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APOSTOLISCHE REISE NACH AFRIKA

PREDIGT VON JOHANNES PAUL II.

Kinshasa (Zaire), 3. Mai 1980 

 

Liebe christliche Eheleute, Familienväter und Mütter!

1. Ergriffenheit und Freude erfüllen mich, den Oberhirten der Weltkirche, weil mir die Gnade zuteil wird, zum ersten Mal mit afrikanischen Familien und für sie über ihre besondere Berufung nachzudenken: die christliche Ehe. Möge Gott der sich als "Einer in drei Personen" offenbart hat uns während dieser Betrachtung beistehen! Es ist ein wunderbares Thema, doch die Wirklichkeit ist schwierig! Die christliche Ehe kann mit einem hohen Berg verglichen werden, der die Ehegatten in die unmittelbare Nähe Gottes stellt, dessen Besteigung aber viel Zeit und Mühe kostet. Aber ist das ein Grund, ein solches Ziel aufzugeben oder sich mit weniger zu begnügen? Verwirklicht sich die menschliche Person in ihrer Fülle nicht gerade durch moralische und geistige Anstrengung? Beherrscht sie nicht gerade dadurch das Universum, mehr als durch Rekordleistungen der Technik und Raumfahrt, so bewunderungswürdig diese auch sein mögen?

Miteinander wollen wir nach den Ursprüngen der Ehe fragen und versuchen, die Rolle, die sie für die Eheleute, die Kinder, für Gesellschaft und Kirche spielt, besser zu beurteilen. Auch wollen wir uns gemeinsam um eine immer wirksamere Familienseelsorge bemühen.

2. Die ganze Welt kennt den Schöpfungsbericht, mit dem die Bibel beginnt. Es wird dort gesagt, daß Gott den Menschen nach seinem Abbild als Mann und Frau erschaffen hat. Das überrascht zunächst. Um Gott ähnlich zu sein, muß die Menschheit ein Paar aus zwei Personen sein, die aufeinander zugehen, zwei Personen, in vollkommener Liebe zur Einheit verbunden. Diese Zuneigung und diese Liebe macht sie Gott ähnlich, der die Liebe selbst ist, die vollkommene Einheit der drei Personen. Nie ist die Herrlichkeit der menschlichen Liebe schöner besungen worden als auf den ersten Seiten der Bibel: "Und der Mensch sprach: Das endlich ist Gebein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleisch... Darum verläßt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch" (Gen 2, 23-24). In Anlehnung an ein Wort des heiligen Papstes Leo sage ich euch deshalb: "Christliche Eheleute, erkennt eure erhabene Würde!".

Diese Hinwendung zu den Ursprüngen enthüllt uns ferner, daß das erste Menschenpaar im Plan Gottes monogam war. Auch das überrascht uns, weil ja die Kulturen zur Zeit, da die biblischen Berichte Gestalt annahmen, von diesem Vorbild im allgemeinen weit entfernt waren. Die Einehe, die nicht westlichen, sondern semitischen Ursprungs ist, erscheint als der Ausdruck einer zwischenmenschlichen Beziehung, in der einer den anderen als ebenbürtige und gleichwertige Person anerkennt. Dieses monogame und personale Verständnis des menschlichen Paares beruht auf göttlicher Offenbarung und bedarf immer weiterer Vertiefung.

3. Doch diese Geschichte, die zu Beginn des Menschengeschlechts so lichtvoll beginnt, wird zum Drama des Bruches zwischen dem eben erschaffenen Paar und dem Schöpfer. Das ist der Sündenfall. Dennoch sollte dieser Bruch der Anlaß zu einer neuerlichen Bekundung der Liebe Gottes werden. Gott, der oft, z.B. in den Psalmen und von den Propheten, mit einem unendlich treuen Ehegatten verglichen wird, erneuerte unaufhörlich seinen Bund mit der eigensinnigen und sündhaften Menschheit. Diese wiederholten Bundesschlüsse fanden in dem endgültigen Bund ihren Höhepunkt, den Gott in seinem Sohne schloß, der sich für die Kirche und die Welt hingab. Der hl. Paulus scheut sich nicht, diesen Bund Christi mit der Kirche als Symbol und Vorbild für den Bund zwischen Mann und Frau (vgl. Eph 5, 25) darzustellen, die als Gatten in unlösbarer Weise miteinander verbunden sind.

Das ist die Lehre vom Adel der christlichen Ehe. Sie schenkt Licht und Kraft bei der Verwirklichung der ehelichen und familiären Berufung zum Wohl der Ehegatten selbst, ihrer Kinder, der Gesellschaft, in der sie leben, und der Kirche Christi. Die afrikanischen Überlieferungen können, wenn sie klug angewendet werden, ihren Beitrag leisten beim Aufbau der christlichen Familien in Afrika; ich denke besonders an all die positiven Werte des Familiensinns, der in der afrikanischen Seele so tief verankert ist. Diese vielfältigen Werte verdienen es, auch von den sogenannten fortschrittlichen Zivilisationen eingehend bedacht zu werden: Der Ernst des Eheversprechens nach einem langen Weg der Vorbereitung; der Vorrang der Weitergabe des Lebens, damit verbunden die Bedeutung, die der Mutter und den Kindern zukommt; das Gesetz der Solidarität zwischen den verschwägerten Familien, das sich vor allem zugunsten der alten Menschen, der Witwen und Waisen auswirkt; eine Art der Mitverantwortung für Unterhalt und Erziehung der Kinder, die psychologische Spannungen vermindern hilft; die Verehrung der Ahnen und der Verstorbenen, die die Treue gegenüber den Traditionen fördert. Das heikle Problem besteht freilich darin, diesen von den Vorfahren ererbten Schatz sich zu eigen zu machen, da man ihn im Hinblick auf die jetzt in Afrika entstehende Gesellschaft umgestalten und neu einordnen muß. Auf alle Fälle aber müssen die Christen ihre Ehe über die verschiedenen Zeiten und Umstände hinweg im Anschluß an Christus leben, der alle Menschen und die ganze Wirklichkeit des menschlichen Lebens befreit und erlöst hat. "Alles, was ihr in Worten und Werken tut, geschehe im Namen Jesu, des Herrn", sagt uns der hl. Paulus (Kol 3, 17).

4. Dadurch, daß sie Christus ähnlich werden, der sich aus Liebe für seine Kirche hingegeben hat, erreichen die Ehegatten Tag für Tag jene Liebe, von welcher das Evangelium spricht "Liebt mich, wie ich euch geliebt habe" , d.h. die vollkommene und unauflösliche Vereinigung auf allen Ebenen. Die christlichen Eheleute haben gelobt, alles, was sie sind und haben, miteinander zu teilen. Das ist der kühnste und zugleich der wunderbarste Vertrag, den es gibt!

Die Vereinigung ihrer Körper, die von Gott selbst als Ausdruck ihrer noch tieferen geistigen und seelischen Gemeinschaft gewollt ist und die gleicherweise mit Ehrfurcht und mit zärtlicher Liebe vollzogen wird, erneuert den Schwung und die jugendliche Kraft ihres feierlichen Gelöbnisses, ihres ersten Jawortes.

Die Vereinigung ihrer Charaktere: Ein Wesen lieben, das heißt, es so lieben, wie es ist, es so lieben, daß man gegen des anderen Schwächen und Fehler die entsprechenden Tugenden setzt, zum Beispiel Ruhe und Geduld, wenn es dem anderen daran offenkundig mangelt.

Die Vereinigung der Herzen: Es sind unzählige Nuancen, durch welche sich die Liebe des Mannes von jener der Frau unterscheidet. Keiner der Partner darf verlangen, so geliebt zu werden, wie er liebt. Es ist wichtig, daß beide auf versteckte Vorwürfe verzichten, die die Herzen trennen, und sich, wenn der Augenblick gekommen ist, von dieser Last befreien. Einigend wirkt der Austausch der Freuden und noch mehr der Leiden. Aber genauso festigt sich die Einigung der Herzen in der gemeinsamen Liebe für die Kinder.

Die Einheit des Geistes und des Willens: Die Ehegatten sind zwar zwei selbständige Personen, sind aber verbunden für ihren gegenseitigen Dienst, für den Dienst an ihrer Familie, in ihrer Umwelt, für ihren Dienst an Gott. Die wesenhafte Übereinstimmung muß sich in der Bestimmung und Verwirklichung gemeinsamer Ziele kundtun. Der willensstarke Partner muß dem anderen beistehen, ihn bisweilen ergänzen, in einfühlender Weise ihn ermuntern und antreiben.

Schließlich die Verbundenheit der Seelen, die ihrerseits mit Gott verbunden sind: Jeder Ehepartner muß sich Zeiten des Alleinseins mit Gott vorbehalten, des Gesprächs "von Herz zu Herz", wo die Aufmerksamkeit nicht dem Ehepartner gilt. Dieses unentbehrliche personale Leben der Seele mit Gott schließt den gemeinschaftlichen Charakter des ganzen Ehe- und Familienlebens keineswegs aus. Im Gegenteil, es spornt die christlichen Eheleute an, miteinander Gott zu suchen, miteinander seinen Willen zu entdecken und ihn im konkreten Leben mit Gottes Licht und Kraft zu erfüllen.

5. Der Bund zwischen Mann und Frau, in der beschriebenen Weise betrachtet und verwirklicht, ist weit mehr als das spontane Verlangen, das die beiden eint. Die Ehe ist für sie wahrhaft Ort der Entfaltung und Heiligung. Und sie ist Quelle des Lebens! Empfinden die Afrikaner etwa nicht beispielhafte Ehrfurcht für das werdende Leben? Sie lieben zutiefst die Kinder. Sie nehmen sie mit großer Freude auf. Die christlichen Eltern sollen ihre Kinder zu einem Dasein anleiten, das in engem Bezug zu den menschlichen und christlichen Werten steht. Sie sollen ihnen vorleben, wie man tapfer und redlich sein Leben meistert und sie auf die Würde eines jeden Menschen aufmerksam machen, sie zum selbstlosen Dienst erziehen, zum Verzicht auf Willkür und Launenhaftigkeit, zum Verzeihen, zur Ehrlichkeit in allen Dingen, zu gewissenhafter Arbeit, zur gläubigen Begegnung mit dem Herrn. So führen die christlichen Eheleute ihre Kinder in das Geheimnis eines gelungenen Lebens ein, das nicht nur darin besteht, einen "guten Posten" zu ergattern.

6. Die christliche Ehe ist auch berufen, Sauerteig des moralischen Fortschritts für die Gesellschaft zu sein. Allerdings ist uns klar bewußt, wie sehr in Afrika und anderswo die Familie als natürliche und als christliche Einrichtung bedroht ist von bestimmten Gewohnheiten, von den weltweiten kulturellen Veränderungen. Könnte man nicht die moderne Familie mit einem kleinen Boot vergleichen, das auf dem Fluß dahinfährt und seine Fahrt auch inmitten der wogender Wellen fortsetzt? Ihr wißt so gut wie ich, daß Begriffe wie Treue und Unauflöslichkeit der Ehe von der öffentlichen Meinung in Frage gestellt werden. Ihr wißt auch, daß die Zerbrechlichkeit und Zerrüttung der Familien Elend und Not zur Folge hat, auch wenn die Familiensolidarität der Afrikaner versucht, wenigstens für die Kinder zu sorgen. Die christlichen Familien müssen nach solider Vorbereitung und entsprechend unterstützt unverzagt für die Gesundung der Familie im allgemeinen arbeiten, da sie die Keimzelle der Gesellschaft ist und eine Schule sozialer Tugenden bleiben soll. Der Staat braucht sich vor solchen Familien nicht zu fürchten, soll sie vielmehr schützen.

7. Die christliche Familie ist nicht nur Sauerteig der Gesellschaft, sondern auch Anwesenheit und Epiphanie Gottes in der Welt. Die Pastoralkonstitution Gaudium et spes (Nr. 48) enthält die bedeutsamen Abschnitte über die Ausstrahlung dieser "innigen Gemeinschaft des Lebens und der Liebe", die zugleich die allererste kirchliche Basisgemeinschaft ist. "Daher soll die christliche Familie ‒ entsteht sie doch aus der Ehe, die das Bild und die Teilhabe an dem Liebesbund Christi und der Kirche ist ‒ die lebendige Gegenwart des Erlösers in der Welt und die wahre Natur der Kirche allen kundmachen sowohl durch die Liebe der Gatten, in hochherziger Fruchtbarkeit, in Einheit und Treue als auch in der bereitwilligen Zusammenarbeit aller ihrer Glieder." Welche Würde und welche Verantwortung!

Ja, es ist ein großes Sakrament! Die Eheleute dürfen zuversichtlich sein: ihr Glaube versichert ihnen, daß sie mit diesem Sakrament die Kraft Gottes empfangen, eine Gnade, die sie während ihres ganzen Lebens begleiten wird. Sie sollen nie aufhören, aus dieser überströmenden Quelle zu schöpfen, die in ihnen ist!

8. Ich möchte diese Meditation nicht beenden, ohne die Bischöfe Afrikas eindringlich zu ermutigen, trotz der bekannten Schwierigkeiten ihre Bemühungen um die "Pastoral der christlichen Familien" mit neuem Eifer und fester Hoffnung fortzusetzen. Ich weiß, daß bereits viele sich darum bemühen; ihnen gilt meine Hochachtung. Ich beglückwünsche auch die zahlreichen afrikanischen Familien, die das christliche Ideal, von dem ich gesprochen habe, schon verwirklichen, es mit der Eigenart Afrikas zu verbinden suchen und so für viele andere Beispiel und Anreiz sind. Aber ich möchte das doch betonen.

Ohne ihre Bemühungen um die menschliche und religiöse Bildung der Kinder und Erwachsenen aufzugeben, sollen die Diözesen unter Berücksichtigung des Empfindens und der Bräuche Afrikas nach und nach eine Seelsorge aufbauen, die beide Ehegatten gemeinsam einbezieht und nicht nur den einen oder den anderen Partner. Die jungen Menschen sollen immer wieder ermutigt werden, sich ernsthaft auf das Eheleben vorzubereiten, damit sie den Sinn der christlichen Ehe verstehen und reif werden für ihre Beziehung zueinander und die Verpflichtungen in Familie und Gesellschaft. Diese Zentren der Ehevorbereitung brauchen die gemeinsame Unterstützung der Diözesen und die großzügige und kompetente Mithilfe von Geistlichen, Fachexperten und geeigneten Familien, die ein wertvolles Zeugnis beibringen können. Ich betone mit besonderem Nachdruck die Hilfe, die sich die christlichen Ehepaare gegenseitig leisten können.

9. Diese Familienseelsorge muß die jungen Familien auch nach ihrer Gründung begleiten. Tage der geistlichen Besinnung und Einkehr sowie Familientreffen werden den jungen Paaren auf ihrem menschlichen und christlichen Weg eine Stütze sein. Man achte bei all diesen Gelegenheiten auf die Ausgewogenheit zwischen lehrmäßiger Ausbildung und geistlicher Betreuung. Wesentlich ist dabei die Rolle der Meditation, des Gesprächs mit dem treuen Gott. In ihm empfangen die Eheleute die Gnade der Treue, an ihm begreifen und erkennen sie die Notwendigkeit schöpferischer Askese, aus der wahre Freude entsteht, hier beschließen und übernehmen sie familiäre und soziale Aufgaben, die ihren Familien Ausstrahlungskraft verleihen sollen. Es wäre zweifellos sehr nützlich, wenn sich die Familien einer Pfarrei oder einer Diözese zusammenfänden, um eine umfassende Familienbewegung ins Leben zu rufen, wobei nicht nur den christlichen Ehepaaren geholfen würde, nach dem Evangelium zu leben; gleichzeitig könnte man damit einen Beitrag leisten zur Erneuerung der Familie und sie gegen Angriffe jeder Art verteidigen, und zwar unter Berufung auf die Menschen- und Bürgerrechte. Auf diesem wichtigen Gebiet der Familienpastoral, die immer mehr den Bedürfnissen unserer Zeit und eurer Länder angepaßt werden muß, setze ich mein volles Vertrauen in eure Bischöfe, meine verehrten Brüder im Bischofsamt.

10. Diese Begegnung sei für euch Ausdruck des großen Interesses, das der Papst den schwerwiegenden Problemen der Familie entgegenbringt, aber auch Zeugnis seiner Zuversicht und seiner Hoffnung für eure christlichen Familien und mache euch Mut, euch hier in Afrika einzusetzen zum Wohl eurer Nationen und zur Ehre der Kirche Christi, damit eure Familien immer mehr, gemäß dem Evangelium, Gemeinschaften "des Lebens und der Liebe" werden! Ich verspreche euch, dieses große Anliegen in mein Herz und in mein Gebet aufzunehmen. Gott, der sich in der Einheit des Vaters, des Sohnes und des Geistes als Familie offenbart hat, segne euch, und sein Segen bleibe immer bei euch!

 

 

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