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HL. MESSE ZUM GEDENKEN AN DIE IM VERGANGENEN JAHR
VERSTORBENEN KARDINÄLE UND BISCHÖFE

PREDIGT VON BENEDIKT XVI.

Petersdom
Montag, 3. November 200
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Meine Herren Kardinäle,
verehrte Mitbrüder im Bischofs- und im Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

Heute, einen Tag nach dem liturgischen Gedenktag Allerseelen, haben wir uns einer schönen Tradition gemäß versammelt, um das eucharistische Opfer darzubringen im Gedenken an unsere Mitbrüder, jene Kardinäle und Bischöfe, die im vergangenen Jahr von dieser Welt gegangen sind. In unserem Gebet beseelt und tröstet uns das Geheimnis der Gemeinschaft der Heiligen – ein Geheimnis, das wir in den letzten Tagen erneut betrachtet haben, um es zu verstehen, anzunehmen und immer tiefer zu leben.

In dieser Gemeinschaft gedenken wir mit großer Zuneigung der Herren Kardinäle Stephen Fumio Hamao, Alfons Maria Stickler, Aloisio Lorscheider, Peter Porekuu Dery, Adolfo Antonio Suárez Rivera, Ernesto Corripio Ahumada, Alfonso López Trujillo, Bernardin Gantin, Antonio Innocenti und Antonio José Gonzáles Zumárraga. Wir glauben und spüren, daß sie lebendig sind im Gott der Lebenden. Und mit ihnen gedenken wir auch aller Erzbischöfe und Bischöfe, die in den vergangenen zwölf Monaten aus dieser Welt hinübergegangen sind in das Haus des Vaters. Für sie alle wollen wir beten, indem wir unseren Geist und unser Herz erleuchten lassen durch das Wort Gottes, das wir soeben gehört haben.

Die Erste Lesung – ein Abschnitt aus dem Buch der Weisheit (4,7–15) – hat uns daran erinnert, daß das wahre ehrenvolle Alter nicht nur das hohe Alter ist, sondern die Weisheit und ein reines Leben ohne Tadel. Und wenn der Herr einen Gerechten vorzeitig zu sich ruft, dann tut er dies, weil er einen Liebesplan für ihn hat, den wir nicht kennen: Der frühe Tod eines geliebten Menschen wird zu einer Einladung, uns nicht damit aufzuhalten, ein mittelmäßiges Leben zu führen, sondern möglichst bald zur Fülle des Lebens zu streben. Der Abschnitt aus dem Buch der Weisheit enthält ein gewisses Paradoxon, das wir auch in der Perikope des Evangeliums wiederfinden (Mt 11,25–30). In beiden Lesungen zeigt sich ein Gegensatz zwischen dem, was sich dem oberflächlichen Blick des Menschen darbietet, und dem, was hingegen das Auge Gottes sieht. Die Welt schätzt denjenigen glücklich, der lange lebt, Gott aber schaut mehr auf die Redlichkeit des Herzens als auf das Alter. In der Welt besitzen die »Weisen« und »Klugen« Ansehen, während Gott die »Unmündigen« vorzieht. Daraus lernen wir, daß es zwei Dimensionen der Wirklichkeit gibt: eine tiefere, wahre und ewige und eine andere, die geprägt ist durch die Endlichkeit, die Vergänglichkeit und den Schein. Es ist wichtig hervorzuheben, daß diese beiden Dimensionen nicht einfach zeitlich aufeinanderfolgen, so als begänne das wahre Leben erst nach dem Tod. In Wirklichkeit beginnt das wahre Leben, das ewige Leben bereits in dieser Welt, wenn auch in der zeitlichen Begrenztheit der geschichtlichen Vorgänge; das ewige Leben beginnt in dem Maße, in dem wir uns dem Geheimnis Gottes öffnen und es in uns aufnehmen. Gott ist der Herr des Lebens, und in ihm »leben wir, bewegen wir uns und sind wir« (Apg 17,28), wie der hl. Paulus auf dem Areopag in Athen sagte.

Gott ist die wahre Weisheit, die niemals altert, er ist der wahre Reichtum, der nicht vergeht, er ist das Glück, nach dem sich ein jeder Mensch aus tiefstem Herzen sehnt. Diese Wahrheit, von der die Weisheitsbücher durchdrungen sind und die im Neuen Testament erneut zum Ausdruck kommt, findet ihre Vollendung im Leben und in der Lehre Jesu. Aus der Perspektive der Weisheit des Evangeliums heraus trägt der Tod selbst eine heilbringende Lehre in sich, denn er zwingt uns, der Wirklichkeit ins Auge zu schauen; er drängt uns, die Vergänglichkeit dessen zu erkennen, was in den Augen der Welt groß und stark erscheint. Angesichts des Todes wird jedes Motiv für den menschlichen Stolz bedeutungslos, während das, was wirklich zählt, deutlich zutage tritt. Alles ist endlich, wir alle sind nur vorübergehend auf dieser Welt. Gott allein hat das Leben in sich, er ist das Leben. Unser Leben ist ein Leben durch Teilhabe, das uns »ab alio« geschenkt worden ist, daher kann ein Mensch das ewige Leben nur aufgrund der besonderen Beziehung mit dem Schöpfer erlangen, die dieser selbst ihm geschenkt hat. Als Gott jedoch sah, daß der Mensch sich von ihm entfernte, hat er einen weiteren Schritt getan: Er baute zwischen sich und uns eine neue Beziehung auf, von der in der Zweiten Lesung der heutigen Liturgie die Rede ist. Er, Christus, hat »sein Leben für uns hingegeben« (1 Joh 3,16).

Wenn Gott uns – wie der hl. Johannes schreibt – unentgeltlich geliebt hat, dann können und müssen auch wir uns in diese Hingabe hineinnehmen lassen und müssen uns selbst den anderen unentgeltlich hinschenken. Auf diese Weise erkennen wir Gott so, wie er uns kennt; auf diese Weise bleiben wir in ihm, so, wie er in uns bleibt, und gehen aus dem Tod hinüber in das Leben (vgl. 1 Joh, 3,14) wie Jesus Christus, der den Tod in seiner Auferstehung besiegt hat durch die Macht der Herrlichkeit des himmlischen Vaters.

Liebe Brüder und Schwestern, dieses Wort des Lebens und der Hoffnung ist uns ein tiefer Trost angesichts des Geheimnisses des Todes, besonders dann, wenn die Menschen, die wir am meisten lieben, davon betroffen sind. Der Herr versichert uns heute, daß unsere verstorbenen Brüder, für die wir in dieser heiligen Messe besonders beten, aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind, denn sie haben sich für Christus entschieden, haben sein Joch, das nicht drückt, auf sich genommen (vgl. Mt 11,29) und haben sich dem Dienst an den Brüdern geweiht. Auch wenn sie ihren Teil der Strafe, der durch die menschliche Schwachheit bedingt ist – die uns alle zeichnet und uns dabei hilft, demütig zu bleiben –, sühnen müssen, können sie durch die Treue Christi in die Freiheit der Kinder Gottes eingehen. Wenn also der Abschied von ihnen uns Trauer bereitet hat und ihr Fehlen uns immer noch Schmerz zufügt, so erfüllt uns der Glaube innerlich mit Trost bei dem Gedanken, daß ebenso wie bei Jesus, dem Herrn, der Tod keine Macht mehr über sie hat (vgl. Röm 6,9). Indem sie in diesem Leben durch das barmherzige Herz Christi hindurchgegangen sind, sind sie »in Gottes Ruhe« eingegangen (Weish 4,7). Und jetzt stellen wir sie uns gern in der Gemeinschaft der Heiligen vor, endlich befreit von den Bitterkeiten des Lebens, und auch wir verspüren den Wunsch, uns eines Tages dieser so glücklichen Gemeinschaft anzuschließen.

Im Antwortpsalm haben wir diese trostreichen Worte wiederholt: »Lauter Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang, / und im Haus des Herrn darf ich wohnen für lange Zeit« (Ps 23,6). Ja, wir hoffen voll Zuversicht, daß der Gute Hirt diese unsere Brüder, für die wir das göttliche Opfer darbringen, am Ende ihrer irdischen Tage aufgenommen und in seine selige enge Vertrautheit hineingenommen hat. Mit dem geweihten Öl – das im Psalm erwähnt wird (V. 5) – wurde dreimal ihr Haupt gesalbt und einmal ihre Hände; der herrliche Kelch Jesu, des Hohenpriesters, wurde auch zu ihrem Kelch, den sie Tag für Tag erhoben und dabei den Namen des Herrn gelobt haben. Jetzt sind sie bei den Himmelsauen angelangt, wo die Zeichen der Wirklichkeit den Platz überlassen.

Liebe Brüder und Schwestern, vereinen wir unser gemeinsames Gebet, und erheben wir es zum Vater aller Güte und Barmherzigkeit, auf daß die Begegnung mit dem Feuer seiner Liebe durch die Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria diese unsere verstorbenen Freunde schnell von jedem Makel reinigen und zum Lob seiner Herrlichkeit verwandeln möge. Und beten wir darum, daß wir, die wir als Pilger in dieser Welt leben, die Augen und das Herz stets auf das letzte Ziel richten, nach dem wir streben, das Haus des Vaters, den Himmel. So sei es!

  

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