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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 21. Juni 1995

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1. Der Evangelisierungsauftrag der Kirche wirft das Problem ihrer Beziehungen zur Welt auf, ein Problem, das vom II. Vatikanischen Konzil besonders in der Konstitution Gaudium et spes behandelt wurde. Wir haben bereits in den vorangegangenen Katechesen auf einige Aspekte dieser Beziehungen hingewiesen, als wir über die Rolle der Laien im Leben der Kirche sprachen. Jetzt, am Schluss der Katechesen, die der missionarischen Sendung der Kirche gewidmet waren, wollen wir einige Grundzüge erläutern, die ein deutliches Gesamtbild von ihrer Sendung geben, in Bezug auf die Welt, in der sie lebt und der sie die Gnade und das göttliche Heil vermittelt.

Vor allem ist zu bedenken, dass „die Kirche das endzeitliche Heil zum Ziel (hat), das erst in der künftigen Weltzeit voll verwirklicht werden kann“ (Gaudium et spes, Nr. 40). Deshalb darf man von ihr nicht verlangen, dass ihre Kräfte ausschließlich und hauptsächlich für die Erfordernisse und Probleme der irdischen Welt eingesetzt werden. Es ist auch nicht möglich, ihr Handeln in der Welt von heute wie in vergangenen Zeiten in angemessener Weise zu bewerten, wenn man einzig und allein die zeitlichen Zielsetzungen oder den materiellen Wohlstand der Gesellschaft im Blick hat. Die Ausrichtung auf die zukünftige Welt ist für sie wesentlich. Sie weiß, dass sie vom Sichtbaren umgeben ist, aber sie ist sich dessen bewusst, dass sie sich mit ihm in Bezug auf das unsichtbare, ewige Reich befassen muss, das sie schon im Geheimen verwirklicht (vgl. Lumen Gentium, Nr. 3) und dessen volle Offenbarung sie sehnlich erwartet. Diese Grundwahrheit kommt gut zum Ausdruck in dem traditionellen Spruch: „Per visibilia ad invisibilia“: Durch die sichtbaren Wirklichkeiten zu den unsichtbaren.

2. Auf Erden ist die Kirche als die Familie der Kinder Gottes anwesend und „in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet“ (Lumen Gentium, Nr. 8). Aus diesem Grund fühlt sie, dass sie in Solidarität mit der ganzen Menschheit an den menschlichen Angelegenheiten teilhat. Wie das Konzil betont, „geht die Kirche … den Weg mit der ganzen Menschheit gemeinsam und erfährt das gleiche irdische Geschick mit der Welt“ (Gaudium et spes, Nr. 40). Das heißt, dass die Kirche in ihren Gliedern die Prüfungen und Schwierigkeiten der Nationen, der Familien und der Einzelnen miterlebt und an dem mühevollen Weg der Menschheit im Laufe der Geschichte teilhat. In der Abhandlung über die gegenseitige Beziehung von Kirche und Welt fängt das II. Vatikanische Konzil gerade durch diese Teilnahme der Kirche an der „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen“ (Gaudium et spes, Nr. 1) besondere Impulse auf. Diese Teilnahme ist heute durch die neue allgemeine Kenntnis der wirklichen Zustände der Welt besonders deutlich und tief ausgeprägt.

3. Das Konzil bekräftigt außerdem, dass sich die Kirche nicht darauf beschränkt, die Geschicke zu teilen, die in unserer Zeit wie in jeder anderen Geschichtsepoche die Lebenserfahrungen der Menschen prägen. Denn sie weiß, dass sie „gewissermaßen der Sauerteig und die Seele der in Christus zu erneuernden und in die Familie Gottes umzugestaltenden menschlichen Gesellschaft“ ist (Gaudium et spes, Nr. 40). Vom Heiligen Geist beseelt und angetrieben, will die Kirche auch der Gesellschaft neue Impulse geben, um sie zu einer geistlich und so weit wie möglich auch materiell geordneten und glücklichen Gemeinschaft zu machen. Wie Thomas von Aquin sagte, handelt es sich darum, die Menschen anzuleiten, „gut zu leben“, „den Tugenden entsprechend zu leben“. Das ist das Wesen des zeitlichen Gemeinwohls, nach dem die Bürger unter der Leitung des Staates streben, aber im Hinblick auf das letzte Ziel handeln sollen, auf das die Hirten und die Kirche insgesamt die Einzelnen und die Völker hinlenken (vgl. De regimine principum, cc. 1, 14, 15).

Gerade im Hinblick auf das „höchste Gut“, das das ganze menschliche Dasein auch in Bezug auf die „dazwischenliegenden Ziele“ (vgl. ebd., c. 15) regelt, trägt die Kirche „zu einer humaneren Gestaltung der Menschenfamilie und ihrer Geschichte“ bei (Gaudium et spes, Nr. 40). Sie bietet ihren Beitrag an, indem sie die personale Würde und die gemeinschaftlichen Bande zwischen den Einzelnen und den Völkern fördert und auch den geistlichen Wert der Alltagsarbeit in dem großen Schöpfungsplan sowie die rechte Entfaltung der menschlichen Freiheit herausstellt.

4. Das Konzil betont, dass die Kirche für die Menschen von großer Hilfe ist. Sie offenbart jedem die Wahrheit über sein Dasein und seine Bestimmung. Sie zeigt jedem, dass Gott die einzige wahre Antwort auf das tiefste Sehnen seines Herzens ist, „das sich an den Gaben der Erde nie voll sättigen kann“ (Gaudium et spes, Nr. 41). Sie schützt jede ihr durch das Evangelium anvertraute Person durch die Verkündigung der „Grundrechte der Person und der Familie“ (Gaudium et spes, Nr. 42) und durch den heilsamen Einfluss auf die Gesellschaft, damit sie diese Rechte achtet und der Wandlungsprozess in all jenen Situationen eingeleitet wird, in denen diese Rechte eindeutig verletzt werden.

Schließlich unterstreicht und verkündet die Kirche auch die Rechte der Familie, die zweifelsohne mit denen der Einzelpersonen verbunden und von dem Menschen als solchem selbst gefordert werden. Neben dem Schutz der Würde der Person in all ihren Lebensphasen lässt die Kirche nicht nach, den Wert der Familie herauszustellen, in die jeder Mann und jede Frau naturgemäß eingebunden sind. Tatsächlich besteht eine tiefe Beziehung zwischen den Rechten der Person und jenen der Familien: Die Einzelpersonen können nicht wirksam geschützt werden, ohne eine klare Bezugnahme auf ihren Familienverband.

Die Kirche, deren Sendung „sich zwar nicht auf den politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Bereich (bezieht)“, sondern „religiöser Ordnung“ ist (Gaudium et spes, Nr. 42), wirkt auch zugunsten und für das Wohl der Gesellschaft. Diese Tätigkeit entfaltet sich in verschiedener Weise. Sie setzt Werke zugunsten aller und besonders der Notleidenden in Gang; sie fördert „eine gesunde Sozialisation und Vergesellschaftung im bürgerlichen und wirtschaftlichen Bereich“ (Gaudium et spes, Nr. 42); sie mahnt die Menschen, alle Zwistigkeiten zwischen den Rassen und Nationen zu überwinden, indem sie die Einheit auf internationaler und weltweiter Ebene fördert; sie unterstützt und bestärkt, soweit wie möglich, die Institutionen, die das Gemeinwohl zum Ziel haben.

Sie lenkt und ermutigt menschliches Handeln (vgl. Gaudium et spes, Nr. 43) und drängt die Christen, ihre Kräfte in allen Bereichen für das Wohl der Gesellschaft einzusetzen. Sie mahnt sie, dem Beispiel Christi, des Handwerkers von Nazareth, zu folgen und das Gebot der Nächstenliebe zu beobachten sowie in ihrem Leben der Aufforderung Jesu zu entsprechen, indem sie ihre persönlichen Talente fruchtbringend entfalten (vgl. Mt 25,14-30). Sie drängt sie außerdem, den eigenen Beitrag zu den wissenschaftlichen und technischen Anstrengungen der menschlichen Gesellschaft zu leisten sowie sich in dem Bereich der zeitlichen Aktivitäten, für den die Laien zuständig sind (vgl. Gaudium et spes, Nr. 43), zugunsten des Fortschritts der Kultur, der Verwirklichung der Gerechtigkeit und der Schaffung eines wahren Friedens einzusetzen.

5. In ihren Beziehungen zur Welt bietet die Kirche nicht nur an, sondern empfängt auch Hilfen und Beiträge von Einzelpersonen, Gruppen und Gesellschaften. „Wie es aber im Interesse der Welt liegt, die Kirche als gesellschaftliche Wirklichkeit der Geschichte und als deren Ferment anzuerkennen, so ist sich die Kirche auch darüber im Klaren, wie viel sie selbst der Geschichte und Entwicklung der Menschheit verdankt“ (Gaudium et spes, Nr. 44). So entfaltet sich „der lebhafte Austausch zwischen der Kirche und den verschiedenen nationalen Kulturen“ (vgl. ebd.). Bei ihrer Evangelisierungstätigkeit greift besonders die missionarische Kirche immer auf die Sprachen, die Begriffe und die Kulturen der verschiedenen Völker zurück, und von den ersten Jahrhunderten an hat sie in der Weisheit der Philosophen jene „semina Verbi“ gefunden, die eine wahre Vorbereitung auf die klare Verkündigung des Evangeliums darstellen. In dem Bewusstsein, dass sie viel von der Welt empfängt, bringt die Kirche deshalb ihren Dank zum Ausdruck, ohne jedoch die Überzeugung ihrer missionarischen Berufung und ihrer Fähigkeit schmälern zu wollen, aufgrund derer sie der Menschheit das Größte und Höchste schenkt, das diese erhalten kann: das göttliche Leben in Christus durch den Heiligen Geist, der sie zum Vater führt. Das ist das Wesen des missionarischen Geistes, in dem die Kirche auf die Welt zugeht und ihr im gemeinschaftlichen Leben nahe sein will.

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Mit diesen Überlegungen lade ich Euch, liebe Schwestern und Brüder, dazu ein, Euch Eurer missionarischen Verpflichtung in der Welt bewut zu sein und an diesem kirchlichen Sendungsauftrag aktiv mitzuwirken. Ich grüe Euch dabei nochmals alle sehr herzlich, wobei ich unter den Jugendgruppen besonders die Schüler und Lehrkräfte der Deutschen Schule in Rom mit ihren Austauschschülern von der Ecole Provencale ”Le Vigan“ in Frankreich erwähnen möchte.

Euch allen, Euren lieben Angehörigen zu Hause sowie jenen, die uns über Radio und Fernsehen verbunden sind, erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.

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Heute wird in Rom eine große Moschee eingeweiht. Dieses Ereignis ist ein deutliches Zeichen der Religionsfreiheit, die hier jedem Gläubigen zuerkannt wird. Und es ist bezeichnend, dass in Rom, dem Zentrum der Christenheit und Sitz des Nachfolgers des Petrus, die Muslime eine eigene Kultstätte in voller Achtung ihrer Gewissensfreiheit haben.

Bei einem so bedeutenden Anlass wie diesem ist leider hervorzuheben, dass in einigen islamischen Ländern hingegen die Zeichen der Anerkennung der Religionsfreiheit fehlen. Und doch wartet die Welt an der Schwelle zum dritten Jahrtausend auf diese Zeichen!

Die Religionsfreiheit ist bereits ein fester Bestandteil vieler internationaler Dokumente und stellt einen der Pfeiler der heutigen Gesellschaft dar. Bei aller Freude, dass die Muslime sich in der neuen Moschee von Rom zum Gebet versammeln können, hoffe ich lebhaft, dass den Christen und allen Gläubigen in allen Teilen der Welt das Recht zuerkannt wird, ihren Glauben frei zum Ausdruck zu bringen. Dann bitte ich den Herrn und rufe die Fürsprache Marias an, seiner allzeit jungfräulichen Mutter, die auch von den Gläubigen des Islam verehrt wird.