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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 2. August 1995

DE  - ES  - IT

1. In der vorhergehenden Katechese betonten wir, dass das II. Vatikanische Konzil das Gebet als unerlässliche Grundpflicht der Christen, welche die klare Absicht haben, sich um die volle Verwirklichung der von Christus gewollten Einheit zu bemühen, bezeichnet hat. Das Konzil erklärt weiter, dass die ökumenische Bewegung „Sache der ganzen Kirche, sowohl der Gläubigen wie auch der Hirten“ ist, eines jeden, je nach seiner Fähigkeit, sowohl in seinem täglichen christlichen Leben als auch bei theologischen und historischen Untersuchungen (vgl. Unitatis redintegratio, Nr. 5). Das heißt, dass die Verantwortlichkeit in diesem Bereich auf mehreren Ebenen bedacht werden kann und muss. Sie bezieht alle Christen mit ein, betrifft aber verständlicherweise einige, wie z. B. die Theologen und Historiker, in ganz besonderer Weise. Schon vor zehn Jahren habe ich betont, es gelte, „in allem das Bemühen zu beweisen, dass wir dem entgegenkommen wollen, was unsere christlichen Brüder berechtigterweise wünschen und von uns erwarten, da wir ihre Denkweise und ihre Gefühle kennen … Die Gaben jedes Einzelnen müssen zum Nutzen und Vorteil aller entwickelt und entfaltet werden“ (Ansprache an die Römische Kurie am 28.6.1985, in: O.R.dt., Nr. 27 vom 5.7.85, S. 1).

2. Wir können die Hauptwege aufzählen, die das Konzil für den Verlauf der ökumenischen Bewegung vorschlägt. Es weist vor allem auf die Notwendigkeit einer ständigen Erneuerung hin.

„Die Kirche – so lehrt das Konzil – wird auf dem Wege ihrer Pilgerschaft von Christus zu dieser dauernden Reform gerufen, deren sie allzeit bedarf, soweit sie menschliche und irdische Einrichtung ist“ (Unitatis redintegratio, Nr. 6). Es ist eine Reform, die sowohl die Gebräuche als auch die Disziplin betrifft. Man kann hinzufügen, dass diese Notwendigkeit von oben kommt, das heißt vom göttlichen Plan, der die Kirche in einen Zustand ständiger Entwicklung versetzt. Das bedeutet eine Anpassung an die geschichtlichen Umstände, aber auch und vor allem das Fortschreiten in der Erfüllung ihrer Berufung als immer angemessenere Antwort auf die Erfordernisse des Heilsplans Gottes.

Ein weiterer Hauptpunkt ist das Bemühen der Kirche, sich der Mängel und Fehler bewusst zu werden, mit denen ihre Glieder auf dem Pilgerweg der Geschichte aufgrund der menschlichen Schwäche behaftet sind. Das gilt vor allem für die Sünden, die auch von Seiten der Katholiken gegen die Einheit begangen wurden. Nicht zu vergessen ist die Mahnung von Johannes: „Wenn wir sagen, dass wir nicht gesündigt haben, machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns“ (1 Joh 1,10). Gerade im Hinblick auf diese Mahnung betont das Konzil: „In Demut bitten wir also Gott und die getrennten Brüder um Verzeihung, wie auch wir unseren Schuldigern vergeben“ (Unitatis redintegratio, Nr. 7).

Als sehr wichtig erweist sich auf diesem Weg die Klärung des geschichtlichen Bewusstseins, denn „ein jeder muss sich also grundlegender zum Evangelium bekehren und, ohne je den Plan Gottes aus den Augen zu verlieren, seinen Blick ändern“ (Enzyklika Ut unum sint, Nr. 15).

3. Außerdem ist daran zu erinnern, dass die Eintracht mit den Brüdern der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, wie übrigens mit dem Nächsten ganz allgemein, in der Bestimmung wurzelt, ein Christus ähnlicheres Leben zu führen. Deshalb wird die Heiligkeit des Lebens, die durch die Gottverbundenheit mittels der Gnade des Geistes gewährleistet wird, auch die Einheit aller Jünger Christi ermöglichen und entfalten, weil die Einheit ein Geschenk ist, das von oben kommt.

Mit der „Bekehrung des Herzens“ und der „Heiligkeit des Lebens“ geht in der ökumenischen Bewegung auch das „private und öffentliche Gebet für die Einheit der Christen“ einher, das man bei verschiedenen Gelegenheiten und besonders anlässlich ökumenischer Begegnungen zu fördern pflegt. Es ist umso notwendiger, je mehr man die Schwierigkeiten auf dem Weg zur vollen und sichtbaren Einheit erkennt. Nur so versteht man, dass allein durch die göttliche Gnade ein wirklicher Fortschritt auf die von Christus gewollte Einheit hin erzielt werden kann. Lobenswert ist deshalb jede Gelegenheit, bei der die Jünger Christi zusammenkommen, um von Gott das Geschenk der Einheit zu erflehen. Das Konzil erklärt, dass das nicht nur erlaubt, sondern auch erwünscht ist (vgl. Unitatis redintegratio, Nr. 8). Wie man sich bei diesen verschiedenen Anlässen und Umständen der Zeit, des Ortes und der Personen konkret zu verhalten hat, soll im Einvernehmen mit dem Ortsbischof gemäß den Bestimmungen der Bischofskonferenzen und des Heiligen Stuhls entschieden werden (vgl. ebd.; Ökumenisches Direktorium, Nr. 28–34).

4. Man wird sich besonders eingehend darum bemühen müssen, sowohl die Sinnesart als auch die Lehre sowie das geistliche und liturgische Leben der Brüder der getrennten Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften kennenzulernen. Dazu dienen „gemeinsame Zusammenkünfte, besonders zur Behandlung theologischer Fragen, … bei denen ein jeder mit dem anderen auf der Ebene der Gleichheit spricht (‚par cum pari agat‘), vorausgesetzt, dass die, die unter der Aufsicht ihrer Oberen daran teilnehmen, wirklich sachverständig sind“ (Unitatis redintegratio, Nr. 9).

Diese Studientreffen müssen von dem Wunsch geleitet werden, die Güter des Geistes und des Wissens in einem wirklichen Gabenaustausch im Licht der Wahrheit Christi und mit aufnahmebereitem Herzen (vgl. ebd.) zu vereinen. Eine von der Leidenschaft für die Wahrheit in der Liebe beseelte Methodologie erfordert von allen Teilnehmern ein dreifaches Bemühen: den eigenen Standpunkt deutlich zu machen, sich anzustrengen, die anderen zu verstehen, und die Punkte der Übereinstimmung herauszuarbeiten.

Auch in Bezug auf diese Formen der ökumenischen Bewegung empfiehlt das Konzil, dass die Unterweisung in der Theologie und in anderen, vor allem historischen, Fächern „auch unter ökumenischem Gesichtspunkt geschehen“ muss (Unitatis redintegratio, Nr. 10). Sie wird jede Polemik vermeiden, aber die Übereinstimmungen und die Verschiedenheiten aufzeigen, die es zwischen den einzelnen Teilen gibt in der Art, die Glaubenswahrheiten zu verstehen und darzustellen. Es ist klar, dass die Festigkeit im definierten Glauben nicht erschüttert wird, wenn eine wirkliche Verbundenheit mit der Kirche die Grundlage der ökumenischen Methodologie in der Bildungsarbeit ist.

5. Auf der gleichen Basis müssen die Modalitäten des Dialogs beruhen. In ihm muss die katholische Lehre in ihrer Durchsichtigkeit und in ihrer Unversehrtheit dargelegt werden: „Nichts ist dem ökumenischen Geist so fern wie jener falsche Irenismus, durch den die Reinheit der katholischen Lehre Schaden leidet und ihr ursprünglicher und sicherer Sinn verdunkelt wird“ (Unitatis redintegratio, Nr. 11). Das Bemühen der Theologen soll es also sein, den katholischen Glauben grundlegend und genau zu erklären. Sie müssen „mit Wahrheitsliebe, mit Liebe und Demut vorgehen“. Bei der Gegenüberstellung der kirchlichen Lehren sollen sie der Weisung des Konzils entsprechend berücksichtigen, „dass es eine Rangordnung oder ‚Hierarchie‘ der Wahrheiten innerhalb der katholischen Lehre gibt, je nach der verschiedenen Art ihres Zusammenhangs mit dem Fundament des christlichen Glaubens“ (ebd.). In diesem wichtigen Punkt müssen sie gut vorbereitet und fähig sein, die Beziehung zu unterscheiden, die die verschiedenen Thesen und die Glaubensartikel selbst zu den beiden Grundwahrheiten des Christentums haben: zur Dreifaltigkeit und zur Menschwerdung des Wortes, des Sohnes Gottes, „propter nos homines et propter nostram salutem“ („für uns Menschen und zu unserem Heil“). Die katholischen Theologen dürfen keine Wege beschreiten, die im Gegensatz zu dem von den Vätern gelehrten und den Konzilien bekräftigten apostolischen Glauben stehen. Sie müssen immer von der demütigen und aufrichtigen Annahme der Mahnung ausgehen, die das Konzil gerade in Bezug auf den ökumenischen Dialog wiederholt hat: „Vor der ganzen Welt sollen alle Christen ihren Glauben an den einen, dreifaltigen Gott, an den menschgewordenen Sohn Gottes, unseren Erlöser und Herrn, bekennen“ (Unitatis redintegratio, Nr. 12).

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Mit dem innigen Wunsch, dieses groe Anliegen der Christenheit möge ständig Euer christliches Tun und Wirken begleiten, grüe ich Euch alle, liebe Schwestern und Brüder, sehr herzlich. Mein besonderer Willkommensgru gilt den Schwestern der Christlichen Liebe, die am Generalkapitel teilnehmen sowie den Mitgliedern der ”Feldmusik Luthern aus dem Kanton Luzern“, für deren musikalische Darbietung ich sehr danke.

Euch allen, Euren lieben Angehörigen und Freunden in der Heimat erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.

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Diese Sommermonate, für viele eine Zeit der Erholung und Ferien, werden weiterhin von der schrecklichen Gewalt verdüstert, die ohne Unterbrechung die Völker von Bosnien-Herzegowina zu vernichten scheint. Wir sind alle Zeugen: Wer wird in Zukunft sagen können, er habe nichts davon gewusst?

Tag für Tag verfolge ich diese Tragödie und schließe die unsäglichen Leiden dieser Völker in mein Gebet ein: die Verlassenheit der Kinder, die todbringende Erschöpfung der Alten, die Angst und den Mut der Frauen, die Vernichtung der Menschen. Alles lebt in meinem Herzen.

Zum wiederholten Mal bitte ich die internationalen Instanzen, ihr schwieriges Werk der Überzeugungskunst bei den kämpfenden Parteien fortzuführen. Die Suche nach der Gerechtigkeit, die Achtung vor dem Nächsten und das Mitleid mit all diesen Völkern ohne Unterschied mögen die Entscheidungen der Verantwortlichen der Nationen inspirieren. Aufrichtige und beharrliche Verhandlungen, begleitet von konkreten Gesten des guten Willens, mögen das Ziel aller Initiativen sein.

Beunruhigend ist der Gedanke, dass ein Verstärken der militärischen Handlungen, auf welcher Seite auch immer, zu schwer voraussehbaren und kontrollierbaren Entwicklungen führen könnte.

In diesem Teil Europas steht das Recht auf Leben von Tausenden unserer Brüder und Schwestern auf dem Spiel. Niemand darf darüber entscheiden, wer das Recht auf Leben hat und wer sterben muss. Das kann nur Gott allein, „der allen das Leben, den Atem und alles gibt“ (Apg 17,25). Er inspiriere alle mit Gefühlen des Friedens und der Menschlichkeit!