JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 20. Dezember 1995
1. Das Geburtsfest des Herrn, auf das wir uns in diesen Adventstagen vorbereiten, steht schon nahe bevor. Weihnachten weckt Erinnerungen an Liebe und Güte, weil es immer wieder die Aufmerksamkeit auf die menschlichen Grundwerte lenkt: die Familie, das Leben, die Unschuld, den Frieden, die Dankbarkeit.
Weihnachten ist das Fest der Familie, die, um die traditionellen Weihnachtssymbole Krippe und Baum versammelt, von Neuem ihre Berufung entdeckt, Heiligtum des Lebens und der Liebe zu sein. Weihnachten ist das Fest der Kinder, weil „auch der volle Sinn jeder menschlichen Geburt offenbar wird und die messianische Freude so als Fundament und Erfüllung der Freude über jedes Kind, das geboren wird, erscheint“ (Evangelium vitae, Nr. 1). Das Geburtsfest des Herrn führt dazu, dass wir auch den Wert der Unschuld wiederentdecken, weil es die Erwachsenen einlädt, von den Kindern zu lernen und staunend und mit reinem Herzen an die Wiege des neugeborenen Erlösers zu treten.
Weihnachten ist das Fest des Friedens, denn „heute ist der wahre Frieden vom Himmel zu uns herabgestiegen“, und „vom Himmel strömt Freundlichkeit auf die ganze Erde“ (vgl. Stundengebet, Offizium von Weihnachten). Die Engel singen in Bethlehem: „Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade“ (Lk 2,14). In dieser Zeit, die zur Freude einlädt, kann man nicht umhin, voll Trauer an all jene zu denken, die in so vielen Teilen der Welt noch ungeheure Tragödien erleben.
Wann werden sie wahrhaftig Weihnachten feiern können? Wann wird die Menschheit Weihnachten in einer vollständig versöhnten Welt erleben können? Gott sei Dank, dass einige Hoffnungszeichen uns ermutigen, die Friedenssuche unermüdlich fortzusetzen.
Meine Gedanken gehen natürlich nach Bosnien, wo das erzielte Abkommen, zwar in verständlichen Grenzen und unter erheblichen Opfern, einen großen Schritt vorwärts auf dem Weg der Versöhnung und des Friedens darstellt.
Weihnachten ist auch das Fest der Geschenke: Ich denke an die Freude der Kinder und Erwachsenen, die, wenn sie ein Weihnachtsgeschenk erhalten, sich geliebt fühlen und nun sich selbst zum Geschenk machen wollen, wie das Kind, das die Jungfrau Maria uns in der Krippe zeigt.
2. Aber diese Überlegungen erklären nur zum Teil die festliche und innige Weihnachtsatmosphäre.
Wie bekannt, besteht für die Gläubigen der wahre Grund dieser Festesfreude in der Tatsache, dass das ewige Wort, das vollkommene Abbild des Vaters, „Fleisch“ geworden ist, ein zartes Kind, aus Solidarität mit den schwachen und sterblichen Menschen. In Jesus ist Gott selbst zu uns gekommen und bleibt bei uns – ein unvergleichliches Geschenk, das wir voll Ehrfurcht in das Alltagsleben mit einbeziehen sollen.
In der Geburt des Sohnes Gottes aus dem jungfräulichen Schoß eines einfachen Mädchens, Maria von Nazareth, erkennen die Christen die unendliche Liebe, mit der der Allerhöchste sich dem Menschen zuwendet. Dieses Ereignis bildet zusammen mit dem Tod und der Auferstehung Christi den Höhepunkt der Geschichte.
In dem Brief des Apostels Paulus an die Philipper finden wir ein Loblied auf Christus, mit dem die Urkirche ihre Dankbarkeit und das Staunen angesichts des erhabenen Geheimnisses Gottes zum Ausdruck brachte, der sich mit dem Menschenschicksal solidarisch machte: „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,6-8).
Im Laufe der ersten Jahrhunderte verteidigte die Kirche dieses Geheimnis hartnäckig vor verschiedenen Irrlehren, die zunächst die wahre Menschheit Jesu, dann seine wirkliche Gottessohnschaft, seine Gottheit und schließlich die Einheit seiner Person leugneten. So wollten sie das Geheimnis seines einzigartigen und staunenswerten Inhalts berauben und die außergewöhnliche, tröstliche Botschaft abschwächen, die es dem Menschen aller Zeiten bringt.
Der Katechismus der Katholischen Kirche erinnert uns daran, dass „das ganz einzigartige und einmalige Ereignis der Menschwerdung des Sohnes Gottes nicht bedeutet, dass Jesus Christus zum Teil Gott und zum Teil Mensch wäre oder dass er das Ergebnis einer unklaren Vermischung von Göttlichem und Menschlichem wäre. Er ist wahrhaft Mensch geworden und dabei doch wahrhaft Gott geblieben. Jesus Christus ist wahrer Gott und wahrer Mensch“ (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 464).
3. Welche Bedeutung hat für uns das außerordentliche Ereignis der Geburt Jesu Christi? Welche „gute Nachricht“ bringt sie uns? Auf welches Ziel treibt sie uns zu? Lukas, der Evangelist von Weihnachten, stellt uns in den erleuchteten Worten des Zacharias die Menschwerdung als Besuch Gottes vor:„Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat sein Volk besucht und ihm Erlösung geschaffen; er hat uns einen starken Retter erweckt im Hause seines Knechtes David“ (Lk 1,68–69).
Was ruft der „Besuch Gottes“ im Menschen hervor? Die Heilige Schrift bezeugt, dass der Herr, wenn er kommt, Heil und Freude bringt, von der Not befreit, Hoffnung schenkt, das Geschick dessen, der besucht wird, zum Besseren wendet und neue Ausblicke des Lebens und des Heils eröffnet.
Weihnachten ist der Besuch Gottes schlechthin: Denn in diesem Ereignis kommt er dem Menschen in seinem eingeborenen Sohn am nächsten, der seine Liebe zu den Armen und den Sündern im Lächeln eines Kindes kundtut. In dem Mensch gewordenen Wort wird den Menschen die Gnade der Adoption als Kinder Gottes angeboten. Lukas will zeigen, dass das Ereignis der Geburt Jesu wirklich die Geschichte und das Leben der Menschen ändert, vor allem jener, die ihn mit offenem Herzen aufnehmen: Elisabet, Johannes der Täufer, die Hirten, Simeon, Anna und vor allem Maria sind die Zeugen der großen Taten, die Gott mit seinem Besuch vollbringt.
Besonders in Maria stellt uns der Evangelist nicht nur ein Vorbild vor, das wir nachahmen sollen, um Gott aufzunehmen, der zu uns kommt, sondern auch erregende Ausblicke, die sich dem eröffnen, der, nachdem er ihn aufgenommen hat, berufen ist, seinerseits Werkzeug seines Besuches und Verkünder seines Heils zu werden: „In dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib“, ruft Elisabet vor der Jungfrau aus, die ihr in sich selbst den Besuch Gottes bringt (Lk 1,44).
Die gleiche Freude erfüllt die Hirten, die, nachdem sie auf Einladung des Engels hin nach Bethlehem gegangen waren und das Kind und seine Mutter gesehen hatten, auf der Rückkehr „Gott rühmten und priesen“ (vgl. Lk 2,20), weil sie begriffen hatten, dass sie vom Herrn besucht worden waren.
Im Licht des Geheimnisses, das wir uns anschicken zu feiern, wünsche ich allen, dass sie an diesem Weihnachtsfest mit Maria den, der „uns aus der Höhe besuchen wird“ (Lk 1,78), mit offenem und bereitem Herzen aufnehmen, um Werkzeuge des freudenvollen Besuches Gottes zu werden für alle, denen wir auf unserem täglichen Lebensweg begegnen.
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Im Licht dieses Geheimnisses, das wir bald feiern werden, grüße ich euch alle recht herzlich, die ihr aus dem deutschsprachigen Raum hier zugegen seid. Euch sowie euren Familien und Freunden daheim wünsche ich ein gnadenreiches Weihnachtsfest und erteile euch dazu den Apostolischen Segen.
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