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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE BISCHÖFE AUS DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Donnerstag, 28. Januar 1988

 

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

1. Als dritte und letzte Gruppe von Oberhirten der Deutschen Bischofskonferenz begrüße ich heute in Euch die Bischöfe von Freiburg, Limburg, Mainz, Rottenburg-Stuttgart und Trier, also vorwiegend aus Südwestdeutschland, sowie den Bischof von Regensburg, der sich Euch angeschlossen hat, zusammen mit einigen Weihbischöfen. Ganz besonders begrüße ich unter Euch den neuen Vorsitzender Eurer Konferenz, Bischof Karl Lehmann, dem Ihr für die Nachfolge des unvergessenen Kardinals Joseph Höffner in diesem Amt Euer Vertrauen geschenkt habt, sowie den stellvertretenden Vorsitzenden und Metropoliten der Oberrheinischen Kirchenprovinz, Erzbischof Saier aus Freiburg.

In diesen Tagen Eures Ad-limina-Besuches findet Ihr mehrfach Gelegenheit, dem Nachfolger im besonderen Bischofsamt des Petrus von den Freuden und Sorgen Eures Hirtenamtes in Euren Diözesen zu berichten, sein ermutigendes und weisendes Wort zu hören und Euch der vertrauensvollen Gemeinschaft mit ihm und seinen Mitarbeitern in der römischen Kurie unmittelbar zu vergewissern. Bei dieser gemeinsamen Begegnung möchte ich Euch nun in besonderer Weise zur Sorge um das Zeugnis christlichen Lebens in der Welt einladen, nachdem bei den zwei vorhergehenden Gruppen die Sorge um den Glauben selbst sowie das christliche Leben in den Pfarrgemeinden im Mittelpunkt meiner Erwägungen gestanden haben.

2. Der von den Christen gelebte und in Wort und Sakrament gefeierte Glauben zielt ja über den Raum der Kirche auf die ganze Welt. ”Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird“. Die Wahrheit muß ”in uns“ bleiben, damit sie durch uns die konkrete Gestalt der Welt erfassen und umgestalten kann. Wir wissen, daß uns dies wegen der endlichen Gestalt der Welt und wegen unserer Schwäche immer nur vorläufig und bruchstückhaft gelingen wird. Die volle Herrlichkeit dessen, was einmal sein wird, geht uns erst bei der Vollendung der Welt durch Gott auf. Alle Versuche, rein weltliche Heilslehren als Verheißungen des vollen Glücks für alle Menschen bereits in dieser Zeit auszugeben, stoßen hier an ihre Grenzen. Sie haben die Menschen immer nur enttäuscht, oft sogar um ihre Freiheit gebracht und die Schrecken der Geschichte vermehrt. Seid wachsam, damit nicht Elemente einer solchen Haltung auch die christliche Weltgestaltung mitbestimmen. Bleibt der nüchternen Hoffnung unseres Glaubens treu, die das Unvollendetsein unserer Welt und das Kreuz des Herrn nie aus den Augen verliert.

Diese Sicht darf uns Christen aber kein Vorwand sein, vor den Problemen der heutigen Welt zu kapitulieren. Findet Euch nicht ab mit der starken Tendenz zur Säkularisierung in Eurer Gesellschaft. Es sieht manchmal so aus, als ob von seiten des Glaubenden kein Eindringen in die sich selbst genügende Sphäre einer säkularisierten Welt möglich wäre. Man scheint Religion und Kirche nicht zu brauchen. Aber der Schein einer selbstzufriedenen Autonomie in dem durch eigene Hand geschaffenen Haus trügt. Risse bezeugen, daß das säkulare Haus brüchig ist: Elementare Lebensfragen werden verdrängt; der vollen Wahrheit über sich und andere geht man aus dem Weg; viele Angebote, das eigene Glück ausschließlich selbst zu bestimmen, führen zu Langeweile und Verzweiflung. Auf Dauer begnügt sich der Mensch eben nicht mit Ersatz als Antwort auf seine Lebensfrage. Die Flucht in Betriebsamkeit, Häufung irdischer Güter, Genuß, Rausch und Drogen sind ein deutliches Zeugnis dafür.

Der christliche Glauben will sein Zeugnis in diese konkrete Welt hineinbringen. Er muß dabei mit Widerstand und auch Ablehnung rechnen. In diesem Sinne wird es auch immer wieder zu Auseinandersetzung und Streit mit widrigen und bösen Mächten kommen. Christliches Zeugnis in der Welt kann es nicht geben ohne Mut und Tapferkeit. Die eigene Wahrheitsüberzeugung muß rein und eindeutig zur Geltung gebracht werden, in erster Linie im eigenen Sprechen, Handeln und Leben.

3. Dies ist die genuine Aufgabe aller Glieder der Kirche. Zur Würde und Sendung der Taufe gehört es, daß wir die ”großen Taten dessen verkünden, der uns aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat“.  Dies gilt für alle Christen und für alle Lebensbereiche. Priester und Laien haben bei Euch in den letzten Jahrzehnten Beachtliches für den inneren Aufbau der Kirche vollbracht. Die Kirche muß ja auch zuerst in sich selbst geistlich stark und gerüstet sein, wenn sich mit ihrem Glaubenszeugnis der Welt zuwenden will. Dabei darf jedoch der besondere Weltdienst der christlichen Laien nicht zu kurz kommen; ja, er sollte tatsächlich im Vordergrund stehen. Diese Orientierung spricht das Zweite Vatikanische Konzil in der Kirchenkonstitution ”Lumen Gentium“ deutlich aus; dort heißt es: ”Die Laien sind besonders dazu berufen, die Kirche an jenen Stellen und in den Verhältnissen anwesend und wirksam zu machen, wo die Kirche nur durch sie das Salz der Erde werden kann“. Oder an anderer Stelle: ”Den Laien ist der Weltcharakter in besonderer Weise eigen“. Alle innerkirchlichen Dienste und Ämter sollten den Laien in Ehe und Familie, in seinem Beruf sowie im öffentlichen Leben befähigen, gerade dort sein qualifiziertes und unersetzliches Zeugnis abzulegen, wozu ihn auch die letzte Bischofssynode neu ermutigt hat.

Dafür habt Ihr in Eurem Land auch traditionsreiche Verbände, die aber wohl eine neue Stärkung von innen her brauchen. Ermutigt sie, ihre authentische Sendung in die Welt hinein zu erfüllen. Sie brauchen hierfür im Sinne der Pastoralkonstitution ”Gaudium et Spes“ gewiß eine relative Selbständigkeit, damit sie sich im Bereich der zeitlichen Dinge mit ausreichender Freiheit bewegen können. Natürlich kann das nicht so weit gehen, daß sie sich vom verbindlichen Glauben der Kirche entfernen. Sonst würden sie schal und kraftlos und verlören die konkrete Kirche als ihre nächste Heimat.

4. Diese Vermittlung der geistlichen Kraft der Kirche in die Strukturen der Welt hinein durch die Laien und Verbände erstreck sich auf alle Lebensbereiche der heutigen Gesellschaft. Besonders nennen möchte ich die Welt der Arbeit, die Politik auf allen ihren Ebenen, die Schulen in ihren vielfältigen Formen, Wissenschaft und Kultur, die Medizin und die Sorge um die Kranken, die Sozialfürsorge, die Medien, die Sorge um die Bewahrung der Schöpfung. Stärkt die Glieder der Kirche, die in solchen Bereichen arbeiten und Verantwortung tragen: Sie haben dort schwere Probleme für die Zukunft zu lösen und bedürfen gerade deshalb unserer Solidarität und Nähe.

Unsere kirchliche Aufgabe hat heute weltweite Dimensionen. Bei Euch beweist Ihr das durch die großen Bischöflichen Werke Adveniat, Misereor und Missio sowie durch die Arbeit der Caritas als bewährte und segensreiche Einrichtungen zum Wohl der Menschen, die von Not und Katastrophen, Hunger und Unterdrückung betroffen sind. Ich danke Euch und allen Katholiken für die Förderung dieser Werke und die darin bekundete Solidarität mit den Armen und Leidenden. Laßt nicht nach in Eurem Eifer, aus Eurem Glauben und dem Segen Eurer irdischen Mittel konkrete Nächstenliebe zu üben. Unsere Hilfe aus der Kraft des Evangeliums soll selbstlos sein, ohne weltliche Nebenabsichten und ohne uns als Kirche in politische Auseinandersetzungen hineinziehen zu lassen. Wo jedoch fundamentale Menschenrechte und die menschliche Würde verletzt werden, dürfen wir nicht schweigen.

Solche brüderliche Hilfe steht nicht etwa nur am Rande unseres Glaubens. Der Völkerapostel Paulus zeigt uns, wie sehr die von ihm betriebene Geldsammlung für Jerusalem zur Mitte unseres Glaubens gehört, wenn er auch uns zu bedenken gibt: ”Ihr wißt, was Jesus Christus, unser Herr, in seiner Liebe getan hat. Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen“. Auch Ihr werdet nicht selten erfahren haben, daß Ihr selbst, durch die ganz andersartigen Gaben Eurer fernen Brüder und Schwestern reich werdet, indem Ihr nämlich die Dankbarkeit lernt für Euer Leben mit seinen vielen Möglichkeiten in der einen universalen Kirche Jesu Christi. Oft werden wir durch den inneren Reichtum jener Menschen, die wir zu beschenken meinen, geradezu beschämt und selbst bestärkt.

5. Weitere wichtige Bereiche eines christlichen Zeugnisses nenne ich heute nur kurz. Ich denke an den Einsatz der Gläubigen für einen umfassenden Frieden. Euer Dokument ”Gerechtigkeit schafft Frieden“ aus dem Jahr 1983 tut sicher auch heute noch einen guten Dienst für die Erziehung zu einem Frieden in allen Lebensbereichen – bis hin zum Weltfrieden. Mir stehen ferner die großen Gefährdungen vor Augen, denen das ungeborene Kind vom Anfang des Lebens an vielfach ausgesetzt ist. Mit Recht betont Ihr immer wieder, daß Ihr Euch mit dem Skandal der hohen Abtreibungszahlen und der damit verbundenen allgemeinen Gewöhnung nicht abfinden werdet. Ich danke Euch für dieses mutige Zeugnis und bestärke Euch von ganzem Herzen: Tut alles, was Ihr könnt, um die Gewissen der Menschen zu wecken und das Leben der ungeborenen Kinder zu retten. An diesem Zeugnis für das Lebensrecht aller menschlichen Wesen am Anfang und am Ende unseres irdischen Weges entscheidet sich die Glaubwürdigkeit unserer Hoffnung für alle Menschen, ganz besonders in Eurem Land, das doch so viele Lebenschancen bietet. Schließlich erwähne ich noch die Mithilfe der Christen bei der ethischen und psychologischen Bewältigung von sozialen Spannungen, die sich bei Euch aus einer hohen Arbeitslosigkeit sowie aus der relativ großen Zahl von Flüchtlingen aus aller Welt ergeben.

6. Eine anspruchsvolle Aufgabe bleibt in Eurem Land weiterhin die Überwindung der Spaltung unter den Christen; Ihr verspürt sie bei Euch besonders schmerzlich. Wir haben allen Grund, Gott zu danken, daß wir in den letzten Jahrzehnten viele Vorurteile und Mißverständnisse miteinander überwinden und überraschend viel Gemeinsames entdecken konnten, was uns vorher in diesem Maße meist nicht bewußt war. Fahrt fort mit dem aufrichtigen und sorgfältigen Dialog mit den nicht-katholischen kirchlichen Gemeinschaften! Öfter fordern diese von Euch die Einheit am Tisch des Herrn oder wenigstens eine Art ”eucharistische Gastfreundschaft“. Diese Gemeinschaft beim Mahl des Herrn kann es aber beim gegenwärtigen Stand des Gespräches miteinander leider jetzt noch nicht geben. Diese Trennung schmerzt; sie gibt uns aber die notwendige Kraft und beständige Geduld für das Ringen um die Wahrheit des Glaubens. Um so wichtiger ist es, daß die getrennten Christen schon jetzt alles miteinander tun, was jetzt bereits möglich ist. Dazu gehört vor allem das Gebet um die Einheit, wie es besonders in diesen Tagen überall geschieht.

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

Dies sind einige vorrangige Aufgabenfelder, auf denen sich das christliche Weltzeugnis in Eurem Land bewähren muß. Zusammen mit meinen Anregungen für die beiden vorhergehenden Gruppen Eurer Bischofskonferenz vertraue ich Euch meine Worte nun zur weiteren persönlichen und gemeinschaftlichen Erwägung an und erbitte Euch von Christus, dem Guten Hirten, eine segensreiche Auswertung Eures gesamten diesjährigen Ad-limina-Besuches zur Auferbauung des Reiches Gottes in Euren Gemeinden.

In brüderlicher Verbundenheit und Anerkennung danke ich Euch auch an dieser Stelle für Euer Glaubenszeugnis und Euren unermüdlichen Hirtendienst in Eurem Land. Wenn Ihr jetzt dorthin zurückkehrt, grüßt in meinem Namen die Euch anvertrauten Katholiken in Euren Bistümern, vor allem Eure vielfältigen Mitarbeiter, wo immer sie für Glaube und Liturgie, für Caritas und Verwaltung wirken. Ein besonderes Wort der Ermutigung sagt den Männern und Frauen in den Ordensgemeinschaften und säkularen Instituten. In tiefer geistlicher Einheit grüße ich durch Euch auch die verdienten Altbischöfe von Mainz, Trier und Regensburg: Kardinal Hermann Volk, Bischof Bernhard Stein und Bischof Rudolf Graber.

Der allmächtige und gütige Gott segne Euch und Eure Ortskirchen und lasse sein Reich der Wahrheit und der Liebe unter Euch wachsen. Gelobt sei Jesus Christus!

 

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