JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 18. September 1991
1. Die Texte des Evangeliums dokumentieren die Lehre Jesu vom Reich Gottes in Bezug auf die Kirche. Sie dokumentieren auch, wie die Apostel es verkündeten und wie es in der Urkirche verstanden und geglaubt wurde. In diesen Texten scheint das Geheimnis der Kirche als Reich Gottes auf. Das II. Vatikanische Konzil schreibt: „Das Geheimnis der heiligen Kirche wird in ihrer Gründung offenbar. Denn der Herr Jesus machte den Anfang seiner Kirche, indem er die frohe Botschaft verkündigte … Dieses Reich aber leuchtet im Wort, im Werk und in der Gegenwart Christi den Menschen auf.“ (Lumen Gentium, Nr. 5). Wir fügen dem, was wir diesbezüglich in den vorhergegangenen Katechesen und besonders in der letzten gesagt haben, heute einige weitere Überlegungen über die Lehre hinzu, die Jesus vom Reich Gottes in den Gleichnissen erteilt, vor allem in denen, die in besonderer Weise dazu dienen sollen, seinen Sinn, seine wesentliche Bedeutung verständlich zu machen.
2. Jesus sagt: „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem König, der die Hochzeit seines Sohnes vorbereitete” (Mt 22,2). Das Gleichnis vom Hochzeitsmahl stellt das Reich Gottes als eine königliche und damit souveräne Initiative Gottes selbst dar. Sie schließt auch das Thema Liebe ein, genauer gesagt, die bräutliche Liebe: Der Sohn, für den der Vater das Hochzeitsmahl bereitet, ist der Bräutigam. Wenn auch in diesem Gleichnis der Name der Braut nicht genannt wird, weisen doch die Umstände auf ihre Anwesenheit hin und geben gut zu verstehen, wer sie ist. Das scheint klar in anderen Texten des Neuen Testaments hervor, die die Kirche mit der Braut identifizieren (Joh 3,29; Apg 21,9; 2 Kor 11,2; Eph 5,23-27.29).
3. Dagegen ist im Gleichnis klar der Hinweis auf den Bräutigam enthalten, Christus, der den neuen Bund des Vaters mit der Menschheit verwirklicht. Es ist ein Bund der Liebe, und das Reich Gottes selbst erscheint als eine Gemeinschaft (Gemeinschaft der Liebe), die der Sohn nach dem Willen des Vaters verwirklicht. Das „Hochzeitsmahl” ist Ausdruck dieser Gemeinschaft. Im Zusammenhang des vom Evangelium beschriebenen Heilsplans ist es nicht schwer, in diesem Hochzeitsmahl einen Bezug auf die Eucharistie zu sehen: das Sakrament des neuen und ewigen Bundes, das Sakrament der Hochzeit Christi mit der Menschheit in der Kirche.
4. Auch wenn die Kirche als Braut im Gleichnis nicht genannt wird, finden sich in diesem Zusammenhang andere Elemente, die an das erinnern, was das Evangelium uns über die Kirche als Reich Gottes sagt. So die Universalität der göttlichen Einladung: „Der König … sagte … zu seinen Dienern: … Ladet alle, die ihr trefft, zur Hochzeit ein” (Mt 22,9). Unter den Hochzeitsgästen des Sohnes fehlen die, die als erste erwählt waren: diejenigen, die der Tradition des Alten Bundes entsprechend Gäste sein sollten. Sie weigern sich, zum Hochzeitsmahl des Neuen Bundes zu gehen und geben verschiedene Vorwände an. Daraufhin lässt Jesus den Hausherrn, den König, sagen: „Viele sind gerufen, aber nur wenige auserwählt” (Mt 22,14). An ihrer Stelle werden viele andere eingeladen, die den Hochzeitssaal füllen. Dieses Detail erinnert an jenes andere mahnende Wort, das Jesus gesprochen hatte: „Ich sage euch: Viele werden von Osten und Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; die aber, für die das Reich bestimmt war, werden hinausgeworfen” (Mt 8,11-12). Hier sieht man gut, wie die Einladung universal wird: Gott will den Neuen Bund in seinem Sohn nicht mehr mit dem auserwählten Volk allein, sondern mit der gesamten Menschheit schließen.
5. Die Fortsetzung des Gleichnisses weist daraufhin, dass die endgültige Teilnahme am Hochzeitsmahl an gewisse wesentliche Bedingungen geknüpft ist. Es genügt nicht, der Eintritt in die Kirche, um des ewigen Heils gewiss zu sein: „Mein Freund, wie konntest du hier ohne Hochzeitsgewand erscheinen?” (Mt 22,12), fragt der König einen der Gäste. Das Gleichnis, das hier von der Frage der historischen Verweigerung der Erwählung seitens des Volkes Israel auf das individuelle Verhalten dessen überzugehen scheint, der gerufen und über den Gericht gehalten wird, erklärt nicht näher die Bedeutung dieses „Hochzeitsgewandes”. Aber man kann sagen, dass sich die Erklärung im Zusammenhang der gesamten Lehre Christi findet. Das Evangelium, insbesondere die Bergpredigt, spricht von dem Gebot der Liebe, das das Prinzip des göttlichen Lebens und der Vollkommenheit nach dem Vorbild des Vaters ist: „Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist” (Mt 5,48). Es handelt sich um jenes „neue Gebot”, das, wie Jesus lehrt, darin besteht: „Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben” (Joh 13,34). Es scheint, dass man daraus schließen kann, dass das „Hochzeitsgewand” als Voraussetzung für die Teilnahme am Hochzeitsmahl eben diese Liebe ist.
Das wird durch ein anderes großes Gleichnis bestätigt, das das Endgericht betrifft und deshalb eschatologischen Charakter hat. Nur diejenigen, die das Gebot der Liebe in den Werken der geistlichen und leiblichen Barmherzigkeit gegenüber dem Nächsten anwenden, können am Hochzeitsmahl des Reiches Gottes teilhaben: „Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist” (Mt 25,34)
6. Ein anderes Gleichnis gibt uns zu verstehen, dass es nie zu spät ist für den Eintritt in die Kirche. Der Ruf Gottes kann an den Menschen bis zum letzten Augenblick seines Lebens gerichtet werden. Es ist das bekannte Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg: „Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der früh am Morgen sein Haus verließ, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben” (Mt 20,1). Er ging dann noch einige Male zu verschiedenen Stunden hinaus, bis zur letzten Stunde. Und allen wurde ein Lohn gegeben, mit dem der Gutsherr über die Grenzen des Verhältnisses reiner Gerechtigkeit hinaus seine ganze hochherzige Liebe bekunden wollte.
Diesbezüglich kommt die rührende Begebenheit in den Sinn, die der Evangelist Lukas über den „guten Schächer” erzählte, der neben Jesus auf Golgota gekreuzigt wurde. Ihm hat sich der Ruf als barmherzige Initiative Gottes offenbart, während er fast sterbend sagte: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst.” Er hörte aus dem Mund des zum Kreuzestod verurteilten Erlösers und Bräutigams: „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein” (Lk 23,42-43).
7. Wir zitieren noch ein Gleichnis Jesu: „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Ein Mann entdeckte ihn, grub ihn aber wieder ein. Und in seiner Freude verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte den Acker” (Mt 13,44). Ebenso ist es „mit dem Kaufmann, der schöne Perlen suchte. Als er eine besonders wertvolle Perle fand, verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte sie” (Mt 13,45). Dieses Gleichnis prägt den Berufenen eine große Wahrheit ein: Um der Einladung zum Hochzeitsmahl des Bräutigams würdig zu sein, muss man Verständnis beweisen für den höchsten Wert dessen, was angeboten wird. Daher auch die Bereitschaft, alles für das Himmelreich zu opfern, das mehr als alles wert ist. Kein Preis irdischer Güter ist mit ihm vergleichbar. Alles kann man verlassen, ohne Verlust zu erleiden, wenn man nur am Hochzeitsmahl Christi, des Bräutigams, teilhat.
Die wesentliche Bedingung ist Loslösung und Armut und wird uns mit all den anderen von Jesus aufgezeigt, sei es, wenn er die selig nennt, „die arm sind vor Gott”, „die keine Gewalt anwenden” und „die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich” (vgl. Mt 5,3.10); sei es, wenn er ein Kind als den „Größten im Himmelreich” vorstellt: „Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen. Wer so klein sein kann wie dieses Kind, der ist im Himmelreich der Größte” (Mt 18,2-4).
8. Mit dem II. Vatikanischen Konzil können wir abschließend sagen, dass in den Worten und Werken Christi, besonders im Lehren anhand der Gleichnisse, „das Reich Gottes den Menschen aufgeleuchtet ist” (vgl. Lumen Gentium, Nr. 5). Indem er die Ankunft jenes Reiches verkündete, gründete er seine Kirche und offenbarte ihr innerstes, göttliches Geheimnis (vgl. Lumen Gentium, Nr. 5).
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Liebe Schwestern und Brüder!
Im Mittelpunkt unserer heutigen Katechese steht die Bedeutung des Reiches Gottes in den biblischen Gleichnissen. Die Heilige Schrift berichtet ausdrücklich davon, dass Jesus zu der Menschenmenge durch Gleichnisse sprach, ja „er redete nur in Gleichnissen zu ihnen” (Mt 13,34).
So sucht der Herr seinen Zuhörern das Wesen des Reiches Gottes etwa in dem bekannten Gleichnis vom Hochzeitsmahl zu verdeutlichen. „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem König, der die Hochzeit seines Sohnes vorbereitet” (Mt 22,2). Das Reich Gottes wird hier als königliches und somit souveränes Handeln Gottes vorgestellt. Doch ist darin auch der Aspekt der gegenseitigen Hingabe enthalten. Der Sohn, für den das Mahl bereitet wird, ist der Bräutigam; die Braut, auch wenn sie nicht ausdrücklich genannt wird, ist nach anderen biblischen Zeugnissen in der Kirche selbst zu sehen. Damit wird zugleich die Universalität der göttlichen Einladung ausgesagt. Da die zunächst Erwählten des Alten Bundes zurückweisen, wendet sich der Gastgeber an alle Menschen: „Geht also hinaus auf die Straßen, und ladet alle, die ihr trefft, zur Hochzeit ein” (Mt 22,9).
Doch darf nicht vergessen werden, dass die Teilnahme am Hochzeitsmahl an eine wesentliche Voraussetzung gebunden ist. Es reicht nicht, der Kirche anzugehören, um des ewigen Lebens gewiss sein zu können. „Freund, wie konntest du hier ohne Hochzeitsgewand erscheinen?” (Mt 22,12) Auch wenn die Bedeutung dieses „Gewandes” nicht näher erläutert wird, so handelt es sich doch im Zusammenhang der gesamten Botschaft Jesu zweifellos um die Liebe, das Prinzip der Vollkommenheit und des göttlichen Lebens. „Seid vollkommen, wie auch euer himmlischer Vater vollkommen ist” (Mt 5,48).
In den Worten und im Handeln Jesu, besonders in der Verkündigung mit Hilfe von Gleichnissen, wird den Menschen das Reich Gottes vor Augen gestellt. Indem Christus die Ankunft des Reiches Gottes predigt, gründet er seine Kirche und offenbart ihr innerstes Geheimnis.
Mit dieser kurzen Betrachtung grüße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher sehr herzlich. Mein besonderer Willkommensgruß gilt den Missionsschwestern der Kongregation ”Dienerinnen des Heiligen Geistes“, die an einem Erneurungskurs in Spiritualität in Nemi teilnehmen, der Gruppe der Bildungsakademie des Österreichischen Cartellverbandes sowie den Mitarbeitern kirchlicher Gerichte aus Berlin und den östlichen Bundesländern, die zu einem kanonistischen Fortbilungskurs gekommen sind, und nicht zuletzt den zahlreichen Schülerinnen und Schülern, die an dieser Audienz teilnehmen.
Euch allen, Euren lieben Angehörigen daheim sowie den mit uns über Radio und Fernsehen verbundenen Gläubigen erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.
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Unter den letzten Nachrichten, die aus Jugoslawien kommen, ist eine, die zur Hoffnung berechtigt: Ein Waffenstillstandsabkommen sei von den beteiligten Parteien erzielt worden, dank des eifrigen Bemühens der internationalen Gemeinschaft um Vermittlung.
Ich möchte an das Verantwortungsbewusstsein derjenigen appellieren, die ihr Wort gegeben haben, damit die Erwartungen der Völker, die Opfer der Angst und des Leidens sind, nicht enttäuscht werden.
Indem wir dem Herrn für diese neuen Entwicklungen danken, bitten wir ihn, den guten Willen so vieler zu unterstützen und allen Gedanken des Friedens einzugeben.
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