JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 29. Februar 1984
1. "Wir bitten an Christi Statt: Laßt euch mit Gott versöhnen!" (2 Kor 5,20). Bei unserem gemeinsamen Gebet am vergangenen Mittwoch haben wir über die Bedeutung und auch den menschlichen Wert der Vergebung nachgedacht, wie sie von der Kirche durch den Priester als Spender des Bußsakraments angeboten wird.
Heute und in den kommenden Wochen möchte ich die Betrachtung der Akte näher erläutern, zu denen wir aufgerufen sind, wenn wir das Sakrament der Vergebung empfangen. Es handelt sich um sehr einfache Akte, um recht geläufige Worte, hinter denen sich jedoch die ganze Fülle der Gegenwart Gottes verbirgt und die von uns die Bereitschaft fordern, uns entsprechend der Pädagogik Christi formen zu lassen, die von der mütterlichen Weisheit der Kirche weitergeführt und angewandt wird.
2. Wenn wir Gläubige unsere Häuser und unser Alltagsleben verlassen und uns auf den Weg machen, um das Erbarmen des Herrn zu empfangen, der uns im Sakrament der Versöhnung von unserer Schuld befreit — welche Überzeugungen und Gefühle sollten wir dann in unserem Herzen hegen?
Zunächst müssen wir uns gewiss sein, dass wir damit bereits eine Antwort geben. Oberflächlich betrachtet mag diese Bemerkung seltsam erscheinen. Man mag sich fragen: Sind nicht wir, nur wir, diejenigen, die die Initiative ergreifen, um die Vergebung der Sünden zu erbitten? Sind nicht wir, nur wir, diejenigen, die die Last unserer Schuld und die Widersprüche unseres Lebens wahrnehmen? Sind nicht wir, und nur wir, diejenigen, die über die Beleidigung der Liebe Gottes Rechenschaft geben und sich daher entschließen, sich seiner Barmherzigkeit zu öffnen?
Gewiss, unsere Freiheit ist auch erforderlich. Gott zwingt seine Vergebung dem, der sie ablehnt, nicht auf. Und doch hat diese Freiheit tiefere Wurzeln und höhere Ziele, als unser Bewusstsein zu begreifen vermag.
Gott, der in Christus das lebendige und höchste Erbarmen ist, kommt uns zuvor, wenn wir ihn um Versöhnung bitten. Er wartet auf uns. Wir würden uns nicht von unserer Sünde lossagen, hätte Gott uns nicht bereits seine Vergebung angeboten. "Ja, Gott war es", sagt der hl. Paulus, "der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat" (2 Kor 5,19). Mehr noch: Wir würden uns nicht dazu entschließen, uns der Vergebung zu öffnen, hätte Gott nicht durch den Geist, den Christus uns geschenkt hat, in uns Sündern bereits einen ersten Anstoß zur Änderung unseres Lebens bewirkt, wie es gerade das Verlangen und der Wille zur Umkehr ist. "Wir bitten an Christi Statt", fügt der hl. Paulus hinzu, "lasst euch mit Gott versöhnen!" (2 Kor 5,20). Dem Anschein nach sind wir es, die die ersten Schritte tun; in Wirklichkeit steht am Beginn der Erneuerung unseres Lebens der Herr, der uns erleuchtet und anspornt. Er ist es, dem wir folgen, seiner Initiative gleichen wir uns an. Dankbarkeit muss unser Herz erfüllen, noch ehe wir durch die Absolution der Kirche von unserer Schuld befreit werden.
3. Eine zweite Gewissheit muss uns erfüllen, wenn wir zur Beichte gehen. Wir werden dazu angeregt, eine Vergebung anzunehmen, die sich nicht auf ein Vergessen des Vergangenen beschränkt, als würde ein vergänglicher Schleier darüber gebreitet; wir werden vielmehr zur radikalen Änderung von Geist, Herz und Haltung aufgefordert, sodass wir durch Christus "Gerechtigkeit Gottes" werden (2 Kor 5,21).
Gott ist in der Tat ein überaus liebenswürdiger, aber auch sehr anspruchsvoller Freund. Wenn man ihm begegnet, darf man nicht mehr so weiterleben, als wäre man ihm nicht begegnet. Er verlangt, dass wir ihm folgen, und zwar nicht auf den Wegen, die zu gehen wir festgelegt haben, sondern auf jenen, die er für uns bestimmt hat. Wir geben ihm etwas von unserer Existenz und werden nach und nach gewahr, dass er sie ganz von uns fordert.
Eine Religion, die nur Trost spendet, ist ein Märchen, das nur jene glauben, die die Gemeinschaft mit Gott noch nicht erfahren haben. Diese Gemeinschaft bietet ebenfalls tiefste Genugtuung, doch nur innerhalb eines unaufhörlichen Bemühens um Umkehr.
4. Insbesondere – und das ist ein dritter Aspekt für den Empfang des Bußsakramentes – fordert uns Jesus auf, unsererseits bereitwillig den Mitmenschen zu verzeihen, wenn wir seine Verzeihung erhalten wollen.
Der in manchen christlichen Überlieferungen vorhandene Brauch, mit den umstehenden Gläubigen ein Zeichen des Friedens zu tauschen, ehe man zum Sakrament der Barmherzigkeit Gottes hinzutritt, versinnbildlicht das Gebot des Evangeliums in einer Geste: "Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer himmlischer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben" (Mt 6,14–15).
Diese Aussage erhält ihre ganze Bedeutung, wenn man bedenkt, dass auch die geheimste und persönlichste Sünde immer eine der Kirche zugefügte Wunde ist (vgl. Lumen gentium, Nr. 11), und wenn man ferner bedenkt, dass die Gewährung der Vergebung Gottes, auch wenn sie in besonderer und unübertragbarer Weise ein Akt des Spenders des Bußsakramentes, nämlich des Priesters, ist, immer im Rahmen einer Gemeinschaft erfolgt; diese hilft dem Sünder, steht ihm bei und nimmt ihn wieder auf mit ihrem Gebet, mit der Vereinigung mit dem Leiden Christi und mit dem Geist der Brüderlichkeit, der aus dem Tod und der Auferstehung Jesu hervorgeht (vgl. Lumen gentium, Nr. 11).
Hören wir also, liebe Brüder und Schwestern, auf die Einladung des Apostels Paulus, als würde Gott selbst uns auffordern: "Lassen wir uns mit Gott versöhnen!"
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Liebe Brüder und Schwestern!
Im Jubiläumsjahr der Erlösung hören wir neu die mahnenden Worte des hl. Paulus: „Wir bitten an Christi Statt: Lasst euch mit Gott versöhnen!“ (2 Kor 5,20). Diese Versöhnung mit Gott geschieht vor allem im Sakrament der Buße. Ihm gilt deshalb in diesen Wochen unsere besondere Aufmerksamkeit. Wenn wir zu diesem Sakrament der Versöhnung hinzutreten, so müssen wir wissen, dass es stets Gott selber ist, der uns ruft und erwartet. Es ist schon seine Gnade, die uns den Wunsch und Willen zur Umkehr eingibt. Seine Vergebung löscht nicht nur unsere begangenen Sünden aus, sondern ruft uns auf zu einem tiefgreifenden Wandel in unserem Denken und Tun. Gott verlangt, dass wir fortan Christus folgen auf dem Weg, den er uns gelehrt hat. Die wichtigste Forderung ist, dass auch wir bereit sind, unseren Brüdern zu verzeihen, so wie Gott uns in seiner Barmherzigkeit immer wieder verzeiht.
Ich erbitte euch allen: aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol als Gnade eurer Jubiläumswallfahrt die versöhnende Liebe Gottes durch einen würdigen Empfang des Bußsakramentes und erteile euch von Herzen meinen Apostolischen Segen.
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Am kommenden Sonntag, dem 4. März, jährt sich zum 500. Mal der Todestag des hl. Kasimir, des Patrons von Litauen.
Kasimir, Sohn des Königs von Polen und Großherzog von Litauen, hat nur 26 Jahre gelebt, gelangte aber in kurzer Zeit zur Vollkommenheit. Von Wilna aus, wo sein Grab gehegt und verehrt wird, hat sich die Verehrung des hl. Kasimir in den Ländern Mittel- und Osteuropas weit verbreitet.
Um auf würdige Weise des Jubiläums zu gedenken und die tiefe Solidarität in der Einheit des Glaubens und der Liebe der Kirche Roms mit der Kirche in Litauen zu bekunden, werde ich am kommenden Sonntag in der Peterskirche in Konzelebration mit Vertretern der europäischen Bischofskonferenzen einen feierlichen Gottesdienst halten.
Ich lade alle ein, zu Gott zu beten für das katholische Volk Litauens, damit es ausharrt in der Treue zum geistlichen Erbe, das ihm der hl. Kasimir hinterlassen hat.
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