SCHREIBEN VON JOHANNES PAUL II.
AN KARDINAL MACHARSKI, PÄPSTLICHER GESANDTER
BEIM INTERNATIONALEN MARIOLOGISCH-MARIANISCHEN KONGRESS IN KEVELAER
Meinem verehrten Bruder
Kardinal Franciszek Macharski, Päpstlicher Gesandter
beim Internationalen Mariologisch-Marianischen Kongreß 1987 in Kevelaer
1. ”Gepriesen sei der Gott und Vater Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater des Erbarmens und der Gott allen Trostes. Er tröstet uns in all unserer Not, damit auch wir die Kraft haben, alle zu trösten, die in Not sind, durch den Trost, mit dem auch wir von Gott getröstet werden“ (2 Kor. 1, 3f.).
Mit diesen Worten des Trostes hat der Apostel Paulus die ersten Christen ermutigt und damit zugleich hervorgehoben, daß die einzig wahre Quelle solchen Trostes Gott selber ist, der dabei durch Jesus Christus im Heiligen Geist handelt. Auch Maria von Nazaret erfuhr diesen Trost, als sie von Gott Vater zur Mutter des Erlösers erwählt worden war und so auch selbst zur ”Trösterin der Betrübten“ wurde. Unter diesem Titel wird sie gerade in Kevelaer verehrt, wo Ihr versammelt seid, um den 10. Mariologischen und den 17. Marianischen Weltkongreß feierlich zu begehen.
Ich grüße aus diesem Anlaß vor allem Dich, verehrter Kardinal aus Krakau, der Du mich bei diesen Feierlichkeiten vertrittst, dann den Bischof von Münster, der Euch zusammen mit dem Rektor des Wallfahrtsortes ein großzügiger Gastgeber ist, ferner weitere Oberhirten aus mehreren Ländern, die Internationale Päpstliche Marianische Akademie als Träger solcher Kongresse, alle Kongreßteilnehmer, Theologen und Pilger aus aller Welt, darunter auch Brüder und Schwestern aus anderen christlichen Kirchen und Gemeinschaften, sowie alle, die unmittelbar oder aus der Ferne dieses bedeutende kirchliche Ereignis verfolgen.
In geistiger Weise möchte ich mich Euch, liebe Mitchristen, bei dieser weltweiten Zusammenkunft anschließen; steht sie doch in glücklichem Einklang mit dem Marianischen Jahr, das ich für Rom und alle Ortskirchen der Welt als Vorbereitung auf das große Jubiläum der 2000 Jahre nach Christi Geburt verkündet habe (Ioannis Pauli PP. II, Redemptoris Mater, 3).
Einen besonderen Gruß richte ich an die deutschen Katholiken als die gastgebende Ortskirche, verbunden mit aufrichtigem Dank an alle, die zur inneren und äußeren Vorbereitung der beiden Kongresse beigetragen haben. Eure Vorfahren, welche die Heilsbotschaft des Evangeliums empfangen und Jesus Christus als einzigen wahren Erlöser des Menschen anerkannt haben, nahmen dabei auch die Mutter des Herrn als ihre geistige Mutter in ihr Herz auf als Zeichen der Hoffnung und des Trostes (”Consolatrix afflictorum“), als Beispiel und Modell für jeden Jünger Christi.
Die Verehrung Marias hat von Anfang an Euer christliches Leben in besonderer Weise gekennzeichnet. Wenn Eure Ortskirche das Gedächtnis des Herrn in der Erwartung seines Kommens in Herrlichkeit beging, hat sie dabei immer auch die vielfältige Verbindung von Leben und Wirken Marias mit dem Erlösungswerk Christi und dem Weg seiner Kirche mitbedacht und hochgepriesen (Ioannis Pauli PP. II, Redemptoris Mater, 47). Angeregt durch die lehre der Heiligen Schrift und der Väter benutzt Eure marianische Tradition besonders gern den Titel ”Unsere Liebe Frau“; er hat sich dem Denken und Fühlen der Gläubigen über die Jahrhunderte hin tief eingeprägt und ist ihnen sehr vertraut geworden.
Der hl. Bonifatius, Missionar und Apostel Eures Landes, hat mit der Verkündigung des Evangeliums zugleich auch die innige Verehrung jener Frau gefördert, die alle Geschlechter seligpreisen werden (Lk 1, 48). Aus dem Glauben Eurer Väter sind im Laufe der Jahrhunderte die großen Marienwallfahrtsorte entstanden, wo Generationen von Gläubigen dem Herrn Jesus Christus und seiner heiligen Mutter begegnen wollten, jene zahlreichen Heiligtümer, die bis auf den heutigen Tag eine eigene ”Geographie“ christlichen Glaubens und marianischer Frömmigkeit bilden (Ioannis Pauli PP. II, Redemptoris Mater, 28). Alle jene der Gottesmutter geweihten Basiliken, Kathedralen und Kapellen künden von der einzigartigen Stellung und Bedeutung Marias im Erlösungswerk Christi.
Die vollkommene Jüngerin des Herrn, zugleich Bild und Modell der Kirche, hat nicht nur die Theologie zu besonderer Leistung angeregt, sondern auch manche andere Bereiche menschlicher Kultur, wie die Musik und Malerei, Architektur und Bildhauerei, Literatur und Volkskunst inspiriert. Die mariologischen Werke bekannter Theologen Eures Volkes zeichnen sich durchwegs aus durch ihre tiefe Kenntnis der Glaubenslehre, durch abgewogene dogmatische Aussagen, wie sie die biblischen und patristischen Quellen nahelegen, sowie nicht zuletzt durch ihre ökumenische Bedachtsamkeit. Auf dieser sicheren geistigen Grundlage konnte sich eine Fülle von hervorragenden Hymnen, Liedern und Gebeten für Liturgie und Volksfrömmigkeit entwickeln, die dem Volk Gottes bis heute vertraut und lieb sind.
Unsere Hoffnung geht dahin, daß dieses leuchtende Bild einer gemeinsamen Mutter aller Christgläubigen in unseren Tagen dazu beitragen könne, die noch vorhandenen Unterschiede und Gräben zwischen den christlichen Kirchen und Gemeinschaften zu überwinden und eine vollständigere Einheit aller Christen Eures Landes und in aller Welt zu schaffen. Mit dieser Blickrichtung und von solchem Licht geführt seid Ihr auf Einladung der Ortskirche in Kevelaer zusammengekommen und herzlich aufgenommen worden. Hier hat sich über mehr als drei Jahrhunderte hin eine Form marianischer Frömmigkeit entwickelt, wie sie auch anderswo im deutschen Volk verbreitet ist. Hier am Niederrhein, in geographischer und geschichtlicher Nachbarschaft zu mehreren nordeuropäischen Ländern, vor allem im Bereich der heutigen Benelux-Staaten, hat dieser Wallfahrtsort seit dem Jahre 1642 viele Generationen von Pilgern vor Maria, der ”Trösterin der Betrübten“, in Glaube und Zuversicht zusammengeführt. Nach der allgemeinen Katastrophe des 2. Weltkrieges gingen von hier aus erste Signale für Frieden und Versöhnung an die bis dahin verfeindeten Völker. Noch vor kurzem hatte auch ich die große Freude, an diesem Gnadenort zu weilen und den Schutz und die Fürbitte Marias für die Menschen in ihren vielfältigen Lebenslagen zu erbitten.
Der Mariologische Kongreß befaßt sich diesmal mit der Marienverehrung im 19. und 20. Jahrhundert bis zum II. Vatikanischen Konzil ausschließlich. Die zahlreichen bereits vorliegenden Beiträge zeigen wiederum, wie tief die Wahrheit von Maria und ihrem mütterlichen Wirken mit dem Leben der pilgernden Kirche verbunden ist.
Der darauf folgende Marianische Kongreß, der siebzehnte in seiner Reihe, gibt eine weitere Probe dieser Verbindung, wenn er sein Thema behandelt: ”Maria - Mutter der Gläubigen“. Dieses aktuelle Thema stellt der Kirche, der Gemeinschaft der Gläubigen, die Mutter des Herrn als Modell vor Augen. Auf ihrer irdischen Pilgerschaft dem endgültigen Tag des Herrn entgegen schreitet die Kirche auf dem Weg voran, den die Jungfrau Maria vor ihr gegangen ist, als sie im Glauben wuchs und immer tiefer mit dem Leben ihres Sohnes verbunden wurde. In der Kraft dieses Glaubens, den Elisabeth preist, hat Maria ihre Sendung in der Heilsgeschichte angenommen und ist so ein Modell für jeden Christen geworden, ein Bild für die Heilssendung der ganzen Kirche.
Der jeweilige Mariologische und der Marianische Kongreß sollen sich gegenseitig ergänzen und werden darum auch stets im Zusammenhang abgehalten; denn nach der Absicht ihrer Gründer und Ausrichter soll die Glaubensreflexion zum Gebet führen, so wie das Gebet zu weiterer Reflexion anregen will.
Ein wichtiger Inhalt dieser beiden Kongresse, der auch von den getrennten Brüdern selbst erbeten worden ist und nunmehr bereits zu den Hauptthemen gehört, wird von der ökumenischen Sektion behandelt. Die aktive Teilnahme von Brüdern und Schwestern anderer christlicher Konfessionen sowie der Orthodoxie ist Grund zur Freude und Ermutigung. Die ernsthaften und verantwortungsbewußten Begegnungen seit dem Jahre 1965 haben das Verständnis füreinander so sehr vermehrt und vertieft, daß es nun leichter ist, die wahren Abstände in der Glaubenslehre und -praxis, die uns noch trennen, zu ermessen und auszusprechen, leichter aber auch, die Bereiche der Annäherung und Übereinstimmung aufzuzeigen. Das wichtigste bisherige Ergebnis ist wohl das Einverständnis, daß Maria ein bedeutender Platz innerhalb der gesamten Heilsordnung zukommt und daß es der ganzen Kirche nützt, wenn dieser Platz im Licht der Heiligen Schrift und der erläuternden Tradition möglichst umfassend beschrieben wird. Die ernste Absicht, das bisher gemeinsam Erreichte noch zu erweitern, gibt Anlaß zu berechtigter Hoffnung.
Das Thema Marias, des gemeinsamen Mutter, lädt nun erneut dazu ein, nach vorne und über die Spaltungen hinauszuschauen. Davon bin ich fest überzeugt: Auch die Kirche von heute braucht angesichts neuer Problemstellungen und Herausforderungen eine vertiefte und moderne Sicht von der Stellung der Gottesmutter in den Heilsplänen Gottes für unsere Zeit. Auf dem nicht leichten Glaubensweg heutiger Tage haben die Gläubigen ein Recht auch auf diese besondere geistige Nahrung. Möge es den beiden diesjährigen Kongressen gelingen, diese Erwartung im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu erfüllen.
Im gegenwärtigen Marianischen Jahr stellt Eure Zusammenkunft eine besondere Stunde der Gnade und des Lichtes dar. Gegenüber den weltweiten Ängsten und Unsicherheiten der Gegenwart könnt Ihr ein Zeichen christlicher Zuversicht und Hoffnung aufrichten, wenn Ihr diese Tage lebt in der Offenheit für das Wirken des Heiligen Geistes, in der Bereitschaft, einander zu verstehen, im Willen, zu versöhnen und Wege zueinander zu eröffnen. Für all das erteile ich Euch allen in tiefer geistiger Verbundenheit und auf die gütige Fürsprache unserer Mutter Maria meinen besonderen Apostolischen Segen.
Aus dem Vatikan, am 29. August 1987.
IOANNES PAULUS PP. II
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