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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 24. September 1986

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1. Dank der im Rahmen des derzeitigen Zyklus bereits entwickelten Katechesen haben wir einerseits die Analyse der ersten Sünde in der Menschheitsgeschichte, wie sie im 3. Kapitel der Genesis beschrieben wird, und andererseits das umfassende Bild dessen vor Augen, was die göttliche Offenbarung über das Thema der Universalität und des erblichen Charakters der Sünde lehrt. Diese Wahrheit wird vom Lehramt der Kirche ständig, auch in unserer Zeit, neu dargelegt. Verbindlicher Bezugspunkt für uns sind die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils, besonders die Konstitution Gaudium et spes; eigens erwähnt sei auch das Apostolische Schreiben im Anschluss an die Bischofssynode Reconciliatio et paenitentia (1984).

2. Quelle dieser Lehre ist vor allem der Abschnitt des Buches Genesis, wo wir sehen, wie der Mensch unter der Versuchung des Bösen („Sobald ihr davon eßt, … werdet ihr wie Gott und erkennt Gut und Böse“, Gen 3,5) „durch Auflehnung gegen Gott und den Willen, sein Ziel außerhalb Gottes zu erreichen, seine Freiheit missbraucht“ (GS 13). „Da gingen beiden (d. h. dem Mann und der Frau) die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren“ (Gen 3,7). „Und als Gott, der Herr, nach dem Menschen rief und sprach: Wo bist du?, antwortete dieser: … Ich bekam Angst, weil ich nackt bin, und habe mich versteckt“ (Gen 3,9 f.). Eine sehr vielsagende Antwort. Der Mensch, der vorher (im Zustand der Urgerechtigkeit) in der ganzen Wahrheit seines nach dem Abbild Gottes geschaffenen geistig-leiblichen Seins freundschaftlich und vertrauensvoll mit dem Schöpfer verkehrte, hat nun das Fundament jenes Freundschaftsbundes verloren. Er hat die Gnade der Teilhabe am Leben Gottes verloren: das Gut der Zugehörigkeit zu ihm in der Heiligkeit, nämlich des ursprünglichen Verhältnisses von Unterordnung und Kindschaft. Die Sünde hat sich jedoch in der Existenz und im ganzen Verhalten des Mannes und der Frau sogleich bemerkbar gemacht: Scham wegen der Übertretung des Gebotes und des daraus folgenden Zustandes der Sündhaftigkeit und deshalb Angst vor Gott. Offenbarung und psychologische Analyse sind in diesem Bibelabschnitt miteinander verbunden, um den Zustand des Menschen nach dem Sündenfall zum Ausdruck zu bringen.

3. Wir haben gesehen, dass sich aus den Büchern des Alten und des Neuen Testaments noch eine andere Wahrheit ergibt: eine Art „Einbruch“ der Sünde in die Menschheitsgeschichte. Die Sünde ist zum gemeinsamen Schicksal des Menschen, zu seinem Erbe vom „Mutterschoß an“ geworden. „In Sünde hat mich meine Mutter empfangen“, ruft der Psalmist in einem Augenblick der Existenzangst aus, was seine Reue und die Anrufung der göttlichen Barmherzigkeit hervorruft (Ps 51,7). Der hl. Paulus, der sich oft auf diese angstauslösende Erfahrung bezieht, gibt, wie wir in der Katechese der Vorwoche gesehen haben, im Römerbrief eine theoretische Formulierung dieser Wahrheit: „Alle stehen unter der Herrschaft der Sünde“ (Röm 3,9). „Damit jeder Mund verstummt und die ganze Welt vor Gott schuldig wird“ (Röm 3,19). „Wir waren von Natur aus Kinder des Zorns“ (Eph 2,3). Das alles sind Anspielungen auf die sich selbst überlassene menschliche Natur, wenn sie — so kommentieren die Bibelwissenschaftler — ohne die Hilfe der Gnade bleibt; auf die Natur, wie sie von der Sünde der Ureltern herabgewürdigt wurde, und damit auf die Situation aller ihrer Nachkommen und Erben.

4. Die biblischen Texte über die Universalität und den Erbcharakter der Sünde, die der Natur gleichsam „angeboren“ ist, insofern sie jeder Mensch bei der Empfängnis durch die Eltern erhält, führen uns in die unmittelbare Untersuchung der katholischen Lehre über die Erbsünde ein.

Es handelt sich um eine Wahrheit, die in der Lehre der Kirche von Anfang an implizit weitergegeben wurde und durch die XV. Synode von Karthago im Jahr 418 und durch die Synode von Orange 529, hauptsächlich gegen die häretischen Irrtümer des Pelagius, zur formellen Erklärung des kirchlichen Lehramtes geworden ist (vgl. DS 222 f.; 371 f.). In der Folge ist diese Wahrheit dann in der Reformationszeit 1546 auf dem Konzil von Trient feierlich verkündet worden (vgl. DS 1510—1516). Das tridentinische Dekret über die Erbsünde formuliert diese Wahrheit in der präzisen Form, in der sie Gegenstand des Glaubens und der Lehre der Kirche ist. Wir können uns daher auf dieses Dekret beziehen, um daraus die wesentlichen Inhalte des katholischen Dogmas bezüglich dieses Punktes abzuleiten.

5. Unsere Stammeltern (im Dekret heißt es: „Primum hominem Adam“) im irdischen Paradies (und somit im Zustand der ursprünglichen Gerechtigkeit und Vollkommenheit) haben durch Übertretung des Gebotes Gottes schwer gesündigt. Durch ihre Sünde haben sie die heiligmachende Gnade verloren; sie haben also auch die Heiligkeit und Gerechtigkeit, in der sie von Anfang an „begründet“ gewesen waren, verloren, da sie Gottes Zorn auf sich zogen. Die Folge dieser Sünde war der Tod, wie wir ihn erfahren. Hier sei an die Worte des Herrn in Gen 2,17 erinnert: „Vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn wenn du davon isst, wirst du sterben.“ Auf den Sinn dieses Verbots gingen wir bei den vorangegangenen Katechesen ein. Infolge der Sünde gelang es Satan, seine „Herrschaft“ auf den Menschen auszudehnen. Das tridentinische Dekret spricht von „Knechtschaft unter der Herrschaft dessen, der die Macht des Todes besitzt“ (vgl. DS 1511). Das Dasein unter der Herrschaft Satans wird also als „Knechtschaft“ beschrieben.

Auf diesen dramatischen Gesichtspunkt der Anfangszeiten werden wir noch zurückkommen müssen, um die Elemente der „Entfremdung“ zu untersuchen, die die Sünde mit sich gebracht hat. Wir heben indessen hervor, dass das tridentinische Dekret sich auf die „Sünde Adams“ als eigene, persönliche Sünde der Stammeltern bezieht (von den Theologen peccatum originale originans genannt), aber es nicht versäumt, die unheilvollen Konsequenzen zu beschreiben, die sie in der Geschichte des Menschen gehabt hat (das sogenannte peccatum originale originatum). Vor allem gegenüber der Erbsünde in diesem zweiten Sinn meldet die moderne Kultur starke Vorbehalte an. Sie bringt es nicht fertig, dem Gedanken einer ererbten Sünde zuzustimmen, das heißt einer Sünde, die mit der Entscheidung eines „Stammvaters“ und nicht mit der des betroffenen Subjekts zusammenhängt. Sie glaubt, dass eine solche Auffassung im Widerspruch stehe zu der personalistischen Sicht vom Menschen und zu den Forderungen, die aus der vollen Berücksichtigung seiner Subjektivität erwachsen.

Und dennoch kann sich die Lehre der Kirche über die Erbsünde auch für den heutigen Menschen als äußerst wertvoll herausstellen, da es ihm, nachdem er die Gegebenheit des Glaubens in diesem Bereich zurückgewiesen hat, nicht mehr gelingt, sich Rechenschaft zu geben über die geheimnisvollen und beängstigenden Seiten des Bösen, das ihm täglich widerfährt, bis er schließlich zwischen einem oberflächlichen und unverantwortlichen Optimismus und einem radikalen und verzweifelten Pessimismus hin- und herschwankt.

In der nächsten Katechese wollen wir Überlegungen über die Botschaft anstellen, die uns der Glaube über ein für den einzelnen Menschen und für die Menschheit als Ganzes so wichtiges Thema anbietet.

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Liebe Brüder und Schwestern!

Auch euch möchte ich bei dieser kurzen Begegnung einige geistliche Gedanken mit auf den Weg geben und euch an eine Glaubenswahrheit erinnern, die unser Menschenleben – ob wir wollen oder nicht – bis in die Wurzel hinein bestimmt: Ich meine die Erbsünde. Sie wird uns als persönliche, schwere Schuld unserer Ureltern am Anfang der Menschheitsgeschichte im bekannten 3. Kapitel der Genesis offenbart. Im Neuen Testament ist es vor allem der heilige Paulus, der die Erbfolgen dieser Sünde des Anfangs herausstellt: Jeder Mensch wird geboren im Unfrieden mit Gott – das Böse hält sein Denken, Fühlen und Handeln gefangen – er braucht Erlösung – sie wird ihm angeboten in Jesus Christus, dem neuen Adam, in dem sich Gott aufs Neue mit der Schöpfung versöhnt.

Diese Glaubenslehre, die in der Kirche von Anfang an gemeinsam mit der Erlösungsbotschaft verkündet wurde, hat das Konzil von Trient im 16. Jahrhundert ausführlich und im Einzelnen behandelt. Hier finden wir den bleibenden Glaubensmaßstab für die Beurteilung der menschlichen Natur und ihrer Tendenzen zum Guten wie zum Bösen.

Gewiss fällt es dem Menschen, der den personhaften Charakter von Schuld ernst nimmt, nicht leicht, die Wahrheit von der ererbten Sünde zu verstehen und anzuerkennen. Und doch ist diese Wahrheit der Schlüssel zum stets bedrückenden Rätsel der Sünde in ihren vielfältigen, den Einzelnen offensichtlich übersteigenden Formen. Die Kirche versucht dabei, die Mitte einzuhalten zwischen leichtfertigem Optimismus und hoffnungslosem Pessimismus. Diesen christlichen Realismus, der Wachsamkeit vor der Macht des Bösen, zugleich aber auch tatkräftige Mitarbeit bei der Förderung des Guten einschließt, möchte ich euch allen von Herzen wünschen.

Dabei grüße ich heute besonders die Dechanten des Südvikariates in Wien mit Herrn Weihbischof Kuntner. Ein herzliches Wilkommen in der Liebe Christi auch für die Gruppe evangelischer Pfarrer aus der Württembergischen Landeskirche. Einen fruchtbaren Romaufenthalt wünsche ich dann den Schwestern von der Göttlichen Vorsehung, die in ihrer Gemeinschaft mit der Einführung junger Mitschwestern ins Ordensleben betraut sind; reiche Gaben des Heiligen Geistes erbitte ich auch einer Gruppe von Missionsschwestern vom heiligsten Herzen Jesu auf ihrem Erneuerungskurs. Ferner möchte ich die Pilgergruppe der Kölner Kirchenzeitung erwähnen sowie eine Gruppe von Gläubigen aus den Militärpfarren von Westösterreich. Einen besonderen Gruß richte ich schließlich an die Teilnehmer der Laufstafette von Eisenstadt nach Rom, die auf ihre Weise das 25-jährige Bestehen ihrer Diözese feiern wollen. Den genannten Gruppen und allen an deren Besuchern deutscher Sprache wünsche ich für ihren weiteren Lebensweg Gottes steten Schutz und weise Führung.

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„Ich möchte eure Aufmerksamkeit und die aller Zuhörenden auf die äußerst ernste Lage lenken, in der sich ca. zwei Millionen Menschen in der Südregion des Sudans befinden. Diese unsere Brüder und Schwestern schweben in der Gefahr, an Hunger zu sterben, wenn sie nicht in kürzester Zeit Hilfe an Nahrung und anderen Mitteln erhalten.

Es wurde bekannt, dass verschiedene Länder auf die Einladung der internationalen Hilfsorganisationen und insbesondere des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen hochherzig Antwort gaben und Lebensmittel und andere Soforthilfe zur Verfügung stellten. An die Regierungen der Interessenten und an alle betroffenen Autoritäten richte ich gern den Appell, die freie Durchfahrt der für die notleidenden Menschen im Südsudan bestimmten Soforthilfsmittel zu gestatten.

Ich bin gewiss, dass angesichts der Grundbedürfnisse zum Überleben so vieler Menschen das Empfinden der brüderlichen Solidarität überwiegen wird, das jeden anderen Beweggrund oder einseitiges Interesse übersteigen muss.