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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 7. August 1996

1. Der Entschluss zur Jungfräulichkeit, den die Worte Marias bei der Verkündigung erkennen lassen, wurde traditionell als Anfang und inspirierendes Ereignis der christlichen Jungfräulichkeit in der Kirche betrachtet.

Augustinus erkennt in dieser Entscheidung nicht die Erfüllung eines göttlichen Gebots, sondern ein freiwillig abgelegtes Gelübde. So konnte Maria den „heiligen Jungfrauen“ in der ganzen Geschichte der Kirche als Vorbild gezeigt werden. Maria „weihte […] Gott ihre Jungfräulichkeit, bevor sie noch wusste, was sie empfangen sollte […] So sollte das himmlische Leben in einem irdischen, sterblichen Leib sein Abbild finden durch Gelöbnis, nicht durch Gebot; aus freier Wahl, nicht aus Gehorsamszwang“ (De Sancta Virg., IV,4; PL 40, 398; in: Sankt Augustinus – Der Seelsorger – Deutsche Gesamtausgabe seiner moraltheologischen Schriften [4], S. 4, hg. v. P. Kunzelmann OESA und P. Zumkeller OESA, Augustinus Verlag, Würzburg, 1952).

Der Engel verlangt von Maria nicht, Jungfrau zu bleiben; Maria selbst offenbart aus freien Stücken ihre Entscheidung für die Jungfräulichkeit. In dieser Verpflichtung vollzieht sich ihre Wahl der Liebe, die sie dahin führt, sich durch ein jungfräuliches Leben ganz dem Herrn zu widmen.

Wenn wir die Spontaneität der Entscheidung Marias hervorheben, dürfen wir nicht vergessen, dass am Ursprung jeder Berufung die Initiative Gottes steht. Mit der Wahl des jungfräulichen Lebens antwortete das Mädchen aus Nazaret auf eine innere Berufung, d. h. eine Inspiration des Heiligen Geistes, der sie über die Bedeutung und den Wert der jungfräulichen Selbsthingabe erleuchtete. Niemand kann diese Gabe empfangen, ohne sich gerufen zu fühlen und vom Heiligen Geist das Licht und die Kraft, die dazu notwendig sind, zu erhalten.

2. Wenn Augustinus auch von einem „Gelöbnis“ spricht, um denen, die er „heilige Jungfrauen“ nennt, das erste Vorbild ihres Lebensstandes zu zeigen, so bezeugt das Evangelium nicht, dass Maria ein ausdrückliches Gelübde abgelegt hat: Dies ist die Form der Weihe und der Hingabe des eigenen Lebens an Gott, die seit den ersten Jahrhunderten der Kirche in Gebrauch ist. Aus dem Evangelium geht hervor, dass Maria die persönliche Entscheidung getroffen hat, Jungfrau zu bleiben, und ihr Herz dem Herrn geweiht hat. Sie möchte seine treue Braut sein und so die Berufung der „Tochter Zions“ verwirklichen. Mit ihrer Entscheidung wird sie jedoch zum Urtyp all jener in der Kirche, die die Wahl getroffen haben, dem Herrn mit ungeteiltem Herzen in der Jungfräulichkeit zu dienen.

Weder die Evangelien noch andere Schriften des Neuen Testaments informieren uns über den Augenblick, in dem Maria die Entscheidung getroffen hat, Jungfrau zu bleiben. Aus der an den Engel gerichteten Frage geht allerdings klar hervor, dass dieser Entschluss im Augenblick der Verkündigung schon feststand. Maria zögert nicht, ihren Wunsch auszusprechen, die Jungfräulichkeit auch angesichts der in Aussicht gestellten Mutterschaft zu bewahren, und gibt so zu erkennen, dass ihr Wunsch lange gereift ist.

Tatsächlich wurde die Wahl der Jungfräulichkeit von Maria nicht in der unvorhersehbaren Aussicht, Mutter Gottes zu werden, getroffen, sondern ist vor der Verkündigung in ihrem Bewusstsein gereift. Wir dürfen annehmen, dass ein solcher Wunsch schon immer in ihrem Herzen vorhanden war: Die Gnade, die sie auf die jungfräuliche Mutterschaft vorbereitete, hat sicher auf die ganze Entwicklung ihrer Persönlichkeit Einfluss gehabt. Und gewiss hat der Heilige Geist ihr schon in den jüngsten Jahren den Wunsch nach der vollkommenen Vereinigung mit Gott eingegeben.

3. Die Wunder, die Gott auch heute in den Herzen und im Leben so vieler Jungen und Mädchen wirkt, wurden vor allem in der Seele Marias vollbracht. Auch in unserer durch die Reize einer oft oberflächlichen und konsumorientierten Kultur vom Wesentlichen abgelenkten Welt nehmen nicht wenige Jugendliche die Einladung, die vom Beispiel Marias ausgeht, an und weihen ihre Jugend dem Herrn und dem Dienst an den Mitmenschen.

Eine solche Entscheidung ist nicht so sehr Verzicht auf menschliche Werte, sondern vielmehr die Wahl höherer Werte. Diesbezüglich unterstreicht mein verehrter Vorgänger Paul VI. in dem Apostolischen Schreiben Marialis cultus, dass derjenige, welcher das Zeugnis des Evangeliums mit offenem Herzen betrachtet, erkennen wird, „dass Marias Wahl des jungfräulichen Standes […] keinerlei Geringschätzung gegenüber den Werten des Ehestandes bedeutete, sondern eine mutige Entscheidung war, um sich vorbehaltlos der Liebe Gottes zu überantworten“ (Nr. 37).

Die Wahl des jungfräulichen Standes ist letztlich in der vollkommenen Nachfolge Christi begründet. Das kommt besonders klar bei Maria zum Ausdruck. Wenngleich sie sich vor der Verkündigung dessen nicht bewusst ist, inspiriert sie der Heilige Geist zu jungfräulicher Hingabe im Hinblick auf Christus: Sie bleibt Jungfrau, um mit ihrem ganzen Selbst den Messias und Retter zu empfangen.

Die in Maria begonnene Jungfräulichkeit enthüllt somit ihre christozentrische Dimension, die wesentlich auch für die in der Kirche gelebte Jungfräulichkeit ist, die in der Mutter Christi ihr erhabenes Vorbild findet. Wenn ihre persönliche Jungfräulichkeit, die sich mit der Gottesmutterschaft verbindet, ein außergewöhnliches Ereignis bleibt, so gibt sie doch jeder jungfräulichen Hingabe Sinn und Licht.

4. Wie viele junge Frauen haben sich in der Geschichte der Kirche durch die Betrachtung der Vornehmheit und Schönheit des jungfräulichen Herzens der Mutter des Herrn ermutigt gefühlt, großherzig auf den Ruf Gottes zu antworten und dem Ideal der Jungfräulichkeit zu folgen! „Gerade diese Jungfräulichkeit, nach dem Beispiel der Jungfrau von Nazaret, ist – wie ich in der Enzyklika Redemptoris Mater geschrieben habe – Quelle einer besonderen geistigen Fruchtbarkeit: Sie ist Quelle der Mutterschaft im Heiligen Geist“ (Nr. 43).

Das jungfräuliche Leben Marias weckt im ganzen Christenvolk die Hochschätzung für die Gabe der Jungfräulichkeit und den Wunsch, dass es sich im Leben der Kirche vervielfältige, als Zeichen des Primats Gottes über jede Wirklichkeit und als prophetische Vorwegnahme des zukünftigen Lebens.

Lasst uns zusammen dem Herrn danken für die, welche auch heute großherzig ihr Leben in der Jungfräulichkeit für den Dienst am Reich Gottes hingeben.

Während Genusssucht und Konsummentalität in vielen von alters her evangelisierten Gegenden nicht wenige Jugendliche davon abzubringen scheinen, das geweihte Leben zu wählen, gilt es umso mehr, Gott auf die Fürsprache Marias unablässig um eine neue Blüte von Ordensberufungen anzuflehen.

So wird das Antlitz der Mutter Christi, das sich in vielen jungfräulichen Menschen widerspiegelt, die danach streben, ihrem göttlichen Meister zu folgen, für die Menschheit weiter das Zeichen der Barmherzigkeit und Zärtlichkeit Gottes sein.

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Liebe Schwestern und Brüder! Indem ich unser aller Anliegen der Fürbitte der Mutter Gottes empfehle, grüße ich Euch, liebe deutschsprachige Pilger und Besucher, sehr herzlich. Insbesondere heiße ich die anwesenden Ministranten und alle Judendlichen willkommen. Euch allen wünsche ich schöne Ferien und erteile Euch, Euren lieben Angehörigen sowie allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, gern den Apostolischen Segen.