JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 24. Februar 1993
1. In den vorausgegangenen Katechesen haben wir über den Bischof von Rom als den Nachfolger Petri gesprochen. Diese Nachfolge ist von grundlegender Bedeutung für die Erfüllung der Sendung, die Jesus Christus den Aposteln und der Kirche aufgetragen hat. Das II. Vatikanische Konzil lehrt, dass der Bischof von Rom als „Stellvertreter Christi … höchste und universale Gewalt” über die gesamte Kirche hat (Lumen Gentium, Nr. 22). Diese und auch die Gewalt der Bischöfe hat Dienstcharakter (ministerium = Dienst), wie schon die Kirchenväter feststellten.
Die Konzilsaussagen über den Bischof von Rom müssen im Licht dieser christlichen Tradition gelesen und erklärt werden; dabei ist zu berücksichtigen, dass die von den Konzilien – besonders vom I. Vatikanischen Konzil – verwandte Ausdrucksweise hinsichtlich der Vollmachten sowohl des Papstes als auch der Bischöfe zum besseren Verständnis Fachwörter des Zivilrechts gebraucht, denen in diesem Fall der rechte kirchliche Wortsinn zu geben ist.
Auch in der Kirche als Versammlung von Menschen, die berufen sind, den von Gott verfügten Plan für die Rettung der Welt in der Geschichte zu verwirklichen, zeigt sich die Vollmacht als ein unumgängliches Erfordernis der Sendung. Die analoge Bedeutung der verwandten Ausdrücke erlaubt es, die Vollmacht in dem Sinn zu verstehen, der vom Leitsatz Jesu über die „Vollmacht zu dienen” und vom evangelischen Verständnis der pastoralen Leitung dargeboten wird. Die für die Sendung Petri und seiner Nachfolger erforderliche Vollmacht identifiziert sich mit dieser maßgeblichen Leitung, die durch den göttlichen Beistand gewährleistet wird, den Jesus selbst als Hirtendienst beschrieben hat.
2. Dies vorausgesetzt, können wir die Formulierung des Konzils von Florenz (1439) lesen, die lautet: „Wir bestimmen, dass der Heilige Apostolische Stuhl und der römische Bischof den Vorrang über den ganzen Erdkreis innehat, weiter, dass dieser römische Bischof Nachfolger des heiligen Petrus, des Apostelfürsten, wahrer Stellvertreter Christi, Haupt der gesamten Kirche und Vater und Lehrer aller Christen ist; dass ihm im heiligen Petrus die volle Gewalt, die ganze Kirche zu weiden, zu regieren und zu verwalten, von unserem Herrn Jesus Christus übergeben ist, wie es die Verhandlungsberichte der Allgemeinen Kirchenversammlungen und die heiligen Rechtssätze enthalten” (DS 1307).
Man weiß, dass das Problem des Primats geschichtlich durch die von Rom getrennte orientalische Kirche entstanden ist. In dem Bemühen, die Einigung zu fördern, stellte das Konzil von Florenz die Bedeutung des Primats heraus. Es handelt sich um eine Sendung des Dienstes an der Gesamtkirche, die notwendigerweise gerade in Bezug auf diesen Dienst eine entsprechende Autorität mit sich bringt; „die volle Gewalt, zu weiden, zu regieren und zu verwalten”, ohne dass das Vorrang und Rechte der orientalischen Patriarchen, die deren Amtswürde entsprechen, verletzt werden (vgl. DS 1308).
Das I. Vatikanische Konzil (1870) seinerseits zitiert die Definition des Konzils von Florenz (vgl. DS 3060) und erläutert, nachdem es die Schriftstellen genannt hat (Joh 1,42; Mt 16,16 f.; Joh 21,15 f.), die Bedeutung dieser Vollmacht noch näher. Der römische Bischof hat nicht „nur das Amt einer Aufsicht oder Leitung”, sondern „die volle und oberste Gewalt der Rechtsbefugnis über die ganze Kirche – und zwar nicht nur in Sachen des Glaubens und der Sitten, sondern auch in dem, was zur Ordnung und Regierung der über den ganzen Erdkreis verbreiteten Kirche gehört” (DS 3064).
Es hatte Versuche gegeben, die oberste Gewalt des römischen Papstes auf „ein Amt der Aufsicht und Leitung” zu beschränken. Einige hatten vorgeschlagen, dass der Papst einfach ein Schiedsrichter in den Streitigkeiten zwischen den Ortskirchen sei oder nur die selbständigen Aktivitäten der Kirchen und der Christen allgemein durch Ratschläge und Empfehlungen leiten würde. Aber diese Verkürzung entsprach nicht der Sendung, die Christus dem Petrus aufgetragen hatte. Das I. Vatikanische Konzil unterstreicht deshalb die Fülle der päpstlichen Vollmacht und stellt klar, dass es nicht genügt, dem römischen Papst „einen größeren Anteil” zuzuerkennen: Man muss hingegen zugeben, dass er „die ganze Fülle dieser höchsten Gewalt” besitzt (DS 3064).
3. Hier muss man sofort klarstellen, dass diese „Fülle” der dem Papst zuerkannten Gewalt nichts von der „Fülle” nimmt, die auch der Körperschaft der Bischöfe gehört. Ja, man muss bekräftigen, dass der Papst und die Körperschaft der Bischöfe „die ganze Fülle” der Gewalt haben. Der Papst besitzt diese Fülle ganz persönlich, während die Körperschaft der Bischöfe sie als Gemeinschaft besitzt, weil sie unter der Autorität des Papstes vereint ist. Die Vollmacht des Papstes ist nicht das Ergebnis einer einfachen Zusammenzählung, sondern das Prinzip der Einheit und Geschlossenheit der Körperschaft der Bischöfe.
Gerade aus diesem Grund unterstreicht das Konzil, dass die Gewalt des Papstes „ordentlich und unmittelbar (ist), ebenso über die gesamten und die einzelnen Kirchen wie über die gesamten und einzelnen Hirten und Gläubigen” (DS 3064). Sie ist ordentlich in dem Sinn, dass sie dem römischen Papst kraft der ihm zustehenden Aufgabe eigen ist und nicht durch Beauftragung von Seiten der Bischöfe; sie ist unmittelbar, weil er sie direkt, ohne Erlaubnis oder Vermittlung der Bischöfe ausüben kann.
Die Definition des I. Vatikanums schreibt dem Papst jedoch keine Vollmacht oder Aufgabe täglicher Eingriffe in den Ortskirchen zu; sie will nur die Möglichkeit ausschließen, ihm Regeln aufzuzwingen, die die Ausübung des Primats beschränken. Das Konzil erklärt ausdrücklich: „Diese Gewalt des obersten Hohenpriesters tut der ordentlichen und unmittelbaren Gewalt der bischöflichen Rechtsbefugnis, in der die Bischöfe, die, eingesetzt vom Heiligen Geist, an die Stelle der Apostel getreten sind und als wahre Hirten die ihnen anvertrauten Herden weiden und leiten, jeder die seine, gar keinen Eintrag” (DS 3061).
Ja, man muss an eine Erklärung der deutschen Bischöfe, approbiert von Pius IX., aus dem Jahr 1875 erinnern: „Kraft der göttlichen Einsetzung selbst, worauf das Amt des Papstes gründet, gibt es auch den Episkopat: Ihm stehen Rechte und Pflichten zu durch eine Verfügung, die von Gott selbst kommt, und der Papst hat weder das Recht noch die Gewalt, sie zu ändern.” Die Dekrete des I. Vatikanischen Konzils werden deshalb falsch verstanden, wenn man behauptet, dass durch sie „die bischöfliche Rechtsbefugnis von der des Papstes aufgezehrt worden ist”; dass der Papst „für sich die Stelle jedes Bischofs einnimmt” und dass die Bischöfe nichts anderes als „Instrumente des Papstes sind: seine Beamten ohne eigene Verantwortung” (vgl. DS 3115).
4. Hören wir jetzt die ausführliche, ausgewogene und klare Lehre des II. Vatikanischen Konzils, das erklärt: Jesus Christus, der ewige Hirt, wollte, dass die Bischöfe als Nachfolger der Apostel „in seiner Kirche bis zur Vollendung der Weltzeit Hirten sein sollten. Damit aber der Episkopat selbst einer und ungeteilt sei, hat er den heiligen Petrus an die Spitze der übrigen Apostel gestellt und in ihm ein immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Glaubenseinheit und der Gemeinschaft eingesetzt” (Lumen Gentium, Nr. 18).
In diesem Sinn spricht das II. Vatikanische Konzil vom Bischof von Rom als dem „Hirten der ganzen Kirche”, der über sie die „volle, höchste und universale Gewalt” hat (Lumen Gentium, Nr. 22). Das ist die „primatiale Gewalt über alle Hirten und Gläubigen” (ebd.). „Deshalb sind die einzelnen Bischöfe gehalten, … in Arbeitsgemeinschaft zu treten untereinander und mit dem Nachfolger Petri, dem das hohe Amt, den christlichen Namen auszubreiten, in besonderer Weise übertragen ist” (Lumen Gentium, Nr. 23).
Nach dem gleichen Konzil ist die Kirche auch in diesem Sinn katholisch, dass alle Jünger Christi durch ihr jeweiliges persönliches Apostolat zu ihrer universalen Heilssendung beitragen müssen. Aber das pastorale Wirken aller und besonders das kollegiale des ganzen Episkopats erhält die Einheit durch das „ministerium Petrinum” (das Petrusamt) des Bischofs von Rom. „In diesem Kollegium – so lehrt das Konzil – wirken die Bischöfe, unter treuer Wahrung des primatialen Vorrangs ihres Hauptes, in eigener Vollmacht zum Besten ihrer Gläubigen, ja der ganzen Kirche” (Lumen Gentium, Nr. 22). Und wir müssen mit dem Konzil noch hinzufügen: Wenn die kollegiale Vollmacht über die ganze Kirche besonders im ökumenischen Konzil Ausdruck findet, so hat der Bischof von Rom „das Vorrecht, diese Konzilien zu berufen, auf ihnen den Vorsitz zu führen und sie zu bestätigen” (ebd.). Darum hängt alles vom Papst ab, dem Bischof von Rom, als dem Prinzip der Einheit und Gemeinschaft.
5. Hier ist auf Folgendes hinzuweisen: Wenn das II. Vatikanum die Tradition des kirchlichen Lehramtes über das Thema „ministerium Petrinum” des Bischofs von Rom – das zuvor beim Konzil von Florenz (1439) und beim I. Vatikanum (1870) Ausdruck fand – übernommen hat, dann bestand sein Verdienst, während es diese Lehre wiederholte, darin, die Beziehung zwischen dem Primat und der Kollegialität der Bischöfe in der Kirche hervorzuheben. Dank dieser neuen Klarstellung wurden wiederholte falsche Auslegungen der Lehraussage des I. Vatikanischen Konzils ausgeschlossen, und die volle Bedeutung des Petrusamtes wurde in Übereinstimmung mit der Lehre von der Kollegialität der Bischöfe dargestellt. Bekräftigt wurde auch das Recht des römischen Papstes, „in Ausübung seines Amtes mit den Hirten und Herden der ganzen Kirche frei zu verkehren”, und das im Hinblick auf alle Riten (vgl. Pastor aeternus, cap. II: DS 3060, 3062).
Für den Nachfolger Petri handelt es sich nicht darum, Vollmachten zu beanspruchen, die denen der irdischen Herrscher gleichen, von denen Jesus spricht (vgl. Mt 20, 25–28), sondern dem Willen des Stifters der Kirche treu zu sein, der diese Art von Gesellschaft und diese Weise zu leiten eingerichtet hat für den Dienst an der Gemeinschaft im Glauben und in der Liebe.
Um dem Willen Christi zu entsprechen, muss der Nachfolger Petri die ihm verliehene Autorität im Geist demütigen Dienens und zur Sicherung der Einheit annehmen und ausüben. Auch in den verschiedenen geschichtlichen Ausübungsweisen muss er Christus nachahmen, indem er denen dient und sie sammelt, die berufen sind, an der einen Herde teilzuhaben. Das, was er für Christus und für seine Kirche empfangen hat, wird er nie persönlichen Zwecken unterordnen. Er wird nie vergessen, dass die universale Hirtensendung notwendigerweise eine tiefere Vereinigung mit dem Opfer des Erlösers, dem Geheimnis des Kreuzes, mit sich bringt.
Hinsichtlich der Beziehung zu seinen Mitbrüdern im Bischofsamt denkt er an die Worte des hl. Gregor des Großen und verwirklicht sie: „Meine Ehre ist die Ehre der gesamten Kirche. Meine Ehre ist die volle Lebenskraft meiner Brüder. Dann bin ich in Wahrheit geehrt, wenn allen einzelnen die schuldige Ehre erwiesen wird” (Epist. ad Eulogium Alexandrinum, PL 77, 933).
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Liebe Schwestern und Brüder!
Mit dem innigen Wunsch, die am heutigen Aschermittwoch beginnende österliche Bubzeit möge uns alle zur Mitte unseres Lebens führen und damit ein Weg sein, der uns Gott und den Mitmenschen naherbringt, grübe ich Euch, liebe deutschsprachige Pilger und Besucher, sehr herzlich. Mein besonderer Willkommensgrub gilt den Ordensschwestern, die einen theologischen Kurs am Papstlichen Institut ”Regina Mundi“ in Rom besuchen und die an einem geistlichen Erneuerungskurs in La Storta teilnehmen.
Euch, Euren lieben Angehörigen sowie allen in Eurer Heimat, die uns in der Hinwendung zu Gott verbunden sind, erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.
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