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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 16. März 1988

DE  - ES  - IT

1. Von den großen christologischen Konzilien in Nizäa und Konstantinopel wurde die Grundwahrheit unseres Glaubens formuliert, die auch im Glaubensbekenntnis festgelegt ist: Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, eines Wesens mit dem Vater in Bezug auf die Gottheit, von unserer gleichen Natur in Bezug auf die Menschheit. An dieser Stelle unserer Katechese ist anzumerken, dass nach den konziliaren Erklärungen hinsichtlich der geoffenbarten Wahrheit über die wahre Gottheit und die wahre Menschheit Christi sich die Frage nach einem rechten Verständnis der Einheit dieses Christus stellte, der zugleich in voller Weise Gott und in voller Weise Mensch war.

Die Frage betraf den wesentlichen Inhalt des Geheimnisses der Menschwerdung und damit der Empfängnis und der menschlichen Geburt Christi aus der Jungfrau Maria. Vom 3. Jahrhundert an war es üblich, sie „Theotokos“ – Mutter Gottes – zu nennen: eine Bezeichnung, die u. a. im ältesten Mariengebet zu finden ist, dem Sub tuum praesidium: „Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir, heilige Gottesmutter …“ Es ist bis auf den heutigen Tag eine von der Kirche häufig gebetete Antiphon; der älteste Textnachweis findet sich auf einem Papyrus, der in Ägypten entdeckt wurde und auf die Wende vom 3. zum 4. Jahrhundert zu datieren ist.

2. Aber gerade diese Anrufung „Theotokos“ wurde zu Beginn des 5. Jahrhunderts von Nestorius und seinen Anhängern beanstandet. Er behauptete, dass Maria nur Mutter Christi und nicht Mutter Gottes (Gottesgebärerin) genannt werden könne. Dieser Standpunkt gehörte zur Haltung von Nestorius, was das Problem der Einheit Christi betraf. Nach Nestorius haben sich die Gottheit und die Menschheit nicht wie in einem einzigen personalen Subjekt in dem irdischen Wesen, das im Augenblick der Verkündigung im Schoß der Jungfrau zu existieren begann, miteinander verbunden. Im Gegensatz zum Arianismus, der den Sohn Gottes als dem Vater untergeordnet darstellte, und zum Doketismus, der die Menschheit Christi auf einen einfachen Schein reduzierte, sprach Nestorius von einer besonderen Präsenz Gottes in der Menschheit Christi, wie in einem heiligen Wesen, in einem „Tempel“, so dass in Christus eine göttlich-menschliche Dualität subsistierte – nicht nur der Natur, sondern der Person nach. Da die Jungfrau Maria Mutter des Menschen Christus war, konnte sie nicht als Mutter Gottes betrachtet werden, noch so genannt werden.

3. Das Konzil von Ephesus (431) bestätigte gegenüber den nestorianischen Vorstellungen die Einheit Christi, wie sie sich nach der Offenbarung ergab und von der christlichen Tradition – „sancti patres“ – (vgl. Denzinger/Schönmetzer 250–266) geglaubt und bekräftigt worden war. Das Konzil definierte, dass Christus dasselbe ewige Wort, Gott von Gott, ist, das als Sohn von Ewigkeit her vom Vater „gezeugt“ und dem Fleisch nach in der Zeit aus der Jungfrau Maria geboren ist. Da Christus ein einziges Wesen ist, hat also Maria das volle Anrecht auf den Titel „Mutter Gottes“, so wie dies bereits seit langer Zeit im christlichen Gebet und im Denken der „Väter“ Ausdruck findet (vgl. Denzinger/Schönmetzer 251).

4. Die Lehre des Konzils von Ephesus wurde danach im sogenannten „Unionssymbolum“ (433) formuliert, das den nach dem Konzil zurückgebliebenen Streitfragen mit folgenden Worten ein Ende setzte: „Wir bekennen, dass unser Herr Jesus Christus, einziggeborener Sohn Gottes, vollkommener Gott und vollkommener Mensch, bestehend aus einer vernünftigen Seele und einem Leib und seiner Gottheit nach vor aller Zeit vom Vater gezeugt, derselbe ist, der in den letzten Tagen für uns und zu unserem Heil seiner Menschheit nach aus der Jungfrau Maria geboren ist, derselbe, der der Gottheit nach wesensgleich mit dem Vater ist, der der Menschheit nach wesensgleich auch mit uns ist: ja, die Einheit der beiden Naturen, der menschlichen und göttlichen, ist vollzogen worden. Deshalb bekennen wir einen einzigen Christus, einen Sohn und einen Herrn“ (vgl. Denzinger/Schönmetzer 272).

„Kraft dieser Einheit ohne Vermischung bekennen wir die selige Jungfrau als Gottesmutter, weil das Wort Gottes Fleisch und Mensch geworden ist und gerade durch die Empfängnis (in Maria) mit sich den Tempel vereint hat, den es von ihr nahm“ (vgl. Denzinger/Schönmetzer 272). Welch herrlicher Begriff von der Menschheit als „Tempel“, die wirklich vom Wort in Einheit der Person im Schoß Marias angenommen wurde!

5. Das Dokument, das den Namen Unionsformel trägt, war das Ergebnis weiterer Verhandlungen zwischen dem Bischof Johannes von Antiochien und dem hl. Cyrill von Alexandrien, die deshalb von Papst Sixtus III. (432 bis 440) beglückwünscht wurden. Der Text sprach bereits von der Einheit der beiden Naturen in demselben und einzigen Subjekt, Jesus Christus. Weil aber neue Streitfragen aufgetaucht waren, besonders durch Eutyches und die Monophysiten, die die Vereinigung und beinahe Verschmelzung der beiden Naturen in dem einen Christus behaupteten, versammelte sich einige Jahre später das Konzil in Chalkedon (451), das in Übereinstimmung mit der Lehre Papst Leos des Großen (440 bis 461) den Begriff „Person“ einführte, um das Subjekt dieser Einheit der Naturen genauer zu bestimmen. Dies war ein neuer Meilenstein in der Entwicklung des christologischen Dogmas.

6. Mit seiner dogmatischen Definition wiederholte das Konzil von Chalkedon die Formel von Nizäa und Konstantinopel und machte sich die Lehre des hl. Cyrill in Ephesus sowie die des „Briefes an Flavian“ zu eigen, den Bischof Leo, „der seligste und heiligste Erzbischof der größten und ältesten Stadt Rom … im Einklang mit dem Bekenntnis des großen Petrus … und für uns sichere Säule“, geschrieben hatte (vgl. Denzinger/Schönmetzer 300); am Ende stellte es klar: „Folgend also den heiligen Vätern, lehren wir alle einstimmig, dass der Sohn, unser Herr Jesus Christus, ein und derselbe sei … Wir bekennen einen und denselben Christus, den Sohn, den Herrn, den Einziggeborenen, der in zwei Naturen unvermischt, unverwandelt, ungetrennt und ungesondert besteht. Niemals wird der Unterschied der Naturen wegen der Einigung aufgehoben, es wird vielmehr die Eigentümlichkeit einer jeden Natur bewahrt, indem beide in eine Person und Hypostase zusammenkommen. Wir bekennen nicht einen in zwei Personen getrennten und zerrissenen, sondern einen und denselben einziggeborenen Sohn, das göttliche Wort, den Herrn Jesus Christus, wie schon die Propheten es vor ihm verkündet und der Herr Jesus Christus selbst es uns gelehrt und das Glaubensbekenntnis der Väter es uns überliefert hat“ (Denzinger/Schönmetzer 301–302).

Das war eine von der Heiligen Schrift und der Heiligen Tradition („sancti Patres sequentes“) empfangene klare und kraftvolle Zusammenfassung des Glaubens an das Geheimnis Christi, die sich vernünftiger Begriffe und Ausdrücke bediente: Natur, Person – Begriffe, die dem geläufigen Sprachgebrauch angehörten. So wurden sie zur Würde philosophischer und theologischer Begrifflichkeit erhoben, wie es vor allem nach jener Definition des Konzils geschah. Das Konzil übernahm jedoch diese Begriffe und Termini aus der gängigen Sprache, ohne Bezugnahme auf ein besonderes philosophisches System. Man achte auch auf die Sorgfalt, die die Konzilsväter auf die genaue Wortwahl verwendeten. Im griechischen Text bezeichnet das Wort „prosopon“, das „Person“ entspricht, mehr den äußeren, phänomenologischen Aspekt des Menschen (wörtlich: die Maske im Theater); deshalb bedienten sich die Väter neben diesem Wort eines anderen Terminus: „Hypostase“ (hypostasis), der die ontische Eigentümlichkeit der Person bezeichnet.

Erneuern auch wir das Bekenntnis des Glaubens an Christus, unseren Erlöser, mit den Worten dieser altehrwürdigen Formel, auf die unzählige Generationen von Christen zurückgegriffen und daraus Licht und Kraft für ein Zeugnis geschöpft haben, das manchmal bis zur äußersten Hingabe des Lebens reichte.

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Liebe Brüder und Schwestern!

Herzlich willkommen zu dieser Generalaudienz beim Grab des Apostels Petrus in dieser großartigen Basilika! Ich freue mich, hier den deutschsprachigen Besuchern zu begegnen und einige Worte an euch richten zu können.

Im Rahmen einer allwöchentlichen Katechese über die Person Christi und ihr inneres Geheimnis möchte ich heute von der Frage ausgehen, wie das göttliche und das menschliche Wesen in Jesus eine Einheit bilden. Viele von euch werden das alte Mariengebet kennen, das im Lateinischen mit den Worten beginnt: „Sub tuum praesidium“, zu Deutsch: „Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir, heilige Gottesmutter“. Hier wird Maria „Gottesmutter“ genannt. Darf aber ein Mensch, wie sie es doch war, Mutter Gottes genannt werden? Gewiss war sie die Mutter Jesu; und dieser Jesus offenbarte sich als wahrer Mensch, zugleich aber auch als wahrer Sohn Gottes, so dass die ersten Konzilien feierlich bekennen konnten, dass Jesus von Nazaret „eines Wesens“ mit Gott, dem Vater, ist. Aber darf man deswegen Maria „Mutter Gottes“ nennen oder auf Griechisch „Theotokos“?

Diese Frage bewegte die Christen des 4. und 5. Jahrhunderts sehr intensiv, und die größten damaligen Theologen widmeten sich diesem Problem mit Herz und Verstand. Einer von ihnen, Nestorius, antwortete mit Nein: Maria habe Jesus nur die menschliche Natur geschenkt, nicht aber die göttliche; so könne man sie nur „Mutter Christi“ nennen, nicht aber „Mutter Gottes“. Viele Bischöfe und Kirchenlehrer entgegneten: Diese Auffassung des Nestorius reißt das Wesen Jesu auseinander; das Menschenkind, das Maria uns als Mutter geschenkt hat, ist eben zugleich und untrennbar wahrer Mensch und wahrer Gott. Und wenn Maria den Menschen Jesus geboren habe, so sei sie damit zugleich die Mutter dessen geworden, der Gott Vater wesensgleich ist: Sie sei wahrhaft „Mutter Gottes“, „Theotokos“.

Es war ein ökumenisches Konzil nötig, um dieses geistige Ringen zu entscheiden: Das Konzil von Ephesus erklärte im Jahre 431 feierlich gegen Nestorius, dass Jesus zu jedem Zeitpunkt seines irdischen Lebens, also auch in seiner Geburt durch Maria, wahrer Menschensohn und wahrer Gottessohn war und Maria deshalb zu Recht von den Christen „Gottesmutter“ genannt werden darf.

Später ist es den Theologen gelungen, einen angemessenen Ausdruck für das doppelte Wesen in dem einen Christus zu finden, und das Konzil von Chalkedon hat diese Formulierung im Jahre 451 gutgeheißen: In Jesus sind zwei Naturen, die menschliche und die göttliche, in einer einzigen Person vereint. Ähnlich wie wir bei einem konkreten Menschen all seine Eigenschaften und Fähigkeiten in einer Person zusammengefasst sehen, so sind in jenem Mann aus Nazaret, unserem Erlöser, die Gottesnatur und die Menschennatur in einer einzigen Person verbunden, die den Namen „Jesus“ trägt; das heißt übersetzt: „Gott ist Heil“.

MIT DIESEN ANREGUNGEN zur Vertiefung unseres gemeinsamen Glaubens grüße ich noch einmal herzlich alle Besucher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Einen besonderen Segenswunsch richte ich an die Diakone aus der Erzdiözese Paderborn, auf daß sie ihren Weg zum Priestertum aus der Kraft einer treuen Freundschaft zu Christus gestalten. Mit aufrichtiger Anerkennung nenne ich auch die Studentengruppe unter der Führung der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Studentenverbindungen sowie der Katholischen Hochschulgemeinde Speyer; das große Kreuz, das ein Jahr lang durch die deutschen Hochschulgemeinden getragen worden ist, verbinde euch immer tiefer mit dem Erlöser der Welt und mit allen Leidenden dieser Erde. Schließlich danke ich in euer aller Namen den beiden Chören aus Wintersdorf, die uns mit ihrem gekonnten Gesang erfreut haben. Gelobt sei Jesus Christus!