JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 21.März 1984
1. „Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht; er vergibt uns die Sünden“ (1 Joh 1,9). Wir wollen noch einmal die tröstliche Aussage des hl. Johannes hören.
Bei den Mittwochsaudienzen der letzten Wochen haben wir die tiefe Bedeutung der Gesten neu zu entdecken versucht, die der reumütig Beichtende vollzieht, wenn er das Sakrament der Versöhnung empfängt; wir haben vor allem die Bedeutung dieser Begegnung durch Vermittlung der Kirche in der Person des Priesters neu entdeckt sowie die Bedeutung der Tatsache, dass der reuige Mensch Gottes Vergebung empfangen möchte; die Bedeutung endlich der Gewissenserforschung und der Genugtuung.
Heute will ich mit euch über einen für das Sakrament erforderlichen Akt nachdenken, der den Gläubigen, die nicht auf die Dynamik des Sakraments selbst und auf die wahren Bedürfnisse des menschlichen Herzens achten, sehr oft Schwierigkeiten bereitet: Ich meine das Sündenbekenntnis. Und ich spreche ausdrücklich von persönlichem Bekenntnis – wie ich auch auf die persönliche Lossprechung von der Schuld drängen werde, denn nach katholischer Lehre bleibt die Einzelbeichte die einzig normale Form der sakramentalen Buße.
Die diesbezügliche Lehre der Kirche ist bekannt. Vor allem, wenn es sich um Todsünden handelt, ist für die Absolution erforderlich, dass der Priester die Art und Zahl der Sünden eindeutig versteht und bewertet und zugleich feststellt, ob ehrliche Reue vorliegt.
2. Man könnte psychologische und anthropologische Gründe als Antwort anführen, die schon – jenseits jeder oberflächlichen Analyse – so etwas wie ein Bedürfnis des Sünders erkennen ließen, sich auszusprechen: sich jemandem gegenüber auszusprechen, der aufmerksam und vertrauensvoll zuhört, damit der Sünder sich über sich selbst klar wird und sich gewissermaßen erleichtert und von der Last seiner Schuld befreit fühlt.
Doch die menschliche Perspektive erfasst nicht die Wurzel der Bekehrung, vor allem gewährt sie nicht neues Leben, wie es das Sakrament schenkt. Hier gewinnt also das Sündenbekenntnis im Bußsakrament seinen wahren Sinn und seinen echten Wert, weil der Mensch aufgerufen ist, sich voll und ganz als Mensch zu entdecken, der Gott verraten hat und seines Erbarmens bedarf.
Es muss ausdrücklich betont werden, dass das Sündenbekenntnis nicht nur ein Augenblick angeblicher psychologischer Selbstbefreiung oder eine menschliche Notwendigkeit ist, sich als Sünder zu offenbaren. Das Sündenbekenntnis ist vor allem eine Geste, die irgendwie in den liturgischen und sakramentalen Rahmen der Buße gehört und deren Eigenart, Würde und Wirksamkeit teilt.
Der gläubige Sünder stellt sich innerhalb der christlichen Gemeinschaft dem Diener der Versöhnung, der in ganz besonderer Weise „im Namen“ und „in der Person“ Jesu handelt, und bekennt seine Schuld, damit sie ihm vergeben und er wieder in die Gemeinschaft der Gnade aufgenommen wird.
Der „Gerichtscharakter“, der diesem Vorgang eigen ist, darf nicht nach den Kategorien der Ausübung menschlicher Gerichtsbarkeit verstanden werden. Der Priester, der die Beichte abnimmt, muss innerhalb der Kirche die „Gerechtigkeit Gottes aus dem Glauben an Jesus Christus, offenbart für alle, die glauben“ (Röm 3,22), zum Ausdruck bringen: eine Gerechtigkeit, die nicht verurteilt – ausgenommen jene, die sich nicht retten lassen –; an sich aber ist sie Vergebung und Erbarmen.
3. Im Licht dieser Grundauffassung versteht man, dass das Schuldbekenntnis ein Sichklarwerden des Sünders über sich selbst vor dem ihm vergebenden Gott ist.
Denn wegen einer grundlegenden Entscheidung, die er gegen Gott getroffen hat, erkennt sich der Sünder als fremd und feindlich gegenüber Gott. Aber diese Entscheidung versteht sich nicht als ein Akt geschichtsloser Freiheit; sie nimmt vielmehr in ganz bestimmten Verhaltensweisen, eben in den einzelnen Sünden, konkrete Gestalt an. Von dem her, was er getan hat, gelingt es dem Sünder, wirklich zu begreifen, wer er ist: Er erkennt sich gleichsam auf dem Weg der Induktion.
Und eine solche Aufzählung der Sünden geschieht nicht ichbezogen und verzweifelt: Sie erfolgt vielmehr in der Form eines religiösen Dialogs, in dem die Motive zur Geltung kommen, derentwegen Gott in Christus uns eigentlich nicht annehmen sollte – deswegen bekennt man also die begangenen Sünden –, aber zugleich in der Gewissheit, dass er uns annimmt und uns durch sein Wohlwollen und seine Macht erneuert. So erkennt sich der Sünder nicht nur gleichsam auf dem Weg der Induktion, sondern sozusagen im Widerschein: Er sieht sich so, wie Gott selbst ihn in Jesus annimmt und zu einer „neuen Schöpfung“ (Gal 6,15) macht. Das göttliche „Gericht“ enthüllt sich als das, was es ist: als unentgeltliche Vergebung.
So ergießt sich über den reuigen Menschen das Licht Gottes, von dem der hl. Johannes in seinem ersten Brief spricht: „Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm (Gott) haben, und doch in der Finsternis leben, lügen wir und tun nicht die Wahrheit … Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er (Gott) treu und gerecht; er vergibt uns die Sünden und reinigt uns von allem Unrecht“ (1 Joh 1,6.9).
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Liebe Brüder und Schwestern!
„Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist Gott treu und gütig; er vergibt uns die Sünden“ (1 Joh 1,9). Mit diesen trostreichen Worten lädt uns der hl. Johannes ein, zum Sakrament der Versöhnung hinzuzutreten. Die individuelle Beichte ist die gewöhnliche Form des Bußsakraments. Sie fordert das persönliche Sündenbekenntnis. Nach der Lehre der Kirche sollen vor allem die schweren Sünden nach ihrer Art und Zahl genau genannt werden. Das Sich-Aussprechen im Bekennen der begangenen Sünden ist nicht nur von psychologischer Bedeutung, sondern ist ein wesentlicher Bestandteil der Beichte selbst. Der Mensch beurteilt sein Tun im Licht der Gerechtigkeit Gottes und bekennt sich vor ihm als das, was er ist: ein Sünder, der des göttlichen Erbarmens bedarf. Nur einem solchen Bekennenden kann dann der Priester „die Gerechtigkeit Gottes aus dem Glauben an Jesus Christus“ (Röm 3,22) zusprechen, indem er ihm in der Vollmacht Christi die Sünden vergibt.
Mit dieser kurzen Betrachtung über das Bußsakrament grüße ich alle hier anwesenden Pilger aus den Ländern deutscher Sprache, die genannten Gruppen, Familien und Einzelbesucher, besonders die große Pilgergruppe aus der Erzdiözese Salzburg.
Mit großer Freude grüße ich heute vor allem die Jubiläumswallfahrt von Priestern, Ordensleuten und Gläubigen aus der Deutschen Demokratischen Republik unter der Leitung des verehrten Herrn Kardinal Meisner.
Eure Pilgerfahrt zu den Gräbern der Apostel bestärke in euch das frohe Bewusstsein, zur weltumspannenden Kirche Jesu Christi zu gehören. Ihr seid seine Zeugen in eurem Land, in euren Familien und Gemeinden. Ahmt die ersten Christen nach in ihrem mutigen Bekenntnis zu Christus, in dem allein den Menschen Heil und letzte Erfüllung verheißen sind. Er selbst wird eure Treue mit seiner Gnade reich belohnen.
Von Herzen erteile ich euch und allen Pilgern für stetes Wachsen in der Liebe und Erkenntnis Jesu Christi, unseres Erlösers, meinen besonderen Apostolischen Segen.
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