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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN HERRN OSMAN DURAK,
BOTSCHAFTER DER TÜRKEI BEIM HL. STUHL*

Samstag, 21. Februar 2004

 

Exzellenz!

Herzlich heiße ich Sie zur Überreichung des Beglaubigungsschreibens willkommen, mit dem Sie zum außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafter der Republik Türkei beim Heiligen Stuhl ernannt worden sind. Eine der ersten Pilgerreisen meines Pontifikats führte mich »als Botschafter des Friedens und als Freund« (Abschiedsansprache in Smyrna, 30. November 1979) in Ihr Land. Mit den unauslöschlichen Erinnerungen an diese historische Reise danke ich Ihnen für die Grüße, die mir Präsident Ahmet Necdet Sezer übermitteln läßt, und gerne spreche auch ich den Autoritäten und der Bevölkerung Ihres Landes meine besten Wünsche aus. Ich bitte Sie, alle meines Gebetsgedenkens zu versichern.

Sie haben von der Türkei als einem demokratischen Rechtsstaat gesprochen, in dem alle Bürger die gleichen Rechte haben. In der Tat sind Rechtsstaatlichkeit und Gleichheit wesentliche Merkmale jeder modernen Gesellschaft, die aufrichtig danach strebt, das Wohl aller zu schützen und zu fördern. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe erlaubt die klare Unterscheidung zwischen der zivilen und der religiösen Sphäre jedem dieser beiden Bereiche, die jeweiligen Verantwortungen in gegenseitigem Respekt und in voller Gewissensfreiheit wirksam auszuüben. Es freut mich, daß die Verfassung der Republik diese Gewissensfreiheit sowie die Freiheiten der Religionsausübung, des Gottesdienstes und der Ausbildung anerkennt. Wenn diese in der Verfassung verankerten Garantien Bestandteil der ordentlichen Gesetzgebung und somit des lebendigen gesellschaftlichen Gefüges werden, ermöglichen sie allen Bürgern, unabhängig von ihrem Glauben oder ihrer Religionszugehörigkeit, zum Aufbau der türkischen Gesellschaft beizutragen. So kann die Nation von jener Hoffnung und von jenen moralischen Qualitäten profitieren, deren Kraft auf den tiefsten religiösen Überzeugungen des Menschen gründet.

Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, daß die Türkei sich anschickt, neue Beziehungen zu Europa aufzubauen, sehe ich gemeinsam mit der katholischen Bevölkerung erwartungsvoll der Anerkennung des rechtlichen Status der Kirche in Ihrem Land seitens der türkischen Autoritäten und Institutionen entgegen. Die Kirche strebt keineswegs nach besonderen Privilegien oder einer bevorzugten Behandlung ihrer selbst. Vielmehr besteht sie lediglich darauf, daß die grundlegenden Menschenrechte ihrer Mitglieder geachtet werden und die katholischen Gläubigen diese Rechte frei ausüben können. Zu Beginn dieses Jahres habe ich hervorgehoben, daß in einer pluralistischen Gesellschaft die Laizität des Staates eine Möglichkeit zur »Kommunikation zwischen den verschiedenen geistlichen Traditionen und der Nation« ist. (Ansprache an das beim Heiligen Stuhl akkreditierte Diplomatische Korps, 12. Januar 2004, 3; in O.R. dt., 30.1.2004, Nr. 5, S. 9). Daher sind Kirche und Staat nicht Konkurrenten, sondern Partner, und ein gesunder Dialog zwischen ihnen kann die ganzheitliche Entwicklung des Menschen und die Eintracht in der Gesellschaft fördern. In dieser Hinsicht möchte ich auch meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, daß der Parlamentarische Ausschuß für Menschenrechte der Türkischen Nationalversammlung es für angebracht hält, in angemessener Form auf die im vergangenen September eingebrachte Petition bezüglich der gemeinsamen religiösen und pastoralen Bedürfnisse der in der Türkei lebenden Christen und nicht-muslimischen Minderheiten zu antworten.

Wie mein Vorgänger und ehemaliger Apostolischer Delegat in Ihrem Land, der selige Papst Johannes XXIII., in seiner Enzyklika Pacem in Terris betonte, kann die Frage des Friedens nicht von der Frage der Menschenwürde und der Menschenrechte getrennt werden. Mit anderen Worten: Die weitreichenden Probleme hinsichtlich der Ordnung in weltweiten Angelegenheiten können nicht auf angemessene Weise in Angriff genommen werden, ohne sich auch mit Fragen der Moralität und des ethischen Verhaltens auseinanderzusetzen. Daher erfordern der Friede und die Eintracht innerhalb der Nationen und zwischen den Völkern und Staaten auch auf internationaler Ebene eine immer stärker auf Integration und Mitwirkung bedachte Ausübung der politischen Autorität und eine größere Transparenz und Verantwortlichkeit in allen Bereichen des öffentlichen Lebens. Papst Johannes, der die Wahrheit, die Gerechtigkeit, die Liebe und die Freiheit als die vier Säulen des Friedens betrachtete, rief zu einer edleren Vision der staatlichen Autorität auf, und »mit Kühnheit drängte er die Welt dazu, sich in eine Lage jenseits ihres derzeitigen Zustandes der Unordnung zu versetzen und sich neue Formen einer völkerrechtlichen Ordnung auszudenken, die der menschlichen Würde gerecht würden« (vgl. Botschaft zum Weltfriedenstag 2003, 6; in O.R. dt., 20.12.2004, Nr. 51/52, S. 10).

Eines der wichtigsten Mittel, um diese weltweite Ordnung zu sichern und folglich auch Frieden zu schaffen, ist das internationale Recht, das heute mehr und mehr dazu bestimmt ist, zu einem auf Gerechtigkeit und Solidarität gründenden Recht des Friedens zu werden. Die internationale Gemeinschaft im allgemeinen spielt daher eine besondere Rolle bei der Förderung der Menschenwürde und der Unterstützung der Freiheit der Völker wie auch bei der Vorbereitung von Kulturen und Institutionen auf die notwendige Aufgabe, den Frieden aufzubauen. Die katholische Kirche ist bereit, die Initiativen voll zu unterstützen, die zur Wiederherstellung des Friedens und zur Versöhnung beitragen. Daher begrüße ich die Nachricht von den Fortschritten, die im Hinblick auf eine gerechte Lösung der Zypernfrage gemacht werden konnten. Aufrichtig bestärke ich alle beteiligten Parteien, keine Mühe zu scheuen, um die Wiedervereinigung und die Aussöhnung auf der Insel so schnell wie möglich voranzutreiben.

In der großen internationalen Gemeinschaft kommt den Vereinten Nationen eine besondere Rolle zu. Obwohl eine Reform notwendig ist, »die die Organisation der Vereinten Nationen für die Erreichung ihrer noch immer gültigen satzungsgemäßen Ziele funktionsfähig machen soll« (Botschaft zum Weltfriedenstag 2004, 7), stellt diese internationale Organisation noch immer die geeignetste Instanz dar, um jene schweren Herausforderungen aufzunehmen, denen die menschliche Familie des 21. Jahrhunderts gegenübersteht. Unter diesen Herausforderungen ist die todbringende Plage des Terrorismus ein ganz besonders ernstes Problem, denn häufig setzt er sich über die traditionelle Logik der Rechtssysteme hinweg, die zur Regelung der Beziehungen zwischen souveränen Staaten entstanden sind. Im ständigen Kampf gegen den Terrorismus müssen daher durch das internationale Recht multilaterale Rechtsmittel geschaffen werden, die dieses abscheuliche Verbrechen wirksam zu überwachen, zu bekämpfen und zu verhindern vermögen. Infolge der unlängst verübten Terroranschläge in Ihrem Land möchte ich an dieser Stelle der Nation erneut meine aufrichtige Anteilnahme bekunden.

Herr Botschafter, gewiß wird Ihre Mission beim Heiligen Stuhl die Bande der Verständigung und Zusammenarbeit zwischen uns stärken. Sie können sicher sein, daß die verschiedenen Ämter der Römischen Kurie stets bereit sein werden, Sie bei der Erfüllung Ihrer wichtigen Aufgabe zu unterstützen. Ihnen und dem geliebten türkischen Volk erteile ich von Herzen den reichen Segen des allmächtigen Gottes.


*L'Osservatore Romano n. 13 p. 7.

 

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