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PASTORALBESUCH IN ÖSTERREICH

ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE ÖSTERREICHISCHE BISCHOFSKONFERENZ

Wien - Montag, 12. September 1983

 

Meine lieben bischöflichen Mitbrüder!

Dieses Zusammentreffen mit Ihnen hat eher familiären Charakter. Heute mittag ist unser Kreis klein und übersichtlich. Den meisten von Ihnen bin ich schon früher begegnet. Einige sind mir bereits lange bekannt und - wie der Vorsitzende Ihrer Bischofskonferenz, unser verehrter Kardinal durch viele Gespräche vertraut und nahe.

Doch auch das Zusammentreffen im Familienkreis kennt gelegentlich eine deutende Ansprache, wenn etwa der besondere Anlaß ein Wort fordert, das über den Augenblick orientiert und auch eine Weisung für die Zukunft sucht. In diesem Sinn möchte ich mich heute an Sie wenden. Lassen Sie mich Ihnen eröffnen, welche Gedanken mich bewegen, oder vielmehr einen Gesichtspunkt hinsichtlich des Dienstes in der Kirche Ihres Landes mit Ihnen bedenken.

In den letzten Jahren hat sich die Art geändert, in der das bischöfliche Amt ausgeübt wird. Das konziliare Kirchenverständnis sowie das zeitgenössische Denken haben den bischöflichen Leitungsstil beträchtlich umgeformt. Bischöfe müssen heute dem Leben der Gläubigen näher sein. Zäune der Konvention und mancherlei Vorzimmerschranken sind gefallen. Und wer immer im Evangelium den Aufruf zur größeren Brüderlichkeit unter den Christen hört, kann für diese Wiederentdeckung von mehr Gemeinschaft nur dankbar sein. Mehr noch: Der Amtsträger erkennt sie als Chance, in der unmittelbaren Begegnung mit vielen Christen seine eigene Gottesbeziehung sprechen zu lassen und so die persönliche Glaubensüberzeugung für die Pastoral wirksam zu machen.

Auch ich beabsichtige das bei meinen sonntäglichen Besuchen in den römischen Pfarreien. Mir scheint, die Menschen der Gegenwart brauchen nachdrücklich die Stärkung im Glauben durch den gottverbundenen Zeugen. Allen Gliedern der Kirche, besonders den Mitbrüdern im Priesteramt, kann der geistliche Austausch zur großen Hilfe werden für den Weg zu Gott und für den Seelsorgedienst. Schließlich sind solche Begegnungen uns selbst eine geistliche Kraft. Wie es beispielsweise der Völkerapostel erwartet, wenn er seiner Gemeinde in Rom schreibt: »Ich sehne mich danach, zu euch zu kommen; ich möchte euch geistliche Gaben vermitteln, damit ihr dadurch gestärkt werdet, oder besser: damit wir, wenn ich bei euch bin, miteinander Zuspruch empfangen durch euren und meinen Glauben« (Röm 1, 11 ff)

So bringt der neue bischöfliche Leitungsstil nicht nur eine gute Möglichkeit - er wird gewissermaßen zur Verpflichtung, zum vorzüglichen Pastoralinstrument in einer Zeit, da Gottes Antlitz vielen Menschen dunkel und unerkennbar geworden ist.

Die Erfahrung der scheinbaren Abwesenheit Gottes lastet ja nicht nur auf den Abständigen und Fernstehenden, sie ist generell. Die Geistesströmung des gängigen gesellschaftlichen Bewußtseins prägt also gleichfalls die aktiven Glieder der Kirche, die ja, wenn auch nicht von der Welt, so doch in der Welt sind. Nöte und Wünsche sind allen Menschen gemeinsam, die Kirche ist keine selige Insel. Fragestellungen und Probleme der Öffentlichkeit haben in Diözesen und Gemeinden Ihr provozierendes Echo.

Darum sieht sich der kluge Hirte genötigt, in Welt und Kirche vor allem andern dem Licht Raum zu schaffen, das aus dem Glauben an die wirksame Anwesenheit Gottes kommt. Der Einfluß des Säkularismus ist evident. Er straft alle die Lügen, die die Grundaussagen des Glaubensbekenntnisses für Binsenwahrheiten halten. »Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater ...«. Formt dieser Satz wirklich das Leben der Christen von heute? Der Katholik unserer Zeit führt wohl kaum von vornherein schon und mit Selbstverständlichkeit sein Leben im Angesicht Gottes. Die Verknüpfung des Alltags mit Gott ist ihm keineswegs von selbst gegeben. Davon auszugehen, alle Glieder der Kirche erlebten ihre Entscheidungen, Ängste und Freuden ohne weiteres in der Zwiesprache mit dem Vater im Himmel, wäre eine Illusion.

Im Gegenteil: Stärker denn je wird es heute ein Problem, wenn die Implikationen kirchlichen Tuns von der Seelsorge nicht deutlich gemacht werden, wenn die stillschweigend vorausgesetzte Gottesbeziehung als garantiert angesehen wird. Wenn wir uns nicht mehr mühen, sie bewußt zu leben, verliert sie ihre Kraft.

Jesus läßt in seiner Predigt keine Gelegenheit aus, an die Nähe des Vaters zu erinnern - etwa nach den Aufzeichnungen des Johannesevangeliums. Oft verbindet er das Geschehen ausdrücklich mit dem Vater im Himmel - wie im Gespräch mit Nikodemus oder mit der Samariterin; bei der Heilung des Gelähmten und des Blindgeborenen oder während der großen Eucharistierede. Wo immer er lehrt, führt er seine Zuhörer geistig zum handelnden Vater - der den Sohn sendet; der dem Sohn das Leben gegeben hat; dessen Werke offenbar werden müssen; der das Lebensbrot reicht und dem die Anbetung gebührt. Die Proklamation der Herrschaft Gottes, d.h. daß wir Menschen uns faktisch und uneingeschränkt vom Herr-Sein Gottes bestimmen lassen, ist für Jesus der Sinn seiner Sendung.

Alle vier Evangelien vermerken demzufolge, wie allgegenwärtig der Vater für Jesus Ist; wie unablässig ihn seine Seele sucht. Die Evangelien lassen ebenso erkennen, daß Jesus diese Gegenwart des Vaters seinen Hörern zutiefst einprägen möchte. Der Herr tat es in einem Volk, das durch Geschichte und Frömmigkeit, Geistesleben und Brauchtum ohnehin in beispielloser Weise auf Jahwe bezogen war. Um wieviel mehr braucht diesen Verweis die Menschheit der Gegenwart, in der Gott so fern erscheint, daß man sogar eine »Theologie vom Tode Gottes« erfand.

Der Überstieg von der Alltagswelt hin vor das Angesicht Gottes drängt sich Jesus auf die Lippen. Dabei geht es ihm zunächst gar nicht darum, seine eigene Würde und Legitimation zu sichern; er anerkennt den Vater ausdrücklich als den, der größer ist? Vielmehr artikuliert sich in diesem Überstieg die Grundkraft seines Wesens; diese Grundkraft gibt ihm die Worte ein. Denn die Verbundenheit mit dem Vater ist für ihn allumfassend.

Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch! Ich möchte das immer neue und ausdrückliche Einbringen des gegenwärtig wirkenden Vaters in all unser kirchliches Reden und Handeln nicht empfehlen als bloße pastorale Methode. Der Verweis auf den Vater im Himmel als seelsorgliche Technik wäre eine arge Profanierung. Vielmehr muß das Bewußtsein seiner Nähe so wachsen, daß es von selbst in Wort und Tat durchscheint. Unsere Gemeinden und vor allem unsere priesterlichen Mitbrüder sollten unsere Gottverbundenheit als die tiefste Motivation all unseres Dienstes entdecken. So könnten wir unsere Brüder und Schwestern von dieser Anwesenheit Gottes lebendig überzeugen und in ihnen den Wunsch wecken, Gottes Gemeinschaft und seinen Willen immer inniger zu suchen.

Wer die Verwiesenheit auf den Vater im Himmel tiefer leben möchte, kann wohl nichts Besseres tun, als auf Jesus zu schauen. Das Neue Testament gibt uns - wenn auch spärlich - Andeutungen über seine Weise, die Vertrautheit mit dem Vater zu pflegen. Vor allem sind es die Hinweise auf die langen Zeiten des Gebetes, die hier bedacht sein wollen, zum Beispiel vor der Wahl der zwölf Apostel. (Lk 6, 12).

Die Gemeinschaft mit dem Vater im andauernden Gebet, in der - ich möchte es ruhig so nennen - mystischen Versenkung, ist wohl die entscheidende Quelle von Jesu Geborgenheit beim Vater. Beim Vater aufgehoben, fragt er nicht ängstlich nach dem morgigen Tag und rät auch seinen Zuhörern, nicht auf Geld und Gut zu setzen, sondern die Sorge um Besitz und Sicherheit abzugeben. Er tritt in souveränem Mut für Gott und seine Ehre ein, ohne die Menschen zu fürchten. Er fasziniert seine Zeitgenossen, die seinetwegen Maria preisen (Lk 18, 27) und in ihm die Überzeugungskraft eines Menschen rühmen, der redete, »wie einer, der Macht hat«. (Lk 11, 27)

In seiner Vorbildlichkeit ist uns der Herr freilich mehr als ein bloßes Modell. Jesu biblische Wege gehen wir nicht nach, wie wir uns andere große Gestalten der Vergangenheit vor Augen führen. Wir tauchen vielmehr ein in eine liebende, innige Vereinigung mit ihm, der ja den Graben der Geschichte übersprungen hat und in seinem Geist jedem von uns allezeit gegenwärtig ist.

So mit ihm verbunden, gelingt es uns, durch ihn unsere Existenz für den Vater zu gewinnen. Wir vermögen der Hoffnungslosigkeit zu wehren, die ja aus der Gottesferne herrührt. Wir können den Sog des Materialismus bei den Menschen eindämmen, weil wir unser Vertrauen in die Güte des Vaters bekunden. Und selbst ein aggressiver Widerspruch aus der gesellschaftlichen oder kirchlichen Öffentlichkeit kann unserem Mut nichts anhaben, für Gottes Rechte und für den Glauben der Gesamtkirche einzutreten.

Es war das Zweite Vatikanische Konzil, das Wesen und Wirkweise des bischöflichen Amtes ausführlich dargestellt hat. Besonders die Kirchenkonstitution erinnert uns daran, daß wir Bischöfe »als Lehrer in der Unterweisung, als Priester im heiligen Kult und als Diener in der Leitung der Herde vorstehen« (Lumen Gentium, 20) Und meine soeben vorgetragenen Überlegungen werden nur unterstrichen durch die einfordernde Versicherung desselben Satzes, daß wir diesen unseren Dienst »an Gottes Stelle« vollziehen. 

Wohl tun wir ihn als einzelne und in je individueller Verantwortung. Doch jedem Bischof ist die Vollmacht zur Ausübung des genannten dreifachen Amtes nur insofern gegeben, als er Glied des Kollegiums des Gesamtepiskopats ist. Damit folgt aus der Bestellung zum Bischof die nachdrückliche Verpflichtung zur Einheit. Da es Gottes Geist war, der uns dazu gesetzt hat, in der Nachfolge der Apostel die Kirche Gottes zu weiden - wie könnte da ein anderer Sinn unser Tun bestimmen als der Geist der Einheit?

Diese Einheit ist zunächst für Ihre Bischofskonferenz und deren Arbeit gefordert. Niemand wird übersehen, wie gewichtig Überlegungen und Entscheidungen dieser kirchlichen Ebene für die Menschen und Ortskirchen Ihres Vaterlandes — ja darüber hinaus — sind. Noch bedeutsamer ist jedoch die kollegiale Einheit mit dem Gesamtepiskopat. Und diese wieder ist nur gegeben, wenn das Bischofskollegium mit dem Papst als seinem Haupt zusammengefügt ist; denn das Bischofskollegium würde ja ohne sein Haupt zerfallen. Obwohl es gewiß theologische und ethische Fragen gibt, die uns Bischöfe wegen der Verpflichtung auf die Einheit zum Zeichen des Widerspruchs machen, so wird »communio« dennoch in diesem Zusammenhang zur grundlegenden theologischen Bedingung.

Darum schreibt auch die Kirchenkonstitution: »Die Bischöfe, die in Gemeinschaft mit dem römischen Bischof lehren, sind von allen als Zeugen der göttlichen und katholischen Wahrheit zu verehren. Die Gläubigen aber müssen mit einem im Namen Christi vorgetragenen Spruch ihres Bischofs in Glaubens- und Sittensachen übereinkommen und ihm mit religiös begründetem Gehorsam anhangen«.

Liebe Brüder im Bischofsamt, das Zweite Vatikanische Konzil war für die Kirche ein verheißungsvoller Neubeginn, dessen Impulsen Ihr Dienst in der Kirche von Österreich gilt. Auch meine Besuche in Kontinenten und Ländern wollen die Kräfte dieser Erneuerung stärken. Ich bin zutiefst durchdrungen von der Überzeugung, diese Erneuerung werde um so mehr Dynamik entwickeln, je andauernder und treuer wir, die Hirten der Kirche, in der Gemeinschaft mit Jesus die Nähe des Vaters im Himmel suchen.

Dann allein werden wir von Christi Geist und nicht von unseren eigenen Ideen bestimmt. Dann allein kann es uns gelingen, unseren Priestern geistliche Väter zu sein und als gewinnende Brüder ihnen den überspringenden Funken der Hoffnung zu vermitteln, nach dem ja so viele von ihnen rufen. Dann werden Sie die Laien Ihrer Bistümer inspirieren, der Herausforderung durch Gesellschaft und Staat die rechte Antwort zu geben und die Last des Lebens auszuhalten angesichts der vor ihnen liegenden Freude in Gottes Gemeinschaft (Hebr 12, 2).

Möge die Mutter Gottes, die Ihr Volk schon so lange und innig an vielen Orten Ihres Landes verehrt, unsere Fürsprecherin sein, daß diese unsere brüderliche Begegnung von Gott gesegnet sei.

 

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