JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 22. Juni 1994
1. In den Katechesen über die Würde und das Apostolat der Laien in der Kirche haben wir das Denken und die Pläne der Kirche dargelegt, die für alle Gläubigen, Männer und Frauen, gelten. Jetzt aber wollen wir die Rolle der christlichen Frau eingehender betrachten, sowohl in Bezug auf die Bedeutung, die die Frauen seit jeher in der Kirche gehabt haben, als auch wegen der Erwartungen, die man ihnen gegenüber für die Gegenwart und die Zukunft hegt. Viele Stimmen sind in unserer Zeit laut geworden, um die Achtung der personalen Würde der Frau und die Anerkennung einer wirklichen Gleichheit der Rechte mit dem Mann zu fordern, damit ihr die volle Möglichkeit gegeben werde, ihren Auftrag in allen Bereichen und auf allen Ebenen der Gesellschaft zu erfüllen.
Die Kirche betrachtet die Bewegung der sogenannten Emanzipation oder Befreiung bzw. Entfaltung der Frau im Licht der Offenbarung und Lehre über die Würde der menschlichen Person, über den Wert der Einzelpersonen – Frauen und Männer – vor dem Schöpfer und über die Rolle, die der Frau im Heilsplan zuerkannt wird. Sie ist deshalb der Meinung, dass die Anerkennung der Bedeutung der Frau in Wirklichkeit dem christlichen Bewusstsein des Wertes jeder Person entspringt. Angeregt durch die Entwicklung der soziokulturellen Bedingungen und erleuchtet vom Heiligen Geist, gelingt es diesem Bewusstsein, immer besser die Absichten des in der Offenbarung enthaltenen göttlichen Plans zu erfassen. Und diese „göttlichen Absichten” sollten wir vor allem im Evangelium studieren, während wir die Bedeutung des Lebens der Laien und insbesondere die der Frauen behandeln, um ihren Beitrag zum Werk der Kirche für die Verbreitung der Botschaft des Evangeliums und für die Ankunft des Reiches Gottes zu fördern.
2. In der Sicht der christlichen Anthropologie hat jede menschliche Person ihre Würde: Und die Frau als Person besitzt nicht weniger Würde als der Mann. Aber aufgrund des männlichen Egoismus, der sich vielerorts in der Vergangenheit gezeigt hat und heute noch zeigt, wird die Frau zu oft als Objekt betrachtet. In der heutigen Situation spielen viele Gründe kultureller und sozialer Art mit, die mit ausgewogener Objektivität zu berücksichtigen sind. Aber es ist nicht schwer, auch den Einfluss einer Neigung zur Vorherrschaft und Gewalttätigkeit zu erkennen, die ihre Opfer besonders unter den Frauen und Kindern sucht. Im Übrigen war und ist es auch ein allgemeines Phänomen: Es hat seinen Ursprung, wie ich in Christifideles laici schrieb, in „einer ungerechten und schädlichen Mentalität…, die den Menschen als ein Ding, als ein Objekt, als ein Werkzeug des egoistischen Interesses oder der Lust versteht, das man kaufen oder verkaufen kann” (Nr. 49).
Die christlichen Laien sind berufen, alle Formen zu bekämpfen, die diese Mentalität annimmt, auch wenn sie sich in öffentliches Zurschaustellen und Werbung umsetzt, die von der Absicht gesteuert werden, den hektischen Konsumdrang noch zu verstärken. Aber die Frauen selbst sind verpflichtet mitzuwirken, damit sie die Achtung ihrer Persönlichkeit erlangen, und sie dürfen in keiner Form Kompromisse schließen mit dem, was ihrer Würde widerspricht.
3. Auf der Grundlage derselben Anthropologie lehrt die Kirche weiter, dass das Prinzip der Gleichheit von Frau und Mann in Bezug auf die personale Würde und die Grundrechte des Menschen mit allen Konsequenzen verwirklicht werden soll. Die Bibel selbst lässt diese Gleichheit durchblicken. Diesbezüglich mag folgende Beobachtung interessant sein: Wenn im ältesten Bericht über die Erschaffung von Adam und Eva die Frau von Gott „aus der Rippe” des Menschen erschaffen wird (vgl. Gen 2,4b–25), dann ist sie dem Mann als ein anderes „Ich” zur Seite gestellt, mit dem er im Unterschied zu allen anderen geschaffenen Wirklichkeiten auf gleicher Ebene sprechen kann. In derselben Sicht ist der andere Schöpfungsbericht zu betrachten (vgl. Gen 1,26–28), wo sogleich bekräftigt wird, dass der als Abbild Gottes geschaffene Mensch „Mann und Frau” ist. „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie” (Gen 1,27; vgl. Mulieris dignitatem, Nr. 6). So wird der Geschlechtsunterschied, aber vor allem ihre notwendige Komplementarität zum Ausdruck gebracht. Man könnte meinen, dass es dem heiligen Autor am Herzen liegt, endgültig zu bekräftigen, dass die Frau nicht weniger als der Mann das Bild Gottes in sich trägt und dass sie in dem, was für ihre Person als Frau spezifisch ist, und nicht nur in dem, was sie mit dem Mann gemeinsam hat, als Abbild Gottes geschaffen wurde. Es handelt sich um Gleichheit und Verschiedenheit (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 369). Deshalb besteht die Vollkommenheit für die Frau nicht darin, wie der Mann zu sein und sich so weit zu vermännlichen, dass sie ihre spezifischen fraulichen Eigenschaften verliert: Ihre Vollkommenheit – auch ein Geheimnis des Erfolgs und entsprechender Selbstständigkeit – ist es, Frau zu sein, dem Mann gleich, aber verschieden von ihm. In der Gesellschaft und auch in der Kirche müssen Gleichheit und Verschiedenheit der Frauen anerkannt werden.
4. Verschiedenheit bedeutet nicht eine notwendige und fast unerbittliche Opposition. In demselben biblischen Schöpfungsbericht wird die Zusammenarbeit von Mann und Frau als Voraussetzung für die Entwicklung der Menschheit und ihres Werkes der Herrschaft über die Welt bekräftigt: „Seid fruchtbar, und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch” (Gen 1,28). Im Hinblick auf diesen Auftrag des Schöpfers betont die Kirche, dass das „Ehepaar und die Familie … der primäre Ort des sozialen Engagements der Laien sind” (vgl. Christifideles laici, Nr. 40). Allgemeiner sagen wir, dass die Gründung der zeitlichen Ordnung sich aus der Zusammenarbeit von Mann und Frau ergeben muss.
5. Aber aus dem darauffolgenden Text der Genesis ist auch zu entnehmen, dass die Zusammenarbeit von Mann und Frau im Heilsplan auf einer höheren Ebene in der Sicht der Gemeinschaft des neuen Adam und der neuen Eva Ausdruck finden sollte. Denn im Protoevangelium (vgl. Gen 3,15) wird die Feindschaft zwischen dem Bösen und der Frau begründet. Als erste Feindin des Bösen ist die Frau die erste Verbündete Gottes (vgl. Mulieris dignitatem, Nr. 11). In dieser Frau können wir im Licht des Evangeliums die Jungfrau Maria erkennen. Aber wir können in diesem Text auch eine Wahrheit lesen, die die Frauen im Allgemeinen betrifft: Sie wurden befördert – nach der durch Gott freigeschenkten Erwählung erhielten sie eine vorrangige Rolle im göttlichen Bund. In der Tat erkennt man das in den Gestalten so vieler heiliger Frauen, wahrer Heldinnen des Reiches Gottes, aber auch in der menschlichen Geschichte und Kultur kommt das Wirken der Frau für das Gemeinwohl zum Ausdruck.
6. In Maria offenbart sich voll die Bedeutung, die der Person und Sendung der Frau im göttlichen Plan zugeschrieben wird. Um sich davon zu überzeugen, genügt es, über die anthropologische Bedeutung der Grundaspekte der Mariologie nachzudenken: Maria ist die „Begnadete” vom ersten Augenblick ihres Daseins an, so dass sie vor der Sünde bewahrt bleibt. Offensichtlich wird der „mehr als alle Frauen Gesegneten” die Fülle des göttlichen Wohlgefallens gewährt, das von Maria auf die Beschaffenheit der Frau selbst ausstrahlt und somit deren Unterlegenheit in jedem Fall ausschließt (vgl. Redemptoris Mater, Nr. 1–7).
Maria wird außerdem in den endgültigen Bund Gottes mit der Menschheit eingesetzt. Sie hat die Aufgabe, im Namen der Menschheit ihre Zustimmung zum Kommen des Erlösers zu geben. Diese Rolle übersteigt alle, auch die jüngsten Forderungen hinsichtlich der Rechte der Frau: Maria hat in herausragender und menschlich unvorstellbarer Weise in die Geschichte der Menschheit eingegriffen, und sie hat durch ihre Zustimmung zur Wandlung der ganzen menschlichen Bestimmung beigetragen.
Und weiter: Maria hat bei der Entfaltung der Sendung Jesu mitgewirkt, dadurch dass sie ihn geboren und aufgezogen hat und ihm in den Jahren des verborgenen Lebens beigestanden ist; dann während der Jahre seines öffentlichen Wirkens, indem sie seine Tätigkeit behutsam unterstützte, angefangen von Kana, wo sie die erste Offenbarung der wundertätigen Macht des Erlösers erlangt: Wie das Konzil lehrt, hat Maria „den Anfang der von Jesus als Messias gewirkten Zeichen durch ihre Fürbitte veranlasst” (vgl. Lumen Gentium, Nr. 58).
Maria hat vor allem mit Christus am Heilswerk mitgewirkt, nicht nur dadurch, dass sie Jesus auf seine Sendung vorbereitet, sondern auch dadurch, dass sie sich mit seinem Opfertod für die Erlösung aller vereint hat (vgl. Mulieris dignitatem, Nr. 3–5).
7. Das Licht Marias kann sich auch heute in der Welt der Frau verbreiten und die alten und neuen Probleme der Frau umfassen, indem es allen hilft, ihre Würde zu verstehen und ihre Rechte anzuerkennen. Die Frauen empfangen eine besondere Gnade; sie erhalten sie, um im Bund mit Gott auf der Ebene ihrer Würde und Sendung zu leben. Sie sind gerufen, sich auf ihre Weise – in hervorragender Weise – mit dem Erlösungswerk Christi zu vereinen. Den Frauen gebührt eine wichtige Rolle in der Kirche. Das versteht man ganz besonders klar im Licht des Evangeliums und in der erhabenen Gestalt Marias.
_________________________
Herzlich grübe ich Euch, liebe Schwestern un Brüder aus den deutschsprachigen Ländern. Heute möchte ich kurz auf die wichtige Rolle und Aufgabe der Frau innerhalb der Kirche hinweisen, wie dies sich im Lichte des Evangeliums und der Person Mariens darstellt. Die Frauen erhalten eine besondere Gnade, sich auf ihre Weise und entsprechend ihrer besonderen Sendung in der Kirche mit dem Erlösungswerk Christi zu vereinen. Wir alle müssen dazu beitragen, daß ihre Würde und ihre Rechte von allen anerkannt und respektiert werden.
Euch allen sowie Euren lieben Angehörigen und Freunden in der Heimat erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.
Copyright © Dikasterium für Kommunikation