JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 20. Juni 1990
1. Nach dem von Lukas verfassten „Kindheitsevangelium Jesu“ offenbarte sich der Heilige Geist nicht nur bei der Verkündigung und beim Besuch Marias bei Elisabet, sondern - wie wir in den vorhergehenden Katechesen gesehen haben - auch bei der Darstellung des Jesuskindes im Tempel am 40. Tag nach der Geburt (vgl. Lk 2,22-38). Es ist das erste einer ganzen Reihe von Geschehnissen im Leben Christi, in denen sich die Wahrheit des Geheimnisses der Menschwerdung entfaltet, zusammen mit dem der wirkenden Gegenwart des Heiligen Geistes.
2. Der Evangelist schreibt: „Dann kam für sie der Tag der vom Gesetz des Mose vorgeschriebenen Reinigung. Sie brachten das Kind nach Jerusalem hinauf, um es dem Herrn zu weihen“ (Lk 2,22). Die Weihe des Erstgeborenen im Tempel und das damit verbundene dargebrachte Opfer (vgl. Lk 2,24) als Zeichen der Reinigung des kleinen Israeliten, der so in das Leben seiner Familie und seines Volkes zurückkehrte, war vom Gesetz des Mose, das im Alten Bund gültig war, vorgeschrieben oder zumindest empfohlen (vgl. Ex 13,2.12-13.15; Lev 12,6-8; Num 18,15). Die frommen Juden hielten sich an diesen Gottesdienst. Nach Lukas war der Ritus, den die Eltern Jesu nach dem Gesetz vollzogen, Anlass für ein neues Eingreifen des Heiligen Geistes, der diesem Geschehen eine messianische Bedeutung gab und es in das Geheimnis Christi, des Erlösers, einfügte. Auserwähltes Werkzeug dieser neuen Offenbarung war ein frommer**,** betagter Mann, von dem Lukas schreibt: „In Jerusalem lebte damals ein Mann namens Simeon. Er war gerecht und fromm und wartete auf die Rettung Israels, und der Heilige Geist ruhte auf ihm“ (Lk 2,25). Es geschah also in der heiligen Stadt, im Tempel, um den die ganze Geschichte Israels kreiste und wo die Hoffnungen zusammenströmten, die auf den alten Verheißungen und Prophetien gründeten.
3. Er ist der Mann, der auf die „Rettung Israels“ wartete, das heißt, er ist vorbereitet worden auf die Begegnung mit „dem, der kommen sollte“. Denn wir lesen: „der Heilige Geist ruhte auf ihm“, er handelte in ihm und hatte ihm offenbart, „er werde den Tod nicht schauen, ehe er den Messias des Herrn gesehen habe“ (Lk 2,26).
Nach dem Lukasbericht ist die Erwartung des Messias voll Sehnsucht, Hoffnung und innerer Gewissheit, dass er ihn mit eigenen Augen sehen werde, das Zeichen für das Wirken des Heiligen Geistes, der inspiriert, erleuchtet und führt. Denn am Tag, an dem Maria und Josef Jesus in den Tempel brachten, begab sich auch Simeon dorthin, „vom Geist geführt“, wie Lukas sagt (Lk 2,27). Die Eingebung des Heiligen Geistes kündigte ihm nicht nur die Begegnung mit dem Messias an, riet ihm nicht nur, in den Tempel zu gehen, sondern bewog und führte ihn gleichsam; und im Tempel angekommen, erlaubte sie ihm, in dem Kind Jesus, dem Sohn Marias, den zu erkennen, auf den er gewartet hatte.
4. Lukas schreibt: „Als die Eltern Jesus hereinbrachten, um zu erfüllen, was nach dem Gesetz üblich war, nahm Simeon das Kind in seine Arme und pries Gott“ (Lk 2,27-28).
Jetzt legt der Evangelist dem Simeon den allbekannten Lobgesang „Nunc dimittis“ in den Mund, den die Liturgie uns jeden Tag zur Stunde der Komplet wiederholen lässt, wenn der Sinn der Zeit, die vorübergeht, besonders spürbar wird. Die tiefgehenden Worte des Simeon, der dem Zeitpunkt nahe ist, „in Frieden zu scheiden“, öffnen den Weg für die immer neue Hoffnung auf Rettung, die in Christus ihre Erfüllung findet: „Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel“ (Lk 2,30-32). Es ist eine Ankündigung der universalen Evangelisierung, eine Botschaft des Heils, das von Jerusalem, von Israel ausgeht, aber durch den Erlöser-Messias kommt, auf den sein Volk und alle Völker warten.
5. Der Heilige Geist, der in Simeon wirkt, ist gegenwärtig und handelt auch in all denen, die zu allen Zeiten wie der fromme, betagte Mann sich zu Gott wandten und an seine Verheißungen glaubten. Lukas bietet uns ein anderes Beispiel für diese Wirklichkeit, dieses Geheimnis: Es ist die „Prophetin“ Hanna, die schon als junge Frau, nachdem sie Witwe geworden war, „sich ständig im Tempel aufhielt und Gott Tag und Nacht mit Fasten und Beten diente“ (vgl. Lk 2,37). Sie war also eine Gottgeweihte Frau und besonders fähig, im Licht seines Geistes seine Pläne zu erfassen und seine Weisungen zu verstehen: In diesem Sinn war sie „Prophetin“ (vgl. Ex 15,20; Ri 4,4; 2 Kön 22,14). Lukas spricht nicht ausdrücklich von einem besonderen Wirken des Heiligen Geistes in ihr. Und trotzdem stellt er sie neben Simeon sowohl beim Lob Gottes als auch beim Sprechen von Jesus: „In diesem Augenblick nun trat sie hinzu, pries Gott und sprach über das Kind zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten“ (Lk 2,38). Zweifellos war auch sie wie Simeon vom Heiligen Geist bewogen worden, Jesus zu begegnen.
6. Die prophetischen Worte von Simeon (und Hanna) künden nicht nur das Kommen des Erlösers in die Welt, seine Gegenwart unter dem Volk Israel an, sondern auch sein Erlösungsopfer. Dieser zweite Teil der Prophetie ist direkt an Maria gerichtet: „Dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird. Dadurch sollen die Gedanken vieler Menschen offenbar werden. Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen“ (Lk 2,34-35).
Man kann nicht umhin, an den Heiligen Geist zu denken als den Antrieb zu dieser Vorhersage des Leidens Christi, das der Weg ist, auf dem er die Erlösung wirken sollte. Bedeutsam ist vor allem die Tatsache, dass Simeon von dem zukünftigen Leiden Christi spricht und an das Herz der Mutter denkt, die mit ihrem Sohn verbunden ist und das Widersprechen Israels und der gesamten Welt erträgt. Simeon nennt das Kreuzesopfer nicht beim Namen, sondern überträgt die Prophetie auf das Herz Marias, „durch das ein Schwert dringen“ wird, denn sie hat Teil am Leiden des Sohnes.
7. Die von Simeon inspirierten Worte erhalten noch größere Bedeutung, wenn sie im Gesamtkontext des „Kindheitsevangeliums Jesu“, das Lukas schrieb, betrachtet werden, weil sie diesen ganzen Lebensabschnitt unter das besondere Wirken des Heiligen Geistes stellen. So versteht man besser diese Bemerkung des Evangelisten über das Staunen Marias und Josefs angesichts dieser Geschehnisse und dieser Worte: „Sein Vater und seine Mutter staunten über die Worte, die über Jesus gesagt wurden“ (Lk 2,33).
Über diese Ereignisse und diese Worte berichtet derselbe Lukas, der als Verfasser der Apostelgeschichte das Pfingstgeschehen beschreibt: die Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Apostel und Jünger, gemäß der Verheißung Jesu, die sich nach der Himmelfahrt des Herrn im Abendmahlssaal um Maria versammelt hatten. Das Lesen der „Kindheitsgeschichte Jesu“ beweist schon, dass der Evangelist besonders empfänglich war für die Gegenwart und das Wirken des Heiligen Geistes in allem, was das Geheimnis der Menschwerdung vom ersten bis zum letzten Augenblick des Lebens Christi betraf.
___________________________
Liebe Schwestern und Brüder!
In Fortsetzung unserer Glaubensbetrachtung über Gottes Geist in der „Kindheitsgeschichte Jesu“ bei Lukas tut sich uns auf, dass das Wirken des Heiligen Geistes sich nicht nur bei der Verkündigung und beim Besuch Marias bei Elisabet offenbart, sondern auch bei der Darstellung Jesu im Tempel (vgl. Lk 2,22-38).
Gemäß Lukas wirkt anlässlich der Darstellung Jesu im Tempel der Heilige Geist im greisen und gottesfürchtigen Simeon, der auf die Ankunft des Messias wartete und den er nach einer Offenbarung vor seinem Tod noch schauen werde (vgl. Lk 2,25 ff.). Wie Lukas weiter beschreibt, nimmt Simeon das Kind, als seine Eltern es in den Tempel brachten, in seine Arme, lobte und pries Gott und rief aus: „Meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet und Herrlichkeit für dein Volk Israel“ (Lk 2,30-32).
In diesen Worten des greisen Simeon kündet sich bereits das Evangelium vom universalen Heil an, das von Jerusalem, von Israel durch den Erlöser-Messias ausgeht und das allen Menschen gilt. Die prophetischen Worte Simeons weisen aber nicht nur auf die Ankunft des Messias und seine Gegenwart in Israel hin, sondern auch auf sein Erlösungsopfer. An Maria gewandt, sagt Simeon: „Dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird. Dadurch sollen die Gedanken vieler offenbar werden. Dir selber aber wird ein Schwert durch die Seele dringen“ (Lk 2,34-35).
Für Lukas ist niemand anderer als der Heilige Geist Inspirator dieser Prophetie der Passion Christi. Ja, für den Evangelisten und Verfasser der Apostelgeschichte, in der er uns das Pfingstereignis beschreibt, ist der Heilige Geist überhaupt im Gesamten der Kindheitsgeschichte stets gegenwärtig und wirkt in und durch die verschiedenen beteiligten Personen.
Mit dieser kurzen Betrachtung grüße ich herzlich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher. Ich wünsche euch frohe und geistig reiche Tage in der „Ewigen Stadt“ und erteile euch für eine gute Rückkehr sowie allen euren Lieben in der Heimat von Herzen meinen Apostolischen Segen.
Gelobt sei Jesus Christus!
_______________________________
Heute möchte ich dir, liebe Frau von Jasna Góra, in besonderer Weise für die unierte Kirche der Ukraine danken, die nach langen Jahren die eigenen Rechte wiedererlangt. Ich danke auch für die Tage des 10. und 11. September 1988. Damals versammelte sich in deinem Heiligtum, Gottesmutter, das Volk Gottes der unierten Kirche mit den Oberhirten, um die Heiligste Dreifaltigkeit zu preisen, für das Geschenk der Taufe in Kiew vor tausend Jahren. Die Taufe und die Kirche gelangten zu uns von Rom, zu ihnen, zur Rus’, von Byzanz aus. Dies geschah jedoch zur Zeit, als Rom und Byzanz — West und Ost — sich in der einen ungeteilten Kirche befanden. Und als hundert Jahre später die unglückliche Spaltung begann, dauerte gerade in Kiew der Glaube in der ungeteilten Einheit der Kirche noch lange Zeit fort. Während der Jahrhunderte wurden Anstrengungen gemacht, um die Einheit zwischen West und Ost wiederzuerlangen, und der Sitz von Kiew war an diesen Bemühungen beteiligt. Durch die Tausendjahrfeier der Taufe kamen am 10. und 11. September nach Jasna Góra zu dir, Mutter Gottes, die Erben der Union von Brest, die während vier Jahrhunderten an der wiederhergestellten Einheit mit dem Nachfolger des Petrus festgehalten und ihren Glauben und ihre Treue bezeugt, ja sogar mit ihrem Blut besiegelt haben.
Heute danken wir für diesen Glauben und diese Treue der Kirche in der Ukraine und auch für die der Kirche jenseits der Karpaten, in Rumänien. Zusammen mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hoffen wir, dass diese Kirche den Weg der Einheit zwischen Ost und West bereiten wird, den Weg jener Einheit, für die Christus im Abendmahlssaal gebetet hat: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin“ (Joh 17,21).
Copyright © Dikasterium für Kommunikation