zoomText
  • A
  • A
  • A
pdf
PDF-Erstellung läuft.....

JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 14. Juni 1995

DE  - ES  - IT

1. Die Kirche wurde von Jesus Christus als einzige und universale Kirche gegründet: zwei Dimensionen, die, wie wir bei vorausgehenden Katechesen gesehen haben, im Willen Christi selbst gegründet sind. Die Apostelgeschichte und die Apostelbriefe aber bezeugen, daß sich im Bereich der einen und universalen Kirche durch das Wirken der Apostel und ihrer Mitarbeiter und später ihrer Nachfolger die Ortskirchen gebildet haben. So wird eine Unterscheidung zwischen der „Universalkirche“, die den Aposteln unter der Führung des Petrus anvertraut wurde, und den „Ortskirchen“ mit ihren Hirten sichtbar. Denken wir an die Ortskirche von Jerusalem, an deren Spitze „Älteste“ (Apg 11,30) mit Jakobus (Apg 12,17; 21,18) gestellt wurden; an die von Antiochia mit Propheten und Lehrern (Apg 13,1) und an die anderen Gemeinden, in denen Paulus und Barnabas „Presbyter“ (Apg 14,23; 20,17) oder „Bischöfe“ (Apg 20,28) aufstellten.

2. Die Strukturierung der einzigen Kirche in eine vielgestaltige Verschiedenheit von Ortskirchen entspricht der Gründung Christi und stimmt auch überein mit dem soziologischen und psychologischen Gesetz der örtlichen Lage und des Zusammenlebens in Ortsgemeinden, in denen bleibende, starke und nutzbringende Bindungen bestehen. Auf religiöser und christlicher Ebene ist die Existenz der Ortskirchen im Leben der Universalkirche wichtig. Die Jünger Christi brauchen Gemeinschaften, in denen sie das für alle gleiche Evangelium in einer Art und Weise leben können, die ihrer besonderen Kultur entspricht.

Das II. Vatikanische Konzil erinnert daran, daß die beiden Dimensionen der Kirche nicht im Gegensatz zueinander stehen, dass vielmehr die Universalkirche in den Ortskirchen gegenwärtig ist und daß die Ortskirchen die Universalität der katholischen Kirche in ihrem Leben als Einzelkirchen in die Tat umsetzen. Die dogmatische Konstitution über die Kirche betont, daß es „zu Recht in der kirchlichen Gemeinschaft Teilkirchen gibt, die sich eigener Überlieferungen erfreuen, unbeschadet des Primats des Stuhles Petri, welcher der ganzen Liebesgemeinschaft vorsteht“ (Lumen Gentium, Nr. 13).

3. Noch ein drittes Prinzip regelt die Sendung der Ortskirchen innerhalb der Universalkirche: das der Inkulturation der Frohen Botschaft. Die Evangelisierung geschieht nicht nur durch die Anpassung an die kulturellen Ausdrucksformen der verschiedenen Völker, sondern auch durch die vitale Einverleibung des Evangeliums in ihr Denken, ihre Werte, ihre Gewohnheiten und ihr Gebet, dank des Nachforschens und der inneren Achtung vor der Wahrheit, die sich, mehr oder weniger offenkundig, darin findet. Es ist der Begriff, der im Einklang mit den früheren Dokumenten des päpstlichen Lehramts und des Konzils, der Logik der Menschwerdung folgend, in der Enzyklika Redemptoris missio (vgl. Nr. 52) niedergelegt ist. Vorbild aller Evangelisierung der Kultur ist die Menschwerdung. Jesus Christus, das menschgewordene Wort Gottes, ist in die Welt gekommen, um die ganze Menschheit zu erlösen und „der Herr aller“ (Apg 10,36) zu sein. Er hat sich aber in die religiöse Überlieferung Israels eingefügt und darin gelebt (vgl. Lk 2,22–24.39.41; Mt 4,23; 17,27). Doch führte er sie zur Vollendung nach einer neuen Weise des Bundes, den er, einige Elemente des alten Gesetzes überschreitend, stiftete, wie die Schriften des Neuen Testaments bestätigen (vgl. Mt 5,17–20; 15,1–6; Röm 8,1–4; Gal 4,4). Aber die Gedanken und Worte Jesu richten sich auch auf die „anderen Schafe“, die er, als der eine Hirte, zur einen Herde führen will (vgl. Joh 10,16). Und der heilige Paulus, von Christus berufen, „Apostel der Heiden“ (Röm 11,13; vgl. Röm 1,5) zu sein, schrieb den Neuchristen „in allen Kirchen“ vor, in den Verhältnissen zu verbleiben, in denen sie sich im Augenblick ihrer Bekehrung befanden (vgl. 1 Kor 7,17.20.24), d. h. sie brauchten nicht die kulturellen Gewohnheiten der Juden anzunehmen, sondern sollten der eigenen Kultur treu bleiben und in ihr den christlichen Glauben leben.

4. So erklärt sich und wird gerechtfertigt, daß das Christentum, vorbereitet durch die Spiritualität des Alten Testamentes, auch den Beitrag der Kulturen und religiösen Überlieferungen der Heiden, die zu Völkern und Nationen gehörten, die Israel fremd waren, in die christliche Kultur und Zivilisation aufnahm. Das ist eine geschichtliche Wirklichkeit, in ihrer zutiefst religiösen Dimension betrachtet. Die Botschaft des Evangeliums wird in ihrem Wesen als Offenbarung Gottes durch das Leben und die Lehre Christi den verschiedenen Kulturen dargeboten, indem die Keime, die Wünsche und Hoffnungen – man möchte fast sagen, die Vorahnungen der Werte des Evangeliums –, die gleich Saatkörnern in ihnen sind, zur Entfaltung gebracht werden. So kann es zu einer Umgestaltung kommen, die nicht den Verlust der kulturellen Identität der Völker zur Folge hat. Gerade weil es sich um eine Botschaft göttlichen Ursprungs handelt, strebt sie vielmehr dahin, die örtliche Kultur aufzuwerten, sie anzuregen und ihr zu helfen, neue Früchte auf der höchsten Ebene hervorzubringen, zu der sie die Gegenwart Christi zusammen mit der Gnade des Heiligen Geistes und dem Licht des Evangeliums emporträgt.

5. Es handelt sich in der Tat um ein beschwerliches Unternehmen und, wie in der Enzyklika Redemptoris missio zu lesen ist, „um einen schwierigen Prozess, da die Eigenart und Vollständigkeit des christlichen Glaubens auf keine Weise geschmälert werden dürfen“ (Nr. 52). Es ist niemals zulässig, auf einen Teil der christlichen Lehre zu verzichten, um die vorgetragene Wahrheit leichter annehmbar zu machen. Nie dürfen Gebräuche, die zu den Entscheidungen des Evangeliums im Widerspruch stehen, als gültig gewertet werden.

Ein Harmonisierungsversuch durch das Einführen fremder, aus anderen Religionen stammender Elemente in die Lehre Christi wäre eine Illusion. Es wäre einfacher religiöser Synkretismus, eine unannehmbare Lösung. Notwendig ist hingegen eine echte, höherführende und, wenn nötig, heilende Umformung der Kulturen, die die christliche Offenbarung empfangen und in deren lebenspendendem Gehalt sie ihre Nahrung finden wollen.

Auf diesem Weg können echte Ausdrucksweisen christlicher Lehre und Lebenserfahrungen entstehen, die in ihrer Vielfalt einen Reichtum für die Universalkirche darstellen. Dank der Inkulturation in den Ortskirchen „wird die Gesamtkirche selbst in ihren verschiedenen Lebensbereichen an Ausdrucksformen und Werten bereichert, wie etwa in der Verkündigung des Evangeliums, im Kult, in der Theologie, in der Caritas. Sie lernt das Mysterium Christi tiefer kennen und auszudrücken und wird zu ständiger Erneuerung angeregt“ (Redemptoris missio, Nr. 52). Recht verstanden und gehandhabt, drückt die Inkulturation besser den universalen Geist der Kirche aus, die alle Äußerungen der Kultur aufnimmt und assimiliert, wie sie ja alle menschlichen Wirklichkeiten annimmt und inkorporiert, um sie zu heiligen und nach dem Plan Gottes umzugestalten.

In den Teilkirchen, die in den evangelisierten Gebieten entstehen und sich entwickeln, kann und muß dieses Werk als wirksame und fruchtbare Missionsaufgabe erfüllt werden. Das Kriterium, dem alle folgen müssen, liegt in der Tatsache, daß sich in jeder Kultur echte Werte finden und unterscheiden lassen, jedoch in keiner die absolute Wahrheit und auch keine unfehlbare Regel für das Leben und das Gebet vorhanden ist.

Es ist also notwendig, diese Werte zu erkennen, wie es schon in den ersten Jahrhunderten die Väter in der griechischen und lateinischen Kultur und dann nach und nach in den Kulturen der evangelisierten Völker getan haben. Auch heute sind die Ortskirchen berufen, durch die Förderung der Begegnung zwischen dem Evangelium und den Kulturen ihre missionarische Berufung auszuüben, um die Einheit und die Universalität der Familie Gottes zu verwirklichen.

_____________________________

Nach dieser kurzen Betrachtung grüe ich Euch, liebe deutschsprachige Pilger und Besucher, sehr herzlich und wünsche Euch allen, Euch der besonderen Sendung der Kirche in Eurem Land bewut zu werden. Einen besonderen Gru richte ich an den Gesangverein aus Lachen–Neustadt in der Diözese Speyer sowie an den gemischten Chor aus Grandvillard in der Schweiz; ich danke für die Darbietungen.

Euch allen, Euren Lieben zu Hause sowie den mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbundenen Gläubigen erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.