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BESUCH DER PÄPSTLICHEN LATERANUNIVERSITÄT

ANSPRACHE VON BENEDIKT XVI.

Aula Magna
Samstag, 21. Oktober 2006

 

Nach seiner Ankunft auf dem Vorplatz der Lateranuniversität begrüßte der Heilige Vater die versammelten Studenten und Angestellten der Universität mit den Worten:

Ich freue mich, hier an »meiner« Universität zu sein, denn diese ist die Universität des Bischofs von Rom. Ich weiß, daß hier nach der Wahrheit und daher letztendlich nach Christus gesucht wird, weil er die Wahrheit in Person ist. Dieser Weg zur Wahrheit – der Versuch, die Wahrheit in all ihren Ausdrucksformen besser zu erkennen – ist in Wirklichkeit ein grundsätzlich kirchlicher Dienst. Ein großer belgischer Theologe hat ein Buch geschrieben mit dem Titel »Wissenschaft und Gottverlangen«, und er hat gezeigt, daß in der Tradition des Mönchtums diese beiden Dinge zusammengehören, weil Gott Wort ist und durch die Schrift zu uns spricht. Das setzt also voraus, daß wir anfangen zu lesen, zu studieren, die Kenntnis der Geisteswissenschaften zu vertiefen und dadurch unsere Kenntnis des göttlichen Wortes zu vertiefen. In diesem Sinne ist die Eröffnung der Bibliothek ein universitäres, akademisches und auch ein geistliches und theologisches Ereignis, denn eben wenn wir auf dem Weg zur Wahrheit lesen, uns im Studium mit Worten beschäftigen, um das Wort Gottes zu finden, dann stehen wir im Dienst des Herrn: ein Dienst am Evangelium für die Welt, weil die Welt die Wahrheit braucht. Ohne Wahrheit gibt es keine Freiheit, stehen wir nicht vollkommen in der ursprünglichen Idee des Schöpfers.

Ich danke euch für eure Arbeit! Der Herr segne euch in diesem ganzen Studienjahr.

***

Meine Herren Kardinäle,
verehrte Brüder im Bischofs- und Priesteramt,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Studenten!

Es ist mir eine besondere Freude, den Beginn des neuen Akademischen Jahres gemeinsam mit euch begehen zu können. Gleichzeitig findet die feierliche Eröffnung der neuen Bibliothek und dieser »Aula Magna« statt. Dem Großkanzler, Kardinal Camillo Ruini, danke ich für seinen freundlichen Willkommensgruß, den er im Namen der ganzen akademischen Gemeinschaft an mich gerichtet hat. Ich begrüße den Rector Magnificus, Bischof Rino Fisichella, und danke ihm für seine Eröffnungsworte zu diesem akademischen Festakt. Ich begrüße die Kardinäle, die Erzbischöfe und Bischöfe, die akademischen Autoritäten und alle Professoren sowie all jene, die im Bereich dieser Universität tätig sind. Auch begrüße ich mit besonderer Zuneigung alle Studenten, denn die Universität wurde für sie geschaffen.

Gern erinnere ich mich an meinen letzten Besuch im Lateran und möchte, so als wäre die Zeit nicht vergangen, an das damals behandelte Thema anknüpfen – als hätten wir die Ausführungen nur für einen Augenblick unterbrochen. Ein akademischer Rahmen lädt auf ganz besondere Weise dazu ein, noch einmal das Thema der Kultur- und Identitätskrise aufzugreifen, die uns in diesen Jahrzehnten dramatisch vor Augen steht. Die Universität ist einer der am besten geeigneten Orte für den Versuch, angemessene Wege zu finden, die aus dieser Situation herausführen. In der Universität wird nämlich der Reichtum der Tradition bewahrt, die über die Jahrhunderte hinweg lebendig bleibt – und gerade die Bibliothek ist ein wesentliches Mittel, um den Reichtum der Tradition zu bewahren. In der Universität kann die Fruchtbarkeit der Wahrheit zum Ausdruck gebracht werden, wenn diese in ihrer Authentizität mit einfachem und offenem Geist aufgenommen wird. An der Universität werden die jungen Generationen ausgebildet; sie erwarten hier ein ernsthaftes und anspruchsvolles Angebot, das in neuen Zusammenhängen auf die ewige Frage nach dem Sinn der eigenen Existenz zu antworten vermag. Diese Erwartung darf nicht enttäuscht werden. Unsere gegenwärtige Zeit scheint einer künstlichen Intelligenz den Vorrang zu geben, die sich in immer stärkerem Ausmaß der experimentellen Technik unterwirft, und vergißt auf diese Weise, daß jede Wissenschaft stets den Menschen schützen und sein Streben nach dem wahren Gut fördern muß. Das »Tun« überzubewerten und dabei das »Sein« zu verdunkeln ist keine Hilfe bei der Wiederherstellung des grundlegenden Gleichgewichts, das jeder Mensch braucht, um dem eigenen Dasein ein festes Fundament und eine gültige Zielsetzung zu geben.

Jeder Mensch ist nämlich aufgerufen, seinem Handeln einen Sinn zu geben, vor allem dann, wenn dieses Handeln vor dem Hintergrund einer wissenschaftlichen Entdeckung geschieht, die dem Wesen der personalen Existenz des Menschen seinen Wert abspricht. Wenn man sich von der Entdeckerfreude ergreifen läßt, ohne die Maßstäbe zu wahren, die aus einer tieferen Einsicht stammen, dann kommt es leicht zu dem Drama, von dem der antike Mythos erzählt: Der junge Ikarus, ergriffen von der Freude am Flug in die absolute Freiheit und die Warnungen seines alten Vaters Dädalus mißachtend, kommt der Sonne immer näher und vergißt dabei, daß die Flügel, mit denen er sich zum Himmel erhoben hat, aus Wachs sind. Jäher Absturz und Tod sind der Preis, den er für seine Illusion zahlt. Die antike Sage enthält für uns eine Lehre von bleibendem Wert. Im Leben gibt es noch andere Illusionen, denen man sich nicht hingeben darf, wenn man nicht verheerende Folgen für das eigene Leben und das Leben der anderen Menschen riskieren will.

Der Universitätsprofessor hat nicht nur die Aufgabe, nach der Wahrheit zu forschen und immer wieder Staunen über sie hervorzurufen, sondern er muß auch ihre Kenntnis in ihrem ganzen Facettenreichtum fördern und sie gegen verkürzte und verzerrte Interpretationen verteidigen. Das Thema der Wahrheit in den Mittelpunkt zu stellen ist kein rein spekulativer, auf einen kleinen Kreis von Denkern beschränkter Akt, sondern es ist im Gegenteil eine lebenswichtige Frage, um dem persönlichen Leben eine tiefgreifende Identität zu geben und die Verantwortung in den sozialen Beziehungen zu wecken (vgl. Eph 4,25). Wenn man nämlich die Frage nach der Wahrheit fallen läßt sowie die konkrete Möglichkeit für jeden Menschen, sie erreichen zu können, wird das Leben am Ende auf eine Reihe von Hypothesen ohne sichere Bezugspunkte reduziert, wie der berühmte Humanist Erasmus von Rotterdam sagte: »Meinungen sind Quelle für billiges Glück! Dagegen dringt man nur unter großer Mühe in das Wesen auch der einfachsten Dinge ein« (vgl. Lob der Torheit, 40,7). Diese Mühe muß die Universität auf sich nehmen, durch Studium und Forschung im Geiste geduldiger Ausdauer. Dieses Bemühen befähigt auf jeden Fall, nach und nach zum Kern der Fragen vorzudringen, und es macht offen gegenüber der Leidenschaft für die Wahrheit und gegenüber der Freude, sie gefunden zu haben. Die Worte des heiligen Bischofs Anselm von Canterbury besitzen immer noch große Aktualität: »Möge ich dich mit Verlangen suchen, möge ich suchend nach dir verlangen. Möge ich dich liebend finden, möge ich dich im Finden lieben« (Proslogion, 1). Der unverzichtbare Hintergrund, vor den die Fragen, die der Verstand aufwirft, gestellt werden müssen, ist der Raum des Schweigens und der Betrachtung. Er möge in diesen Mauern aufmerksame Menschen finden, die seine Bedeutung und Wirksamkeit sowie seine Folgen für das persönliche und soziale Leben zu schätzen wissen.

Gott ist die letzte Wahrheit, nach der die Vernunft naturgemäß strebt, vom Wunsch getrieben, den ihr zugewiesenen Weg bis ans Ende zu gehen. Gott ist weder ein leeres Wort noch eine abstrakte Hypothese; er ist im Gegenteil die Grundlage, auf die man sein Leben bauen kann. In der Welt zu leben, »veluti si Deus daretur – als ob es Gott gäbe«, bringt die Übernahme einer Verantwortung mit sich, die jeden gangbaren Weg zu erforschen weiß, um Gott so nahe wie möglich zu kommen; er ist das Ziel, zu dem alles hinstrebt (vgl. 1 Kor 15,24). Der Gläubige weiß, daß dieser Gott ein Antlitz hat und daß er sich in Jesus Christus ein für allemal jedem Menschen genähert hat. Das hat das Zweite Vatikanische Konzil eindringlich in Erinnerung gerufen: »Der Sohn Gottes hat sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt. Mit Menschenhänden hat er gearbeitet, mit menschlichem Geist gedacht, mit einem menschlichen Willen hat er gehandelt, mit einem menschlichen Herzen geliebt. Geboren aus Maria, der Jungfrau, ist er in Wahrheit einer aus uns geworden, in allem uns gleich außer der Sünde« (Gaudium et spes, 22). Ihn erkennen heißt, die volle Wahrheit erkennen, dank der man die Freiheit findet: »Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien« (Joh 8,32).

Bevor ich schließe, möchte ich noch meine aufrichtige Anerkennung für die Ausführung des neuen Baukomplexes zum Ausdruck bringen. Er ergänzt das Universitätsgebäude und macht es immer geeigneter für das Studium, die Forschung und die Beseelung des Lebens der ganzen Gemeinschaft. Es war euer Wunsch, diese »Aula Magna« meiner bescheidenen Person zu widmen. Ich danke euch dafür und wünsche, daß sie ein fruchtbringendes Zentrum wissenschaftlicher Tätigkeit sein möge, durch das die Lateranuniversität zum Werkzeug eines fruchtbaren Dialogs zwischen den verschiedenen religiösen und kulturellen Wirklichkeiten werden kann, in der gemeinsamen Suche nach Wegen, die das Wohl und die Achtung aller Menschen fördern.

Mit diesen Empfindungen bitte ich den Herrn, die Fülle seines Lichtes über diese Stätte auszugießen. Ich stelle den Verlauf dieses Akademischen Jahres unter den Schutz der allerseligsten Jungfrau und erteile allen von Herzen den Apostolischen Segen.

 

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