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JUBILÄUMSPILGERREISE
VON PAPST JOHANNES PAUL II.
 INS HEILIGE LAND (20.-26. MÄRZ 2000)

HEILIGE MESSE IN DER BASILIKA DER VERKÜNDIGUNG

PREDIGT VON JOHANNES PAUL II.

Nazaret, Israel
Samstag, 25. März 2000

 

»Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort« (Angelus).

Eure Seligkeit,
Mitbrüder im Bischofsamt,
Pater Kustos,
liebe Brüder und Schwestern!

1. Fünfundzwanzigster März des Jahres 2000, Hochfest der Verkündigung des Herrn im Jahr des Großen Jubiläums: An diesem Tag sind die Augen der ganzen Kirche auf Nazaret gerichtet. Es war mein sehnlicher Wunsch, in die Stadt Jesu zurückzukehren, im Kontakt mit dieser Stätte erneut die Gegenwart der Frau wahrzunehmen, über die der hl. Augustinus schrieb: »Er erwählte die Mutter, die er erschaffen hatte; er erschuf die Mutter, die er erwählt hatte« (vgl. Sermo 69, 3, 4). Hier ist besonders leicht zu verstehen, warum alle Geschlechter Maria seligpreisen (vgl. Lk 1,48).

Herzlich begrüße ich Eure Seligkeit Patriarch Michel Sabbah und danke Ihnen für Ihre freundlichen Einführungsworte. Mit Erzbischof Boutros Mouallem und euch allen – Bischöfe, Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen sowie Mitglieder des Laienstandes – freue ich mich in der Gnade dieses feierlichen Gottesdienstes. Ich bin froh, die Gelegenheit zu haben, den Generalminister der Franziskaner, Pater Giacomo Bini, zu grüßen, der mich bei meiner Ankunft empfangen hat, und dem Kustos, Pater Giovanni Battistelli, und den Franziskanern der Kustodie die Bewunderung der ganzen Kirche für die Hingabe auszusprechen, mit der sie ihre einzigartige Berufung erfüllen. Mit Dankbarkeit spreche ich eurer Treue zu der euch vom hl. Franziskus selbst übertragenen und von den Päpsten durch die Jahrhunderte immer wieder bestätigten Aufgabe Anerkennung aus.

2. Wir sind versammelt, um das große Geheimnis zu feiern, das sich vor zweitausend Jahren hier ereignet hat. Der Evangelist Lukas stellt die Begebenheit in einen klaren Zusammenhang von Zeit und Ort: »Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazaret zu einer Jungfrau gesandt. Sie war mit einem Mann namens Josef verlobt […] Der Name der Jungfrau war Maria« (Lk 1,26–27). Doch um zu verstehen, was vor zweitausend Jahren in Nazaret geschehen ist, müssen wir zu der Lesung aus dem Brief an die Hebräer zurückkehren. Dieser Text versetzt uns gleichsam in die Lage, einem Gespräch zwischen dem Vater und dem Sohn zuzuhören betreffend Gottes Plan von aller Ewigkeit her. »Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gefordert, doch einen Leib hast du mir geschaffen; an Brand- und Sündopfern hast du kein Gefallen. Da sagte ich: Ja, ich komme […], um deinen Willen, Gott, zu tun« (10,5–7). Der Brief an die Hebräer zeigt uns, daß das Ewige Wort aus Gehorsam zum Willen des Vaters zu uns kommt, um das Opfer darzubringen, das alle unter dem alten Bund dargebrachten Opfer überragt. Seines ist das ewige und vollkommene Opfer, das die Welt erlöst.

Der göttliche Plan wird schrittweise im Alten Testament geoffenbart, insbesondere in den Worten des Propheten Jesaja, die wir soeben gehört haben: »Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und sie wird ihm den Namen Immanuel […] geben« (Jes 7,14). Immanuel – Gott mit uns. In diesen Worten ist das einzigartige Ereignis vorausgesagt, das in der Fülle der Zeit in Nazaret stattfinden soll. Und dieses Ereignis ist es, das wir hier mit großer Freude und Fröhlichkeit feiern.

3. Unsere Jubiläumspilgerreise ist eine Reise im Geist, die in den Fußstapfen Abrahams, »unseres Vaters im Glauben« (vgl. Römischer Meß-Kanon; Röm 4,11–12), begonnen hat. Diese Reise hat uns heute nach Nazaret geführt, wo wir Maria, der treuesten Tochter Abrahams, begegnen. Mehr als irgend jemand anderer kann Maria uns lehren, was es bedeutet, den Glauben »unseres Vaters« zu leben. In mancherlei Hinsicht unterscheidet sich Maria deutlich von Abraham; doch tiefer gesehen, sind »der Freund Gottes« (vgl. Jes 41,8) und die junge Frau aus Nazaret einander sehr ähnlich.

Abraham und Maria erhalten eine wunderbare Verheißung von Gott. Abraham sollte Vater eines Sohnes sein, aus dem eine große Nation hervorgehen würde. Maria soll Mutter eines Sohnes sein, der der Messias, der Gesalbte sein wird. Gabriel sagt: »Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären […] Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben […] und seine Herrschaft wird kein Ende haben« (Lk 1,31–33).

Für beide, Abraham und Maria, kommt die göttliche Verheißung als etwas völlig Unerwartetes. Gott unterbricht den täglichen Ablauf ihres Lebens und bringt seine feststehenden Rhythmen und üblichen Erwartungen durcheinander. Für beide, Abraham und Maria, scheint die Verheißung unmöglich. Abrahams Frau Sara war unfruchtbar, und Maria ist noch nicht verheiratet: »Wie soll das geschehen«, fragt sie, »da ich keinen Mann erkenne?« (Lk 1,34).

4. Wie Abraham ist Maria aufgefordert, zu etwas ja zu sagen, das noch nie zuvor geschehen ist. Sara ist die erste in der Reihe unfruchtbarer Frauen in der Bibel, die durch Gottes Kraft empfangen, so wie Elisabet die letzte sein wird. Gabriel spricht von Elisabet, um Maria Gewißheit zu geben: »Auch Elisabet, deine Verwandte, hat noch in ihrem Alter einen Sohn empfangen« (Lk 1,36).

Wie Abraham muß Maria durch Dunkelheit gehen, wobei sie einfach dem vertrauen muß, der sie berufen hat. Doch selbst ihre Frage »Wie soll das geschehen?« läßt vermuten, daß Maria bereit ist, ja zu sagen trotz ihrer Sorge und Ungewißheit. Maria fragt nicht, ob die Verheißung möglich ist, sondern nur, wie sie in Erfüllung gehen soll. Es kommt daher nicht überraschend, wenn sie schließlich ihr »fiat« sagt: »Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast« (Lk 1,38). Mit diesen Worten zeigt Maria selbst, daß sie die treue Tochter Abrahams ist, und sie wird Mutter Christi und Mutter aller Glaubenden.

5. Um tiefer in das Geheimnis einzudringen, wollen wir auf den Augenblick der Reise Abrahams zurückblicken, als er die Verheißung empfing. Das war, als er die drei geheimnisvollen Gäste bei sich zu Hause aufnahm (vgl. Gen 18,1–15) und ihnen die Gott geschuldete Verehrung entgegenbrachte: »Tres vidit et unum adoravit – Drei sah er, und einen betete er an.« Diese geheimnisvolle Begegnung weist auf die Verkündigung voraus, bei der Maria machtvoll in Gemeinschaft mit dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist gebracht wird. Durch das von Maria in Nazaret gesprochene »fiat« wurde die Menschwerdung zur wunderbaren Erfüllung der Begegnung Abrahams mit Gott. So sind wir, den Spuren Abrahams folgend, nach Nazaret gekommen, um den Lobpreis der Frau zu singen, »durch die der Welt das Licht erschienen ist« (Hymnus Ave Regina caelorum).

6. Aber wir sind auch gekommen, um sie zu bitten. Was wollen wir Pilger auf unserem Weg in das dritte christliche Jahrtausend von der Gottesmutter erbitten? Hier, in der Stadt, die Papst Paul VI., als er Nazaret besuchte, »die Schule des Evangeliums« nannte, wo »wir es lernen, auf die tiefe und geheimnisvolle Bedeutung des ganz einfachen, ganz demütigen und ganz schönen Erscheinens des Gottessohnes zu blicken und zu hören, diese Bedeutung zu erwägen und zu ergründen« (vgl. Ansprache in Nazaret, 5. Januar 1964), bete ich vor allem um eine große Erneuerung des Glaubens in allen Kindern der Kirche. Eine tiefe Erneuerung des Glaubens: nicht einfach als allgemeine Lebenshaltung, sondern als bewußtes und mutiges Bekenntnis des Credo: »Et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria Virgine, et homo factus est – [Er] hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden.«

In Nazaret, wo Jesus »heranwuchs, an Weisheit zunahm und Gefallen fand bei Gott und den Menschen« (vgl. Lk 2,52), bitte ich die Heilige Familie, alle Christen dazu zu inspirieren, daß sie die Familie gegen die vielen heutigen Bedrohungen ihrer Natur, ihrer Stabilität und ihrer Aufgabe verteidigen. Der Heiligen Familie vertraue ich die Anstrengungen der Christen und aller Menschen guten Willens an, das Leben zu verteidigen und die Achtung vor der Würde jedes Menschen zu fördern.

Maria, der »Theotòkos«, der großen Mutter Gottes, weihe ich die Familien des Heiligen Landes, die Familien der Welt.

In Nazaret, wo Jesus sein öffentliches Wirken begann, bitte ich Maria, der Kirche überall zu helfen, den Armen die »gute Nachricht« zu verkünden, so wie er es tat (vgl. Lk 4,18). In diesem »Gnadenjahr des Herrn« bitte ich sie, uns den Weg des demütigen und freudigen Gehorsams gegenüber dem Evangelium im Dienst an unseren Brüdern und Schwestern ohne Bevorzugungen und ohne Vorurteile zu lehren.

»Verschmähe nicht meine Worte, du Mutter des Wortes, sondern höre sie gnädig an, und erhöre mich. Amen« (Memorare).

 

 


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