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 ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II. 
AN DIE TEILNEHMER DER VOLLVERSAMMLUNG 
DER PÄPSTLICHEN AKADEMIE FÜR DAS LEBEN 

Samstag, 3. März 2001

 

1. Die Begegnung mit euch ist für mich immer eine große Freude, verehrte Mitglieder der Päpstlichen Akademie für das Leben. Am heutigen Tag treffen wir anläßlich eurer jährlichen Vollversammlung zusammen, zu der ihr aus verschiedenen Ländern nach Rom gekommen seid. Mein herzlichster Gruß gilt jedem von euch, werte Freunde, die ihr die Familie dieser von mir hochgeschätzten Akademie bildet. Einen besonderen und ehrerbietigen Gedanken richte ich an euren Präsidenten, Professor Juan de Dios Vial Correa, dem ich für die freundlichen Worte danke, mit denen er eure Empfindungen zum Ausdruck gebracht hat. Ich weite meinen Gruß aus auf den Vizepräsidenten, Msgr. Elio Sgreccia, auf die Mitglieder des Vorstands sowie die Mitarbeiter und Wohltäter.  

2. Als Grundlage eurer Überlegungen im Rahmen der Vollversammlung habt ihr ein sehr interessantes Thema gewählt: »Die Kultur des Lebens: Grundlagen und Dimensionen.« Schon in seiner Formulierung offenbart dieses Thema die Absicht, die Aufmerksamkeit auf den positiven und konstruktiven Aspekt der Verteidigung des menschlichen Lebens zu lenken. In diesen Tagen habt ihr euch gefragt, von welchen Grundlagen man ausgehen muß, um eine Kultur des Lebens zu fördern oder zu reaktivieren, und mit welchen Inhalten man sie einer Gesellschaft darlegen muß, die – wie ich in der Enzyklika Evangelium vitae schrieb – von einer immer verbreiteteren und alarmierenden Kultur des Todes geprägt ist (vgl. 7 und 17). 

Die beste Methode zur Überwindung der gefährlichen Kultur des Todes besteht eben darin, einer Kultur des Lebens, die sich ihr entschlossen entgegenstellt, ein solides Fundament und lichtvolle Inhalte zu geben. Es ist nicht ausreichend – obgleich nötig und angebracht – die verderblichen Auswirkungen der Kultur des Todes aufzuzeigen und zu verurteilen. Es ist vielmehr notwendig, das innere Gefüge der zeitgenössischen Kultur – definiert als gelebte Mentalität, Überzeugungen und Verhaltensweisen sowie als sie unterstützende soziale Strukturen – ständig zu erneuern. 

Diese Überlegungen erscheinen als umso wertvoller, wenn man berücksichtigt, daß nicht nur das individuelle Verhalten durch die Kultur beeinflußt wird, sondern auch die legislativen und politischen Entscheidungen; diese vermitteln ihrerseits kulturelle Impulse, die bedauerlicherweise nicht selten eine echte Erneuerung der Gesellschaft behindern. 

Die Kultur beeinflußt darüber hinaus die Strategien der wissenschaftlichen Forschung, die heute mehr denn je in der Lage ist, machtvolle Mittel anzubieten, die allerdings nicht immer für das wahre Wohl des Menschen eingesetzt werden. Stattdessen scheint sich die Forschung mitunter in vielen Bereichen gegen den Menschen zu wenden.  

3. Zu Recht habt ihr daher die Grundlagen und Dimensionen der Kultur des Lebens präzisieren wollen. In dieser Perspektive habt ihr den Akzent auf die großen Themen der Schöpfung gelegt und herausgestellt, daß das Menschenleben als Geschenk Gottes aufgefaßt werden muß. Der Mensch, nach dem Abbild und Gleichnis Gottes geschaffen, ist dazu berufen, sein freier und zugleich verantwortlicher Mitarbeiter in der »Verwaltung« der Schöpfung zu sein. 

Außerdem habt ihr den unveräußerlichen Wert der Personenwürde bestätigen wollen: Sie kennzeichnet jeden Menschen, von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod. Ihr habt euch mit dem Thema der Leiblichkeit und ihrer personalistischen Bedeutung beschäftigt. Ihr habt eure Aufmerksamkeit auf die Familie als Liebes- und Lebensgemeinschaft gerichtet. Ihr habt nachgedacht über die Wichtigkeit der Medien für eine engmaschige Verbreitung der Kultur des Lebens sowie über die Notwendigkeit, sich im persönlichen Zeugnis dafür zu engagieren. Außerdem habt ihr daran erinnert, daß jeder dialogfördernde Weg beschritten werden muß – in der Überzeugung, daß die volle Wahrheit über den Menschen dem Leben zuträglich ist. Der Gläubige wird darin von dem im Glauben wurzelnden Enthusiasmus unterstützt. Das Leben wird siegen: Dies ist unsere sichere Hoffnung. Ja, das Leben wird siegen, weil die Wahrheit, das Gute, die Freude und der echte Fortschritt auf der Seite des Lebens stehen. Auf der Seite des Lebens steht Gott, der das Leben liebt und es in Fülle schenkt.  

4. Auch in diesem Fall finden wir – wie stets im Verhältnis zwischen philosophischer Überlegung und theologischer Meditation – eine unabdingbare Hilfe im Wort und Beispiel Jesu, der sein Leben hingegeben hat, um unseren Tod zu überwinden und den Menschen an seiner Auferstehung teilhaben zu lassen. Christus ist »die Auferstehung und das Leben« (Joh 11,25). 

In dieser Richtung weiterdenkend, schrieb ich in der Enzyklika Evangelium vitae: »Das Evangelium vom Leben ist nicht bloß eine wenn auch originelle und tiefgründige Reflexion über das menschliche Leben; und es ist auch nicht nur ein Gebot, dazu bestimmt, das Gewissen zu sensibilisieren und gewichtige Veränderungen in der Gesellschaft zu bewirken; und noch weniger ist es eine illusorische Verheißung einer besseren Zukunft. Das Evangelium vom Leben ist eine konkrete und personale Wirklichkeit, weil es in der Verkündigung der Person Jesu selber besteht. Dem Apostel Thomas und in ihm jedem Menschen zeigt sich Jesus mit den Worten: ›Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben‹ (Joh 14,6)« (29). 

Es handelt sich um eine grundlegende Wahrheit, und die Gemeinschaft der Gläubigen ist heute mehr denn je dazu berufen, sie zu verteidigen und zu verkünden. Die christliche Botschaft über das Leben ist »jedem Mann und jeder Frau sogar irgendwie ins Herz geschrieben; […] sie erfüllt jedes sittliche Bewußtsein ›von Anfang an‹, das heißt von der Erschaffung an, so daß sie trotz der negativen Beeinflussungen durch die Sünde in ihren wesentlichen Zügen auch von der menschlichen Vernunft erkannt werden kann« (Evangelium vitae, 29). 

Das Konzept der Schöpfung ist nicht nur eine wunderbare Verkündigung der Offenbarung, sondern auch eine Art tiefe Vorahnung des menschlichen Geistes. Desgleichen ist die Personenwürde nicht ein Begriff, der nur von der biblischen Auffassung, wonach der Mensch »nach dem Abbild und Gleichnis« des Schöpfers geschaffen wurde, abzuleiten ist, sondern sie ist ein in der spirituellen Wesensart des Menschen wurzelndes Konzept, aufgrund dessen er sich gegenüber der ihn umgebenden Welt als transzendentes Wesen erweist. Das Geltendmachen der Würde des Leibes als »Subjekt«, und nicht als bloßes materielles »Objekt«, ist die logische Konsequenz der biblischen Auffassung von der Person. Es handelt sich um eine einheitliche Sichtweise vom menschlichen Wesen, die von vielen Denkrichtungen – von der mittelalterlichen Philosophie bis in unsere Zeit – gelehrt worden ist.  

5. Der Einsatz für den Dialog zwischen Glauben und Vernunft kann die Kultur des Lebens nur stärken, denn er verbindet Würde und Heiligkeit, Freiheit und Verantwortung jedes Menschen als unverzichtbare Komponenten seines Daseins. Zusammen mit der Verteidigung des persönlichen Lebens wird auch der Schutz der Umwelt gewährleistet, denn sie sind beide von Gott geschaffen und angeordnet, wie dies die natürliche Struktur des sichtbaren Universums beweist. 

Die weitreichenden Erfordernisse hinsichtlich des Rechts auf Leben jedes menschlichen Wesens von der Empfängnis bis zum Tod, der Einsatz für die Förderung der Familie gemäß dem ursprünglichen Plan Gottes, das dringende und inzwischen allen bewußt gewordene Bedürfnis, die Umwelt, in der wir leben, zu schützen, stellen ein Gebiet gemeinsamen Interesses für Ethik und Recht dar. Vor allem in diesem Bereich, der die Grundrechte des menschlichen Miteinanders betrifft, gilt, was ich in der Enzyklika Fides et ratio schrieb: »Denn die Kirche hält zutiefst an ihrer Überzeugung fest, daß sich Glaube und Vernunft› wechselseitig Hilfe leisten können‹, indem sie füreinander eine Funktion sowohl kritisch-reinigender Prüfung als auch im Sinne eines Ansporns ausüben, auf dem Weg der Suche und Vertiefung voranzuschreiten« (Nr. 100). 

Die Radikalität der Herausforderungen, denen die Menschheit heute gegenübersteht, nämlich einerseits den Fortschritten in Wissenschaft und Technologie und andererseits den Säkularisierungsprozessen in der Gesellschaft, fordert große Anstrengungen, um die Überlegungen über den Menschen und seine Existenz in der Welt und Geschichte zu vertiefen. Man muß im Hinblick auf die Bildung der Gewissen eine ausgeprägte Fähigkeit zum Dialog, zum Zuhören und zum Mitwirken beweisen. Nur so kann man eine Kultur ins Leben rufen, die auf der Hoffnung gründet und gegenüber dem umfassenden Fortschritt jedes einzelnen in den verschiedenen Ländern aufgeschlossen ist – und sich hierbei durch Gerechtigkeit und Solidarität auszeichnet. Ohne eine Kultur, die das Recht auf Leben bekräftigt und die fundamentalen Werte jeder Person fördert, kann weder eine gesunde Gesellschaft geschaffen noch Frieden und Gerechtigkeit gewährleistet werden.  

6. Ich bitte Gott darum, er möge die Gewissen der Menschen erleuchten und all jene führen, die auf verschiedenen Ebenen am Aufbau der Gesellschaft von morgen beteiligt sind. Ihr Hauptziel sei immer der Schutz und die Verteidigung des Lebens. 

Euch, verehrte Mitglieder der Päpstlichen Akademie für das Leben, die ihr eure Tatkraft im Dienst an einem so edlen und anspruchsvollen Ziel aufbringt, spreche ich meine aufrichtige und dankbare Wertschätzung aus. Der Herr unterstütze euch bei eurer Arbeit und helfe euch, den euch anvertrauten Auftrag zu erfüllen. Die allerseligste Jungfrau stärke euch mit ihrem mütterlichen Schutz. 

Die Kirche ist euch dankbar für den hohen Dienst, den ihr für das Leben leistet. Was mich betrifft, so möchte ich euch begleiten mit meiner ständigen Ermutigung, bekräftigt durch meinen besonderen Segen.  

  



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