spürt das Bedürfnis nach einer Neuevangelisierung in den „Ländern mit alter christlicher Tradition, … wo ganze Gruppen von Getauften den lebendigen Sinn des Glaubens verloren haben oder sich gar nicht mehr als Mitglieder der Kirche erkennen, da sie sich in ihrem Leben von Christus und vom Evangelium entfernt haben“ (Redemptoris missio, Nr. 33).

Dennoch kann man auf die eigentliche missionarische Tätigkeit nicht verzichten, und sie wird in den Ländern, wo die Kirche noch nicht Fuß gefasst hat oder die Zahl der Christen sehr gering ist, weiterentwickelt. Die Botschaft des Evangeliums muss allen bekannt gemacht werden, und blühende, beispielgebende Christengemeinden müssen imstande sein, die Lebensgewohnheiten und Institutionen mit Hilfe eines fruchtbringenden Dialogs unter den verschiedenen Gruppen und Gemeinschaften günstig zu beeinflussen.

Wie ich in der genannten Enzyklika hervorhob, ist „die Zahl derjenigen, die Christus nicht kennen und nicht zur Kirche gehören, ständig im Wachsen; seit dem Ende des Konzils hat sie sich sogar beinahe verdoppelt“ (Redemptoris missio, Nr. 3).

Der Grund dafür ist, dass der Anteil der Nichtchristen in der Entwicklung der Weltbevölkerung stark zugenommen hat, aus den bekannten demographischen Gründen und wegen einer größeren Stabilität in der Bewahrung religiöser Elemente, die den Kulturen beinahe angeboren sind.

5. Hinsichtlich der Beziehung zwischen der missionarischen Tätigkeit und der Kolonialpolitik einiger Länder muss man mit objektivem und klarem Blick die Gegebenheiten untersuchen, aus denen hervorgeht, dass zwar in manchen Fällen das Zusammentreffen zu tadelswerten Verhaltensweisen seitens der Missionare in Bezug auf die einheimischen Nationen oder in der Zusammenarbeit mit den örtlichen Machthabern geführt haben mag, was nicht immer leicht abzusehen war; dennoch war die Evangelisierungstätigkeit, insgesamt betrachtet, immer durch ein Ziel – zum Unterschied von dem der zeitlichen Obrigkeiten – gekennzeichnet: die Personenwürde der evangelisierten Menschen zu fördern, indem man ihnen den Zugang zur Gotteskindschaft eröffnet, die jedem Menschen von Christus erwirkt wurde und den Gläubigen in der Taufe vermittelt wird.

Das begünstigte tatsächlich im Allgemeinen den Fortschritt dieser Völker zur Freiheit und auch ihre Entwicklung auf sozioökonomischer Ebene. Die Missionare handelten aus ihrer Hochschätzung für die Menschen, die von Gott geliebte und von Jesus Christus erlöste Personen sind.

Ihre Tätigkeit bei den Völkern oder Gruppen, unter denen die Kirche noch anwesend und wirksam ist, zielt heute wie gestern nicht auf menschliche Macht und Interessen, noch wird sie von der Überheblichkeit einer kulturellen und sozialen Überlegenheit inspiriert. Hingegen will sie – und sie ist es wirklich – ein einfacher Dienst der Liebe für diejenigen sein, die das Licht und das Leben Christi im Bereich der von ihm zum Heil der ganzen Welt gewollten und gestifteten Kirche (Ecclesia) noch nicht empfangen haben.

Das Konzil räumt auch ein, dass es Situationen gibt, in denen sich die missionarische Aktivität auf eine diskrete Anwesenheit beschränken muss, denn sie kann sich nicht in offensichtlich vorhandenen und gültigen Strukturen entfalten (vgl. Ad gentes, Nr. 6).

Vielleicht stellen die Missionare gerade in solchen Fällen noch klarer die Kirche dar, die von Christus mit dem Ziel gegründet wurde, dass sie das Evangelium predigt und überall Heilsgemeinschaften bildet.

Denn sie ist sich des Geheimnisses des Kreuzes wohl bewusst, das, wie es die Geschichte eindringlich lehrt, manchmal ein schweigendes und zuversichtliches Warten auf das Osterlicht mit sich bringt.

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Mit dem innigen Wunsch, alle Gläubigen mögen sich das Anliegen der Missionen zueigen machen und weiter in der österlichen Hoffnung verharren, grüe ich Euch, liebe Schwestern und Brüder, die Ihr so zahlreich aus Deutschland, Österreich und der Schweiz an dieser Audienz teilnehmt. Einen besonderen Gru richte ich an die Pilgegruppe, die anlälich der Vereidigung der Rekruten der Päpstlichen Schweizergarde gekommen ist. Euch allen sowie Euren lieben Angehörigen und Freunden in der Heimat erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.

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Mit tiefer Trauer und lebhafter Besorgnis vernahm ich die Nachricht, dass die Feindseligkeiten auf dem Balkan erneut ausgebrochen sind und die streitenden Parteien verstärkte Angriffe auf die unschuldige Bevölkerung verüben. Während die Gedenkfeiern zum 50. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkrieges im Gang sind, ertönt von Neuem der dumpfe Donnerhall der Waffen in Europa!

Ich möchte ein weiteres Mal daran erinnern, dass man Frieden nicht mit Waffengewalt baut, die Verständigung nicht durch Kampftätigkeit fördert und die Verhandlungen nicht begünstigt, wenn man den Hass schürt.

Wir alle erwarten von den Verantwortlichen der betreffenden Nationen Zeichen des Weitblicks und der konsequenten Übernahme der eigenen Verantwortlichkeiten, damit diese geliebten Völker, die jetzt vom Krieg zermürbt sind, mit Zuversicht ihren Weg in die Zukunft wieder aufnehmen können.

Möge der Gruß des Auferstandenen: „Frieden gebe ich euch“ (Joh 14,27) zu allen gelangen!