JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 9. August 1995
1. Beim Thema des Ökumenismus ist besonders wichtig, was das Zweite Vatikanische Konzil hinsichtlich der Beziehungen zwischen den orthodoxen Orientalischen Kirchen und der katholischen Kirche betont: dass nämlich die jetzt bestehende Trennung nicht den langen Weg vergessen lassen darf, der im Zeichen der Treue zum gemeinsamen apostolischen Erbe miteinander zurückgelegt wurde. „Die Kirchen des Orients und des Abendlandes sind Jahrhunderte hindurch je ihren besonderen Weg gegangen, jedoch miteinander verbunden in brüderlicher Gemeinschaft des Glaubens und des sakramentalen Lebens, wobei dem Römischen Stuhl mit allgemeiner Zustimmung eine Führungsrolle zukam, wenn Streitigkeiten über Glaube oder Disziplin unter ihnen entstanden“ (Unitatis redintegratio, Nr. 14). Während dieser Geschichtsperiode hatten die orientalischen Kirchen ihre eigene Weise, das Geheimnis des gemeinsamen Glaubens zu feiern und zum Ausdruck zu bringen und die Disziplin zu beachten. Diese rechtmäßigen Unterschiede bildeten kein Hindernis, das dem Petrus und seinen Nachfolgern anvertraute Amt anzuerkennen.
2. Während des gemeinsam zurückgelegten Weges hat das Abendland in den Dingen der Liturgie, der geistlichen Tradition und der rechtlichen Ordnung viel vom Osten empfangen. Ferner wurden „die Grunddogmen des christlichen Glaubens von der Dreifaltigkeit und von dem Wort Gottes, das aus der Jungfrau Maria Fleisch angenommen hat, auf ökumenischen Konzilien definiert, die im Orient stattgefunden haben“ (ebd.). Die in den ersten Jahrhunderten im Orient zustande gekommene Entfaltung der Lehre war entscheidend für die Formulierung des universalen Glaubens der Kirche.
Hier möchte ich mit tiefer Verehrung an die von einigen ökumenischen Konzilien der ersten Jahrhunderte definierten Lehren erinnern: die Wesensgleichheit des Sohnes mit dem Vater (Konzil von Nicäa, 325), die Göttlichkeit des Heiligen Geistes (Erstes Konzil von Konstantinopel, 381), die Gottesmutterschaft Mariens (Ephesus, 431), die eine Person und die zwei Naturen in Christus (Chalkedon, 451). Von diesem grundlegenden und entscheidenden Beitrag für den christlichen Glauben müssen die thematischen Entwicklungen ihren Ausgang nehmen, die es gestatten, immer tiefer den „unergründlichen Reichtum“ des Geheimnisses Christi auszuloten (vgl. Eph 3,8). Das Zweite Vatikanische Konzil hat es vermieden, auf die Umstände der Trennung zurückzukommen und bei der Wertung der gegenseitigen Vorwürfe zu verweilen. Es macht lediglich darauf aufmerksam, dass das gleiche von den Aposteln überkommene Erbe sich hier und dort, im Orient und im Abendland, unterschiedlich entwickelt hat, „wobei auch die Verschiedenheit der Mentalität und der Lebensverhältnisse eine Rolle spielten“ (Unitatis redintegratio, Nr. 14). Das alles hat „neben äußeren Gründen auch infolge des Mangels an Verständnis und Liebe füreinander zu der Trennung Anlass geboten“ (ebd.). Die Erinnerung an die schmerzlichen Seiten der Vergangenheit soll uns aber nicht hinter Barrieren von gegenseitigen Beschuldigungen und Auseinandersetzungen gefangen halten, sondern zu gegenseitigem Verstehen und gegenseitiger Liebe jetzt und auch in Zukunft anspornen.
3. In dieser Hinsicht möchte ich hervorheben, welch große Hochachtung das Konzil den geistlichen Schätzen des christlichen Ostens entgegenbringt, angefangen bei den Schätzen der heiligen Liturgie. Die orientalischen Kirchen vollziehen die liturgischen Handlungen mit viel Liebe. Das gilt in besonderer Weise für die Feier der Eucharistie, in der „die Quelle des Lebens der Kirche und das Unterpfand der kommenden Herrlichkeit“ (Unitatis redintegratio, Nr. 15) immer mehr zu entdecken wir alle berufen sind. In ihr haben „die Gläubigen, mit ihrem Bischof geeint, Zutritt zu Gott dem Vater … durch den Sohn, das fleischgewordene Wort, der gelitten hat und verherrlicht wurde, in der Ausgießung des Heiligen Geistes, und so (erlangen) sie die Gemeinschaft mit der allerheiligsten Dreifaltigkeit, indem sie ‚der göttlichen Natur teilhaftig‘ (2 Petr 1,4) geworden sind. So baut sich auf und wächst … in diesen Einzelkirchen die Kirche Gottes“ (ebd.).
Das Dekret über den Ökumenismus erinnert sodann an die Verehrung, die die Orientalen Maria, der allezeit jungfräulichen Gottesmutter, erweisen, die sie mit herrlichen Hymnen preisen. Der der Theotókos gewidmete Kult stellt die wesentliche Bedeutung Marias im Erlösungswerk ins Licht und erhellt auch den Sinn und den Wert der Heiligenverehrung. Schließlich weist das Dekret noch besonders hin auf die geistlichen Traditionen, vor allem die des monastischen Lebens, und es bemerkt diesbezüglich, dass aus dieser Quelle „das Ordenswesen der Lateiner seinen Ursprung nahm und immer wieder neue Kraft erhielt“ (ebd.).
Der Beitrag des Orients zum Leben der Kirche Christi war und bleibt sehr bedeutend. Darum lädt das Konzil die Katholiken mit Nachdruck ein, die große Bedeutung wahrzunehmen, „die der Kenntnis, Verehrung, Erhaltung und Pflege des überreichen liturgischen und geistlichen Erbes der Orientalen zukommt, damit die Fülle der christlichen Tradition in Treue gewahrt und die völlige Wiederversöhnung der orientalischen und der abendländischen Christen herbeigeführt werde“ (ebd.). Vor allem sind die Katholiken eingeladen, „sich mehr mit den geistlichen Reichtümern der orientalischen Väter vertraut zu machen“ in einer Tradition, die „den Menschen in seiner Ganzheit zur Betrachtung der göttlichen Dinge emporführt“ (ebd.).
4. Bezüglich der Aspekte der Interkommunion bestätigt und erläutert das vor einiger Zeit erschienene ökumenische Direktorium näher, was bereits vom Konzil erklärt wurde, das heißt, dass eine gewisse Interkommunion möglich ist, da die orientalischen Kirchen wirkliche Sakramente besitzen, vor allem das Priestertum und die Eucharistie.
Über diesen heiklen Punkt wurden bestimmte Anweisungen herausgegeben, wonach jeder Katholik, wenn es ihm nicht möglich ist, einen katholischen Priester zu erreichen, die Sakramente der Buße, der Eucharistie und der Krankensalbung vom Amtsträger einer orientalischen Kirche empfangen darf (vgl. Direktorium, Nr. 123). Umgekehrt dürfen die katholischen Amtsträger rechtmäßig die Sakramente der Buße, der Eucharistie und der Krankensalbung den orientalischen Christen spenden, die darum bitten. Es muss aber jede Art pastoralen Handelns unterbleiben, die nicht voll und ganz die Würde und die Freiheit des Gewissens respektiert (vgl. Direktorium, Nr. 125). Auch sind für andere spezifische Fälle in besonderen konkreten Situationen Formen der Gemeinschaft „in sacris“ vorgesehen und geregelt.
In diesem Zusammenhang möchte ich an jene orientalischen Kirchen, die in voller Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom leben, dabei aber ihre alten liturgischen, disziplinären und geistlichen Traditionen weiterpflegen, einen herzlichen Gruß richten. Sie legen ein besonderes Zeugnis ab für jene Verschiedenheit in der Einheit, die zur Schönheit der Kirche Christi beiträgt. Die ihnen anvertraute Sendung besteht heute mehr denn je darin, der von Christus für seine Kirche gewollten Einheit zu dienen und am „Dialog der Liebe“ und am theologischen Dialog sowohl auf lokaler als auch auf universaler Ebene teilzunehmen und so zum gegenseitigen Verständnis beizutragen“ (Enzyklika Ut unum sint, Nr. 60).
5. Nach dem Konzil haben „die Kirchen des Orients im Bewusstsein der notwendigen Einheit der ganzen Kirche die Fähigkeit, sich nach ihren eigenen Ordnungen zu regieren“ (Unitatis redintegratio, Nr. 16). Es besteht auch eine rechtmäßige Verschiedenheit in der Weitergabe der einen, von den Aposteln überkommenen Lehre. Nicht selten ergänzen sich die verschiedenen theologischen Formeln des Orients und des Abendlandes eher, als dass sie im Gegensatz zueinander stehen. Das Konzil bemerkt ferner, dass die „authentischen theologischen Traditionen der Orientalen in ganz besonderer Weise in der Heiligen Schrift verwurzelt sind“ (Unitatis redintegratio, Nr. 17).
Wir wollen also immer mehr lernen, was das Konzil hinsichtlich der Achtung gegenüber den Ostkirchen in ihren Gewohnheiten, ihren Gebräuchen und ihren geistlichen Traditionen lehrt und empfiehlt. Wir sollten danach trachten, Beziehungen aufrichtiger Liebe und fruchtbarer Zusammenarbeit mit ihnen zu pflegen, in voller Treue zur Wahrheit. Wir müssen unbedingt ihren Wunsch teilen und wiederholen, dass „die brüderliche Zusammenarbeit mit ihnen im Geist der Liebe und unter Ausschluss jeglichen Geistes streitsüchtiger Eifersucht wachse“ (Unitatis redintegratio, Nr. 18). Ja, möge der Herr uns das wirklich gewähren, als Geschenk seiner Liebe zur Kirche unserer Zeit!
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Liebe Schwestern und Brüder!
Mit diesen kurzen Gedanken grüe ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher sehr herzlich und wünsche Euch einen erholsamen Urlaub. Euch allen, Euren lieben Angehörigen zu Hause sowie den mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbundenen Gläubigen erteile ich gern meinen Apostolischen Segen.
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