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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 11. Mai 1983

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1. „Jesus sagte zu seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter!“ (Joh 19, 26 f.)

In diesem Heiligen Jahr wenden wir uns mit noch mehr Andacht an Maria, denn es war ein ganz besonderes Zeichen der Versöhnung der Menschheit mit Gott, als er ihr auf dem Kalvarienberg die Aufgabe übertrug, Mutter aller Erlösten zu sein.

Die Situation, in der diese Mutterschaft Mariens verkündet wurde, kennzeichnet die Bedeutung, die der Erlöser dem Ereignis beimaß. Genau in dem Augenblick, als Jesus seinen Opfertod erlitt, sprach er zu seiner Mutter jene entscheidenden Worte: „Frau, siehe, dein Sohn“, und zum Jünger: „Siehe, deine Mutter“ (Joh 19, 26–27). Und der Evangelist fügte hinzu, dass Jesus, als er diese Worte sprach, wusste, dass nun alles vollbracht war. Seine Mutter war das Geschenk des Abschieds, das er als Frucht seines Opfers der Menschheit gewährte.

Es handelt sich also um eine Geste, die das Erlösungswerk krönen soll. Mit der Bitte an Maria, seinen Lieblingsjünger wie ihren Sohn zu behandeln, fordert Jesus sie auf, das Opfer seines Todes anzunehmen und als Lohn für diese Annahme eine neue Mutterschaft zu akzeptieren. Als Retter der ganzen Menschheit will er der Mutterschaft Mariens die größte Ausweitung verleihen. Er wählt darum Johannes als Symbol aller von ihm geliebten Jünger und gibt zu verstehen, dass das Geschenk – seine Mutter – das Zeichen einer besonderen Ausrichtung seiner Liebe ist, mit der er alle umfängt, die er als Jünger gewinnen will, das heißt alle Christen und alle Menschen. Darüber hinaus bekundet Jesus damit, dass er dieser Mutterschaft eine individuelle Form gibt, den Willen, Maria nicht einfach zur Mutter der Gesamtheit seiner Jünger zu machen, sondern zur Mutter jedes Einzelnen von ihnen, so als wäre er ihr Sohn, der die Stelle ihres einzigen wirklichen Sohnes einnimmt.

2. Diese universale geistige Mutterschaft war die letzte Konsequenz der Mitwirkung Mariens am Werk ihres göttlichen Sohnes, einer Mitwirkung, die mit der bangen Freude der Verkündigung ihren Anfang nahm und sich weiter entfaltete bis zum unermesslichen Schmerz auf dem Kalvarienberg. Dies hat das Zweite Vatikanische Konzil unterstrichen, als es die Rolle aufzeigte, zu der Maria in der Kirche bestimmt war: „Indem sie Christus empfing, gebar und nährte, im Tempel dem Vater darstellte und mit ihrem am Kreuz sterbenden Sohn litt, hat sie beim Werk des Erlösers in durchaus einzigartiger Weise in Gehorsam, Glaube, Hoffnung und brennender Liebe mitgewirkt zur Wiederherstellung des übernatürlichen Lebens der Seelen. Deshalb ist sie uns in der Ordnung der Gnade Mutter“ (Lumen gentium, Nr. 61).

Die Mutterschaft Mariens in der Gnadenordnung „dauert unaufhörlich fort“ bis zum Ende der Welt, versichert das Konzil und unterstreicht insbesondere die Hilfe, die vonseiten der Jungfrau den Brüdern ihres Sohnes in den Gefahren und Bedrängnissen zuteil wird (vgl. ebd., Nr. 62). Die Mittlerschaft Mariens stellt eine einzigartige Teilnahme an der einzigen Mittlerschaft Christi dar, welcher dadurch freilich nicht im Geringsten Abbruch getan wird, die vielmehr als zentrales Ereignis im gesamten Heilswerk bestehen bleibt.

Die Verehrung der Gottesmutter steht darum auch nicht im Widerspruch zur Verehrung ihres Sohnes. Ja, man kann sagen: Jesus hat, als er seinen Lieblingsjünger bat, Maria als seine Mutter anzunehmen, die Marienverehrung begründet. Johannes kam mit Eifer dem Willen des Meisters nach: Von da an nahm er Maria in sein Haus und erwies ihr eine Sohnesehre, die ihrer mütterlichen Liebe entsprach, und schuf auf diese Weise eine Beziehung geistlicher Innigkeit, die die Beziehung zum Meister vertiefen half, dessen unverkennbare Züge er im Antlitz der Mutter wiederfand. Von Kalvaria hat somit die Bewegung der Marienverehrung ihren Ausgang genommen, die in der Folge in der christlichen Gemeinschaft unaufhörlich zunahm.

3. Die Worte, die Christus vom Kreuz herab an seine Mutter und den Lieblingsjünger richtete, haben der religiösen Lage der Menschen eine neue Dimension verliehen. Die Anwesenheit einer Mutter im Leben der Gnade ist Quelle des Trostes und der Freude. Im mütterlichen Antlitz Mariens erkennen die Christen einen ganz besonderen Ausdruck der erbarmenden Liebe Gottes, der mittels der Gegenwart einer Mutter seine väterliche Sorge und Güte besser begreiflich macht. Maria erscheint als diejenige, die die Sünder an sich zieht und ihnen mit ihrem Wohlwollen und ihrer Nachsicht das Versöhnungsangebot Gottes offenbart.

Die Mutterschaft Mariens gilt nicht nur den Einzelnen. Sie besitzt einen Wert für die Gemeinschaft, der im Titel „Mutter der Kirche“ zum Ausdruck kommt. Denn auf dem Kalvarienberg schloss sie sich dem Opfer des Sohnes an, das auf das Entstehen der Kirche hinzielte; ihr Mutterherz teilte bis zum Äußersten den Wunsch und Willen Christi, „die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln“ (Joh 11, 52). Da sie für die Kirche gelitten hatte, verdiente es Maria, die Mutter aller Jünger ihres Sohnes, die Mutter ihrer Einheit zu werden. Deshalb stellt das Konzil fest, dass „die katholische Kirche, vom Heiligen Geist belehrt, sie in kindlicher Liebe als geliebte Mutter verehrt“ (Lumen gentium, Nr. 53).

Die Kirche sieht in ihr eine Mutter, die über ihre Entwicklung wacht und unaufhörlich bei ihrem Sohn Fürbitte einlegt, um für die Christen eine tiefere Bereitschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe zu erlangen. Maria bemüht sich, die Einheit der Christen nach Kräften zu fördern, denn eine Mutter scheut keine Mühe, die Eintracht zwischen ihren Kindern zu bewahren. Es gibt kein größeres, kein brennenderes Herz für die Ökumene als das Herz Mariens.

Zu dieser vollkommenen Mutter fleht die Kirche in all ihren Nöten; ihr vertraut sie ihre Pläne an, weil sie weiß, dass sie mit ihren Bitten und ihrer Liebe zu Maria dem Wunsch des Erlösers am Kreuz entspricht, und sie weiß, dass ihre Bitten nicht enttäuscht werden.

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Liebe Brüder und Schwestern!

Euch allen ein herzliches Willkommen zur heutigen Audienz. Ich grüße euch aus Deutschland, Österreich, aus der Schweiz und den Niederlanden. Einen besonderen Willkommensgruß richte ich an die große Romwallfahrt der Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, an die Mitglieder des Rundfunkrates im Bayerischen Rundfunk zusammen mit der Agrippina-Gruppe aus Köln sowie an die wiederum zahlreichen Jugendlichen. Die Feier des Heiligen Jahres richtet unseren Blick auf Maria, die Mutter des Erlösers, die unter dem Kreuz die Mutter aller Erlösten geworden ist. Stellvertretend für alle Menschen empfiehlt Christus ihr auf Golgota seinen Lieblingsjünger Johannes: „Frau, dies ist dein Sohn … Dies ist deine Mutter“ (Joh 19, 26–27). Wie Maria auf das Engste beim Erlösungswerk Christi mitgewirkt hat, soll auch ihre Mutterschaft ohne Unterbrechung fortdauern und alle Menschen umfassen. Ihre mütterliche Liebe und Sorge richtet sich auf jeden Einzelnen ganz persönlich. Zugleich ist sie auch in besonderer Weise die Mutter der ganzen Kirche. Sie führt uns den Weg zu Christus, dem einzigen Vermittler des Heils.

In diesem Jubiläumsjahr der Erlösung empfehle ich euch alle ihrem besonderen mütterlichen Schutz und erteile euch von Herzen meinen Apostolischen Segen.

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An die Polen aus Krakow, Chicago und Kanada

Am Hochfest des hl. Stanislaus, des Bischofs von Krakau, Märtyrers und Schutzpatrons Polens, möchte ich die Worte in Erinnerung rufen, die ich während meiner ersten Pilgerreise in meine Heimat auf der großen Wiese in Krakau (Błonia Krakowskie) gesprochen habe:

„Ich bitte euch …, nehmt noch einmal das ganze geistige Erbe an, das ‚Polen‘ heißt, nehmt es an im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe – wie es uns Christus in der heiligen Taufe eingepflanzt hat.

Ich bitte euch:

– zieht dieses Erbe niemals in Zweifel, werdet seiner nicht leid und nicht überdrüssig;

– reißt euch nicht selbst los von den Wurzeln, aus denen wir hervorwachsen;

– habt bei all eurer Schwachheit Vertrauen;

– sucht die geistige Kraft immer bei dem, bei welchem so viele Generationen unserer Väter und Mütter sie fanden;

– verlasst es niemals;

– verliert niemals jene Freiheit des Geistes, zu der er den Menschen befreit;

– verachtet nie die Liebe, die die größte ist, sich am Kreuz ausdrückt und ohne die das menschliche Leben weder Wurzeln noch Sinn hat.“

Diese Worte habe ich am neunhundertsten Jahrestag des Martyriums des hl. Stanislaus gesprochen.

Heute senke ich sie Dir ins Herz, Herrin von Jasna Góra, und bitte Dich, diese Worte in den Herzen meiner Landsleute zu bewahren.