Index   Back Top Print

[ DE  - EN  - ES  - FR  - IT  - PT ]

EUCHARISTIEFEIER AM PFINGSTSONNTAG

PREDIGT VON BENEDIKT XVI

Petersdom
Sonntag, 11. Mai 2008

 

Liebe Brüder und Schwestern!

Der hl. Lukas stellt die Erzählung über das Pfingstereignis, die wir in der ersten Lesung gehört haben, in das zweite Kapitel der Apostelgeschichte. Das Kapitel beginnt mit dem Satz: »Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort« (Apg 2,1). Diese Worte beziehen sich auf das vorhergehende Bild, in dem Lukas die kleine Gemeinschaft der Jünger beschrieben hat, die sich nach der Himmelfahrt Jesu standhaft in Jerusalem versammelte (vgl. Apg 1,12–14). Diese Beschreibung ist reich an Details: der Ort, »wo sie wohnten« – der Abendmahlssaal – befindet sich »im Obergemach«; die elf Apostel werden namentlich aufgezählt, und die ersten drei sind Petrus, Johannes und Jakobus, die »Säulen« der Gemeinde; zusammen mit ihnen werden »die Frauen« erwähnt, »Maria, die Mutter Jesu« und »seine Brüder«, die nunmehr in diese neue Familie aufgenommen sind, die nicht mehr in Blutsbanden, sondern im Glauben an Christus gründet.

Auf dieses »neue Israel« spielt eindeutig die Gesamtzahl der Menschen an, die sich auf »etwa hundertzwanzig« belief, ein Vielfaches der »zwölf« des Apostelkollegiums. Die Gruppe bildet wirklich eine »qãhãl«, eine »Versammlung« entsprechend dem Vorbild des ersten Bundes: die Gemeinde, die zusammengerufen wird, um die Stimme des Herrn zu hören und auf seinen Wegen zu gehen. Das Buch der Apostelgeschichte hebt hervor, daß »sie alle dort einmütig im Gebet verharrten« (1,14). Das Gebet ist also die vorrangige Tätigkeit der entstehenden Kirche, durch die sie ihre Einheit vom Herrn empfängt und sich von seinem Willen führen läßt, was auch die Entscheidung beweist, durch das Los denjenigen zu wählen, der den Platz des Judas einnehmen wird (vgl. Apg 1,24–25).

Diese Gemeinde ist am selben Ort, dem Abendmahlssaal, am Morgen des jüdischen Pfingstfestes versammelt, dem Bundesfest, an dem des Geschehens auf dem Sinai gedacht wurde, als Gott durch Mose Israel vorgeschlagen hatte, sein Eigentum unter allen Völkern zu werden, um Zeichen seiner Heiligkeit zu sein (vgl. Ex 19). Nach dem Buch Exodus wurde dieser alte Bund von einem schreckenerregenden Machterweis des Herrn begleitet: »Der ganze Sinai«, so ist zu lesen, »war in Rauch gehüllt, denn der Herr war im Feuer auf ihn herabgestiegen. Der Rauch stieg vom Berg auf wie Rauch aus einem Schmelzofen. Der ganze Berg bebte gewaltig« (Ex 19,18). Wir finden die Elemente des Windes und des Feuers erneut im Pfingsten des Neuen Testaments vor, jedoch ohne einen Anklang von Furcht. Insbesondere nimmt das Feuer die Gestalt von Zungen an, die alle auf einen jeden der Jünger niederkamen, die »alle mit dem Heiligen Geist erfüllt wurden« und durch diese Ausgießung »begannen, in fremden Sprachen zu reden« (Apg 2,4). Es handelt sich um eine regelrechte Feuer- »Taufe« der Gemeinde, eine Art neue Schöpfung. An Pfingsten wird die Kirche nicht aus dem Willen eines Menschen heraus gestiftet, sondern durch die Kraft des Geistes Gottes. Und sofort wird erkennbar, wie dieser Geist einer Gemeinde Leben verleiht, die zugleich eins und universal ist und so den Fluch von Babel überwindet (vgl. Gen 11,7–9). Denn nur der Heilige Geist, der Einheit in der Liebe und in der gegenseitigen Annahme der Unterschiedlichkeit schafft, kann die Menschheit von der ständigen Versuchung des Willens zu irdischer Macht befreien, der alles beherrschen und gleichmachen will.

»Societas Spiritus«, Gesellschaft des Geistes: so nennt der hl. Augustinus die Kirche in einer seiner Predigten (71,19,32: PL 38,462). Bereits vor ihm jedoch hatte der hl. Irenäus eine Wahrheit formuliert, die ich hier gerne in Erinnerung rufe: »Wo die Kirche ist, dort ist der Geist Gottes, und wo der Geist Gottes ist, dort ist die Kirche und alle Gnade, der Geist aber ist Wahrheit; vor der Kirche zu fliehen heißt, den Geist abzulehnen « und sich so »vom Leben auszuschließen« (Adv. Haer. III, 24,1). Seit dem Pfingstereignis offenbart sich in Fülle dieser Bund zwischen dem Geist Christi und seinem mystischen Leib, der Kirche. Ich möchte mich auf einen besonderen Aspekt des Wirkens des Heiligen Geistes konzentrieren, nämlich auf die Verflochtenheit von Vielheit und Einheit. Davon spricht die zweite Lesung, die von der Eintracht der verschiedenen Charismen in der Gemeinschaft desselben Geistes handelt. Aber bereits in der Erzählung aus der Apostelgeschichte, die wir gehört haben, offenbart sich diese Verflochtenheit mit außergewöhnlicher Klarheit. Im Pfingstereignis wird deutlich, daß zur Kirche viele Sprachen und unterschiedliche Kulturen gehören; im Glauben können sie sich gegenseitig verstehen und befruchten. Der hl. Lukas will nachdrücklich eine grundlegende Idee vermitteln: bereits im Akt ihrer Entstehung selbst ist die Kirche »katholisch«, universal. Sie spricht von Anfang an alle Sprachen, da das ihr anvertraute Evangelium für alle Völker bestimmt ist, entsprechend dem Willen und dem Auftrag Christi (vgl. Mt 28,19). Die Kirche, die an Pfingsten entsteht, ist nicht an erster Stelle eine besondere Gemeinschaft – die Kirche von Jerusalem –, sondern die universale Kirche, die die Sprachen aller Völker spricht. Aus ihr heraus werden dann die anderen Gemeinschaften überall auf der Welt entstehen, Ortskirchen, die alle und immer Verwirklichung der einen und einzigen Kirche Christi sind. Die katholische Kirche ist somit kein Zusammenschluß von Kirchen, sondern eine einzige Wirklichkeit: die ontologische Priorität obliegt der universalen Kirche. Eine Gemeinschaft, die nicht in diesem Sinne katholisch wäre, wäre auch nicht Kirche.

Dem ist ein weiterer Aspekt hinzuzufügen: der Aspekt der theologischen Sicht der Apostelgeschichte bezüglich des Weges der Kirche von Jerusalem nach Rom. Unter den in Jerusalem am Pfingsttag vertretenen Völkern zitiert Lukas auch »die Römer, die sich hier aufhalten« (Apg 2,10). In jenem Augenblick war Rom noch in weiter Ferne, es war der entstehenden Kirche »fremd«. Rom war Symbol für die heidnische Welt im allgemeinen. Die Kraft des Heiligen Geistes jedoch wird die Schritte der Zeugen »bis an die Grenzen der Erde« (Apg 1,8), bis nach Rom führen. Das Buch der Apostelgeschichte endet gerade damit, daß der hl. Paulus durch einen Plan der Vorsehung in die Hauptstadt des Reiches kommt und dort das Evangelium verkündet (vgl. Apg 28,30–31). So gelangte der Weg des Wortes Gottes, der in Jerusalem seinen Anfang genommen hatte, an sein Ziel, da Rom die ganze Welt repräsentiert und deshalb die Idee des hl. Lukas von der Katholizität verkörpert. Es wurde die universale Kirche, die katholische Kirche verwirklicht, die die Fortsetzung des auserwählten Volkes ist und sich dessen Geschichte und Sendung zu eigen macht.

An dieser Stelle – und damit wollen wir zum Abschluß kommen – bietet uns das Johannesevangelium ein Wort, das sich sehr gut in das Mysterium der vom Heiligen Geist geschaffenen Kirche einfügt. Das Wort, das zweimal aus dem Mund des auferstandenen Jesus erklang, als er inmitten der Jünger im Abendmahlssaal am Osterabend erschien: »Shalom – Friede sei mit euch!« (Joh 20,19.21). Die Wendung »shalom« ist nicht ein einfacher Gruß; sie ist viel mehr: sie ist das Geschenk des verheißenen Friedens (vgl. Joh 14,27), den Jesus zum Preis seines Blutes erwirkt hat, sie ist Frucht seines Sieges im Kampf gegen den Geist des Bösen. Es handelt sich also um einen Frieden, »nicht wie ihn die Welt gibt«, sondern wie allein Gott ihn geben kann.

An diesem Fest des Heiligen Geistes und der Kirche wollen wir Gott danken, daß er seinem Volk, das er inmitten aller Völker auserwählt und geformt hat, das unschätzbare Gut des Friedens, seines Friedens geschenkt hat. Gleichzeitig erneuern wir das Wissen um die Verantwortung, die mit diesem Geschenk verbunden ist: Verantwortung der Kirche, die ihrem Wesen nach Zeichen und Werkzeug des Friedens Gottes für alle Völker ist. Ich habe versucht, diese Botschaft zu vermitteln, als ich mich jüngst zum Sitz der Vereinten Nationen begeben habe, um mein Wort an die Vertreter der Völker zu richten. Es sind aber nicht nur diese Ereignisse »ganz oben«, an die zu denken ist. Die Kirche verwirklicht ihren Dienst für den Frieden Christi vor allem im alltäglichen Gegenwärtigsein und Wirken unter den Menschen, mit der Verkündigung des Evangeliums und mit den Zeichen der Liebe und der Barmherzigkeit, die sie begleiten (vgl. Mk 16,20).

Unter diesen Zeichen ist natürlich vor allem das Sakrament der Versöhnung hervorzuheben, das der auferstandene Christus in demselben Augenblick gestiftet hat, in dem er den Jüngern seinen Frieden und seinen Geist zum Geschenk machte. Wie wir im Abschnitt aus dem Evangelium gehört haben, hauchte Jesus die Apostel an und sprach: »Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert (Joh 20,21–23). Wie wichtig und leider nicht genügend verstanden ist doch das Geschenk der Versöhnung, das den Herzen Frieden schenkt! Der Friede Christi verbreitet sich nur durch die erneuerten Herzen von Männern und Frauen, die versöhnt sind und zu Dienern der Gerechtigkeit werden, bereit, in der Welt den Frieden allein mit der Kraft der Wahrheit zu verbreiten, ohne mit dem Denken der Welt Kompromisse einzugehen, da die Welt nicht den Frieden Christi geben kann: das also ist die Art und Weise, wie die Kirche Sauerteig jener Versöhnung sein kann, die von Gott stammt. Sie kann dies allein dann sein, wenn sie dem Geist gegenüber fügsam bleibt und Zeugnis ablegt für das Evangelium, allein dann, wenn sie das Kreuz so wie Jesus und zusammen mit ihm trägt. Gerade dies bezeugen die heiligen Männer und Frauen aller Zeiten!

Im Licht dieses Wortes des Lebens, liebe Brüder und Schwestern, werde das Gebet, das wir heute zu Gott in geistlicher Einheit mit der Jungfrau Maria erheben, noch inniger und intensiver. Die Jungfrau des Hörens, die Mutter der Kirche, erwirke für unsere Gemeinden und für alle Christen eine neue Ausgießung des Heiligen Geistes, des Parakleten. »Emitte Spiritum tuum et creabuntur, et renovabis faciem terrae – Sende aus deinen Geist, und alles wird neu geschaffen, und du wirst das Angesicht der Erde erneuern.« Amen!

 

© Copyright 2008 - Libreria Editrice Vaticana   

  



Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana