BENEDIKT XVI.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 18. Mai 2005
Lesung: Psalm 113,1–9
1 Ein Loblied auf Gottes Hoheit und Huld Halleluja! Lobet, ihr Knechte des Herrn, lobt den Namen des Herrn!
2 Der Name des Herrn sei gepriesen von nun an bis in Ewigkeit.
3 Vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang sei der Name des Herrn gelobt.
4 Der Herr ist erhaben über alle Völker, seine Herrlichkeit überragt die Himmel.
5 Wer gleicht dem Herrn, unserem Gott, im Himmel und auf Erden,
6 ihm, der in der Höhe thront, der hinabschaut in die Tiefe,
7 der den Schwachen aus dem Staub emporhebt und den Armen erhöht, der im Schmutz liegt?
8 Er gibt ihm einen Sitz bei den Edlen, bei den Edlen seines Volkes.
9 Die Frau, die kinderlos war, läßt er im Hause wohnen; sie wird Mutter und freut sich an ihren Kindern. Halleluja!
Psalm 113
„Preist den Namen des Herrn“
Liebe Brüder und Schwestern!
Bevor wir nun eine kurze Auslegung des eben gesungenen Psalms vornehmen, möchte ich daran erinnern, daß heute der Geburtstag unseres geliebten Papstes Johannes Pauls II. ist. Er wäre heute 85 Jahre alt geworden, und wir sind sicher, daß er uns vom Himmel aus sieht und bei uns ist. Wir wollen bei dieser Gelegenheit dem Herrn für das Geschenk dieses Papstes danken und wir wollen dem Papst selbst für alles danken, was er getan und gelitten hat.
1. Soeben erklang in seiner Schlichtheit und Schönheit der Psalm 113, der gleichsam das Eingangstor zu einer kleinen Reihe von Psalmen ist, die vom 113. bis zum 118. reicht und herkömmlich als »das ägyptische Hallel« bezeichnet wird. Es ist das Halleluja, das heißt der Lobgesang, der die Befreiung aus der Knechtschaft des Pharaos und Israels Freude darüber preist, dem Herrn in Freiheit im verheißenen Land zu dienen (vgl. Ps 114).
Nicht ohne Grund hatte die jüdische Überlieferung diese Folge von Psalmen mit der Pascha- Liturgie in Zusammenhang gebracht. Die entsprechend seinen historisch-sozialen und vor allem spirituellen Dimensionen begangene Feier jenes Ereignisses wurde als Zeichen der Befreiung vom Bösen in seinen vielfältigen Erscheinungsformen empfunden.
Der 113. Psalm ist ein kurzer Hymnus, der im hebräischen Original aus nur 60 Worten besteht, die alle von Gefühlen des Vertrauens, der Lobpreisung und der Freude erfüllt sind.
2. Die erste Strophe (vgl. Ps 113,1–3) preist »den Namen des Herrn«, der im Sprachgebrauch der Bibel bekanntlich auf die Person Gottes selbst, auf seine lebendige und tätige Gegenwart in der menschlichen Geschichte hinweist.
Dreimal und mit leidenschaftlicher Eindringlichkeit erklingt im Mittelpunkt der Anbetung »der Name des Herrn«. Alles Sein und alle Zeit – »vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang«, sagt der Psalmist (V. 3) – sind hineingenommen in ein einziges Dankgebet. Es ist, als stiege unaufhörlich ein Chor von der Erde zum Himmel empor, um den Herrn, Schöpfer des Alls und König der Geschichte, zu preisen.
3. Durch diese Bewegung nach oben führt uns der Psalm zum göttlichen Geheimnis. Denn der zweite Teil (vgl. V. 4–6) verherrlicht die Transzendenz des Herrn, beschrieben mit vertikalen Bildern, die den rein menschlichen Horizont übersteigen. Es wird verkündet: Der Herr ist »erhaben«, »er thront in der Höhe«, und keiner vermag ihm gleich zu sein; auch um die Himmel zu schauen, muß er »hinabschauen in die Tiefe«, denn »seine Herrlichkeit überragt die Himmel« (V. 4).
Der göttliche Blick richtet sich auf die gesamte Wirklichkeit, auf die irdischen und auf die himmlischen Wesen. Doch seine Blicke sind nicht hochmütig und unbeteiligt wie die eines kaltblütigen Herrschers. Der Herr – sagt der Psalmist – beugt sich hinab, er »schaut hinab in die Tiefe« (V. 6).
4. So kommt man zur letzten Bewegung des Psalms (vgl. V. 7–9), die die Aufmerksamkeit von den himmlischen Höhen auf unseren irdischen Horizont verlagert. Der Herr beugt sich mit zuvorkommender Sorge herab zu unserer Geringheit und unserem Elend, das uns dazu verleiten könnte, uns ängstlich zurückzuziehen. Er richtet seinen liebevollen Blick und sein eifriges Wirken direkt auf die Geringsten und Ärmsten dieser Welt: »Er hebt den Schwachen aus dem Staub empor und erhöht den Armen, der im Schmutz liegt« (V. 7).
Gott beugt sich also hinab zu den Bedürftigen und Leidenden, um sie zu trösten. Und dieses Wort findet seine letzte Verdichtung, seinen letzten Realismus in dem Augenblick, in dem sich Gott hinabbeugt, um Mensch zu werden, um einer von uns, ja einer der Armen der Welt zu werden. Dem Armen verleiht er die größte Ehre, nämlich »einen Sitz bei den Edlen« zu haben; ja »bei den Edlen seines Volkes« (V. 8). Der alleinstehenden und kinderlosen Frau, die von der antiken Gesellschaft geächtet wurde, als wäre sie ein dürrer, nutzloser Zweig, schenkt Gott die Ehre und große Freude, mehrere Kinder zu haben (vgl. V. 9). Der Psalmist lobt also einen Gott, der in seiner Größe ganz anders ist als wir, aber zugleich seinen leidenden Geschöpfen sehr nahe.
Es liegt nahe, in diesen Schlußversen des 113. Psalms intuitiv eine Vorwegnahme der Worte Marias im Magnifikat zu erkennen, dem Gesang von der Erwählung durch Gott, der »auf die Niedrigkeit seiner Magd geschaut hat«. Radikaler als unser Psalm verkündet Maria, daß Gott die Mächtigen vom Thron stürzt und die Niedrigen erhöht (vgl. Lk 1,48.52; vgl. Ps 113,6–8).
5. Ein sehr alter »Vesperhymnus«, der in den sogenannten Constitutiones Apostolorum (VII, 48) erhalten ist, greift die freudige Einleitung unseres Psalms auf und entwickelt sie weiter. Wir führen ihn zum Abschluß unserer Betrachtung hier an, um die »christliche« Lesart der Psalmen durch die Urgemeinde zu veranschaulichen: »Lobt, Kinder, den Herrn, / lobt den Namen des Herrn. / Wir loben dich, wir besingen dich, wir preisen dich / für deine unermeßliche Herrlichkeit. / Königlicher Herr, Vater Christi, des unbefleckten Lammes, / das hinwegnimmt die Sünde der Welt. / Dir gebührt das Lob, dir der Lobgesang, dir Lobpreis und Ehre, / Gottvater durch den Sohn im Heiligen Geist / von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen« (S. Priocco – M. Simonetti, La preghiera dei cristiani, Mailand 2000, S. 97).
Ein Hymnus des Vertrauens, der Lobpreisung und der Freude ist Psalm 113, der die Reihe der „Hallelpsalmen“ eröffnet, die an die Befreiung Israels aus der Knechtschaft Ägyptens erinnern. Der Name des Herrn, Gott selbst, steht darin im Mittelpunkt. Alles Sein und alle Zeit sind hineingenommen in ein einziges Dankgebet: „Vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang sei der Name des Herrn gelobt!“ (Ps 113, 3). Unaufhörlich steigt der Lobgesang des Gottesvolkes zum Schöpfer und Herrn der Geschichte auf. Seine Herrlichkeit überragt Himmel und Erde. Doch dies bedeutet keineswegs, daß Gott dem Menschen fernbliebe. In unerschöpflicher Liebe blickt er auf die Bedürftigen und Leidenden, die er tröstet und denen er zu Hilfe eilt. Der Lobpreis der Größe Gottes ist deshalb zugleich Ausdruck des Vertrauens auf seine rettende Nähe.
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Mit Freude heiße ich die Pilger und Besucher aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, aus Luxemburg und aus den Niederlanden willkommen. Besonders grüße ich den Domchor Klagenfurt und das Philharmonische Orchester Augsburg. Euer ganzes Leben sei ein Lobpreis Gottes! Der Herr ist uns immer und überall nahe. Sein Geist führe und leite euch. Allen Schülerinnen und Schülern, die heute hier sind, wünsche ich erholsame Pfingstferien!
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