PRESSEKONFERENZ MIT PAPST BENEDIKT XVI.
AUF DEM FLUG NACH SPANIEN
Flugreise des Papstes
Samstag, 6. November 2010
Pater Lombardi: Heiliger Vater, herzlich willkommen zur üblichen Begegnung mit den Journalistenkollegen am Beginn dieser schönen Reise. Es ist eine kurze Reise, die aber sehr großes Interesse hervorruft. Ich weiß, daß nach den Informationen der letzten Tage mehr als 3000 Journalisten von über 300 Zeitungen in Spanien akkreditiert sind, die das Geschehen in Santiago und Barcelona verfolgen werden. Das heißt, es besteht wirklich ein großes Interesse. Und hier auf dem Flug mit Ihnen haben wir 61 Journalisten, 61 Kollegen; natürlich ist Spanien stark vertreten: Acht spanische Kollegen, die in Rom akkreditiert sind, reisen mit Ihnen, und acht Kollegen sind extra aus Spanien gekommen, um die Reise, einschließlich dieses Fluges, mit Ihnen zu machen. Ich möchte auf die Anwesenheit des Fernsehens aus Galicien und aus Katalonien hinweisen, die mit ihrer Arbeit alle Ereignisse dieser Reise dokumentieren werden, und dafür sind wir ihnen sehr dankbar.
Wie gewöhnlich werde ich Ihnen einige Fragen stellen, die in diesen Tagen von den Kollegen vorgelegt worden sind und die wir nach dem Kriterium des allgemeinen Interesses ausgewählt haben, um Licht auf die Bedeutung dieser Reise zu werfen. Wir beginnen natürlich mit Santiago:
Heiliger Vater, in der Botschaft zum Kongreß der Wallfahrtsorte, der kürzlich in Santiago de Compostela stattgefunden hat, haben Sie gesagt, daß Sie Ihr Pontifikat »mit den Empfindungen eines Pilgers« leben. Auch in Ihrem Wappen gibt es die Pilgermuschel. Könnten Sie uns etwas über die Perspektive der Pilgerschaft sagen, auch in Ihrem persönlichen Leben und Ihrer Spiritualität, sowie über die Empfindungen, mit denen Sie sich als Pilger nach Santiago begeben?
Benedikt XVI.: Guten Tag! Ich würde sagen, daß das Auf-dem-Weg-Sein bereits in meine Biographie eingeschrieben ist – Marktl, Tittmoning, Aschau, Traunstein, München, Freising, Bonn, Münster, Tübingen, Regensburg, München, Rom –, aber vielleicht ist dies etwas Äußerliches. Dennoch hat es mich an die Instabilität dieses Lebens denken lassen, das Auf-dem-Weg-Sein… Natürlich könnte man als Argument gegen die Wallfahrt sagen: Gott ist überall, es ist nicht nötig, an einen anderen Ort zu gehen. Es ist aber auch wahr, daß der Glaube seinem Wesen nach »Pilgersein« ist.
Der Hebräerbrief zeigt an der Gestalt Abrahams, was Glaube ist: Er zieht aus seinem Land weg und bleibt sein ganzes Leben lang ein Pilger auf die Zukunft hin; und diese abrahamitische Bewegung bleibt im Glaubensakt erhalten, es bedeutet, vor allem innerlich ein Pilger zu sein, aber das muß auch äußerlich Ausdruck finden. Manchmal, indem man den Alltag verläßt, die Welt des Nützlichen, des Utilitarismus, nur hinausgehen, um wirklich auf dem Weg zur Transzendenz zu sein; aus sich selbst herausgehen, aus dem Alltag und so auch eine neue Freiheit zu finden, eine Zeit des inneren Nachdenkens, der Selbstfindung, den anderen sehen, Gott, und das gilt auch für die Pilgerfahrt, immer: nicht nur ein Herausgehen aus sich selbst zum Größeren hin, sondern auch ein gemeinsames Gehen. Die Pilgerfahrt vereint: gemeinsam gehen wir auf das Andere zu und so finden wir uns gegenseitig. Es reicht, darauf hinzuweisen, daß die Jakobswege ein Element für die Bildung der geistigen Einheit des europäischen Kontinents gewesen sind. Als Pilger haben sie sich hier gefunden, haben sie die gemeinsame europäische Identität gefunden, und auch heute lebt diese Bewegung wieder auf, dieses Bedürfnis, geistig und körperlich in Bewegung zu sein, einander zu finden und so die Stille zu finden, die Freiheit, die Erneuerung und Gott zu finden.
Pater Lombardi: Danke, Heiliger Vater. Und jetzt richten wir den Blick auf Barcelona. Welche Bedeutung kann die Weihe einer Kirche wie die der »Sagrada Familia« zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben? Gibt es in der Vision Gaudís einen Aspekt, der Sie besonders angesprochen hat?
Benedikt XVI.: Tatsächlich ist diese Kathedrale auch ein Zeichen gerade für unsere Zeit. In der Vision Gaudís sehe ich vor allem drei Elemente.
Das erste ist diese Synthese zwischen Kontinuität und Neuheit, Tradition und Kreativität. Gaudí hat den Mut gehabt, sich in die große Tradition der Kathedralen zu stellen und erneut – in seinem Jahrhundert, mit einer vollkommen neuen Vision – diese Realität zu wagen: die Kathedrale als Ort der Begegnung zwischen Mensch und Gott in großer Feierlichkeit; dieser Mut, innerhalb der Tradition zu bleiben, aber mit einer neuen Kreativität, die die Tradition erneuert und so die Einheit und den Fortschritt der Geschichte zeigt, das ist schön.
Zweitens. Gaudí wollte diese drei Elemente: Buch der Natur, Buch der Heiligen Schrift, Buch der Liturgie. Und diese Synthese ist gerade heute von besonderer Bedeutung. In der Liturgie wird die Heilige Schrift Gegenwart, sie wird Realität von heute: Es ist nicht mehr eine Schrift von vor 2000 Jahren, sondern sie muß gefeiert, verwirklicht werden. Und in der Feier der Heiligen Schrift spricht die Schöpfung, spricht das Geschaffene und findet seine wahre Antwort, weil, wie uns der hl. Paulus sagt, die Schöpfung leidet, aber sie wird nicht zerstört, nicht verachtet, sondern sie wartet auf die Kinder Gottes, das heißt auf die, die sie im Licht Gottes sehen. Und so, denke ich, ist diese Synthese zwischen dem Bewußtsein für die Schöpfung, der Heiligen Schrift und der Anbetung eine sehr wichtige Botschaft gerade für die Gegenwart.
Und schließlich – dritter Punkt – entspringt diese Kathedrale einer für das 19. Jahrhundert charakteristischen Frömmigkeit: der Verehrung des hl. Josef, der Heiligen Familie von Nazaret, dem Geheimnis von Nazaret. Aber gerade diese Frömmigkeit von gestern, so könnte man sagen, ist von größter Aktualität, weil das Problem der Familie, die Erneuerung der Familie als Grundzelle der Gesellschaft, heute das große Thema ist und uns zeigt, wohin wir gehen können sowohl beim Aufbau der Gesellschaft als auch in der Einheit zwischen Glauben und Leben, Religion und Gesellschaft. Die Familie ist das grundlegende Thema, das hier zum Ausdruck kommt, wenn gesagt wird: Gott selbst ist Kind in einer Familie geworden, und er ruft uns auf, die Familie aufzubauen und zu leben.
Pater Lombardi: Gaudí und die »Sagrada Familia« sind ein besonders gelungener Ausdruck für das Wortpaar Glaube–Kunst. Wie kann der Glaube heute seinen Platz in der Welt der Kunst und der Kultur wiederfinden? Ist das ein wichtiges Thema Ihres Pontifikats?
Benedikt XVI.: So ist es. Sie wissen, daß ich immer wieder zum Thema der Beziehung zwischen Glaube und Vernunft zurückkehre, daß der Glaube, der christliche Glaube seine Identität nur findet in der Öffnung zur Vernunft, und daß die Vernunft nur sie selbst wird, wenn sie sich auf den Glauben hin übersteigt. Aber genauso wichtig ist die Beziehung zwischen Glauben und Kunst, weil die Wahrheit, das Ziel der Vernunft, sich in der Schönheit ausdrückt und in der Schönheit sie selbst wird, sich als Wahrheit erweist. Also muß dort, wo die Wahrheit ist, die Schönheit entstehen, wo der Mensch sich in richtiger, guter Weise verwirklicht, drückt er sich in der Schönheit aus. Die Beziehung zwischen Wahrheit und Schönheit ist unauflöslich, und deshalb brauchen wir die Schönheit. Von Anfang an, auch in der großen Einfachheit und Armut der Verfolgungszeit, waren in der Kirche die Kunst, die Malerei, der Ausdruck der Rettung durch Gott in den Bildern der Welt, der Gesang, und dann auch das Gebäude grundlegend. All das ist grundlegend für die Kirche und wird es immer bleiben. So war die Kirche jahrhundertelang die Mutter der Künste: der große Schatz der westlichen Kunst – sowohl die Musik wie auch Architektur und Malerei – ist innerhalb der Kirche aus dem Glauben heraus entstanden. Heute gibt es eine gewisse »Meinungsverschiedenheit«, das aber schadet sowohl der Kunst als auch dem Glauben: Die Kunst, die die Wurzel der Transzendenz verlöre, würde nicht mehr auf Gott zugehen, sie wäre verkürzt, sie würde die lebendige Wurzel verlieren. Und ein Glaube, der nur in der Vergangenheit Kunst hervorgebracht hätte, wäre kein Glaube in der Gegenwart mehr; heute muß er erneut als Wahrheit ausgedrückt werden, die immer präsent ist. Deshalb ist der Dialog oder die Begegnung, ich würde sagen beides, zwischen Kunst und Glaube in das tiefste Wesen des Glaubens eingeschrieben. Wir müssen alles tun, damit auch heute der Glaube in echter Kunst Ausdruck findet, wie bei Gaudí in der Kontinuität und der Neuheit. Und die Kunst darf den Kontakt zum Glauben nicht verlieren.
Pater Lombardi: In diesen Monaten nimmt das neue Dikasterium für die »Neuevangelisierung « seine Arbeit auf. Viele haben sich gefragt, ob gerade Spanien aufgrund der sich ausbreitenden Säkularisierung und der raschen Abnahme der religiösen Praxis eines jener Länder ist, an das Sie bei der Einrichtung dieses neuen Dikasteriums gedacht haben, oder ob es nicht sogar das vorrangige Ziel ist. Soweit also unsere Frage.
Benedikt XVI.: Bei der Schaffung dieses Dikasteriums habe ich an sich an die ganze Welt gedacht, denn die Neuheit des Denkens, die Schwierigkeit, in den Begriffen der Heiligen Schrift, der Theologie zu denken, ist universaler Art. Es gibt aber natürlich ein Zentrum und das ist die westliche Welt mit ihrem Säkularismus, ihrer Laizität, aber auch mit dem Fortbestand des Glaubens, der versuchen muß, sich zu erneuern, um ein Glaube im Heute zu sein und auf die Herausforderungen der Laizität zu antworten. Im Westen haben alle großen Länder ihre je eigene Art, dieses Problem anzugehen: Da waren beispielsweise die Reisen nach Frankreich, in die Tschechische Republik, ins Vereinigte Königreich, wo in jeder Nation und in jeder Geschichte auf verschiedene Weise dieses Problem allgegenwärtig ist, und das gilt auch in besonderer Weise für Spanien. Spanien ist seit jeher eines der »Ursprungsländer « des Glaubens; denken wir nur daran, daß das Wiedererstehen des Glaubens in der modernen Zeit vor allem Spanien zu verdanken ist; große Gestalten wie der hl. Ignatius von Loyola, die hl. Teresa von Avila und der hl. Johannes von Avila sind Gestalten, die den katholischen Glauben wirklich erneuert und die Physiognomie des modernen Katholizismus geformt haben. Es ist aber ebenso wahr, daß in Spanien auch eine Laizität, ein Antiklerikalismus, ein starker und aggressiver Säkularismus entstanden ist, wie wir es insbesondere in den 30er Jahren gesehen haben, und diese Auseinandersetzung, oder eher dieser Zusammenprall zwischen Glaube und Moderne, die beide sehr lebendig sind, ist auch in der gegenwärtigen Zeit in Spanien festzustellen: die Zukunft des Glaubens und der Begegnung, nicht der Auseinandersetzung, sondern der Begegnung zwischen Glaube und Laizität hat daher auch gerade in der spanischen Kultur einen ihrer zentralen Punkte. In diesem Sinn habe ich an alle großen Länder des Westens gedacht, aber in besonderer Weise auch an Spanien.
Pater Lombardi: Mit Ihrer Reise nach Madrid im kommenden Jahr aus Anlaß des Weltjugendtages werden Sie drei Reisen nach Spanien unternommen haben, was sonst auf kein anderes Land zutrifft. Was ist der Grund für dieses Privileg? Ist dies ein Zeichen von besonderer Zuneigung oder besonderer Besorgnis?
Benedikt XVI.: Es ist natürlich ein Zeichen der Liebe. Man könnte sagen, daß ich mich eher zufällig dreimal nach Spanien begebe. Beim ersten Mal zum großen internationalen Familientreffen in Valencia: Wie könnte der Papst nicht dabei sein, wenn Familien aus aller Welt zusammenkommen? Im nächsten Jahr findet der Weltjugendtag statt, die Begegnung von Jugendlichen aus aller Welt in Madrid, und der Papst darf bei diesem Anlaß natürlich nicht fehlen. Und schließlich ist da das Heilige Jakobsjahr und die Weihe – nach über hundertjähriger Bauzeit – der Basilika »Sagrada Familia« in Barcelona, und wie könnte da der Papst nicht kommen? Diese Anlässe sind an und für sich Herausforderungen, und es ist gleichsam geboten dorthin zu gehen, aber die Tatsache, daß sich gerade in Spanien so viele Ereignisse häufen, zeigt auch, daß es wirklich ein Land voller Dynamik und Glaubenskraft ist, und der Glaube antwortet auf die Herausforderungen, an denen es auch in Spanien nicht fehlt. Daher wollen wir es so ausdrücken: Der Zufall hat uns hierhergeführt, aber dieser Zufall zeigt eine tiefere Wirklichkeit auf, die Kraft des Glaubens und die Kraft der Herausforderung durch den Glauben.
Pater Lombardi: Danke, Heiliger Vater. Möchten Sie nun zum Abschluß unserer Begegnung noch etwas hinzufügen? Welche Botschaft hoffen Sie, Spanien und der Welt von heute mit dieser Reise geben zu können?
Benedikt XVI.: Ich würde sagen, daß diese Reise zwei Themen hat. Sie hat das Thema der Pilgerfahrt, des Auf-dem-Weg-Seins, und das Thema der Schönheit, des Offenbarwerdens der Wahrheit in der Schönheit, der Kontinuität zwischen Tradition und Erneuerung. Ich denke, daß diese beiden Themen der Reise auch eine Botschaft sind: auf dem Weg sein, nicht vom Weg des Glaubens abkommen, nach der Schönheit, der Neuheit und der Tradition des Glaubens suchen, der es vermag, in der modernen Schönheit und in der Welt von heute zum Ausdruck zu kommen und ihr zu begegnen. Danke!
Pater Lombardi: Danke, Heiliger Vater, daß Sie sich Zeit für uns genommen haben und uns diese schönen Antworten gegeben haben. Ich glaube, daß diese Reise schon aufgrund der von Ihnen behandelten Themen und der gemeinsam erlebten Ereignisse sehr schön wird, und ich glaube, daß wir alle, die wir hier als Medienschaffende dabei sind, versuchen werden, Sie auf bestmögliche Weise zu begleiten und dazu beizutragen, daß Sie Ihre Botschaft der Freude und Hoffnung übermitteln können. Danke, Heiliger Vater!
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