Index   Back Top Print

[ DE  - EN  - ES  - FR  - IT  - PT ]

ANSPRACHE VON BENEDIKT XVI.
BEIM WEIHNACHTSEMPFANG FÜR DAS KARDINALSKOLLEGIUM UND DIE MITGLIEDER DER RÖMISCHEN KURIE
SOWIE DES GOVERNATORATS

"Sala Clementina", Apostolischer Palast
Montag
, 21. Dezember 2009

(Video)
 

 

Meine Herren Kardinäle,
verehrte Mitbrüder im bischöflichen und im priesterlichen Dienst,
liebe Brüder und Schwestern!

Das Hochfest von Weihnachten ist – wie der Kardinal Dekan Angelo Sodano eben hervorgehoben hat – für die Christen eine ganz besondere Gelegenheit der Begegnung und des Miteinanders. Jenes Kind, das wir in Betlehem anbeten, lädt uns ein, die grenzenlose Liebe Gottes zu spüren, des Gottes, der vom Himmel herabgestiegen und einem jeden von uns nahe geworden ist, um uns zu seinen Kindern zu machen, zugehörig zu seiner Familie. Auch dieses traditionelle weihnachtliche Zusammenkommen des Nachfolgers Petri mit seinen engsten Mitarbeitern ist ein Familientreffen, das die Bande der Zuneigung und des Miteinanders festigt, um immer mehr den eben erwähnten »ständigen Abendmahlssaal« zu bilden, der der Verbreitung des Gottesreiches geweiht ist. Ich danke dem Kardinal Dekan für seine herzlichen Worte, mit denen er die Glückwünsche des Kardinalskollegiums, der Mitglieder der Römischen Kurie und des Governatorats wie auch aller Päpstlichen Vertreter zum Ausdruck gebracht hat, die uns zutiefst verbunden sind, indem sie den Menschen unserer Zeit jenes Licht zutragen, das in der Krippe von Betlehem geboren ist. Ich empfange Sie mit großer Freude und möchte dabei auch allen meinen Dank sagen für den großherzigen und kompetenten Dienst, den Sie für den »Vicarius Christi« und die ganze Kirche leisten.

Wiederum geht ein Jahr zu Ende, das reich war an wichtigen Ereignissen für die Kirche und für die Welt. Nur auf ein paar Schwerpunkte für das kirchliche Leben möchte ich in dieser Stunde dankbar rückblickend die Aufmerksamkeit lenken. Das Paulusjahr ist in das Priesterjahr übergegangen. Von der wuchtigen Gestalt des Völkerapostels Paulus, der vom Licht des auferstandenen Christus und von seinem Ruf getroffen das Evangelium zu den Völkern der Welt trug, sind wir übergegangen zu der demütigen Gestalt des Pfarrers von Ars, der sein Leben lang in dem kleinen Dorf blieb, das man ihm anvertraut hatte und doch gerade in der Demut seines Dienstes die versöhnende Güte Gottes weithin in der Welt sichtbar machte. Von beiden Gestalten her wird die Spannweite des priesterlichen Dienstes offenbar und wird sichtbar, wie gerade das Kleine groß ist und wie Gott durch den scheinbar kleinen Dienst eines Menschen Großes wirken, die Welt von innen her reinigen und erneuern kann.

Für die Kirche und für mich persönlich stand das verflossene Jahr weitgehend im Zeichen Afrikas. Da war zunächst die Reise nach Kamerun und nach Angola. Es war für mich bewegend, die große Herzlichkeit zu erleben, mit der der Nachfolger Petri, der »Vicarius Christi«, aufgenommen wurde. Die festliche Freude und die herzliche Zuneigung, die mir auf allen Straßen begegnete, galt ja nicht einfach irgendeinem zufälligen Gast. In der Begegnung mit dem Papst wurde die universale Kirche erfahrbar, die weltweite Gemeinschaft, die Gott durch Christus sammelt – die Gemeinschaft, die nicht durch menschliche Interessen begründet ist, sondern aus der Zuwendung Gottes zu uns kommt. Daß wir alle miteinander Familie Gottes sind, Brüder und Schwestern vom einen Vater her, das wurde erlebt. Und es wurde erlebt, daß Gottes Zuwendung zu uns in Christus nicht eine Sache der Vergangenheit ist und nicht eine Sache gelehrter Theorien, sondern eine ganz konkrete Wirklichkeit, hier und jetzt. ER ist unter uns: Das spürten wir durch den Dienst des Petrusnachfolgers hindurch. So waren wir über die bloße Alltäglichkeit hinausgehoben. Der Himmel stand offen, und das macht einen Tag zum Fest. Und dies ist zugleich etwas Bleibendes. Es gilt auch weiter, auch im Alltag, daß der Himmel nicht mehr verschlossen ist. Daß Gott nahe ist. Daß wir in Christus alle einander zugehören.

Besonders tief hat sich mir die Erinnerung an die liturgischen Feiern eingeprägt. Die Feiern der heiligen Eucharistie waren wirkliche Feste des Glaubens. Ich möchte zwei Elemente benennen, die mir besonders wichtig erscheinen. Da war zunächst eine große gemeinsame Freude, die sich auch körperlich ausdrückte, aber zuchtvoll und von der Anwesenheit des lebendigen Gottes geformt. Damit ist schon das zweite Element benannt: der Sinn für das Sakrale, für das gegenwärtige Mysterium des lebendigen Gottes prägte sozusagen jede einzelne Gebärde. Der Herr ist da – der Schöpfer, der, dem alles gehört, von dem wir kommen und zu dem wir unterwegs sind. Mir kamen spontan die Worte des hl. Cyprian aus seiner Vater-unser-Auslegung in den Sinn: »Denken wir daran, daß wir im Angeblickt-Werden von Gott stehen. Wir müssen den Augen Gottes gefallen, sowohl mit der Haltung unseres Körpers wie mit dem Gebrauch unserer Stimme« (De dom. or. 4 CSEL III 1 p 269). Ja, dieses Bewußtsein war da: Wir stehen vor Gott. Daraus kommt nicht Angst oder Verklemmung, auch kein äußerer Rubrikengehorsam, noch weniger gegenseitige Selbstdarstellung oder zuchtloses Geschrei. Da war vielmehr das, was die Väter »sobria ebrietas« nannten: das Erfülltsein von einer Freude, die doch nüchtern und geordnet bleibt, die Menschen von innen her eint in den gemeinsamen Lobpreis Gottes hinein, der zugleich die Liebe zum Nächsten, die Verantwortung füreinander weckt.

Zu der Afrika-Reise gehörte natürlich vor allem auch die Begegnung mit den Brüdern im Bischofsamt und die Eröffnung der Afrika-Synode durch die Übergabe des »Instrumentum laboris«. Sie geschah im Rahmen eines abendlichen Gesprächs am Festtag des hl. Josef, bei dem die Vertreter der einzelnen Episkopate auf beeindruckende Weise ihre Hoffnungen und Sorgen dargestellt haben. Ich denke, daß der gute Hausvater Sankt Josef, der das sorgende und hoffende Abwägen der weiteren Wege der Familie selbst gut kennt, uns liebevoll zugehört und uns auch sein Geleit in die Synode selbst hineingegeben hat. Werfen wir nur einen kurzen Blick auf die Synode. Bei meinem Besuch in Afrika war vor allem die theologische und pastorale Kraft des päpstlichen Primats als Sammelpunkt für die Einheit der Familie Gottes sichtbar geworden. Hier, in der Synode, erschien um so stärker die Bedeutung der Kollegialität – die Einheit der Bischöfe, die ihr Amt ja gerade dadurch empfangen, daß sie in die Gemeinschaft der Apostelnachfolger eintreten: Jeder ist nur Bischof, Apostelnachfolger im Mitsein der Gemeinschaft derer, in denen das »Collegium Apostolorum« in der Einheit mit Petrus und seinem Nachfolger weitergeht. Wie in den Liturgien in Afrika und dann wieder in Sankt Peter in Rom die liturgische Erneuerung des II. Vaticanums vorbildlich Gestalt annahm, so wurde im Miteinander der Synode die Ekklesiologie des Konzils ganz praktisch gelebt. Bewegend waren auch die Zeugnisse, die wir von den Gläubigen aus Afrika hören durften – Zeugnisse konkreten Leidens und Versöhnens in den Dramen der jüngsten Geschichte des Kontinents.

Die Synode hatte sich das Thema gestellt: Die Kirche in Afrika im Dienst von Versöhnung, Gerechtigkeit und Frieden. Dies ist ein theologisches und vor allem ein pastorales Thema von brennender Aktualität, aber es konnte auch als ein politisches Thema mißverstanden werden. Die Aufgabe der Bischöfe war es, die Theologie zur Pastoral zu machen, das heißt zu ganz konkretem Hirtendienst, in dem die großen Visionen der Heiligen Schrift und der Überlieferung praktisch angewandt werden auf das Wirken der Bischöfe und Priester in einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort. Dabei durfte man aber nicht der Versuchung verfallen, selbst die Politik in die Hand zu nehmen und sich aus Hirten zu politischen Führen zu machen. In der Tat ist es ja immer wieder die ganz praktische Frage, vor der die Hirten der Kirche stehen: Wie können wir realistisch und praktisch sein, ohne uns eine politische Kompetenz anzumaßen, die uns nicht zusteht? Wir könnten auch sagen: Es ging um das Problem einer praktizierten und recht ausgelegten positiven »laïcité«. Dies ist auch ein Grundthema der am Peter- und Pauls-Tag veröffentlichten Enzyklika »Caritas in veritate«, die damit die Frage nach dem theologischen und praktischen Ort der katholischen Soziallehre aufgenommen und weitergeführt hat.

Ist es den Synodenvätern gelungen, den eher schmalen Weg zwischen bloßer theologischer Theorie und direkter politischer Aktion zu finden, den Weg des »Hirten«? In meiner kleinen Rede zum Abschluß der Synode habe ich dies bewußt und ausdrücklich bejaht. Natürlich werden wir bei der Ausarbeitung des postsynodalen Dokuments darauf achten müssen, diese Balance einzuhalten und damit den Beitrag für Kirche und Gesellschaft in Afrika zu leisten, der der Kirche von ihrer Sendung her aufgetragen ist. Ich möchte dies an einem einzelnen Punkt ganz kurz zu erläutern versuchen. Wie schon gesagt, nennt das Thema der Synode drei große Grundworte theologischer und sozialer Verantwortung: Versöhnung – Gerechtigkeit – Friede. Man könnte sagen, daß Versöhnung und Gerechtigkeit die beiden wesentlichen Voraussetzungen von Friede sind und so bis zu einem gewissen Grad auch dessen Wesen definieren. Beschränken wir uns auf das Wort Versöhnung. Ein Blick auf die Leiden und Nöte der jüngeren Geschichte Afrikas, aber auch in vielen anderen Teilen der Erde zeigt, daß ungelöste und tief verwurzelte Gegensätze in bestimmten Situationen zu Explosionen der Gewalt führen können, in denen alle Menschlichkeit verloren scheint. Friede kann nur werden, wenn es zu innerer Versöhnung kommt. Als positives Beispiel für einen gelingenden Versöhnungsprozeß können wir die Geschichte Europas seit dem Zweiten Weltkrieg ansehen. Daß es in West- und Mitteleuropa seit 1945 keine Kriege mehr gegeben hat, beruht sicher wesentlich auf intelligenten und moralisch geformten politischen und ökonomischen Strukturen, aber die konnten sich doch nur bilden, weil es innere Prozesse des Versöhnens gab, die ein neues Miteinander ermöglicht haben. Jede Gesellschaft braucht Versöhnungen, damit Friede sein kann. Versöhnungen sind für gute Politik notwendig, aber von der Politik allein nicht zu leisten. Sie sind vorpolitische Prozesse, die aus anderen Quellen kommen müssen.

Die Synode hat versucht, den Begriff Versöhnung als Auftrag an die Kirche von heute auszuleuchten und dabei auf seine verschiedenen Dimensionen aufmerksam gemacht. Der Ruf, den der hl. Paulus an die Korinther gerichtet hat, ist gerade heute von neuer Aktualität. »Wir sind Gesandte an Christi Statt, und Gott ist es, der durch uns mahnt. Wir bitten an Christi Statt: Laßt euch mit Gott versöhnen!« (2 Kor 5,20). Wenn der Mensch mit Gott nicht versöhnt ist, ist er auch mit der Schöpfung im Unfrieden. Er ist unversöhnt mit sich selbst, möchte sich selbst als einen anderen haben und ist daher auch unversöhnt mit dem Nächsten. Zur Versöhnung gehört des weiteren die Fähigkeit, Schuld zu erkennen und um Vergebung zu bitten – Gott und den anderen Menschen. Zum Vorgang der Versöhnung gehört schließlich die Bereitschaft zur Buße, die Bereitschaft, Schuld auszuleiden und sich selbst ändern zu lassen. Und es gehört dazu die »gratuitas«, von der die Enzyklika »Caritas in veritate« mehrfach spricht: die Bereitschaft, über das Notwendige hinauszugehen, nicht aufzurechnen, sondern weiterzugehen als die bloßen Rechtsverhältnisse es verlangen. Es gehört dazu jene Großzügigkeit, die Gott selbst uns vorgemacht hat. Denken wir an das Wort Jesu: Wenn du deine Gabe zum Altar bringst und du erinnerst dich, daß dein Bruder etwas gegen dich hat, laß die Gabe liegen, brich auf, versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, und dann komm und bring deine Gabe (Mt 5,23f.). Gott, der uns unversöhnt wußte, der sah, daß wir etwas gegen ihn haben, ist aufgestanden und uns entgegengegangen, obwohl er allein im Recht war. Er ist uns entgegengegangen bis zum Kreuz hin, um uns zu versöhnen. Das ist »gratuitas«: die Bereitschaft, zuerst aufzubrechen. Zuerst dem anderen entgegenzugehen, ihm die Versöhnung anzubieten, den Schmerz auf sich zu nehmen, der im Verzicht auf das eigene Rechthaben liegt. Nicht nachzulassen im Willen des Versöhnens: Das hat Gott uns vorgemacht, und dies ist die Weise, gottähnlich zu werden, die wir in der Welt immer von neuem brauchen. Wir müssen heute die Fähigkeit neu erlernen, Schuld anzuerkennen, den Unschuldswahn abzuschütteln. Wir müssen die Fähigkeit erlernen, Buße zu tun, uns ändern zu lassen; dem anderen entgegenzugehen und von Gott her uns den Mut und die Kraft zu solcher Erneuerung schenken zu lassen. In dieser unserer Welt von heute müssen wir das Sakrament der Buße und der Versöhnung neu entdecken. Daß es aus den Lebensvollzügen der Christen weitgehend verschwunden ist, ist ein Symptom für einen Verlust an Wahrhaftigkeit uns selbst und Gott gegenüber; ein Verlust, der unsere Menschlichkeit gefährdet und der unsere Friedensfähigkeit vermindert. Der hl. Bonaventura war der Meinung, daß das Sakrament der Buße ein Menschheitssakrament ist, das Gott in seinem wesentlichen Grund schon unmittelbar nach dem Sündenfall mit der Buße für Adam eingesetzt habe, auch wenn es seine ganze Gestalt erst in Christus erhalten konnte, der selbst die versöhnende Kraft Gottes ist und unsere Buße auf sich genommen hat. In der Tat, die Einheit von Schuld, Buße und Vergebung ist eine der Grundbedingungen der Menschlichkeit, die im Sakrament ihre volle Gestalt erhalten, aber von den Wurzeln her zum Menschsein als solchem gehören. Die Bischofssynode für Afrika hat deshalb mit Recht Versöhnungsrituale der afrikanischen Tradition mit in ihre Betrachtungen einbezogen als Lernorte und Vorbereitungen für die große Versöhnung, die Gott uns im Bußsakrament schenkt. Diese Versöhnung braucht aber den weiten Vorhof der Anerkenntnis von Schuld und der Demut des Büßens. Versöhnung ist ein vorpolitischer Begriff und eine vorpolitische Realität, die gerade so von höchster Bedeutung für die Aufgabe der Politik selbst ist. Wenn nicht in den Herzen die Kraft des Versöhnens geschaffen wird, fehlt dem politischen Ringen um den Frieden die innere Voraussetzung. In der Synode haben sich die Hirten der Kirche um jene innere Reinigung des Menschen gemüht, die die wesentliche Voraussetzung für den Aufbau der Gerechtigkeit und des Friedens darstellt. Diese innere Reinigung und Reifung zu wahrer Menschlichkeit gibt es aber nicht ohne Gott.

Versöhnung – bei diesem Stichwort kommt mir die zweite große Reise des vergangenen Jahres in den Sinn: die Pilgerfahrt nach Jordanien und ins Heilige Land. Dabei möchte ich zuallererst dem König von Jordanien herzlich danken für die große Gastfreundschaft, mit der er mich empfangen und auf dem ganzen Weg meiner Pilgerschaft begleitet hat. Mein Dank gilt besonders auch für die vorbildliche Weise, in der er sich um das friedliche Miteinander von Christen und Moslems müht, um die Ehrfurcht vor der Religion des anderen und um das Miteinander in der gemeinsamen Verantwortung vor Gott. Ebenso danke ich der Regierung von Israel herzlich für alles, was sie getan hat, damit der Besuch friedlich und in Sicherheit verlaufen konnte. Besonders dankbar bin ich für die Möglichkeit, zwei große öffentliche Gottesdienste – in Jerusalem und in Nazaret – zu feiern, in denen die Christen sich öffentlich als Gemeinschaft des Glaubens im Heiligen Land darstellen konnten. Schließlich gilt mein Dank der palästinensischen Autorität, die mich gleichfalls mit großer Herzlichkeit aufgenommen, mir ebenfalls einen öffentlichen Gottesdienst in Betlehem möglich gemacht hat und mich die Leiden wie die Hoffnungen ihres Landes erfahren ließ. Alles, was in diesen Ländern zu sehen ist, ruft nach Versöhnung, nach Gerechtigkeit, nach Frieden. Der Besuch in Yad Vashem bedeutete eine erschütternde Begegnung mit der Grausamkeit menschlicher Schuld, mit dem Haß einer verblendeten Ideologie, die Millionen von Menschen grundlos dem Tod preisgab und damit letztlich auch Gott, den Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs und den Gott Jesu Christi aus der Welt verdrängen wollte. So ist dies zuallererst ein Mahnmal gegen den Haß, ein Ruf nach Reinigung und Vergebung, nach Liebe. Gerade dieses Denkmal menschlicher Schuld machte dann den Besuch bei den Erinnerungsorten des Glaubens um so wichtiger und ließ deren unverbrauchte Aktualität spüren. In Jordanien haben wir den tiefsten Punkt der Erde am Jordan gesehen. Wie sollte man sich da nicht erinnert fühlen an das Wort aus dem Epheserbrief, daß Christus hinabgestiegen ist »in die untersten Teile der Erde« (Eph 4,9). In Christus ist Gott hinabgestiegen bis in die letzte Tiefe des Menschseins, bis in die Nacht des Hasses und der Verblendung, bis in die Dunkelheit der Gottesferne des Menschen, um dort das Licht seiner Liebe zu entzünden. Auch in der tiefsten Nacht ist er: Auch in der Unterwelt bist du zugegen – dieses Wort aus Ps 139 [138], 8 ist im Abstieg Jesu Wahrheit geworden. So war dann das Begegnen mit den Orten des Heils in der Verkündigungskirche in Nazaret, der Geburtsgrotte zu Betlehem, der Kreuzigungsstätte auf Golgota, dem leeren Grab als Zeugnis der Auferstehung gleichsam ein Berühren der Geschichte Gottes mit uns. Der Glaube ist kein Mythos. Er ist wahre Geschichte, deren Spuren wir anrühren können. Dieser Realismus des Glaubens tut uns in den Bedrängnissen der Gegenwart besonders gut. Gott hat sich wirklich gezeigt. In Jesus Christus hat er wirklich Fleisch angenommen. Er bleibt als Auferstandener wahrer Mensch, öffnet immerfort unser Menschsein auf Gott hin und ist uns immerfort Gewähr dafür, daß Gott ein naher Gott ist. Ja, Gott lebt, und er geht uns an. In all seiner Größe ist er doch der nahe Gott, der Gott mit uns, der uns immerfort zuruft: Laßt euch mit mir und miteinander versöhnen. Immer stellt er den Auftrag des Versöhnens in unser persönliches und gemeinschaftliches Leben hinein.

Schließlich möchte ich auch noch ein Wort des Dankes und der Freude zu meiner Reise in die Tschechische Republik sagen. Immer wurde ich vorher darauf hingewiesen, daß dies ein Land mit einer Mehrheit von Agnostikern und Atheisten sei, in dem die Christen nur noch eine Minderheit bilden. Um so freudiger war die Überraschung darüber, daß ich allenthalben von einer großen Herzlichkeit und Freundschaft umgeben war. Daß große Gottesdienste in einer freudigen Atmosphäre des Glaubens gefeiert wurden. Daß im Bereich der Universitäten und der Kultur mein Wort wache Aufmerksamkeit fand. Daß die Autoritäten des Staates mir mit großer Freundlichkeit begegneten und alles getan haben, um dem Besuch zum Erfolg zu verhelfen. Ich wäre jetzt versucht, etwas über die Schönheit des Landes und die großartigen Zeugnisse christlicher Kultur zu sagen, die diese Schönheit erst vollkommen machen. Vor allem aber ist mir wichtig, daß auch die Menschen, die sich als Agnostiker oder als Atheisten ansehen, uns als Gläubige angehen. Wenn wir von neuer Evangelisierung sprechen, erschrecken diese Menschen vielleicht. Sie wollen sich nicht als Objekt von Mission sehen und ihre Freiheit des Denkens und des Wollens nicht preisgeben. Aber die Frage nach Gott bleibt doch auch für sie gegenwärtig, auch wenn sie an die konkrete Weise seiner Zuwendung zu uns nicht glauben können. In Paris habe ich vom Gottsuchen als grundlegendem Antrieb gesprochen, aus dem das abendländische Mönchtum und mit ihm die abendländische Kultur geboren wurde. Als ersten Schritt von Evangelisierung müssen wir versuchen, diese Suche wachzuhalten; uns darum mühen, daß der Mensch die Gottesfrage als wesentliche Frage seiner Existenz nicht beiseite schiebt. Daß er die Frage und die Sehnsucht annimmt, die darin sich verbirgt. Hier fällt mir das Wort ein, das Jesus aus dem Propheten Jesaja zitiert hat: daß der Tempel von Jerusalem ein Gebetshaus für alle Völker sein solle (Jes 56,7; Mk 11,17). Er dachte dabei an den sogenannten Vorhof der Heiden, den er von äußeren Geschäftigkeiten räumte, damit der Freiraum da sei für die Völker, die hier zu dem einen Gott beten wollen, auch wenn sie dem Geheimnis nicht zugehören konnten, dem das Innere des Tempels diente. Gebetsraum für alle Völker – dabei war an Menschen gedacht, die Gott sozusagen nur von ferne kennen; die mit ihren Göttern, Riten und Mythen unzufrieden sind; die das Reine und Große ersehnen, auch wenn Gott für sie der »unbekannte Gott« bleibt (Apg 17,23). Sie sollten zum unbekannten Gott beten können und damit doch mit dem wirklichen Gott in Verbindung sein, wenn auch in vielerlei Dunkelheit. Ich denke, so eine Art »Vorhof der Heiden« müsse die Kirche auch heute auftun, wo Menschen irgendwie sich an Gott anhängen können, ohne ihn zu kennen und ehe sie den Zugang zum Geheimnis gefunden haben, dem das innere Leben der Kirche dient. Zum Dialog der Religionen muß heute vor allem auch das Gespräch mit denen hinzutreten, denen die Religionen fremd sind, denen Gott unbekannt ist und die doch nicht einfach ohne Gott bleiben, ihn wenigstens als Unbekannten dennoch anrühren möchten.

Zuletzt noch einmal ein Wort zum Jahr der Priester. Als Priester sind wir für alle da: für die, die Gott aus der Nähe kennen und für die, denen er der Unbekannte ist. Wir alle müssen ihn immer wieder neu kennenlernen und müssen ihn immer neu suchen, damit wir wirkliche Freunde Gottes werden. Wie anders als durch Menschen, die Freunde Gottes sind, könnten wir zuletzt Gott kennenlernen? Der tiefste Kern unseres priesterlichen Dienstes ist es, Freunde Christi (Joh 15,15), Freunde Gottes zu sein, durch die auch andere Menschen Gott nahe werden können. So ist mit meinem herzlichen Dank für alle Hilfe das ganze Jahr hindurch dies mein Wunsch zu Weihnachten: Daß wir immer mehr Freunde Jesu Christi und so Freunde Gottes werden und dadurch Salz der Erde und Licht der Welt sein dürfen. Gesegnete Weihnachten und ein gutes neues Jahr!

 

© Copyright 2009 - Libreria Editrice Vaticana

 



Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana