JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 3. August 1994
1. Wir haben die Rolle der Frau in der Kirche hervorgehoben. Die Aufgabe des Mannes ist natürlich nicht weniger wichtig. Die Kirche braucht die Zusammenarbeit beider, um ihre Sendung zu erfüllen. Der grundlegende Bereich, in dem diese Zusammenarbeit sich zeigt, ist das Ehe- und Familienleben: „Die soziale Dimension des Menschen findet ihren ersten und ursprünglichen Ausdruck im Ehepaar und in der Familie“ (Christifideles laici, Nr. 40).
Das II. Vatikanische Konzil, das „in den verschiedenen Verhältnissen und Aufgaben des Lebens die eine Heiligkeit” anerkennt, führt ausdrücklich den Weg des Ehelebens als Weg der Heiligkeit an: „Die christlichen Eheleute und Eltern müssen auf ihrem eigenen Weg in treuer Liebe das ganze Leben hindurch einander in der Gnade Halt und Stütze sein und die von Gott gerne empfangenen Kinder mit den christlichen Lehren und Tugenden des Evangeliums erfüllen. So geben sie allen das Beispiel einer unermüdlichen und großmütigen Liebe, sie bauen die Bruderschaft der Liebe auf, sind Zeugen und Mitarbeiter der fruchtbaren Mutter Kirche, zum Zeichen und in der Teilnahme jener Liebe, in der Christus seine Braut geliebt und sich für sie hingegeben hat” (Lumen Gentium, Nr. 41).
Es gibt also zwei wesentliche Aspekte im Leben der Eheleute und der Familie: die Heiligung in der Einheit treuer Liebe und die Heiligung in der Fruchtbarkeit, in der Erfüllung der Aufgabe, die Kinder christlich zu erziehen.
Heute wollen wir über den Weg der Heiligkeit der christlichen Eheleute, das heißt also des Großteils der Gläubigen, nachdenken. Es ist ein bedeutsamer Weg, den aber manche Strömungen des heutigen Denkens, genährt von der überall in der Gesellschaft um sich greifenden Genusssucht, zu erschüttern suchen.
2. Wir wollen die schöne Erklärung des Konzils wieder aufgreifen, nach der der Weg des Ehelebens ein Weg der Heiligkeit ist, weil er dazu bestimmt ist, „Zeichen und Teilnahme jener Liebe zu sein, in der Christus seine Braut geliebt und sich für sie hingegeben hat”.
In dieser ekklesiologischen Sicht ist die Liebe Christi die Quelle und das Fundament der Liebe, welche die Eheleute eint. Hierbei muss unterstrichen werden, dass es sich um echte eheliche Liebe handelt, nicht nur um einen instinktiven Trieb. Heute wird die Sexualität oft so sehr hochgespielt, dass die tiefe Natur der Liebe dabei in den Schatten gestellt wird. Gewiss, auch das sexuelle Leben hat seinen Eigenwert, der nicht unterschätzt werden darf, aber es ist ein begrenzter Wert, unzureichend als Grundlage für die eheliche Vereinigung, die ihrer Natur nach auf der Ganzhingabe der Person beruht. Über diesen Punkt besteht Übereinstimmung in jeder gesunden Psychologie und Philosophie der Liebe. Auch die christliche Lehre stellt die einigenden Eigenschaften der menschlichen Liebe ins Licht und lässt sie in einem noch höheren Licht erstrahlen, indem sie sie, kraft des Sakramentes, auf die Ebene der Gnade erhebt und ihr Anteil schenkt an der göttlichen Liebe Christi. In diesem Sinn sagt Paulus von der Ehe: „Dies ist ein tiefes Geheimnis” (Eph 5,32), in Beziehung zu Christus und zur Kirche. Dieses theologische Geheimnis steht für den Christen an der Wurzel der Ehemoral, der ehelichen Liebe und auch des sexuellen Lebens: „Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat” (Eph 5,25).
Die Gnade und das sakramentale Band bewirken, dass das eheliche Leben als Zeichen und Teilnahme an der Liebe des Bräutigams Christus für die christlichen Eheleute zum Weg der Heiligung wird und zugleich für die Kirche zum wirksamen Ansporn, die Gemeinschaft der Liebe, die für sie selbst kennzeichnend ist, neu aufleben zu lassen. Nach den Worten des Konzils bauen die Eheleute eine „Bruderschaft der Liebe” auf (Lumen Gentium, Nr. 41).
3. Das Konzil nennt und erklärt die Anforderungen dieser edlen Liebe der christlichen Eheleute. Wenn es betont, dass sie sich gegenseitig unterstützen müssen, dann unterstreicht es damit den selbstlosen Charakter ihrer Liebe: einer Liebe, die sich verwirklicht, indem sie dem anderen Halt schenkt und sich hochherzig hingibt. Wenn das Konzil ferner von „treuer Liebe … das ganze Leben hindurch” spricht, dann lenkt es die Aufmerksamkeit auf die Treue als eine Aufgabe, die sich auf die absolute Treue Christi gründet. Es wird immer notwendig sein, auf diese Verpflichtung hinzuweisen, aber heute ist es mehr denn je notwendig angesichts eines der großen Übel der heutigen Gesellschaft: des verbreiteten Unheils der Ehescheidung mit den ernsten Folgen, die für die Eheleute selbst und für ihre Kinder daraus entstehen. Durch die Ehescheidung bringen Mann und Frau sich eine tiefe Wunde bei, sie werden ihrem gegebenen Wort untreu und zerreißen eine für das Leben eingegangene Bindung. Sie schaden zugleich auch ihren Kindern. Wie viele Kinder leiden darunter, dass ihnen Vater oder Mutter genommen ist! Allen muss aufs Neue gesagt sein, dass Jesus Christus mit seiner absolut treuen Liebe den christlichen Eltern die Kraft zur Treue gibt und sie fähig macht, der heute so verbreiteten und verführerischen Versuchung zur Scheidung zu widerstehen.
4. Es muss auch ferner daran erinnert werden: Da die Liebe Christi, des Bräutigams, zur Kirche eine erlösende Liebe ist, so wird die Liebe der christlichen Eheleute zur aktiven Teilnahme an der Erlösung.
Die Erlösung ist mit dem Kreuz verbunden. Das hilft, die Bedeutung der Prüfungen zu verstehen und auszuwerten, die dem Leben der Eheleute gewiss nicht erspart bleiben, die aber nach dem Plan Gottes dazu bestimmt sind, die Liebe zu stärken und dem ehelichen Leben größere Fruchtbarkeit zu verleihen. Weit entfernt davon, denen, die in der Ehe verbunden ihm nachfolgen, ein irdisches Paradies zu versprechen, bietet Jesus Christus ihnen die Möglichkeit und die Berufung an, mit ihm selbst einen Weg zu gehen, der durch Schwierigkeiten und Leiden hindurch ihre Verbundenheit stärkt und sie zu einer größeren Freude führt, wie es die Erfahrung vieler christlicher Ehepaare, auch in unserer Zeit, beweist.
5. Schon die Erfüllung des Zeugungsauftrags trägt zur Heiligung des Ehelebens bei, wie wir schon beim Thema der Mutterschaft bemerkt haben: Die Liebe der Eheleute, die sich nicht in sich selbst verschließt, sondern sich, dem Antrieb und Gesetz der Natur entsprechend, neuem Leben öffnet, wird mit der Hilfe der göttlichen Gnade zu einer Übung heiliger und heiligender Liebe, durch die die Eheleute zum Wachstum der Kirche beitragen.
Dasselbe geschieht in der Erfüllung des Erziehungsauftrags, der eine mit der Zeugung selbst verbundene Verpflichtung ist. Wie das II. Vatikanische Konzil sagt, müssen die christlichen Eheleute ihre Kinder in „den christlichen Lehren und den Tugenden des Evangeliums” unterweisen (Lumen Gentium, Nr. 41). Das ist das wichtigste Apostolat im Bereich der Familie. Diese Arbeit der geistlichen und moralischen Formung der Kinder heiligt zu gleicher Zeit auch die Eltern. Sie werden selbst bereichert durch eine Erneuerung und Vertiefung ihres Glaubens, wie es die vielfache Erfahrung der christlichen Familien zeigt.
Wiederum können wir abschließend sagen, dass das eheliche Leben ein Weg der Heiligkeit und des Apostolates ist. So dient diese Katechese auch der Vertiefung unserer Auffassung von der Familie, die in diesem Jahr – für die Kirche und für die Welt „Jahr der Familie” – so große Bedeutung hat.
_____________________________
Liebe Schwestern und Brüder!
Die Liebe Christi ist Quelle und Fundament jener Liebe, die die Eheleute eint. Ihre gegenseitige Treue gründet auf der absoluten Treue Christi, des Bräutigams. Die Berufung auf diese ständig notwendige Verpflichtung wird noch dringender angesichts eines der größten Übel der gegenwärtigen Gesellschaft, nämlich der weit verbreiteten Plage der Ehescheidung mit schwerwiegenden Konsequenzen für die Eheleute selbst und für ihre Kinder. Wie viele Kinder leiden unter der Entfernung von einem Elternteil! Es muss allen ins Gedächtnis gerufen werden, dass Jesus Christus mit seiner absoluten Liebe und Treue den christlichen Eheleuten die Kraft verleiht, der Versuchung der Trennung zu widerstehen.
Mit diesen kurzen Gedanken grüsse ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher sehr herzlich. Mit meinen besten Wünschen für eine erholsame Urlaubs - und Ferienzeit erteile ich Euch, Euren Lieben zu Hause und allen mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbundenen Gläubigen meinen Apostolischen Segen.
Copyright © Dikasterium für Kommunikation