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JOHANNES PAUL II. 

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 16. Juli 2003

 

Lesung: Jesaja 66,10–14

10 Freut euch mit Jerusalem! Jubelt in der Stadt, alle, die ihr sie liebt. Seid fröhlich mit ihr, alle, die ihr über sie traurig wart.
11 Saugt euch satt an ihrer tröstenden Brust, trinkt und labt euch an ihrem mütterlichen Reichtum! 12 Denn so spricht der Herr: Seht her: Wie einen Strom leite ich den Frieden zu ihr und den Reichtum der Völker wie einen rauschenden Bach. Ihre Kinder wird man auf den Armen tragen und auf den Knien schaukeln.
13 Wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich euch; in Jerusalem findet ihr Trost.
14 Wenn ihr das seht, wird euer Herz sich freuen, und ihr werdet aufblühen wie frisches Gras. So offenbart sich die Hand des Herrn an seinen Knechten, aber seine Feinde wird er bedrohen.

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Der Hymnus, den wir soeben gehört haben, ist der letzten Seite des Buches Jesaja entnommen. Es ist ein Lied der Freude, das von dem mütterlichen Bild Jerusalems (vgl. 66,11) und dann von der liebevollen Sorge Gottes (vgl. V. 13) beherrscht wird. Die Bibelwissenschaftler meinen, daß dieser letzte Abschnitt, der auf eine glänzende und glückliche Zukunft ausgerichtet ist, das Zeugnis einer späteren Stimme ist, eines Propheten, der die Wiedergeburt Israels nach der dunklen Zeit des babylonischen Exils besingt. Wir befinden uns also im 6. Jahrhundert v. Chr., zwei Jahrhunderte nach der Sendung Jesajas, des großen Propheten, nach dem das ganze inspirierte Werk benannt ist.

Wir folgen jetzt dem frohen Fluß dieses kurzen Hymnus, der mit drei Imperativen beginnt, die eine Einladung zur Freude sind: »Freut euch«, »Jubelt«, »Seid fröhlich« (vgl. V. 10). Das ist ein goldener Faden, der die letzten Seiten des Buches Jesaja durchzieht: Die Trauernden Zions werden erfreut, ihnen wird »Schmuck« und »Freudenöl« gebracht (61,3); der Prophet selbst will sich »von Herzen freuen über den Herrn, seine Seele soll jubeln über seinen Gott« (61,10); »wie der Bräutigam sich freut über die Braut, so freut sich Gott« über sein Volk (62,5). Auf der Seite, die der von uns jetzt betrachteten vorausgeht, hat der Herr selbst Anteil an der Freude Israels, das als Nation wiederentsteht: »Ihr sollt euch ohne Ende freuen und jubeln über das, was ich erschaffe. Ich will über Jerusalem jubeln und mich freuen über mein Volk« (65,18–19).

2. Die Quelle und der Grund dieser inneren Freude ist die wiedergefundene Lebenskraft Jerusalems, das wieder erstanden ist aus der Asche der Zerstörung, die auf die Stadt niederging, als die babylonischen Heere sie zerstörten. In der Tat ist die Rede von ihrer »Trauer« (66,10), die jetzt vorbei ist.

Wie es in vielen Kulturen geschieht, wird die Stadt in weiblichen, ja mütterlichen Bildern dargestellt. Wenn eine Stadt in Frieden lebt, gleicht sie einem sicheren und geschützten Schoß; ja, sie ist wie eine Mutter, die ihre Kinder an ihrer Brust mit ihrem mütterlichen Reichtum sättigt (V. 11). In diesem Licht wird die Wirklichkeit, die die Bibel mit der weiblichen Bezeichnung »Tochter Zion«, das heißt Jerusalem, nennt, zu einer Stadt und Mutter, die ihre Kinder, das heißt ihre Bewohner, aufnimmt, nährt und erfreut. Auf diese Szene voll Leben und Zärtlichkeit steigt dann das Wort des Herrn nieder, das wie ein Segen klingt (vgl. V. 12–14).

3. Gott bedient sich noch anderer Bilder, die mit der Fruchtbarkeit verbunden sind: Es ist die Rede von Strömen und Bächen, das heißt von Wassern, die das Leben, eine üppige Vegetation, den Wohlstand der Erde und ihrer Bewohner symbolisieren (vgl. V. 12). Der Wohlstand der Stadt Jerusalem, ihr »Frieden« (shalom), das großmütige Geschenk Gottes, wird ihren Kindern ein Leben sichern, das in mütterliche Zärtlichkeit eingebettet ist: »Ihre Kinder wird man auf den Armen tragen und auf den Knien schaukeln« (ebd.), und diese mütterliche Zärtlichkeit wird die Zärtlichkeit Gottes sein: »Wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich euch« (V. 13). Der Herr wendet die mütterliche Metapher an, um so seine Liebe zu seinen Geschöpfen zu beschreiben.

Schon zuvor ist im Buch Jesaja ein Passus zu lesen, der Gott mütterliche Züge zuschreibt: »Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: ich vergesse dich nicht« (49,15). Die an Jerusalem gerichteten Worte des Herrn in unserem Hymnus enden mit einem Hinweis auf das Thema der inneren Lebenskraft, das durch ein anderes Bild der Fruchtbarkeit und Kraft ausgedrückt wird: durch den Vergleich mit frischem Gras, um das Aufblühen und die Kraft des Körpers und des Daseins anzuzeigen (vgl. 66,14).

4. Hier, angesichts der Stadt mit den mütterlichen Zügen ist es leicht, unseren Blick zu weiten auf das Profil der Kirche, der fruchtbaren Jungfrau und Mutter. Wir beschließen unsere Meditation über das wiedergeborene Jerusalem mit einer Reflexion des hl. Ambrosius, die seinem Werk Über die Jungfrauen entnommen ist: »So ist auch die heilige Kirche unbefleckt in ihrer bräutlichen Einheit, reich an Kindersegen: Jungfrau wegen ihrer Keuschheit, Mutter wegen ihrer Nachkommenschaft. Eine Jungfrau, nicht vom Manne, sondern vom Geiste erfüllt, schenkt uns das Leben. Eine Jungfrau gebiert uns, nicht unter leiblichen Wehen, sondern unter dem Jauchzen der Engel. Eine Jungfrau zieht uns auf, nicht mit leiblicher Milch, sondern mit jener, welche der Apostel dem noch schwachen Alter des heranwachsenden Volkes reichte.

Wo ist denn eine Vermählte, die mehr Kinder besäße als die heilige Kirche, die geheimnisvolle Jungfrau, die volkreiche Mutter, deren Fruchtbarkeit auch die Schrift mit den Worten bezeugt: ›Denn zahlreichere Kinder hat die Verlassene, mehr als jene‹ (Jes 54,1; Gal 4,27) Unsere Mutter hat keinen Mann, wohl aber hat sie einen Bräutigam; denn die Kirche inmitten des Volkes, beziehungsweise die Seele in den einzelnen vereinigt sich bräutlich mit dem Worte Gottes wie mit ihrem ewigen Bräutigam ohne die leiseste Befleckung der Reinheit, unberührt von Verletzung, erfüllt von höherer Erkenntnis« (I, 31; BdK, Bd. 32, Kempten/München 1917, S. 327f.).


„Freut euch! Jubelt in der Stadt; seid fröhlich mit ihr!" (Jes 66, 10). Dieser dreifache Imperativ im 66. Kapitel des Prophetenbuches Jesaja gilt den Bewohnern der Gottesstadt Jerusalem. Sie trägt mütterliche Züge; wer in ihr Aufnahme findet, erfährt Geborgenheit, Trost und Freude.

Es fällt nicht schwer, mit dem heiligen Ambrosius das Bild von der mütterlich-sorgenden Gottesstadt auf die Kirche zu beziehen: Als reine Jungfrau gehört sie Christus, ihrem göttlichen Bräutigam. In ihrer übernatürlichen Fruchtbarkeit ist sie die Mutter der Völker und gebiert unaufhörlich neue Söhne und Töchter. Ihren Kindern bietet die Kirche höchsten Trost und unvergängliche Freude: das Heil in Gott.

***

Sehr herzlich grüße ich die Pilger und Besucher aus den deutschsprachigen Ländern. Auf den Straßen der Welt sind wir unterwegs. Behalten wir das Ziel der Lebensreise fest im Auge: Die himmlische Stadt Gottes! – Gerne wünsche ich euch allen erholsame Urlaubstage. Der Herr segne euch!

 



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