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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 25. September 1991

DE  - ES  - IT

1. Wie wir in der vorausgegangenen Katechese gesagt haben, ist es nicht möglich, den Ursprung der Kirche zu verstehen, ohne all das zu berücksichtigen, was Jesus gelehrt und gewirkt hat (vgl. Apg 1,1). Und gerade zu diesem Thema gab er seinen Jüngern und hinterließ uns allen eine grundlegende Lehre durch die Gleichnisse vom Reich Gottes. Unter ihnen haben jene besondere Bedeutung, die uns den Wesenszug der geschichtlichen und geistlichen Entwicklung schildern und deutlich machen, der der Kirche nach dem Plan ihres Stifters eigen ist.

2. Jesus sagt: „Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät; dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst, und der Mann weiß nicht, wie. Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre. Sobald aber die Frucht reif ist, legt er die Sichel an; denn die Zeit der Ernte ist da.“ (Mk 4,26–29). Das Reich Gottes wächst also hier auf Erden, in der Geschichte der Menschheit, kraft einer ursprünglichen Aussaat, das heißt einer Gründung, die von Gott kommt, und eines geheimnisvollen Wirkens Gottes selbst, der für die Kirche durch die Jahrhunderte hindurch ständig Sorge trägt. Im Handeln Gottes ist in Bezug auf das Reich auch die „Sichel” des Opfers gegenwärtig: Die Entwicklung des Reiches verwirklicht sich nicht ohne Leiden. Das ist der Sinn des Gleichnisses, das im Markusevangelium berichtet wird.

3. Wir finden denselben Begriff auch in anderen Gleichnissen, besonders in denen, die im Matthäustext zusammengefasst sind (13,3–50).

In diesem Evangelium lesen wir: „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Senfkorn, das ein Mann auf seinen Acker säte. Es ist das kleinste von allen Samenkörnern; sobald es aber hochgewachsen ist, ist es größer als die anderen Gewächse und wird zu einem Baum, sodass die Vögel des Himmels kommen und in seinen Zweigen nisten” (Mt 13,31). Es ist das Wachstum des Reiches in seiner „Ausdehnung”.

Ein anderes Gleichnis hingegen zeigt sein Wachstum an „Intensität” oder Qualität, indem es das Reich vergleicht „mit dem Sauerteig, den eine Frau unter einen großen Trog Mehl mischte, bis das Ganze durchsäuert war” (Mt 13,33).

4. Im Gleichnis vom Sämann und der Saat erscheint das Wachstum des Reiches Gottes gewiss als Frucht der Arbeit des Sämanns, aber die Saat trägt dem Erdreich und den klimatischen Bedingungen entsprechend Frucht: „teils hundertfach, teils sechzigfach, teils dreißigfach” (Mt 13,8). Der Boden bedeutet die innere Bereitschaft der Menschen. Nach Jesu Worten also wird das Wachstum des Reiches Gottes auch vom Menschen bedingt. Der freie Wille des Menschen ist verantwortlich für dieses Wachstum. Deshalb empfiehlt Jesus allen, zu beten: „Dein Reich komme” (vgl. Mt 6,10; Lk 11,2): Es ist eine der ersten Bitten des Vaterunsers.

5. Eines der von Jesus erzählten Gleichnisse über das Wachsen des Reiches Gottes auf Erden führt uns mit viel Realismus die Art des Kampfes vor Augen, den das Reich mit sich bringt, durch die Anwesenheit und das Handeln eines „Feindes”, der „Unkraut unter den Weizen sät”. Jesus sagt: „Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein.” Die Knechte des Gutsherrn möchten es ausreißen, aber der Gutsherr erlaubt es ihnen nicht: „Sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus. Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Wenn dann die Zeit der Ernte da ist, werde ich den Arbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune” (Mt 13,24–30). Dieses Gleichnis erklärt das Nebeneinander, ja die häufige Verwicklung des Guten mit dem Bösen in der Welt, in unserem Leben, in der Geschichte der Kirche selbst. Jesus lehrt uns, die Dinge mit christlichem Realismus zu sehen und jedes Problem nach klaren Grundsätzen, aber auch mit Klugheit und Geduld zu behandeln. Das setzt eine transzendente Sicht der Geschichte voraus, in der man weiß, dass alles Gott gehört und jedes endgültige Resultat ein Werk seiner Vorsehung ist. Das in eschatologischer Dimension endgültige Schicksal der Guten und der Bösen bleibt jedoch nicht verborgen: Es wird dargestellt durch das Einbringen des Weizens in die Scheune und das Verbrennen des Unkrauts.

6. Die Erklärung des Gleichnisses vom Unkraut unter dem Weizen gibt Jesus selbst, auf Wunsch der Apostel (vgl. Mt 13,36–43). Aus seinen Worten geht die sowohl zeitliche als auch eschatologische Dimension des Reiches Gottes hervor.

Er sagt zu den Seinen: „Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes anvertraut” (Mk 4,11). Er belehrt sie über dieses Geheimnis, und mit seinem Wort und seinem Werk „vermacht er ihnen das Reich, wie es sein Vater ihm vermacht hat” (vgl. Lk 22,29). Von diesem Erbe ist auch nach seiner Auferstehung die Rede. Denn wir lesen in der Apostelgeschichte: „Vierzig Tage hindurch ist er ihnen erschienen und hat vom Reich Gottes gesprochen” (Apg 1,3), bis zu dem Tag, an dem „er in den Himmel aufgenommen wurde und sich zur Rechten Gottes setzte” (vgl. Mk 16,19). Es waren die letzten Weisungen und Anordnungen an die Apostel über das, was sie nach der Himmelfahrt und nach Pfingsten tun sollten, um durch die Geburt der Kirche einen konkreten Anfang für das Reich Gottes zu setzen.

7. Auch die an Petrus bei Cäsarea Philippi gerichteten Worte prägen sich in den Bereich der Lehre vom Reich ein. Denn Jesus sagt zu ihm: „Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben” (Mt 16,19), gleich nachdem er ihn Petrus (Felsen) genannt hatte, auf dem er seine Kirche bauen wollte, die „die Mächte der Unterwelt nicht überwältigen werden” (vgl. Mt 16,18). Es ist eine Verheißung, damals in der Zukunftsform: „Ich werde bauen” gesprochen, denn die endgültige Gründung des Reiches Gottes in dieser Welt sollte sich erst durch den Opfertod am Kreuz und den Sieg der Auferstehung erfüllen. Danach besitzt Petrus mit den anderen Aposteln das lebendige Bewusstsein ihrer Berufung, „die großen Taten dessen zu verkünden, der sie aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat” (vgl. 1 Petr 2,9). Zugleich werden alle auch das Bewusstsein der Wahrheit haben, die aus dem Gleichnis vom Sämann hervorgeht, das heißt, wie der heilige Paulus schreibt: „So ist weder der etwas, der pflanzt, noch der, der begießt, sondern nur Gott, der wachsen lässt” (1 Kor 3,7).

8. Der Autor der Offenbarung bringt dasselbe Bewusstsein vom Reich zum Ausdruck, wenn er das an das Lamm gerichtete Lied wiedergibt: „… denn du wurdest geschlachtet und hast mit deinem Blut Menschen für Gott erworben aus allen Stämmen und Sprachen, aus allen Nationen und Völkern, und du hast sie für unseren Gott zu Königen und Priestern gemacht” (Offb 5,9–10). Der Apostel Petrus betont, dass sie dazu gemacht wurden, „um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen” (1 Petr 2,5). All dies sind Ausdrucksformen der Wahrheiten Jesu, der in den Gleichnissen vom Sämann, vom Weizen und Unkraut, vom Senfkorn, das gesät wird und dann ein großer Baum wird, von einem Reich Gottes sprach, das unter dem Wirken des Geistes in den Herzen wächst, dank der Lebenskraft, die seinem Tod und seiner Auferstehung entspringt: ein Reich, das wächst bis zu der von Gott selbst vorgesehenen Zeit.

9. „Danach”, so verkündet der heilige Paulus, „kommt das Ende, wenn er jede Macht, Gewalt und Kraft vernichtet hat und seine Herrschaft Gott, dem Vater, übergibt” (1 Kor 15,24). „Wenn ihm dann alles unterworfen ist, wird auch er, der Sohn, sich dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott herrscht über alles und in allem” (1 Kor 15,28).

In einer wunderbaren eschatologischen Perspektive des Reiches Gottes wird das Dasein der Kirche vom Anfang bis zum Ende beschrieben, und ihre Geschichte entwickelt sich vom ersten bis zum letzten Tag.

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Liebe Schwestern und Brüder!

Den Ursprung der Kirche können wir nur verstehen – so haben wir in der vorausgegangenen Katechese betont –, wenn wir all das vor Augen haben, was Jesus predigte und wirkte. Und gerade über das Reich Gottes hat er uns in seinen Gleichnissen belehrt.

Er sagt: „Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät: … Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre. Sobald aber die Frucht reif ist, legt er die Sichel an, denn die Zeit der Ernte ist da.“ (Mk 4,26–29). Demnach wächst das Reich Gottes auf der Erde und in der Geschichte der Menschheit kraft einer ursprünglichen Aussaat, das heißt: einer Gründung, die von Gott und seinem geheimnisvollen Wirken kommt und die die Kirche durch alle Jahrhunderte weiter pflegt.

Im Gleichnis des Matthäusevangeliums (13,1–50) wird das Gedeihen der Saat auch als Frucht der Arbeit des Sämanns herausgestellt, das zugleich von der klimatischen Beschaffenheit der Erde abhängt. So ist nach den Worten Jesu das Wachstum des Reiches Gottes durch den Menschen, durch seine innere Bereitschaft, bedingt: Der freie menschliche Wille ist für das Wachsen verantwortlich.

Im selben Gleichnis (Mt 13,24–30) spricht der Herr von einem Feind, der Unkraut unter den Weizen sät, sodass beides zusammen wachsen muss und erst bei der Ernte voneinander getrennt wird. Damit erklärt Jesus das Nebeneinander von Gut und Böse in der Welt, in unserem Leben, ja selbst in der Geschichte der Kirche. Er lehrt uns, die Dinge mit christlichem Realismus zu sehen, aber auch mit Klugheit und Geduld. Dies setzt eine transzendente Sicht der Geschichte voraus, nach der alles Gott gehört und jedes Ende ein Werk seiner Vorsehung ist. Dies verkündet der heilige Paulus, wenn er schreibt: „Danach kommt das Ende, wenn Christus jede Macht, Gewalt und Kraft vernichtet hat und seine Herrschaft Gott, dem Vater, übergibt” (1 Kor 15,24).

Indem ich am Ende dieser meiner Worte dazu einlade, für das Kommen des Reiches Gottes zu beten und auf die göttliche Vorsehung zu vertrauen, grüße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher sehr herzlich. Mein besonderer Willkommensgruß gilt den Mitgliedern des Caritas-Helferkreises der Pfarrei St. Peter und Paul in Erlangen, dem Musikkreis ”Lassus“ aus München, den Seminaristen aus dem Bischöflichen Priesterseminar in Trier und der Gruppe ”Frauenselbsthilfe nach Krebs“, Neuwied.

Euch allen, Euren lieben Angehörigen in der Heimat sowie den mit uns über Fernsehen und über Radio Vatikan verbundenen Gläubigen erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.