![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 7. November 1984
1. Wir setzen die Analyse der Tugend der Enthaltsamkeit im Lichte der in der Enzyklika Humanae vitae enthaltenen Lehre fort. Es sei daran erinnert, dass die großen vorchristlichen wie christlichen Klassiker des ethischen (und anthropologischen) Denkens in der Tugend der Enthaltsamkeit nicht nur die Fähigkeit sehen, die körperlichen und sinnlichen Reaktionen zu beherrschen, sondern mehr noch die Fähigkeit, die gesamte sinnlich-emotionale Sphäre des Menschen zu kontrollieren und zu leiten. In unserem Fall handelt es sich um die Fähigkeit, sowohl die Erregung auf ihre einwandfreie Entwicklung hinzulenken als auch die Emotion selbst zu steuern und ihren „reinen“ und gewissermaßen „uneigennützigen“ Charakter zu vertiefen und innerlich zu bereichern.
2. Diese Unterscheidung zwischen Erregung und Emotion meint keinen Gegensatz. Sie bedeutet nur, dass der eheliche Akt als Wirkung der Erregung nicht gleichzeitig mit der Erregung der anderen Person verbunden ist. Sicher ist das der Fall – jedenfalls sollte es nicht anders sein. Beim ehelichen Akt müsste die Vereinigung mit einer besonderen Vertiefung der Emotion, ja mit der Ergriffenheit des anderen Partners verbunden sein. Das ist auch im Epheserbrief in Form einer an die Eheleute gerichteten Ermahnung gesagt: „Einer ordne sich dem andern unter in der gemeinsamen Ehrfurcht vor Christus“ (Eph 5,21).
Die in dieser Analyse festgestellte Unterscheidung zwischen „Erregung“ und „Emotion“ beweist nur den subjektiven Reichtum des menschlichen Ichs an Reaktions- und Emotionsfähigkeit; dieser Reichtum schließt jede einseitige Beschränkung aus und ermöglicht es, dass die Tugend der Enthaltsamkeit als Fähigkeit verwirklicht werden kann, die Äußerung sowohl der Erregung als auch der Emotion, die vom gegenseitigen Reaktionsvermögen von Mann und Frau geweckt werden, zu lenken.
3. So verstanden, spielt die Tugend der Enthaltsamkeit eine entscheidende Rolle für die Aufrechterhaltung des inneren Gleichgewichts zwischen den beiden Bedeutungen des ehelichen Aktes – liebende Vereinigung und Zeugung neuen Lebens – (vgl. Humanae vitae, Nr. 12) im Hinblick auf eine wirklich verantwortliche Elternschaft.
Die Enzyklika Humanae vitae widmet dem biologischen Aspekt des Problems, das heißt dem zyklischen Charakter der menschlichen Fruchtbarkeit, gebührende Aufmerksamkeit. Auch wenn dieser zyklische Charakter im Lichte der Enzyklika ein providentielles Zeichen für eine verantwortliche Elternschaft genannt werden kann, so lässt sich doch ein Problem wie dieses angesichts seiner so tief personalen und sakramentalen, theologischen Bedeutung nicht allein auf dieser Ebene lösen.
„Deshalb fordert die Liebe von den Ehegatten, dass sie ihre Aufgabe verantwortlicher Elternschaft richtig erkennen“, lehrt die Enzyklika und gibt darum nicht nur Antwort auf die konkrete Frage, die sich im Rahmen der Ethik des Ehelebens stellt, sondern entwirft – wie bereits gesagt wurde – darüber hinaus das Bild eines christlichen Eheverständnisses, das wir wenigstens kurz umreißen wollen.
4. Die richtige Art und Weise, die periodische Enthaltsamkeit als Tugend (das heißt nach Humanae vitae, Nr. 21, als Selbstbeherrschung) zu verstehen und zu üben, bestimmt auch ganz wesentlich die Natürlichkeit der Methode, die auch als „natürliche Methode“ bezeichnet wird: Das ist Natürlichkeit auf der Ebene der Person. Man darf also nicht an eine mechanische Anwendung biologischer Gesetze denken. Das Wissen um die Zyklen der Fruchtbarkeit – so unerlässlich es ist – schafft noch nicht jene innere Freiheit der Hingabe, die ausdrücklich geistiger Natur ist und von der Reife des inneren Menschen abhängt. Diese Freiheit setzt die Fähigkeit voraus, die sinnlichen und emotionalen Reaktionen zu steuern, sodass sie die Selbsthingabe an das andere Ich aufgrund des reifen Besitzes des eigenen Ichs in seiner körperlichen und emotionalen Subjektivität ermöglichen.
5. Wie sich aus unseren vorangegangenen biblischen und theologischen Analysen ergeben hat, ist der menschliche Leib in seinem Mann- und Frau-Sein aus sich heraus auf die Personengemeinschaft (communio personarum) hingeordnet. Darin besteht seine bräutliche Bedeutung. Gerade diese bräutliche Bedeutung des Leibes ist gewissermaßen an ihrer Wurzel von der Begierlichkeit (besonders von der Fleischeslust im Rahmen der dreifachen Begierde) entstellt worden. Die Tugend der Enthaltsamkeit bringt in ihrer reifen Form allmählich die bräutliche Bedeutung des Leibes rein zur Darstellung.
Auf diese Weise fördert die Enthaltsamkeit die Personengemeinschaft von Mann und Frau, die sich im Bereich der Begierde allein nicht gemäß der vollen Wahrheit ihrer Möglichkeiten zu bilden und zu entfalten vermag. Das eben bekräftigt die Enzyklika Humanae vitae. Diese Wahrheit hat zwei Aspekte: den personalen und den theologischen.
_____________________________
Liebe Brüder und Schwestern!
In unseren wöchentlichen Ausführungen zum christlichen Verständnis der Ehe setzen wir unsere Überlegungen über die Tugend der Mäßigung und Enthaltsamkeit fort. Sie ist nach der Lehre der Ethik nicht nur die Fähigkeit, sich der körperlichen und sinnlichen Reaktionen zu „enthalten“, sondern vielmehr die Fähigkeit, den gesamten sinnlichen und gefühlsmäßigen Bereich des Menschen zu beherrschen und zu lenken.
Die Tugend der Enthaltsamkeit spielt eine wichtige Rolle auch in der Ehe, um das innere Gleichgewicht zwischen liebender Gemeinschaft der Ehepartner und einer verantwortlichen Elternschaft zu wahren. Diesbezüglich erkennt die Enzyklika Humanae vitae dem periodischen Charakter der menschlichen Fruchtbarkeit eine providentielle Bedeutung zu. Dennoch lässt sich das Problem einer verantwortungsbewussten Geburtenregelung nicht durch eine rein mechanische Beobachtung der empfängnisfreien Tage lösen. Periodische Enthaltsamkeit als Tugend muss Ausdruck einer reifen ehelichen Liebe und Spiritualität sein.
Nur wer in dieser inneren sittlichen Reife seine sinnlichen Regungen zu beherrschen vermag, wird innerlich wirklich frei und fähig, sich entsprechend den Umständen in personaler Begegnung an den anderen hinzugeben.
Mit dieser kurzen Betrachtung grüße ich sehr herzlich alle Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache: aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ich empfehle diese Überlegungen nicht nur den Eheleuten unter euch, sondern jedem einzelnen. Denn die Tugend der Selbstbeherrschung und Mäßigung in der Lebensführung ist für jeden die notwendige Voraussetzung für seine innere sittliche Reife als Mensch und besonders als Christ. Ich erbitte euch dazu Gottes Kraft und Beistand und erteile euch von Herzen meinen Apostolischen Segen.
Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana