JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 31. Mai 1995
1. Die Schwierigkeiten, die manchmal die Entwicklung der Evangelisierung begleiten, bringen ein heikles Problem ans Licht, dessen Lösung nicht in rein geschichtlichen oder soziologischen Begriffen zu suchen ist: die Frage nach dem Heil derer, die nicht sichtbar zur Kirche gehören. Wir haben keine Möglichkeit, das geheimnisvolle Wirken Gottes im menschlichen Geist und Herzen zu erforschen, um die Macht der Gnade Christi im Leben und Sterben derer abzuschätzen, die „der Vater ihm gegeben hat“ und von denen er selbst gesagt hat, er wolle sie nicht „zugrunde gehen lassen“. Wir hören ihn dies wiederholen in einer der für die Messen für die Verstorbenen vorgeschlagenen Lesungen aus dem Evangelium (vgl. Joh 6,39-40).
Wie ich in der Enzyklika Redemptoris missio geschrieben habe, gilt das Geschenk des Heiles „nicht nur jenen, die ausdrücklich an Christus glauben und in die Kirche eingetreten sind. Wenn das Heil für alle ist, muss es allen zur Verfügung stehen“. Dann habe ich eingeräumt, dass es ja vielen Menschen praktisch unmöglich ist, mit der Botschaft Christi in Berührung zu kommen, und habe hinzugefügt: „Es gibt viele Menschen, die keine Möglichkeit haben, die Offenbarung des Evangeliums kennenzulernen und sich der Kirche anzuschließen. Sie leben unter sozio-kulturellen Bedingungen, die solches nicht zulassen. Oft sind sie in anderen religiösen Traditionen aufgewachsen“ (Redemptoris missio, Nr. 10).
Nach menschlicher Erkenntnis und Voraussicht müssen wir sagen, dass diese praktische Unmöglichkeit vielleicht noch lange Zeit andauern kann, unter Umständen sogar bis zur Vollendung des Evangelisierungswerkes. Jesus selbst hat daran erinnert, dass nur der Vater „die Zeiten und Fristen“ kennt, die er festgesetzt hat, um sein Reich in der Welt aufzurichten (vgl. Apg 1,7).
2. Was ich eben gesagt habe, rechtfertigt aber nicht die relativistische Einstellung derer, die die Ansicht vertreten, in jeder beliebigen Religion ließe sich ein Heilsweg finden, auch unabhängig vom Glauben an Christus, den Erlöser, und der interreligiöse Dialog müsse sich auf diese mehrdeutige Aussage gründen. Das ist nicht die dem Evangelium entsprechende Lösung für das Problem hinsichtlich des Heils jener, die sich nicht zum christlichen Glauben bekennen. Wir müssen vielmehr daran festhalten, dass der Heilsweg immer über Christus geht und dass daher der Kirche und ihren Missionaren die Aufgabe zukommt, dahin zu wirken, dass er zu jeder Zeit, an jedem Ort und in jeder Kultur bekanntgemacht und geliebt wird. Außerhalb Christi „gibt es kein Heil“. So verkündete Petrus schon vom Beginn der apostolischen Predigt an: „Es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ (Apg 4,12).
Auch für jene, die ohne ihre Schuld Christus nicht kennen und die sich nicht als Christen bekennen, hat Gott in seinem Plan einen Heilsweg vorherbestimmt. Wie wir in dem Konzilsdekret über die Missionstätigkeit Ad gentes lesen, glauben wir, dass Gott „Menschen, die das Evangelium ohne ihre Schuld nicht kennen, auf Wegen, die er weiß“, zum heilsnotwendigen Glauben führen kann (Ad gentes, Nr. 7). Gewiss darf die Voraussetzung „ohne ihre Schuld“ nicht nach menschlichem Urteil abgeschätzt und bewertet werden, sondern sie muss allein dem göttlichen Urteil überlassen bleiben. Deshalb hat das Konzil in der Konstitution Gaudium et spes erklärt, dass im Herzen eines jeden Menschen guten Willens „die Gnade unsichtbar wirkt“ und dass „der Heilige Geist allen die Möglichkeit anbietet, dem österlichen Geheimnis in einer Gott bekannten Weise verbunden zu sein“ (Gaudium et spes, Nr. 22).
3. Es muss als wichtig betont werden, dass der Heilsweg derer, die das Evangelium nicht kennen, nicht ein Weg außerhalb Christi und der Kirche ist. Der universale Heilsweg ist an die einzige Mittlerschaft Christi gebunden. Das bestätigt der erste Brief an Timotheus: „Gott, unser Retter, will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Denn: Einer ist Gott, Einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Christus Jesus, der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle“ (2,3-6). Petrus verkündet es, wenn er sagt, dass „in keinem anderen das Heil zu finden“ ist, und Jesus „Eckstein“ nennt (Apg 4,11-12). Damit macht er die notwendige Rolle Christi als Fundament der Kirche deutlich. Diese Betonung der „Einzigkeit“ Christi hat ihren Ursprung in den Worten des Herrn selbst, der hervorhebt, dass er gekommen ist, „um sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mk 10,45), das heißt: für die Menschheit, wie der hl. Paulus erklärt, wenn er schreibt: „Einer ist für alle gestorben“ (2 Kor 5,14; vgl. Rom 5,18). Christus hat durch die Hingabe seines Lebens das universale Heil erlangt: Kein anderer Mittler wurde von Gott als Erlöser eingesetzt. In der Bestimmung eines jeden Menschen muss stets der einzigartige Wert des Kreuzesopfers anerkannt werden.
4. Und da Christus das Heil durch seinen mystischen Leib, die Kirche, wirkt, ist der Heilsweg wesentlich an die Kirche gebunden. Das Axiom extra Ecclesiam nulla salus – „außerhalb der Kirche gibt es kein Heil“ –, das der hl. Cyprian aufgestellt hat (Epist. 73,21: PL 1123 AB), gehört zur christlichen Tradition und wurde in ein Dekret des 4. Laterankonzils (DS 802), in die Bulle Unam sanctam von Bonifatius VIII. (DS 870) und in ein Dekret des Konzils von Florenz (Dekret für die Jakobiten, DS 1351) aufgenommen.
Dieser Grundsatz bedeutet, dass für diejenigen, denen es nicht unbekannt ist, dass die Kirche von Gott durch Jesus Christus als notwendig gegründet wurde, die Pflicht besteht, in sie einzutreten und in ihr zu verbleiben. Denjenigen aber, zu denen die Verkündigung des Evangeliums nicht gelangt ist, wird, wie ich in der Enzyklika Redemptoris missio geschrieben habe, das Heil auf geheimnisvollen Wegen zugänglich, insofern ihnen die göttliche Gnade kraft des Erlösungsopfers Christi ohne äußere Zugehörigkeit zur Kirche, aber immer in Beziehung zu ihr, verliehen wird. Es ist eine „geheimnisvolle Beziehung“: geheimnisvoll für die, die ihrer teilhaftig werden, da sie die Kirche nicht kennen, ja sie manchmal äußerlich zurückweisen; geheimnisvoll auch in sich selbst, da sie an das Heilsgeheimnis der Gnade gebunden ist, das einen wesentlichen Bezug zu der vom Erlöser gegründeten Kirche mit sich bringt.
Die heilbringende Gnade erfordert, um wirksam zu sein, treue Mitwirkung, ein Ja zu dem göttlichen Geschenk. Diese Treue ist, wenigstens einschließlich, auf Christus und die Kirche gerichtet. Darum kann man auch sagen: „Sine Ecclesia nulla salus – ohne die Kirche gibt es kein Heil“: Die Zugehörigkeit zur Kirche, dem mystischen Leib Christi, wenn auch nur einschließlich und geheimnisvoll, bildet eine wesentliche Bedingung für das Heil.
5. Die Religionen können einen positiven Einfluss auf das Los derer ausüben, die zu ihnen gehören und aufrichtigen Geistes ihren Weisungen folgen. Doch wenn das entscheidende Handeln zum Heil durch den Heiligen Geist geschieht, dann müssen wir uns vergegenwärtigen, dass der Mensch nur von Christus, durch den Heiligen Geist, sein Heil empfängt. Es beginnt schon im irdischen Leben, das die Gnade, wenn sie angenommen und beantwortet wird, im Sinn des Evangeliums fruchtbar macht für die Erde und für den Himmel.
Von daher ist die Bedeutung der unverzichtbaren Rolle der Kirche zu verstehen, die „sich nicht selbst Ziel ist, sich aber eifrig bemüht, ganz Christus zu gehören, in ihm und für ihn zu sein und ganz auf der Seite der Menschen zu stehen, unter ihnen und für sie dazusein“. Eine Rolle also, die nicht „ekklesiozentrisch“ ist, wie man manchmal gesagt hat: Die Kirche besteht weder für sich selbst noch arbeitet sie für sich selbst, sondern sie steht im Dienst einer Menschheit, die zur Kindschaft Gottes in Christus berufen ist (vgl. Redemptoris missio, Nr. 19). Sie übt also einschließlich auch eine Mittlerrolle denen gegenüber aus, die das Evangelium nicht kennen.
Das darf jedoch nicht zu dem Schluss führen, ihre missionarische Tätigkeit sei unter diesen Umständen weniger notwendig. Ganz im Gegenteil. In Wirklichkeit befindet sich ja derjenige, der Christus, auch ohne eigene Schuld, nicht kennt, in einem Zustand der Finsternis und geistiger Hungersnot, oft auch mit negativen Auswirkungen auf kulturellem und moralischem Gebiet. Das missionarische Wirken der Kirche kann ihm die Bedingungen zur vollen Entfaltung der Heilsgnade Christi vermitteln, ihm das volle und bewusste Ja zur Botschaft des Glaubens und die aktive Teilnahme am Leben der Kirche in den Sakramenten vorschlagen.
Das ist die theologische Linie, die der Tradition der Kirche entnommen ist. Das Lehramt der Kirche hat sie in der Lehre und in der Praxis befolgt als Weg, den Christus selbst durch die Apostel und durch die Missionare aller Zeiten gewiesen hat.
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Mit dieser kurzen Betrachtung grüe ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher sehr herzlich. Mein besonderer Gru gilt den Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft kirchlicher Museen und Schatzkammern, die zu ihrer Jahrestagung nach Rom gekommen sind.
Euch allen, Euren lieben Angehörigen zu Hause sowie den mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbundenen Gläubigen erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.
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