JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 9. März 1994
1. In der vorangegangenen Katechese haben wir das sakramentale Fundament der Dienste und Aufgaben der Laien in der Kirche hervorgehoben: die Taufe, die Firmung und für viele das Ehesakrament. Es ist ein an die sakramentale Struktur der Kirche geknüpfter wesentlicher Punkt der Theologie der Laien. Aber wir müssen jetzt hinzufügen, dass der Heilige Geist, der Spender aller Gaben und Urheber der Lebenskraft der Kirche, nicht nur durch die Sakramente wirkt. Er, der nach dem hl. Paulus jedem seine besondere Gabe zuteilt, wie er will (vgl. 1 Kor 12,11), gießt über das Volk Gottes einen großen Gnadenreichtum aus, sei es für das Gebet und die Betrachtung, sei es für die Arbeit. Es sind die Charismen: Auch die Laien sind ihre Empfänger, besonders im Hinblick auf ihre kirchliche und soziale Sendung. Das hat das II. Vatikanische Konzil bekräftigt, anknüpfend an den hl. Paulus: Der Heilige Geist „verteilt unter den Gläubigen jeglichen Standes auch besondere Gnaden. Durch diese macht er sie geeignet und bereit, für die Erneuerung und den vollen Aufbau der Kirche verschiedene Werke und Dienste zu übernehmen, gemäß dem Wort [des hl. Paulus]: ‚Jedem wird der Erweis des Geistes zum Nutzen gegeben‘ (1 Kor 12,7)“ (Lumen Gentium, Nr. 12).
2. Der hl. Paulus hatte die Vielfalt und Verschiedenheit der Charismen in der Urkirche hervorgehoben: einige außerordentliche, wie die Gabe, Krankheiten zu heilen, prophetisch zu reden oder die des Zungenredens; andere, einfachere, werden verliehen für die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben, die in der Gemeinschaft zugeteilt werden (vgl. 1 Kor 12,7-10).
Infolge des Paulus-Wortes wurden die Charismen oft als außerordentliche Gaben betrachtet, die besonders kennzeichnend für das anfängliche Leben der Kirche sind. Das II. Vatikanische Konzil wollte die Charismen in ihrer Eigenschaft als Gaben hervorheben, die zum ordentlichen Leben der Kirche gehören und nicht unbedingt außerordentlicher oder wunderbarer Natur sind. Auch das Apostolische Schreiben Christifideles laici spricht von den Charismen als Gaben, die „außergewöhnlich oder bescheiden und einfach“ sein können (vgl. Christifideles laici, Nr. 24). Außerdem ist zu beachten, dass viele Charismen als vorrangige oder hauptsächliche Zielsetzung nicht die persönliche Heiligung des Empfängers, sondern den Dienst an den anderen und das Wohl der Kirche haben. Zweifellos dienen sie auch der Entfaltung der persönlichen Heiligkeit und fördern sie, aber in einer wesentlich altruistischen und gemeinschaftlichen Perspektive, die sich in die Kirche in einer organischen Dimension einprägt in dem Sinn, dass sie das Wachstum des mystischen Leibes Christi betrifft.
3. Wie uns der hl. Paulus gesagt und das Konzil wiederholt hat, sind solche Charismen Frucht der freien Wahl und Geschenk des Heiligen Geistes, dessen Eigenschaft als erstes und wesentliches Geschenk im Bereich des dreifältigen Lebens sie mitteilen. Der eine und dreieinige Gott bekundet in besonderer Weise in den Gaben seine unumschränkte Macht, die weder einer vorhergegangenen Regel oder besonderen Ordnung noch einem ein für alle Mal festgelegten Muster unterworfen ist: Nach dem hl. Paulus verteilt er jedem seine Gaben, „wie er will“ (1 Kor 12,11). Es ist ein ewiger Wille, zu lieben, dessen Freiheit und Unentgeltlichkeit sich in dem Handeln kundtut, das der Heilige Geist als Geschenk im Heilsplan vollbringt. Aufgrund dieser höchsten Freiheit und Unentgeltlichkeit werden die Charismen auch den Laien zugeteilt, wie es die Geschichte der Kirche beweist (vgl. Christifideles laici, Nr. 24).
Wir können nicht umhin, die großen Reichtümer der Gaben zu bewundern, die den Laien als Gliedern der Kirche auch in unserer Zeit zugeteilt werden. Jeder von ihnen hat die notwendige Fähigkeit, die Aufgaben zu übernehmen, zu denen er zum Wohl des christlichen Volkes und für das Heil der Welt berufen ist, wenn er offen, fügsam und treu gegenüber dem Wirken des Heiligen Geistes ist.
4. Aber es ist notwendig, auch auf einen anderen Punkt der Lehre des hl. Paulus und der Kirche zu achten, der sowohl für alle Arten von Diensten als auch für die Charismen gilt: Ihre Verschiedenheit und Vielfalt kann der Einheit nicht schaden: „Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn“ (1 Kor 12,4-5). Paulus forderte die Achtung dieser Verschiedenheit, denn nicht alle können den Anspruch erheben, dieselbe Aufgabe zu erfüllen, im Gegensatz zum Plan Gottes und zur Gabe des Geistes und auch zu den elementarsten Gesetzen jeder Sozialstruktur. Aber der Apostel unterstrich zugleich die Notwendigkeit der Einheit, die auch einem Erfordernis soziologischer Ordnung entsprach, aber in der christlichen Gemeinschaft noch mehr ein Widerschein der göttlichen Einheit sein sollte. Ein Geist, ein Herr. Und deshalb eine einzige Kirche!
5. Zu Beginn der christlichen Ära wurden außerordentliche Dinge vollbracht unter dem Einfluss der Charismen, sowohl der außerordentlichen als auch der sogenannten einfachen, bescheidenen, alltäglichen Charismen. So war es immer in der Kirche, und so ist es auch in unserer Zeit, im Allgemeinen in verborgener, aber manchmal, wenn Gott es zum Wohl seiner Kirche will, auch in auffälliger Weise. Und wie in der Vergangenheit, so hat es auch in unseren Tagen viele Laien gegeben, die zur geistlichen und pastoralen Entfaltung der Kirche beigetragen haben. Wir können sagen, dass es auch heute unzählige Laien gibt, die dank ihrer Charismen als gute und wahrhafte Zeugen des Glaubens und der Liebe tätig sind.
Es ist wünschenswert, dass sich alle dieses transzendenten Wertes an ewigem Leben bewusst werden, der schon in ihrer Arbeit enthalten ist, wenn sie in Treue zu ihrer Berufung und Fügsamkeit gegenüber dem Heiligen Geist arbeiten, der in ihren Herzen lebt und handelt. Dieser Gedanke kann als Anregung, Hilfe und Ermutigung besonders denen dienen, die in Treue zu einer heiligen Berufung sich im Dienst am Gemeinwohl einsetzen: für die Festigung der Gerechtigkeit, die Verbesserung der Lebensbedingungen der Armen und Notleidenden, die Sorge für die Behinderten, die Aufnahme der Flüchtlinge und die Verwirklichung des Friedens in der ganzen Welt.
6. Im Gemeinschaftsleben und in der Pastoralpraxis der Kirche ist die Anerkennung der Charismen, aber auch ihre Unterscheidung geboten, wie die Väter der Synode von 1987 in Erinnerung gerufen haben (vgl. Christifideles laici, Nr. 24). Gewiss, der Heilige Geist „weht, wo er will“, und man kann sich nie anmaßen, ihm Regeln und Bedingungen aufzuzwingen. Aber die christliche Gemeinschaft hat das Recht, von den Hirten über die Echtheit der Charismen und die Vertrauenswürdigkeit derer unterrichtet zu werden, die sich als ihre Träger vorstellen. Das Konzil hat auf die Notwendigkeit zur Vorsicht auf diesem Gebiet hingewiesen, besonders wenn es sich um außerordentliche Charismen handelt (vgl. Lumen Gentium, Nr. 12).
Das Apostolische Schreiben Christifideles laici hat auch unterstrichen, dass „kein Charisma von der Rückbindung an die Hirten der Kirche und von der Unterordnung unter sie dispensiert“ (vgl. Christifideles laici, Nr. 24). Es sind leicht zu verstehende Vorsichtsmaßnahmen, die für alle, Kleriker und Laien, gelten.
7. Dies gesagt, möchten wir mit dem Konzil und dem genannten Schreiben wiederholen, dass die Charismen „von jenen, die sie empfangen, aber auch von der gesamten Kirche in Dankbarkeit angenommen werden“ sollen (Christifideles laici, Nr. 24). Aus diesen Charismen „erwächst jedem Glaubenden das Recht und die Pflicht, sie in Kirche und Welt zum Wohl der Menschen und zum Aufbau der Kirche zu gebrauchen“ (Apostolicam actuositatem, Nr. 3). Das Recht gründet auf der Schenkung des Geistes und auf der Bestätigung der Kirche. Die Pflicht entspringt der Tatsache des empfangenen Geschenks selbst, das Verantwortung mit sich bringt und Einsatz erfordert.
Die Geschichte der Kirche beweist, dass, wenn die Charismen echt sind, sie früher oder später anerkannt werden und ihre konstruktive und einigende Funktion ausüben können. Eine Funktion, wir sagen es noch einmal, die der Großteil der Glieder der Kirche, Kleriker und Laien, kraft der verborgenen Charismen jeden Tag zu unser aller Wohl wirksam entfaltet.
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Liebe Schwestern und Brüder!
Der hl. Geist wirkt nicht nur durch die Sakramente in der Kirche. Nach dem hl. Paulus teilt er jedem die Gaben zu, wie er will (vgl. 1 Kor 12,11), und er gießt über das Volk Gottes einen großen Gnadenreichtum aus, sowohl für das Gebet als auch für das aktive Handeln. Es sind Charismen, die auch die Laien empfangen für ihren Auftrag in Kirche und Gesellschaft.
Der hl. Paulus hat die Vielfalt der Charismen in der Urkirche aufgezeigt: außerordentliche, wie die Gabe, Krankheiten zu heilen, prophetisch zu reden oder die des Zungenredens; und andere, die für die ordnungsgemäße Erfüllung der innerhalb der Gemeinschaft zugewiesenen Aufgaben geschenkt werden (1 Kor 12,7-10). Während in der Anfangszeit der Kirche die Charismen mehr für außerordentliche Gaben gehalten wurden, hat das Zweite Vatikanische Konzil deren Zugehörigkeit zum ordentlichen Leben der Kirche betont.
Wir müssen den großen Reichtum der Gaben bewundern, die den Laien als Gliedern der Kirche vom hl. Geist auch in unserer Zeit geschenkt werden. Sicher „weht der Geist, wo er will“, und man kann niemals verlangen, ihm Regeln oder Bedingungen aufzuerlegen. Aber die christliche Gemeinde hat das Recht, von ihren Hirten über die Echtheit der Charismen und über die Vertrauenswürdigkeit derer, die sich als ihre Träger ausgeben, unterrichtet zu werden. Der größte Teil der Gläubigen verrichtet tägliche Aufgaben in der Kirche aufgrund von ordentlichen Charismen, die nach außen hin kein Aufsehen erregen.
Mit dieser kurzen Betrachtung grübe ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher sehr herzlich. Mein besonderer Grub gilt den Absolventen des Aufbaustudienganges ”Lizentiat im kanonischen Recht“ an der Universität Münster, den orthodoxen Studenten des Ostkirchlichen Istituts in Regensburg, den Pilgern der von der Volkshochschule Coesfeld organisierten Romreise sowie der Pfarrei St. Andreas Ochsenfurt. Euch allen, Euren lieben Angehörigen zu Hause sowie den mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbundenen Gläubigen erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.
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