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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
nach MARSEILLE
zum Abschluss der “Rencontres Méditerranéennes”
[22. - 23. SEPTEMBER 2023]

PRESSEKONFERENZ MIT DEM HEILIGEN VATER
AUF DEM RÜCKFLUG NACH ROM

Samstag, 23. September 2023

[Multimedia]

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Matteo Bruni

Guten Abend Eure Heiligkeit, guten Abend allerseits. Ich danke Ihnen für diese Zeit auf dem Rückflug. Es war eine besondere Reise, bei der Sie auch die ganze Zuneigung der Franzosen spüren konnten, die, wie Seine Eminenz sagte, gekommen sind, um mit Ihnen zu beten. Aber es gibt, glaube ich, noch Fragen, die die Journalisten Ihnen stellen wollten, oder vielleicht wollen Sie ein Wort an uns richten.

Papst Franziskus

Guten Abend, ich danke Ihnen sehr für Ihre Arbeit. Bevor ich es vergesse, möchte ich noch zwei Dinge sagen. Erstens, ich glaube, heute ist der letzte Flug von Roberto Bellino, der in den Ruhestand geht: Danke, danke, danke! Und zweitens: Heute ist der Geburtstag von Rino, dem unbeschreiblichen Rino [Anastasio]! Eine Runde Applaus für ihn! Jetzt stellen Sie gerne die Fragen.

Matteo Bruni

Die erste Frage kommt von Raphaële Schapira - France Télévisions, hier vor Ihnen.

Raphaële Schapira - France Télévisions

Eure Heiligkeit, guten Abend. Sie haben Ihr Pontifikat in Lampedusa begonnen, indem Sie die Gleichgültigkeit anprangerten. Zehn Jahre später fordern Sie Europa auf, Solidarität zu zeigen. Seit zehn Jahren wiederholen Sie dieselbe Botschaft. Heißt das, dass Sie gescheitert sind?

Papst Franziskus

Ich würde sagen, nein. Ich würde sagen, dass das Wachstum langsam vonstatten gegangen ist. Heute gibt es ein Bewusstsein für das Migrationsproblem. Es gibt ein Bewusstsein. Und es gibt auch das Bewusstsein, dass es etwas ist, das einen Punkt erreicht hat ... wie eine „heiße Kartoffel“, von der man nicht weiß, wie man sie in die Hand nehmen soll. Angela Merkel hat einmal gesagt, dass man das Problem löst, indem man nach Afrika geht und es in Afrika löst, indem man den Lebensstandard der afrikanischen Völker hebt. Aber es gab schlimme Fälle, sehr schlimme Fälle, in denen Migranten wie beim „Ping Pong“ zurückgeschickt wurden ... Und man weiß, dass sie oft in Lagern enden, sie enden schlimmer als vorher. Ich habe das Leben eines Jungen, Mahmoud, verfolgt, der versucht hat, rauszukommen, weil er ... Und am Ende hat er sich erhängt; er hat es nicht geschafft, weil er diese Qual nicht ertragen hat. Ich habe Ihnen empfohlen, dieses Buch zu lesen, Kleiner Bruder, Hermanito ... Die Leute, die kommen, werden zuerst verkauft, dann nehmen sie ihnen das Geld weg, als Bezahlung ...; dann zwingen sie sie, ihre Familien anzurufen, damit diese mehr Geld schicken ... Die Armen! Ein schreckliches Leben. Ich habe gehört, dass ein Zeuge gesagt hat, dass er, als er nachts das Schiff beim Einsteigen sah, das so einfach und ohne Sicherheit war, nicht an Bord gehen wollte. „Bum bum“: Ende der Geschichte. Es ist die Herrschaft des Schreckens! Sie leiden nicht nur, weil sie weg müssen, sondern weil dort diese Schreckensherrschaft besteht. Sie sind Sklaven. Und wir können sie nicht, ohne die Dinge zu sehen, wie einen Ping-Pong-Ball zurückschicken. Nein. Deshalb komme ich auf den Grundsatz zurück: Migranten müssen aufgenommen, begleitet, gefördert und integriert werden. Wenn du ihn im deinem eigenen Land nicht integrieren kannst, begleite und integriere ihn in seinem Land, aber überlasse ihn nicht den Händen dieser grausamen Menschenhändler.

Das Drama der Migranten besteht heute darin, dass wir sie zurückschicken und sie in die Hände dieser Schurken fallen, die soviel Unheil anrichten. Sie verkaufen sie, sie beuten sie aus. Diese Menschen versuchen zu entkommen. Es gibt einige Gruppen von Personen, die sich der Rettung von Menschen auf See verschrieben haben. Ich habe eine von ihnen zur Synode eingeladen, den Chef von Mediterranea Saving Humans. Sie erzählen einem schreckliche Geschichten.

Bei der ersten Reise war ich, wie Sie sagten, auf Lampedusa. Die Lage hat sich gebessert, man ist sich heute wirklich mehr bewusst. Damals wussten man das noch nicht. Und sie sagten uns nicht die Wahrheit. Ich erinnere mich, dass es in der Casa S. Marta eine „Rezeptionistin“ gab, die Äthiopierin war, die Tochter von Äthiopiern, sie konnte die Sprache, und sie verfolgte meine Reise im Fernsehen. Und in Lampedusa gab es einen, einen armen Äthiopier, der mir die Folter und diese Dinge erklärte; und der Übersetzer – so sagte sie mir –  erzählte Lügen, er sagte, was der andere nicht sagte, er „beschönigte“ die Situation. Es ist schwierig, Vertrauen zu haben. So viele Dramen ... An dem Tag, an dem ich dort war, sagte man mir: „Sieh diese Frau an“ –  er war Arzt –  „sieh diese Frau an“: Sie ging zwischen den Leichen umher und schaute sich die Gesichter an, weil sie ihre Tochter suchte, die sie nicht gefunden hatte.

Diese Dramen ... Es ist gut für uns, diese Wirklichkeit anzugehen: das wird uns menschlicher machen, menschlicher und damit auch göttlicher. Dies ist eine Aufforderung. Ich möchte, dass es wie ein Schrei ist: „Passen wir auf! Lasst uns etwas tun!“. Ich weiß nicht ... Das Bewusstsein hat sich verändert, wirklich, man ist sich heute mehr bewusst. Und das lag für mich nicht daran, dass ich mich zu Wort gemeldet habe, sondern daran, dass die Menschen auf das Problem aufmerksam wurden. Viele sprechen darüber. 

Es war meine erste Reise, und da spürte ich etwas in mir. Ich wusste nicht einmal, wo Lampedusa liegt, nicht einmal, aber ich hörte die Geschichten, ich habe etwas gelesen und im Gebet vernahm ich: „Du musst dorthin gehen“, als ob der Herr mich dorthin geführt hätte. Die erste Reise. Ich danke Ihnen.

Matteo Bruni

Ich danke Ihnen, Eure Heiligkeit. Die zweite Frage kommt von Clément Melki von der Agence France-Presse (AFP)

Clément Melki von der Agence France-Presse (AFP)

Guten Abend, Heiliger Vater. Sie haben sich heute Morgen mit Emmanuel Macron getroffen, nachdem Sie Ihre Ablehnung der Euthanasie zum Ausdruck gebracht hatten. Die französische Regierung bereitet die Verabschiedung eines umstrittenen Gesetzes zum Beendigung des Lebens vor. Könnten Sie uns freundlicherweise sagen, was Sie dem französischen Präsidenten dazu gesagt haben? Und ob Sie glauben, dass Sie ihn umstimmen können? Danke.

Papst Franziskus

Wir haben heute nicht darüber gesprochen, aber wir haben bei dem anderen Besuch darüber gesprochen, als wir uns getroffen haben, und ich habe mich klar ausgedrückt, als er in den Vatikan kam. Ich habe ihm meine Meinung dazu gesagt, klar und deutlich: Mit dem Leben spielt man nicht, weder am Anfang noch am Ende, man spielt damit nicht. Und das ist nicht meine Meinung, sondern Schutz des Lebens! Denn dann landet man bei dieser Politik des Nicht-Schmerzes, bei einer humanistischen Euthanasie ... Dazu möchte ich die Einladung wiederholen, ein Buch zu lesen: es ist von 1907, ein Roman, er heißt „Der Herr der Welt“, The Lord of the World oder The Lord of the Earth, er hat die zwei Titel. Der Autor ist Benson, ein Schriftsteller von Zukunftsromanen: Er zeigt, wie die Dinge am Ende sein werden. Alles ist ... Man nimmt die Unterschiede weg, alle; und man nimmt die Schmerzen weg, alle; und die Euthanasie ist eines dieser Dinge: der süße Tod; und die Selektion vor der Geburt ... Es zeigt uns, wie dieser Mann die aktuellen Konflikte vorausgesehen hat. Heute müssen wir uns vor ideologischen Kolonisierungen hüten, die sich gegen das menschliche Leben richten. Heute wird zum Beispiel das Leben der Großeltern beseitigt, während doch der menschliche Reichtum durch den Dialog der Enkel mit den Großeltern weitergegeben wird. Sie werden beseitigt, sie sind alt, sie sind nicht mehr von Nutzen. Mit dem Leben spielt man nicht. Diesmal habe ich nicht mit dem Präsidenten darüber gesprochen, aber beim letzten Mal, als er kam, habe ich meine Meinung gesagt: Mit dem Leben spielt man nicht. Ob es das Gesetz ist, ein Kind im Mutterleib nicht wachsen zu lassen, oder das Gesetz der Euthanasie bei Krankheit oder im Alter. Und ich sage nicht, dass das eine Sache des Glaubens ist, nein, es ist eine menschliche, menschliche Sache. Es ist eine hässliche Form des Mitgefühls. Heute ist die Wissenschaft in der Lage, einige schmerzhafte Krankheiten weniger schmerzhaft zu machen und man begleitet sie mit vielen Medikamenten. Aber mit dem Leben spielt man nicht. Mit dem Leben spielt man nicht.

Matteo Bruni

Danke, Eure Heiligkeit. Die dritte Frage kommt von Javier Martínez-Brocal von ABC.

Javier Martínez-Brocal von ABC

Heiliger Vater, ich danke Ihnen für die Beantwortung unserer Fragen, ich danke Ihnen für diese Zeit, ich danke Ihnen für diese Reise, die sehr intensiv und sehr inhaltsreich war. Bis zum Schluss haben Sie auch über die Ukraine gesprochen, über die Situation in der Ukraine. Kardinal Zuppi ist gerade aus Peking zurückgekehrt. Gibt es Fortschritte bei dieser Mission, zumindest was die humanitäre Frage der Rückkehr der Kinder betrifft? Dann aber eine etwas harte Frage: Wie empfinden Sie persönlich die Tatsache, dass diese Mission bisher nicht zu konkreten Ergebnisse geführt hat? Sie haben in einer Audienz von Frustration gesprochen: Empfinden Sie Frustration? Danke.

Papst Franziskus

Das stimmt, eine gewisse Frustration ist zu spüren, denn das Staatssekretariat tut alles, um dabei zu helfen. Auch die Mission Zuppi hat dorthin geführt ... Es gibt etwas mit den Kindern, das gut läuft. Aber dieser Krieg – ich habe den Eindruck, dass er auch ein wenig beeinflusst wird, nicht nur durch das russisch-ukrainische Problem, sondern auch durch den Waffenhandel, verstehen Sie? Jemand sagte mir vor ein paar Monaten, dass die profitabelsten Investitionen heute die Waffenfabriken sind, die Fabriken des Todes. Das ukrainische Volk ist ein Märtyrervolk mit einer sehr leidvollen Geschichte, einer Geschichte, die einem weh tut. Es ist nicht das erste Mal: zu Stalins Zeiten hat es sehr, sehr, sehr gelitten. Es ist ein Märtyrervolk. Aber wir dürfen nicht mit dem Märtyrertum dieses Volkes spielen, wir müssen helfen, die Dinge auf die bestmögliche Weise zu lösen: auf die realistischste und die möglichste. In Kriegen ist das Realistische das Mögliche. Machen wir uns keine Illusionen, dass die beiden Kriegführenden morgen gemeinsam essen gehen werden. Aber wir wollen so weit wie möglich kommen. Demütig, aber das Mögliche tun. Jetzt habe ich gesehen, dass einige Länder einen Rückzieher machen, dass sie keine Waffen geben: Es beginnt der Prozess, bei dem der Märtyrer gewiss das ukrainische Volk sein wird. Und das ist eine schlimme Sache.

Bevor ich abschließe, möchte ich noch einmal auf das erste Thema zurückkommen: die Reise. Marseille ist eine Zivilisation mit vielen Kulturen, vielen Kulturen. Es ist ein Hafen der Migranten. Einst waren es Migranten nach Cayenne, von dort brachen die Verurteilten auf, sie kamen ins Gefängnis nach Cayenne. Der Erzbischof hat mir Manon Lescaut geschenkt, um mich an diese Geschichte zu erinnern. Marseille ist eine Kultur der Begegnung. Wie gestern bei dem Treffen mit den Vertretern verschiedener Religionen: Muslime, Juden, Christen leben zusammen. Man lebt zusammen. Es ist eine Kultur der Hilfe. Marseille ist ein kreatives Mosaik, es ist diese Kultur der Kreativität. Es ist ein Hafen, der eine Botschaft in Europa ist. Marseille nimmt auf. Marseille nimmt auf und respektiert und schafft eine Synthese, ohne die Identität irgendeines Volkes zu verleugnen. Wir müssen diese Frage für die anderen Orte neu überdenken: die Fähigkeit, dies zu tun.

Um noch einmal auf die Migranten zurückzukommen: Es gibt fünf Länder, die unter der Ankunft so vieler Migranten leiden, aber in einigen dieser Länder gibt es leere Dörfer! Ich denke an einen konkreten Fall, den ich kenne: Es gibt ein kleines Dorf, in dem weniger als zwanzig ältere Menschen leben und sonst ist dort nichts! Bitte, diese Dörfer mögen sich um Integration bemühen. Wir brauchen Arbeitskräfte, Europa braucht sie! Gut begleitete Migrationen sind ein Reichtum, sie sind ein Reichtum. Denken wir ein wenig über diese Migrationspolitik nach, damit sie fruchtbarer wird und uns sehr hilft.

Nun, da die Reise kurz ist, kommt das Abendessen und auch die Feier von Rinos Geburtstag und der Abschied dieses Kollegen. Schließen wir hier ab. Vielen Dank! Vielen Dank für Ihre Arbeit und für Ihre Fragen. Und weiter geht’s, bis zum nächsten Flug.



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