ANSPRACHE VON PAPST JOHANNES PAUL II.
AN DIE BISCHÖFE AUS DER SCHWEIZ ANLÄSSLICH IHRES
"AD-LIMINA"-BESUCHES
Freitag, 9. Juli 1982
Liebe Brüder in Christus,
als Oberhirten der Schweiz seid mir herzlich willkommen im Vatikan!
Euer besuch erfolgt, noch ehe ich meinen schon für das Jahr 1981 geplanten Pastoralbesuch in Eurem Land habe verwirklichen können. Die kürzliche eintägige Reise nach Genf galt ja bekanntlich fast ausschließlich den großen Internationalem Organisationen. Gebe Gott, daß sich bald die Gelegenheit bietet, auch meine Begegnung mit Euren Diözesen und Gemeinden - Eurem und meinem Wunsch entsprechend - nachzuholen. Um so mehr gilt deshalb heute mein brüderlicher Gruß auch allen Gläubigen in Eurer Heimat, denen ich mich zusammen mit Euch in dieser Stunde in gemeinsamer pastoraler Verantwortung und Hirtensorge zutiefst verbunden fühle.
Die Begegnungen mit meinen Mitbrüdern im Bischofsamt, die anläßlich ihres ad-limina-Besuches mit mir über ihre Seelsorgsarbeit sprechen, gehören zu den wichtigsten und bewegendsten Aufgaben meines Amtes als Nachfolger des hl. Petrus. Ich möchte an Euren Freuden und Sorgen, an Euren Schwierigkeiten und Hoffnungen teilnehmen. Auf das Wesentliche will ich hinweisen und dabei zugleich Euren Glauben stärken. Das geschieht an den Gräbern der beiden Apostelfürsten. Da hören wir von Petrus das mitreißende Bekenntnis: ”Herr, du weißt, daß ich dich liebe“ (Io. 25, 15). Und mit Paulus hoffen wir einmal sprechen zu dürfen: ”Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue gehalten“ (2 Tim. 4, 7).
1. Viele Entwicklungen der Gesamtkirche werden in Euren Diözesen in der Schweiz besonders intensiv erlebt und aufmerksam verfolgt. An vorderer Stelle steht dabei ganz gewiß die aktive Beteiligung der Laienchristen am Leben der Kirche und ihre Beziehung zu den von Amts wegen bestellten Hirten. Wir wollen Gott aufrichtig danken für jeden Gläubigen in Eurem Land, der die Sache Christi und der Kirche zur eigenen macht und sich mit Verstand und Herz dafür einsetzt, daß der Glaube richtig bezeugt, das Opfer Christi zur Ehere des Vaters würdig gefeiert und die Einheit der Kirche in Liebe gelebt wird.
Die Schweiz hat im gesellschaftlichen Bereich schon eine viele Jahrhunderte alte Erfahrung in der Beteiligung der “Basis”, wie man heute sagt, an der Beratung und sogar Beschlußfassung zu wichtigen Vorgängen, die das Gemeinwohl betreffen. Auch die katholische Kirche in Eurem Land weist heute ein vielgestaltiges System von Organen auf, in denen zahlreiche Laien ihre christliche Verantwortung für Kirche und Welt in besonderer Weise wahrnehmen und dabei Zeit und Kraft für die kirchliche Gemeinschaft einsetzen. Es gibt Seelsorgeräte auf Pfarrebene, Pastoralräte der Diözesen wie auch die Bemühungen um ein Forum apostolischer Aktivitäten auf Landesebene. Hierher gehören ferner die bisherigen Verbände, Vereine und Bewegungen sowie die verschiedenen Kirchenverwaltungsräte und kantonalkirchlichen Instanzen, die aus der speziellen öffenlich-rechtlichen Stellung der Kirche in Eurem Land erwachsen sind.
Solche verschiedenen Formen organisierter Mitverantwortung der Laien im Leben der Kirche sind zweifellos ein notwendiges und wertvolles Instrumentarium für ein gemeinsames Voranschreiten des Volkes Gottes. Aber es muß - wie so vieles andere - behutsam eingesesetzt werden und sich offenhalten für Korrektur und Verbesserug. Gerade die Geschichte Eures Volkes kennt ein langes Einüben und Erproben von unterschiedlichen Formen der Beteiligung aller Bürger an der Gestaltung des Gemeinwesens. Mutig und selbstbewußt haben sie die Art gesucht, die dem Charakter ihrer Landsleute und ihres Lebensraumes am besten entspricht. Auch die Kirche bemüht sich zu Recht in diesen Jahrzehnten, neue Formen der Mitverantwortung in ihre Strukturen zu integrieren, aber ebenfalls so, wie es ihrer Art am besten entspricht.
2. Laßt uns kurz einige Grundelemente dieser besonderen Art und Struktur der Kirche miteinander bedenken. Vor unserem geistigen Auge steht die ganze Vielfalt der Christen in Eurem Land und in der Welt. Was ist all diesen Menschen eigentlich gemeinsam, die sich Christen nennen? Was ist das immer gleiche, verbindende Fundament ihres Lebens vor aller Unterschiedlichkeit? Es ist die ihnen allen gemeinsame christliche Würde und Berufung. Der Name ”Christ“ sagt es uns: Christus hat uns bei unserer Taufe angesprochen, uns gerufen, uns als seine Brüder und Schwestern angenommen: mit seinem eigenen Leben hat er uns verbunden, uns Anteil gegeben an seiner Auferstehung. Unser Christsein bedeutet also eine ganz persönliche, bis in die Tiefe von Herz und Seele reichende Prägung, die jedem Getauften eine neue Lebensform schenkt ihm einem besonderen Weg durch diese Welt eröffnet. Hierin besteht die hohe Würde eines jeden einzelnen Christen, aber auch seine Auftrag, seine Sendung.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat im Dekret über das Apostolat der Laien die vielfältigen Möglichkeiten und Aufgaben eines lebendigen Zeugen Christi aufgezeigt. Sie lassen sich in zwei Sätzen zusammenfassen:
- Die Laien sind aufgerufen, zusammen mit den Amtsträgern in der Kirche die kirchliche Gemeinschaft aufzubauen.
- Die Laien haben zudem die Verantwortung, am Aufbau der zeitlichen Ordnung als Christen mitzuwirken und die Werte des Evangeliums dort einzubringen.
Diese grundlegende Würde und Berufung eines jeden Christen aus seiner lebendigen Verbindung mit dem auferstandenen Herrn ist stets ein Grund zum Staunen und Danken; sie verdient unsere besondere Aufmerksamkeit und Hirtensorge.
3. Aber wir müssen nochein weiters wesentliches Element hinzufügen. So sehr es stimmt, daß alle Christen und das ganze Gottesvolk vom Leben Christi durchdrungen sind und gleichsam seinen Leib in der Welt darstellen, so bleibt es doch ebenso wahr, daß Christus bei aller Nähe dem Gottesvolk auch gegenüber steht. Er ist unser Bruder; er ist aber auch unser Herr und Erlöser. Er schenkt sich ganz seinem Leib, der Kirche, aber eben als das Haupt des Leibes. Er ist nicht irgendein Baustein der Kirche, sondern der Eckstein, er gehört ganz zur Kirche und steht doch auch vor ihr und über ihr: denn er ist der Mittler zwischen Gott und den Menschen.
Dieses ”Gegenübersein“ Christi ist zunächst und vor allem eine geistliche Wirklichkeit und als solche nur im Glauben, aus der Kraft des Heiligen Geistes zu verstehen. Aber nach dem Willen des Herrn soll diese Wirklichkeit auch eine sichtbare, soziale Gestalt annehmen. Daß der Herr auch heute noch dem pilgernden Gottesvolk mit Wort und Tat verbindlich den Weg weist, soll in der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Kirche dargestellt werden. So vollzieht die Kirche eine authentische Verkündigung seiner Predigt durch die dazu Beauftragten. Sie spendet die Sakramente, in denen der Herr sich heute in der ganzen lebendigen Fülle seiner Person allen schenkt, die sich ihm zuwenden und öffnen. Durch rechtmäßig beauftragte Hirten führt sie mit einer geistlichen Autorität im Namen und in der Vollmacht Jesu.
Die besondere Berufung der Amsträger der Kirche besteht also darin, der leben- und einheitspendenden Gegenwart des Herrn inmitten des Volkes Gottes eine soziale Gestalt zu geben und ihn den Gläubigen gegenüber von Amts wegen zu vertreten. Und wenn in der Ausübung dieser Vollmacht auch das Element der Autorität sichbar und fühlbar wird, dann deshalb, um dem ”Gegenübersein“ Christi Gestalt zu geben. Ich darf hinzufügen: Gerade der Priester und Bischof selber, welcher der liebenden Autorität unseres Herrn Jesus Christus selbstlos Gestalt geben möchte, ist sich wohl am meisten schmerzlich bewußt, wie ihm das oft nur unvollkommen gelingt. So finden sich in der Kirche Jesu die Laienchristen, die Priester und Bischöfe, darunter auch der Papst, vereint und aufeinander angewiesen in ihrer menschlichen Schwäche und Armseligkeit, aber auch in ihrer herrlichen Berufung, mit den einem jeden vom Heiligen Geist verliehenen besonderen Gnadengaben dem Reich Christi in unseren Tagen die Wege zu ebnen, ”dem Reich der Wahrheit und des Lebens, dem Reich der Heiligkeit und der Gnade, dem Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens“ (Praefatio in festo Christi Regis).
4. Wie mir jedoch bekannt ist, seid Ihr in großer Sorge gerade um die Zahl Eurer Priester und Priesterberufe, die auch in Euren Diözesen gering ist. Ich teile Eure Besorgnis mit ganzer Seele, möchte Euch und Eure Priester selbst aber herzlich bitten, Euch dadurch nicht entmutigen zu lassen und noch weniger Eure Hoffnungen auf Lösungen zu setzen, die in der Kirche nicht anerkannt sind. Es gibt heute - und vielleicht sogar in wachsender Zahl - junge Menschen und auch Erwachsene, die ein tieferes Leben aus dem Glauben und in der engeren Nachfolge Christi anstreben und bereit sind, sich hochherzig und vorbehaltlos im Priester- oder Ordensberuf für die Ausbereitung des Reiches Gottes in der Welt einzusetzen. Sprecht sie an mit der ganzen Überzeugungskraft und voller Hoffnung! Stellt ihnen die hohen Ideale unseres eigenen priesterlichen Lebens glaubhaft vor Augen! Und laßt nicht zu, daß ihr guter Wille durch immer neue Diskussionen über die Identität des Priesters verunsichert und gelähmt werde.
Die weiterhin aufkeimenden priesterlichen Berufungen dürfen vor allem nicht in den Priesterseminaren selbst durch einen Mangel an intensiver geistiger und religiöser Führung oder durch gewagte Experimente noch zusätzlich gefährdet werden. In diesen muß, wie das Konzil nachdrücklich betont, ”die gesamte Ausbildung der Alumnen dahin zielen, daß sie nach dem Vorbild unseres Herr Jesus Christus, des Lehrers, Priesters und Hirten, zu wahren Seelenhirten geformt werden“ (Optatam Totius, 4). Dafür aber ist eine spezifisch priesterliche Ausrichtung des gesamten Seminarlebens unerläßlich.
Ich weiß um Eure zahlreichen und vielfältigen pastoralen Verpflichtungen. Laßt Euch dennoch auch immer genügend Zeit für persönliche Begegnungen mit den Priestern Eurer Diözese. Denn die besondere Liebe und Aufmerksamkeit des Bischofs soll stets seinen geistlichen Mitarbeitern gelten. Sorgt Euch vor allem um die Bedrückten und Ermüdeten, sucht sie auch einzeln auf, geht eine Wegstrecke zusammen mit ihnen. Eure brüderliche Solidarität und Zusammenarbeit mit Euren Priestern bei aller Vielfalt der Menschen und Situationen weist hin auf Eure gemeinsame Freundschaft mit Christus und kann auch für andere eine stille Einladung bedeuten, sich selbst für einen solchen Lebensweg zu entscheiden.
5. Der Bischof ist seinen Priestern und Gläubigen heute allgemein näher, als er ihnen vielleicht in früheren Zeiten gewesen ist. Wer wollte den Vorteil einer solchen Nähe, eines schlichteren Verhaltens und brüderlicher Verbundenheit leugnen? Bei all seiner Aufgeschlossenheit und Anteilnahme an den konkreten Anliegen von einzelnen und Gruppen muß der Bischof jedoch stets auf das geistige Wohl aller bedacht sein. Er ist als Hirte und Lehrer in besonderer Weise Zeuge und Garant für den Weg der Kirche, wie er in der Vergangenheit wurzelt und einmal zur Vollendung führen soll. Die Herde ist ihm von Christus anvertraut; ihm ist er letztlich verantwortlich, zu ihm soll er die Herde führen, und zwar in allen ihren Teilen und Gruppen.
Deshalb möchte ich, liebe Mitbrüder - eingedenk der besonderen Schwierigkeiten, die sich gerade heute dem religiösen und kirchlichen Leben stellen, und dankbar für Euer unermüdliches bischöfliches Wirken in Euren Diözesen -, Euch wieder neu sehr ans Herz legen: Führt, damit niemand verführt wird! Es kommen von verschiedenen Seiten, auch aus Eurem Land, immer wieder Briefe in den Vatikan, in denen tiefbesorgte Christen darüber klagen, was für willkürlichen liturgischen Experimenten sie zuweilen ausgesetzt seien, wie einseitig mitunter die Themen der Predigten in ihren Pfarreien behandelt würden, wieviel lieblose Kritik sie auch in katholischen Zeitschriften lesen oder auf theologischen Veranstaltungen hören müßten. Zu dem vielen Positiven, das aus der konziliaren Erneurung erwachsen ist und mit allen Kräften gefördert werden muß, gilt es jedoch auch, rechtzeitig Fehlentwicklungen zu erkennen und mit der notwendigen Geduld und pastoralen Umsicht zu Korrigieren.
Vor allem der richtige und würdige Vollzug der Liturgie verdient immer und überall Eure aufmerksame Hirtensorge. Unsere Liebe zu Christus zeigt sich in besonderer Weise in unserer tiefen Ehrfurcht gegenüber seiner vielfältigen Gegenwart in den liturgischen Feiern. Alles, was in der Liturgie geschieht, betrifft den Herrn selbst, der gegenwärtig ist in der versammelten Gemeinde, im vorstehenden Priester, im Wort, in den Sakramenten, im Meßopfer unter den eucharistischen Gestalten. Die Ernsthaftigkeit unserer Liebe und Ehrfurcht mißt sich auch und nicht zuletzt an unserer Treue im Gehorsam gegenüber der Kirche, vor allem in der gewissenhaften Beobachtung der vom Heiligen Stuhl für die Liturgie erlassenen Vorschriften. Es ist die Pflicht des Bischofs, darüber zu wachen und die Zuwiderhandelnden mit Güte, aber auch mit Festigkeit zu ermahnen.
6. Führt deshalb auch besonders im Bereich der verschiedenen Formen christlicher Buße. Mit Freude habe ich von Eurem jüngsten Dokument zu dieser Frage vernommen, in der Ihr wieder neu den unersetzlichen Wert der Einzelbeichte betont. Die Hochschätzung und Förderung der Einzelbeichte ist ja gerade der Grund dafür, warum vom obersten Hirtenamt der Kirche die sakramentale Generalabsolution von vornherein nur für einige begrenzte Ausnahmesituationen erlaubt worden ist. Diese müssen von den zuständigen Bischöfen jeweils beurteilt und als solche anerkannt werden (Cfr. AAS 64 (1972) 512).
Führt in den Fragen des Ökumenismus. Veckt immer wieder Verständnis dafür, daß zum Beispiel in der Frage der Interkommunion die heute zwischen den Kirchen geltenden Vereinbarungen eingehalten werden müssen im Interesse eines verantwortlichen Voranschreitens auf dem Weg der ersehnten Einheit. Es sollte nicht geschehen, daß einzelne Seelsorger in wohlgemeintem, aber unerleuchtetem Eifer die immer noch notwendigen Einschränkungen mißachten und überschreiten.
7. Liebe Mitbrüder! Es war mir ein besonderes Anliegen, bei unserer heutigen brüderlichen Begegnung aufgrund unserer gemeinsamen Verantwortung im Hirtenamt wie auch in inniger persönlicher Anteilnahme an den vielfältigen Aufgaben und Schwierigkeiten Eures bischöflichen Dienstes in Euren Diözesen einige zentrale Fragen und Sorgen Eurer pastoralen Arbeit mit Euch kurz zu bedenken. Zugleich möchte ich Euch von Herzen für Euren unermüdlichen Einsatz inmitten Eurer Gläubigen danken und Euch in dem Euch vom Herrn anvertrauten gewiß nicht leichten, aber unvergleichlich schönen und erhabenen Auftrag Eures Bischofsamtes als Euer Bruder ermutigen. Habt vor allem Vertrauen in die bleibende Nähe und den liebenden Beistand des göttlichen Guten Hirten. All unser Wirken als Oberhirten der Kirche steht ja letztlich im Dienst Jesu selber. Er gibt den Geist, des unsere Gemeinden lebendig und missionarisch macht und sie zugleich in der Einheit der Gesamtkirche zusammenfügt. So möchte ich mich im gemeinsamen Vertrauen auf Gottes Hilfe mit ganzem Herzen Eurem Gebet anschließen und zusammen mit Euch und Euren Gläubigen sprechen:
”Barmherziger Gott, schenke uns den Geist der Liebe, den Geist deines Sohnes, damit die Kirche in (diesem Land) zu neuem Leben erstarke . . . Schenke uns deinen Heiligen Geist . . . Laß alle Glieder der Kirche die Zeichen der Zeit verstehen und in der Treue zu deinem Evangelium wachsen“ (Synodus Episcoporum 1972).
Ich werde Euer verantwortungsvolles bischöfliches Wirken weiterhin mit meinem Gebet begleiten und bitte auch um Euer Gebet für meinen apostolischen Dienst zum Wohl der ganzen Kirche. Gott segne Euch, Eure Diözesen und alle Menschen in Eurem Land!
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