JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 21. August 1996
1. Das Lukasevangelium, das von Maria als „Jungfrau“ spricht, berichtet ergänzend: Sie war „mit einem Mann namens Josef verlobt, der aus dem Hause Davids stammte“ (Lk 1,27). Diese Angaben erscheinen auf den ersten Blick widersprüchlich.
Tatsächlich bezeichnet das an dieser Stelle gebrauchte griechische Wort nicht die Lebenssituation einer Frau, die eine Ehe eingegangen ist – und folglich im ehelichen Stand lebt –, sondern die des Verlobtseins. Aber im Unterschied zu dem, was in den modernen Kulturen üblich ist, sah die gesellschaftlich anerkannte Einrichtung der Verlobung nach altem jüdischem Brauch einen Vertrag vor und hatte normalerweise endgültige Kraft: Sie wies die Verlobten in den Stand der Ehe ein, auch wenn diese sich erst dann ganz erfüllte, wenn der junge Mann das Mädchen in sein Haus mitführte.
Zum Zeitpunkt der Verkündigung befindet sich Maria also im Status der Verlobten. Man kann sich fragen, warum Maria in eine Verlobung eingewilligt hatte, da sie doch den Entschluss gefasst hatte, für immer Jungfrau zu bleiben. Lukas ist sich dieser Schwierigkeit bewusst. Er beschränkt sich deshalb darauf, die Lebensumstände festzuhalten, ohne Erklärungen hinzuzufügen. Die Tatsache, dass der Evangelist zwar die Entscheidung zur Jungfräulichkeit Marias hervorhebt, sie aber gleichwohl als Verlobte Josefs darstellt, ist ein Hinweis auf die historische Zuverlässigkeit beider Aussagen.
2. Man darf annehmen, dass zwischen Josef und Maria bei ihrer Verlobung ein Einvernehmen über das Vorhaben eines jungfräulichen Lebens bestand. Der Heilige Geist hatte in Maria die Wahl der Jungfräulichkeit im Hinblick auf das Geheimnis der Menschwerdung inspiriert. Da er beabsichtigte, dass diese in einem für das Aufwachsen des Kindes geeigneten familiären Umfeld geschehe, konnte er sehr wohl auch in Josef das Ideal der Jungfräulichkeit angeregt haben.
Der Engel des Herrn erscheint ihm im Traum und sagt: „Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist“ (Mt 1,20). Er erhält so die Bestätigung, dass er berufen ist, den Weg der Ehe auf eine ganz besondere Weise zu leben. Durch die jungfräuliche Gemeinschaft mit der Frau, die dazu ausersehen ist, Jesus zur Welt zu bringen, beruft ihn Gott, mitzuwirken bei der Verwirklichung seines Heilsplans.
Die Art und Weise der ehelichen Lebensform, die der Heilige Geist Maria und Josef aufgibt, ist nur im Zusammenhang mit dem Heilsplan und im Rahmen einer erhabenen Spiritualität zu verstehen. Die konkrete Verwirklichung des Geheimnisses der Menschwerdung machte eine jungfräuliche Geburt erforderlich, um so die Gottessohnschaft hervorzuheben – und zugleich eine Familie, welche die normale Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes gewährleisten konnte.
Gerade im Hinblick auf ihren Beitrag zum Geheimnis der Menschwerdung des Wortes empfingen Josef und Maria die Gnade, miteinander das Charisma der Jungfräulichkeit und das Geschenk der Ehe zu leben. Wenngleich die jungfräuliche Liebesgemeinschaft von Maria und Josef einen ganz außergewöhnlichen, besonderen Lebensweg, verbunden mit der konkreten Verwirklichung des Geheimnisses der Menschwerdung, darstellte, war sie doch eine wirkliche Ehe (vgl. Redemptoris custos, Nr. 7).
Die Schwierigkeit des Zugangs zum tiefgreifenden Geheimnis ihrer ehelichen Gemeinschaft hat seit dem 2. Jahrhundert manchen dazu veranlasst, Josef ein vorgerücktes Alter zuzuschreiben und ihn mehr als Beschützer denn als Mann Marias zu sehen. Es ist aber anzunehmen, dass er noch kein alter Mann war, sondern dass seine innere Vollkommenheit, eine Frucht der Gnade, ihn dazu brachte, mit jungfräulicher Liebe die eheliche Beziehung zu Maria zu leben.
3. Das Mitwirken Josefs am Geheimnis der Menschwerdung schließt auch die Übernahme der Vaterrolle Jesus gegenüber ein. Diese Funktion wird ihm vom Engel zuerkannt, der ihm im Traum erscheint und ihn auffordert, dem Kind einen Namen zu geben: „Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen“ (Mt 1,21).
Obwohl sie die natürliche Zeugung ausschloss, war die Vaterschaft Josefs eine reale und nicht nur eine scheinbare. Zwischen Vater und Erzeuger unterscheidend, sagt eine antike Monographie über die Jungfräulichkeit Marias (De Margarita, 4. Jh.), dass „die Verpflichtungen, welche die Jungfrau und Josef als Ehegatten übernommen hatten, bewirkten, dass er mit diesem Namen (Vater) genannt werden konnte; ein Vater allerdings, der nicht gezeugt hat“. Josef übte also gegenüber Jesus die Vaterrolle aus und verfügte über eine Autorität, der der Erlöser sich freiwillig „gehorsam“ unterordnete (vgl. Lk 2,51). So trug er zu seiner Erziehung bei und führte ihn in das Zimmermannshandwerk ein.
Die Christen haben Josef immer als denjenigen anerkannt, der in inniger Gemeinschaft mit Maria und Jesus lebte, und sie haben daraus abgeleitet, dass er sich auch im Tod ihrer tröstenden und liebevollen Gegenwart erfreute. Aus dieser stetigen christlichen Tradition hat sich an vielen Orten eine besondere Verehrung der Heiligen Familie und darin des hl. Josef, Beschützer des Erlösers, entwickelt. Papst Leo XIII. hat ihm bekanntlich das Patronat über die ganze Kirche übertragen.
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Der heilige Josef ist auch der Patron der gesamten Kirche. Seiner Fürsprache empfehle ich euch, liebe deutschsprachige Pilger und Besucher. Insbesondere begrüße ich die zahlreichen Pilger aus der Diözese Eisenstadt, die Ihr zusammen mit Eurem Bischof nach Rom gekommen seid, um des tausendjährigen Bestehens eurer Heimat zu gedenken und Gott zu danken. Euch, euren lieben Angehörigen und Freunden sowie allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, erteile ich gerne den Apostolischen Segen.
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