BOTSCHAFT VON PAPST BENEDIKT XVI.
BEIM SEGEN "URBI ET ORBI"
Weihnachten, 25. Dezember 2009
Liebe Brüder und Schwestern in Rom und auf der ganzen Welt
und ihr alle vom Herrn geliebten Männer und Frauen!
„Lux fulgebit hodie super nos,
quia natus est nobis Dominus. –
Ein Licht strahlt heute über uns auf,
denn geboren ist uns der Herr.”
(Römisches Meßbuch, Weihnachten – Messe am Morgen, Eröffnungsvers).
Die Liturgie der Messe am Morgen hat uns daran erinnert: Die Nacht ist vorüber, der Tag ist angebrochen; das Licht, das von der Grotte in Bethlehem ausgeht, strahlt über uns auf.
Die Bibel und die Liturgie erzählen uns jedoch nicht vom natürlichen Licht, sondern von einem anderen, besonderen Licht, das in gewisser Weise ein „Wir“ beleuchtet und darauf hinstrahlt, ein „Wir“, für das das Kind von Bethlehem „geboren ist“. Dieses „Wir“ ist die Kirche, die große weltweite Familie der an Christus Glaubenden, die voll Hoffnung die neue Geburt des Heilands erwartet haben und heute im Geheimnis die immerwährende Aktualität dieses Ereignisses feiern.
Am Anfang, bei der Krippe von Bethlehem, war dieses „Wir“ für die Augen der Menschen fast unsichtbar. Wie uns das Lukasevangelium berichtet, umfaßte es außer Maria und Josef wenige einfache Hirten, die auf die Nachricht des Engels hin zur Grotte kamen. Das Licht der ersten Weihnacht war wie ein in der Nacht entfachtes Feuer. Alles ringsum war dunkel, während in der Grotte das wahre Licht aufstrahlte, „das jeden Menschen erleuchtet“ (Joh 1,9). Und doch geschieht alles in Schlichtheit und im Verborgenen, so wie Gott in der gesamten Heilsgeschichte wirkt. Gott entzündet gern kleine Lichter, um es dann in weitem Umkreis hell werden zu lassen. Wo das Licht aufgenommen wird, dort werden die Wahrheit sowie die Liebe entfacht, die es in sich trägt, und es breitet sich dann – gleichsam durch Berührung – in konzentrischen Kreisen in den Herzen und Gedanken derer aus, die sich frei seinem Glanz öffnen und ihrerseits zu Quellen des Lichts werden. In der armen Grotte von Bethlehem nimmt der Weg der Kirche ihren Anfang und durch die Jahrhunderte wird sie zum Volk und zum Licht für die Menschheit. Auch heute entfacht Gott durch diejenigen, die dem Kind begegnen, Feuer in der Nacht der Welt, um die Menschen zu rufen, daß sie in Jesus das „Zeichen“ seiner heil- und freimachenden Gegenwart erkennen und das „Wir“ der Gläubigen auf die ganze Menschheit ausweiten.
Wo immer es ein „Wir“ gibt, das die Liebe Gottes aufnimmt, dort erstrahlt das Licht Christi auch in noch so schwierigen Situationen. Wie die Jungfrau Maria gibt die Kirche der Welt Jesus, den Maria selbst als Geschenk empfangen hat und der gekommen ist, den Menschen von der Knechtschaft der Sünde zu befreien. Wie Maria hat die Kirche keine Angst, denn dieses Kind ist ihre Stärke. Aber sie behält es nicht für sich: Sie gibt das Kind allen, die es mit aufrichtigem Herzen suchen, den einfachen Menschen der Erde und den Notleidenden, den Opfern von Gewalt und allen, die sich nach dem Gut des Friedens sehnen. Der Menschheitsfamilie, die tief von einer schweren wirtschaftlichen, aber noch mehr von einer moralischen Krise und den schmerzlichen Wunden von Kriegen und Konflikten gezeichnet ist, wiederholt die Kirche in Anteilnahme und Treue zum Menschen auch heute mit den Hirten: „Kommt, gehen wir nach Bethlehem“ (Lk 2,15), dort werden wir unsere Hoffnung finden.
Das „Wir“ der Kirche lebt da, wo Jesus geboren ist, im Heiligen Land, um seine Bewohner einzuladen, jegliche Logik der Gewalt und der Rache aufzugeben und sich mit erneuerter Kraft und mit Großmut für den Weg zu einem friedlichen Zusammenleben einzusetzen. Das „Wir“ der Kirche ist in den anderen Ländern des Nahen Ostens zugegen. Wie könnte man die bedrängte Situation im Irak und jener kleinen Herde von Christen in dieser Region vergessen? Sie ist zuweilen Gewalt und Ungerechtigkeiten ausgesetzt, und doch strebt sie immer danach, ihren Beitrag zum Aufbau eines zivilisierten Zusammenlebens gegen die Logik der Konfrontation und der Ablehnung des Nächsten zu leisten. Das „Wir“ der Kirche wirkt in Sri Lanka, auf der koreanischen Halbinsel und auf den Philippinen, wie auch in anderen asiatischen Ländern als ein Sauerteig der Versöhnung und des Friedens. Auf dem afrikanischen Kontinent hört die Kirche nicht auf, ihre Stimme zu Gott zu erheben, um ihn um das Ende aller gewaltsamen Übergriffe in der Demokratischen Republik Kongo zu bitten. Sie lädt die Bürger Guineas und des Niger zur Achtung der Rechte jedes Menschen und zum Dialog ein. Die Einwohner Madagaskars ruft sie auf, die inneren Spaltungen zu überwinden und sich gegenseitig anzunehmen. Sie erinnert alle daran, daß sie trotz der Tragödien, der Prüfungen und der Schwierigkeiten, die sie weiter plagen, zur Hoffnung berufen sind. In Europa und in Nordamerika spornt das „Wir“ der Kirche dazu an, eine egoistische und technokratische Mentalität zu überwinden, das Gemeinwohl zu fördern und die schwächsten Personen, beginnend mit den noch nicht Geborenen, zu achten. In Honduras hilft es mit, den Prozeß der Demokratisierung wieder aufzunehmen. In ganz Lateinamerika ist das „Wir“ der Kirche ein Identitätsfaktor, ein Vollmaß an Wahrheit und Liebe, das durch keine Ideologie ersetzt werden kann, ein Aufruf zur Achtung der unveräußerlichen Rechte jedes Menschen und zu seiner ganzheitlichen Entwicklung, eine Botschaft der Gerechtigkeit und Brüderlichkeit, eine Quelle der Einheit.
Dem Auftrag ihres Gründers verpflichtet, ist die Kirche mit denen solidarisch, die von den Naturkatastrophen und der Armut getroffen sind, auch in den Überflußgesellschaften. Angesichts des Exodus vieler, die aus ihrem Land wegziehen und durch Hunger, Intoleranz und Umweltschäden in die Ferne getrieben werden, ist die Kirche eine Gegenwart, die dazu aufruft, sich dieser Menschen anzunehmen. In einem Wort: Die Kirche verkündet die Frohbotschaft Christi trotz der Verfolgungen, der Diskriminierungen, der Angriffe und der zuweilen feindlichen Gleichgültigkeit. Gerade diese erlauben ihr, das Los ihres Herrn und Meisters zu teilen.
Liebe Brüder und Schwestern, was für ein großes Geschenk ist es, zu einer Gemeinschaft zu gehören, die für alle da ist! Es ist die Gemeinschaft der Heiligsten Dreifaltigkeit, aus deren Mitte der Emmanuel, Jesus, der Gott-mit-uns, auf die Erde herabgestiegen ist. Laßt uns wie die Hirten von Bethlehem voll Erstaunen und Dankbarkeit dieses Geheimnis der Liebe und des Lichtes betrachten! Frohe Weihnachten euch allen!
Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana