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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTAE"

 

Barmherzigkeit, Fest und Erinnerung

 Freitag, 5. Juli 2013

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 29, 19. Juli 2013

 

Sich leiten lassen von der Barmherzigkeit Jesu; ein Fest mit ihm feiern; die »Erinnerung« an jenen Augenblick lebendig halten, in dem wir in unserem Leben der Erlösung begegnet sind. Das ist die dreifache Aufforderung, die aus der Reflexion hervorgegangen ist, die Papst Franziskus im Verlauf der Messe vorgetragen hat, die er am Freitag, 5. Juli, in der Kapelle der Domus Sanctae Marthae feierte. Einer der Konzelebranten war Kardinal Jorge Liberato Urosa Savino, Erzbischof von Caracas. Der Papst wollte seine Anwesenheit am Anfang des Gottesdienstes besonders betonen, indem er daran erinnerte, dass am 5. Juli der venezolanische Nationalfeiertag begangen wird. In seiner Predigt kommentierte der Papst die Passage aus dem Matthäusevangelium (9,9–13), in welcher der Evangelist, der Zöllner, den Jesus beruft, um einer der Zwölf zu werden, über seine eigene Bekehrung berichtet.

Die Botschaft, die Jesus übermitteln will, erklärte der Papst, ist »aus der Tradition des Volkes Israel« übernommen. Eine prophetische Botschaft, mit deren Verständnis sich das Volk aber immer schwer getan hat: »Ich will Barmherzigkeit, keine Opfer.« In der Tat ist unser Gott der Gott der Barmherzigkeit. Gerade der Geschichte des Matthäus lasse sich das gut entnehmen, erklärte Papst Franziskus, denn diese »ist kein Gleichnis«: sie ist tatsächlich eine historische Tatsache, »sie hat sich zugetragen«.

Papst Franziskus erinnerte an das Bild Jesu, der sich »bei denen, die die Steuergelder einkassierten und diese dann zu den Römern brachten«, aufhielt. Diese Leute, so hob er hervor, galten als anrüchig, weil sie »zweifache Sünder waren: sie hingen sehr am Geld, und sie waren Vaterlandsverräter «. Einer von ihnen war Matthäus, »der Mann, der an dem Tisch saß, an dem die Steuer entrichtet werden musste«. Jesus schaut ihn an, und dieser Blick lässt ihn in seinem Inneren »etwas Neues, etwas, das er nicht kannte«, verspüren. »Jesu Blick«, erklärte der Heilige Vater, lässt ihn »ein innerliches Staunen« verspüren; er lässt ihn »die Aufforderung Jesu, ihm nachzufolgen « wahrnehmen. Und genau in diesem Augenblick wird Matthäus »voll der Freude«. Kurzum, so kommentierte der Papst, indem er auf ein berühmtes Gemälde von Caravaggio hinwies; Matthäus »genügte ein einziger Augenblick, um zu verstehen, dass dieser Blick sein Leben auf immer verändert hatte«. In genau diesem Augenblick »sagt Matthäus Ja; er verlässt alles und geht zusammen mit dem Herrn weg. Das ist der Augenblick der erlebten und angenommenen Barmherzigkeit: Ich komme mit dir«.

Dem ersten Augenblick der Begegnung, die in »einer tiefen geistigen Erfahrung besteht«, folgt ein zweiter: derjenige des Festes. Die biblische Geschichte fährt in der Tat mit der Beschreibung Jesu fort, der mit den Zöllnern und Sündern bei »einem Fest« am Tisch sitzt, kommentierte Papst Franziskus, »mit all denen, die alles andere waren als die Elite der Gesellschaft«, im Gegenteil, »sie waren der Abschaum der Gesellschaft«. Aber für den Papst ist das »die Widersprüchlichkeit bei Gottes Fest: Der Herr feiert mit den Sündern«, während er das mit den Gerechten kaum tut. Im Hinblick darauf erinnerte der Papst an Kap. 15 des Lukasevangeliums, wo ganz klar gesagt wird, dass im Himmel mehr Freude sei über einen bekehrten Sünder als über neunundneunzig Gerechte, die der Bekehrung bedürfen. Und weiter hinten im selben Kapitel wird über den Vater berichtet, der aus Anlass der Heimkehr des sündigen Sohnes ein Fest feiert. Aus diesem Grunde ist das Fest für Papst Franziskus »sehr wichtig«, da man die Begegnung mit Jesus feiert, die Barmherzigkeit Gottes: »Er schaut mit Barmherzigkeit, verändert unser Leben und feiert.«

Aber das Leben ist kein ununterbrochenes Fest. Papst Bergoglio weiß das nur allzu gut, der in seiner langen seelsorgerischen Erfahrung als Priester und Bischof, wie er im Verlauf des Gottesdienstes den Anwesenden anvertraute, oft gefragt worden war: »Vater, wird nach diesen beiden Momenten – dem Staunen über die Begegnung und dem Fest – das ganze Leben ein einziges Fest sein?« Die Antwort, so sagte der Papst, sei »nein«, weil »das Fest darin besteht, einen neuen Weg einzuschlagen«, dann aber müsse »die alltägliche Arbeit« folgen, »die genährt werden muss aus der Erinnerung an jene erste Begegnung«. Gerade so, wie es im Leben des Matthäus geschehen sei, der »diese Arbeit getan hat«, indem er »ging, um das Evangelium zu verkündigen «. In diesem Fall, so erläuterte Papst Franziskus, handelt es sich nicht »um einen Augenblick«: es handelt sich um »eine Zeit«, die sich »bis ans Ende des Lebens« erstreckt.

Aber, so fragte sich der Papst, woran soll man sich erinnern? Genau »an jene Ereignisse, an jene Begegnung mit Jesus, die mein Leben verändert hat, der barmherzig gewesen ist, der sehr gut zu mir war«, so lautete die Antwort, »und der auch zu mir gesagt hat: lade deine sündigen Freunde ein, weil wir ein Fest feiern«. In der Tat gibt die Erinnerung an diese Barmherzigkeit und an dieses Fest »dem Matthäus und all den anderen Kraft«, die beschlossen hätten, Christus nachzufolgen, »um weiterzugehen«. Daran, so fügte der Papst hinzu, solle man sich immer erinnern, genau so, wie man auf die glühenden Holzscheite blase, um das Feuer am Leben zu erhalten.

Indem er wieder an sein Thema anknüpfte, unterstrich der Heilige Vater »zwei Augenblicke und eine Zeit: den Augenblick der Begegnung, in dem Matthäus von Jesus mit jenem Blick der Barmherzigkeit angeschaut wird, und den Augenblick des Festes aus Anlass des Anfangs eines neuen Weges; sowie die Zeit der Erinnerung, der Erinnerung an diese Tatsachen«. Auch deshalb, weil die gesamte Predigttätigkeit Christi darin bestanden habe, »durch die Straßen zu gehen auf der Suche nach Armen und Kranken«, um »mit ihnen zu feiern«. Ein Fest, das er auch auf die Sünder habe ausdehnen wollen, was ihm viel Kritik eingetragen habe. Aber seine Antwort sei uns bekannt: »Darum lernt, was es heißt: ›Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer‹. Denn ich bin nicht gekommen, um die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder«. Papst Franziskus schloss: das heiße soviel wie »der, der sich für einen Gerechten hält, der soll ruhig in seinem eigenen Saft schmoren. Er ist für uns Sünder gekommen«.



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