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SCHREIBEN VON PAPST LEO XIV.
AN DAS ERZBISCHÖFLICHE SEMINAR "SAN CARLOS
E SAN MARCELO" IN TRUJILLO (PERU)
ZUM 400. GRÜNDUNGSTAG

[4. NOVEMBER 2025]

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Geliebte Söhne!

In diesem Jahr danken wir dem Herrn für die vier Jahrhunderte des Bestehens des Erzbischöflichen Priesterseminars »San Carlos y San Marcelo« in Trujillo, und wir erinnern an die unzähligen jungen Männer aus dieser Erzdiözese, aus anderen Jurisdiktionsbezirken Perus und aus Ordensgemeinschaften, die in diesen Hörsälen und Kapellen auf den Ruf Christi antworten wollten, der sie berief, »damit sie mit ihm seien und damit er sie aussende, zu verkünden« (Mk 3,14). Auch meine Lebensspuren sind Teil dieses Hauses, in dem ich als Professor und Studienleiter gedient habe.

Eure erste Aufgabe bleibt stets dieselbe: beim Herrn zu sein, sich von ihm formen zu lassen, ihn kennenzulernen und zu lieben, um ihm ähnlich zu werden. Darum hat die Kirche gewollt, dass es Seminare gibt, Orte, um diese Erfahrung zu bewahren und jene vorzubereiten, die ausgesandt werden, dem heiligen Volk Gottes zu dienen. Aus dieser Quelle entspringen auch jene Haltungen, die ich Euch heute ans Herz legen möchte, denn sie sind seit jeher das sichere Fundament des priesterlichen Dienstes.

Zunächst, noch vor allem anderen, gilt es, den Herrn die Beweggründe klären und die Absichten reinigen zu lassen (vgl. Röm 12,2). Das Priestertum darf nicht darauf verkürzt werden, »die Weihe zu bekommen«, als sei dies ein äußeres Ziel oder eine bequeme Lösung persönlicher Schwierigkeiten. Es ist keine Flucht vor Herausforderungen, keine Zuflucht vor affektiven, familiären oder sozialen Schwierigkeiten; auch keine Karriere oder Absicherung, sondern eine völlige Hingabe des eigenen Lebens. Nur in Freiheit ist es möglich, sich zu verschenken: an Interessen oder Ängste gebunden gibt sich niemand hin, denn »wahrhaft frei ist, wer nicht Sklave ist« (heiliger Augustinus, De civitate Dei, XIV, 11,1). Entscheidend ist nicht, »geweiht zu werden«, sondern wirklich Priester zu sein.

Wenn man das Priestertum in weltlichen Kategorien betrachtet, wird es leicht als persönliches Recht oder zu vergebender Posten missverstanden; es verwandelt sich in ein bloßes Vorrecht oder eine bürokratische Funktion. In Wirklichkeit entspringt es der Erwählung durch den Herrn (vgl. Mk 3,13), der mit besonderer Liebe einige Männer beruft, um sie an seinem Heilsmysterium teilhaben zu lassen, damit sie sein Bild in sich tragen und beständig Zeugnis von seiner Treue und Liebe geben (vgl. Römisches Messbuch, Präfation I der Weihen). Wer aus oberflächlichen Gründen das Priesteramt anstrebt, irrt in seinen Grundlagen und baut auf Sand (vgl. Mt 7,26-27).

Das Leben im Seminar ist ein Weg innerer Berichtigung. Man muss zulassen, dass der Herr unser Herz erforscht und deutlich werden lässt, was unsere Entscheidungen leitet. Lauterkeit der Absichten bedeutet, jeden Tag schlicht und in Wahrheit sagen zu können: »Herr, ich will dein Priester sein, nicht für mich, sondern für dein Volk.« Diese Transparenz wächst durch häufige Beichte, ehrliche geistliche Begleitung und vertrauensvollen Gehorsam gegenüber denen, die die Unterscheidung begleiten. Die Kirche sucht Seminaristen reinen Herzens, die Christus ohne Doppelheit suchen und sich nicht von Egoismus oder Eitelkeit gefangen nehmen lassen.

Dies verlangt fortwährende Unterscheidung. Die Aufrichtigkeit vor Gott und vor den Ausbildern schützt vor Selbstrechtfertigung und hilft, rechtzeitig zu korrigieren, was nicht dem Evangelium gemäß ist. Ein Seminarist, der lernt, mit dieser Klarheit zu leben, wird zu einem reifen Menschen, frei von Ehrgeiz und menschlicher Berechnung, frei, sich vorbehaltlos hinzugeben. Auf diese Weise wird die Weihe die freudige Bestätigung eines Lebens sein, das seit dem Seminar auf Christus ausgerichtet ist, und der Beginn eines authentischen Weges.

Das Herz des Seminaristen wird im persönlichen Umgang mit Jesus geformt. Das Gebet ist keine Nebensache: In ihm lernt man, seine Stimme zu erkennen und sich von ihm führen zu lassen. Wer nicht betet, kennt den Meister nicht; und wer ihn nicht kennt, kann ihn weder wahrhaft lieben noch sich ihm gleichgestalten. Die für das Gebet verwendete Zeit ist die fruchtbarste Investition des Lebens, denn der Herr formt dort die Empfindungen, läutert die Wünsche und stärkt die Berufung. Wer wenig mit Gott spricht, kann nicht über Gott sprechen! Christus begegnet uns in besonderer Weise in der Heiligen Schrift. Man muss sich ihr ehrfürchtig und gläubig nähern, den Freund suchend, der sich auf ihren Seiten offenbart.

Dort entdeckt der künftige Priester, wie Christus denkt, wie er auf die Welt blickt, wie er sich der Armen erbarmt, und nach und nach nimmt er dessen ihm eigene Kriterien und Haltungen an. »Wir müssen auf Jesus schauen, auf das Mitgefühl, mit dem er unsere verwundete Menschheit sieht, auf die Unentgeltlichkeit, mit der er am Kreuz sein Leben für uns hingeschenkt hat« (Franziskus, Brief an die Priester der Diözese Rom, 5. August 2023).

Die Kirche hat immer erkannt, dass die Begegnung mit Gott in der Vernunfteinsicht verwurzelt sein und zur Lehre werden muss. Darum ist das Studium ein unentbehrlicher Weg, damit der Glaube fest, vernünftig und fähig wird, andere zu erleuchten. Wer sich auf das Priestertum vorbereitet, studiert nicht aus reiner Gelehrsamkeit, sondern aus Treue zur Berufung. Die intellektuelle Arbeit, besonders die theologische, ist eine Form der Liebe und des Dienstes, notwendig für die Sendung, immer in voller Gemeinschaft mit dem Lehramt. Ohne ernsthaftes Studium gibt es keine wirkliche Pastoral, denn der priesterliche Dienst besteht darin, die Menschen dazu zu führen, Christus zu erkennen und zu lieben und in ihm das Heil zu finden (vgl. Pius XI., Enzyklika Ad Catholici Sacerdotii , 44-46). Es wird erzählt, ein Seminarist habe den heiligen Alberto Hurtado gefragt, worin er sich spezialisieren solle. Der Heilige antwortete: »Spezialisiere dich auf Jesus Christus!« Das ist der sicherste Weg: das Studium zu einem Mittel zu machen, um sich mehr mit dem Herrn zu vereinen und ihn klar zu verkünden.

Gebet und Wahrheitssuche stehen nicht nebeneinander als zwei getrennte Pfade, sondern sie sind ein einziger Weg, der zum Meister führt. Eine Frömmigkeit ohne Lehre gerät leicht zu einem zerbrechlichen Gefühlsüberschwang; eine Lehre ohne Gebet wird unweigerlich kalt und unfruchtbar. Pflegt daher beides mit Ausgewogenheit und Leidenschaft, denn nur so könnt ihr authentisch verkünden, was ihr lebt, und konsequent leben, was ihr verkündet. Wo sich der Verstand der offenbarten Wahrheit öffnet und das Herz im Gebet entflammt, wird die Ausbildung fruchtbar und bereitet ein solides und leuchtendes Priestertum.

Das geistliche wie das intellektuelle Leben ist unverzichtbar, doch beide sind auf den Altar hingeordnet, jenen Ort, an dem die priesterliche Identität aufgebaut wird und sich in ihrer ganzen Fülle offenbart (vgl. heiliger Johannes XXIII., Enzyklika Sacerdotii nostri primordia, Teil II). Dort, im Heiligen Opfer, lernt der Priester, wie Christus am Kreuz sein Leben hinzugeben. Von der Eucharistie genährt, entdeckt er die Einheit von Dienst und Opfer (vgl. Paul VI., Enzyklika Mysterium fidei, Nr. 4) und begreift, dass seine Berufung darin besteht, zusammen mit Christus Opfergabe zu sein (vgl. Röm 12,1). Wenn also das Kreuz als untrennbarer Teil des Lebens angenommen wird, hört die Eucharistie auf, bloß als Ritus gesehen zu werden, und wird zum wahren Mittelpunkt des Daseins.

Die Vereinigung mit Christus im eucharistischen Opfer führt in die priesterliche Vaterschaft hinein, die nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist zeugt (vgl. 1 Kor 4,14-15). Vater sein ist nicht etwas, was man tut, sondern etwas, was man ist. Ein wahrer Vater lebt nicht für sich, sondern für die Seinen: Er freut sich, wenn seine Kinder wachsen, er leidet, wenn sie sich verlieren, er hofft, wenn sie fern sind (vgl. 1 Thess 2,11-12). So trägt auch der Priester das ganze Volk in seinem Herzen, er tritt für es ein, er begleitet es in seinen Kämpfen und stärkt es im Glauben (vgl. 2 Kor 7,4). Priesterliche Vaterschaft bedeutet, das Antlitz des Vaters sichtbar zu machen, so dass der Mensch, der dem Priester begegnet, der Liebe Gottes ansichtig wird.

Diese Vaterschaft zeigt sich in Haltungen der Selbsthingabe: im Zölibat als ungeteilter Liebe zu Christus und seiner Kirche, im Gehorsam als Vertrauen in Gottes Willen, in der evangelischen Armut als Verfügbarkeit für alle (vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret Presbyterorum ordinis , 15-17), sowie in jener Barmherzigkeit und Kraft, die Wunden begleiten und im Leid Halt geben. In ihnen erkennt man den Priester als wahren Vater, der seine geistlichen Kinder mit Festigkeit und Liebe zu Christus zu führen vermag. Es gibt keine halbe Vaterschaft und kein halbes Priestertum.

Ihr, liebe Kandidaten für das Priestertum, seid gerufen, der Mittelmäßigkeit zu entfliehen, dies inmitten sehr konkreter Gefahren: der Weltlichkeit, die die übernatürliche Sicht der Wirklichkeit auflöst, des ermüdenden Aktivismus, der digitalen Zerstreuung, die der Innerlichkeit beraubt, der Ideologien, die vom Evangelium ablenken, und, nicht weniger schwerwiegend, der Einsamkeit derer, die ohne das Presbyterium und ohne ihren Bischof leben wollen. Ein isolierter Priester ist verletzlich, Brüderlichkeit und priesterliche Gemeinschaft sind untrennbar mit der Berufung verbunden. Die Kirche braucht heilige Hirten, die sich miteinander hingeben, keine einsamen Funktionäre; nur so können sie glaubwürdige Zeugen jener Gemeinschaft sein, die sie verkünden.

Geliebte Söhne, zum Abschluss möchte ich Euch versichern, dass Ihr im Herzen des Nachfolgers Petri einen Platz einnehmt. Das Seminar ist ein großes und anspruchsvolles Geschenk, aber Ihr seid nie allein auf diesem Weg. Gott, die Heiligen und die ganze Kirche gehen mit Euch, besonders Euer Bischof und Eure Ausbilder, die Euch helfen, zu wachsen, »bis Christus in euch Gestalt annimmt« (Gal  4,19). Nehmt ihre Führung und Korrektur als Zeichen der Liebe an. Erinnert Euch auch an die Weisheit des heiligen Toribio de Mogrovejo, der in Trujillo so geliebt wird und zu sagen pflegte: »Unsere Zeit gehört nicht uns; sie ist sehr kurz, und Gott wird uns streng zur Rechenschaft ziehen, wie wir sie verwendet haben« (vgl. C. García Irigoyen, Sto. Toribio, Lima 1908, S. 141). Nutzt also jeden Tag als kostbaren, unersetzlichen Schatz.

Die Jungfrau Maria und der heilige Josef, die ersten Erzieher des Hohen und Ewigen Priesters, mögen Euch in der Freude stärken, Euch geliebt und berufen zu wissen. In dieser Gesinnung erteile ich Euch und Euren Familien als Zeichen der Nähe von Herzen den erbetenen Apostolischen Segen.

Vatikan, 17. September 2025,

Gedenktag des heiligen Robert Bellarmin, Bischof und Kirchenlehrer