ANSPRACHE VON J
OHANNES PAUL II.Montag, 17. Mai 1993
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!
Es ist für mich eine große Freude, Sie anlässlich Ihres Rombesuches zusammen mit Ihren Ehepartnern im Vatikan begrüßen zu können.
Die Christlich–Demokratische Union befindet sich im Augenblick in der Vorbereitung eines Grundsatzprogrammes, das auch weiterhin der Verankerung christlichen Ideen- und Gedankengutes Rechnung tragen will.
Wie ich in meiner Enzyklika ”Centesimus Annus“ betont habe, ist ”eine wahre Demokratie nur in einem Rechtsstaat und auf der Grundlage einer richtigen Auffassung vom Menschen möglich... In diesem Zusammenhang muss gesagt werden, dass dann, wenn es keine letzte Wahrheit gibt, die das politische Handeln leitet und ihm Orientierung gibt, die Ideen und Überzeugungen leicht für Machtzwecke missbraucht werden können. Eine Demokratie ohne Werte verwandelt sich, wie die Geschichte beweist, leicht in einen offenen oder hinterhältigen Totalitarismus“.
Nur auf Grund einer ausgewogenen Werthierarchie und auf Grund eines klaren Konzeptes der Würde und der Rechte der Person ist es auf Dauer möglich, dem Gemeinwohl gerecht zu werden. Dabei ist die Freiheit des sittlichen Bewusstseins die alles grundlegende Freiheit, die alle übrigen garantiert. Sie findet ihren höchsten Ausdruck in der religiösen Freiheit als dem Vermögen des Menschen, sich frei seinem Schöpfer zuzuwenden.
Diese vom Geist Gottes geschenkte Freiheit kennt keinen Individualismus und keinen Willen zu unkontrollierbarer Macht. Sie entfaltet sich vielmehr in der Liebe und in der Wahrheit. Christus sagt uns: ”Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien“.
Ohne dieses Werk geistlicher Befreiung bleiben die im engeren Sinn politischen und sozialen Werte der Freiheit zerbrechlich und bedroht. Da unsere Welt nicht aus abstrakten Einheiten aufgebaut ist, gehört es zum konkreten, geschichtlichen Auftrag der Christen, die menschliche Freiheit neu zu evangelisieren. Das Evangelium enthält in der Tat die Totalität der Wahrheit über den Menschen: Es ist zugleich Frohe Botschaft und Wort vom Kreuz.
Mit meinem Dank für Ihre Tätigkeit zum Wohl der Menschen in Deutschland und darüber hinaus verbinde ich die Bitte, auch in Zukunft vor allem den jungen Menschen christliche Wertvorstellungen vorzuleben und zu vermitteln, um dem Abdriften der Politik in rein pragmatische Verfahrensweisen Einhalt zu gebieten.
Von Herzen erteile ich Ihnen allen hierzu meinen Apostolischen Segen.
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