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JUBILÄUMSPILGERREISE
VON PAPST JOHANNES PAUL II.
 INS HEILIGE LAND (20.-26. MÄRZ 2000)

PREDIGT VON JOHANNES PAUL II.

Palästinensische Autonomiegebiete - Betlehem
Mittwoch, 22. März 2000

 

»Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt […] man nennt ihn: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, […] Fürst des Friedens« (Jes 9,5).

Herr Präsident, ich danke Ihnen für Ihre Anwesenheit und die der anderen Persönlichkeiten der zivilen Behörden.

Eure Seligkeit, liebe Kardinäle, liebe Mitbrüder im Bischofs- und im Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

1. Die Worte des Propheten Jesaja kündigten das Kommen des Retters in die Welt an. Und hier in Betlehem hat sich die große Verheißung erfüllt. Seit zweitausend Jahren sprechen Generationen und Generationen von Christen den Namen Betlehem mit tiefer Ergriffenheit und freudigem Dank aus. Wie die Hirten und die Weisen sind auch wir gekommen, um das Kind zu finden, das, »in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt« (Lk 2,12). Wie so viele Pilger vor uns fallen wir staunend und anbetend in die Knie vor dem unaussprechlichen Geheimnis, das hier geschehen ist.

Am ersten Weihnachtsfest meines Dienstes als Nachfolger des Apostels Petrus erwähnte ich öffentlich den von mir gehegten, großen Wunsch, den Beginn meines Pontifikats in Betlehem, in der Geburtsgrotte zu feiern (vgl. Predigt in der Christmette, 24. Dezember 1978, Nr. 3). Das war damals nicht möglich; und es ist bis jetzt nicht möglich gewesen. Aber heute, wie kann ich es da unterlassen, den Gott allen Erbarmens, dessen Wege geheimnisvoll sind und dessen Liebe kein Ende kennt, dafür zu preisen, daß er mich in diesem Jahr des Großen Jubiläums an die Stätte der Geburt des Erlösers geführt hat? Betlehem ist der Höhepunkt meiner Jubiläumspilgerreise. Der Weg, den ich unternommen habe, führt mich an diesen Ort und zu dem Geheimnis, das er verkündet – dem Weihnachtsgeheimnis.

Ich danke Patriarch Michel Sabbah für seine liebenswürdigen Begrüßungsworte, und ich umarme von Herzen alle Mitglieder der Versammlung der Katholischen Ordinarien des Heiligen Landes. Bedeutsam an dem Ort, an dem sich die Geburt des Gottessohnes im Fleisch vollzog, ist die Anwesenheit vieler Gemeinschaften der katholischen Ostkirchen, die das reiche Mosaik unserer Katholizität bilden. Mit Zuneigung im Herrn grüße ich die Vertreter der orthodoxen Kirchen und aller kirchlichen Gemeinschaften, die im Heiligen Land anwesend sind.

Dankbar bin ich den offiziellen Vertretern der palästinensischen Behörden, die an unserer Feier teilnehmen und sich unserem Gebet für das Wohl des palästinensischen Volkes anschließen.

2. »Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr« (Lk 2,10–11).

Die von dem Engel verkündete Freude ist keine Angelegenheit der Vergangenheit. Sie ist Freude von heute – dem ewigen Heute des Heils Gottes, das alle Zeiten umfaßt: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Am Anbruch des neuen Jahrtausends sind wir alle aufgerufen, deutlicher zu erkennen, daß die Zeit einen Sinn hat, weil hier die Ewigkeit in die Geschichte eingetreten ist und für immer bei uns bleibt. Die Worte von Beda Venerabilis bringen diesen Gedanken klar zum Ausdruck: »Heute noch, und jeden Tag bis zum Ende der Zeiten, wird der Herr fortwährend in Nazaret empfangen und in Betlehem geboren« (vgl. In Ev. S. Lucae, 2; PL 92, 330). Weil jeder Tag Weihnachten in Betlehem ist, ist jeder Tag Weihnachten in den Herzen der Christen. Und jeden Tag sind wir gerufen, die Botschaft von Betlehem der Welt zu verkünden – die gute Nachricht von »einer großen Freude«: Das ewige Wort, »Gott von Gott, Licht vom Licht«, ist Fleisch geworden und hat unter uns Wohnung genommen (vgl. Joh 1,14).

Das neugeborene Kind, wehrlos und völlig angewiesen auf die Sorge Marias und Josefs, deren Liebe es anvertraut ist, ist der ganze Reichtum der Welt. Es ist unser alles!

In diesem Kind – dem Sohn, der uns geschenkt ist – finden wir Ruhe für unsere Seelen und das wahre Brot, das nie zu Ende geht – das eucharistische Brot, das schon im Namen dieser Stadt angedeutet ist: Betlehem, Haus des Brotes. Gott ist verborgen in dem Kind; die Gottheit ist verborgen in dem Brot des Lebens. »Adoro te devote latens Deitas! Quae sub his figuris vere latitas! – In Demut bet’ ich dich, verborgne Gottheit, an, die du den Schleier hier des Brotes umgetan!«

3. Das große Geheimnis der Selbst-Entäußerung Gottes, das Werk unserer Erlösung, das sich in der Schwachheit entfaltet: Das ist keine leichtverständliche Wahrheit. Der Retter wurde in der Nacht geboren – in der Dunkelheit, in der Stille und Armut der Grotte von Betlehem. »Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf«, verkündet der Prophet Jesaja (Jes 9,1). Das ist ein Ort, der »das Joch« und »den Stock« der Unterdrückung gekannt hat. Wie oft war der Schrei von Unschuldigen in diesen Straßen zu hören? Selbst die große Kirche, die über der Geburtsstätte des Retters errichtet wurde, steht wie eine Festung da, vom Unbill der Zeiten mitgenommen. Die Krippe Jesu steht immer im Schatten des Kreuzes. Die Stille und Armut der Geburt in Betlehem sind eins mit der Dunkelheit und Pein des Todes auf Golgota. Die Krippe und das Kreuz sind dasselbe Geheimnis der erlösenden Liebe; der Leib, den Maria in die Futterkrippe legte, ist derselbe Leib, der am Kreuz hingegeben wurde.

4. Wo also ist die Herrschaft des »Wunderbaren Ratgebers, Starken Gottes und Fürsten des Friedens«, von der der Prophet Jesaja spricht? Wo ist die Macht, auf die Jesus sich selbst bezieht, wenn er sagt: »Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde« (Mt 28,18)? Das Königtum Christi ist »nicht von dieser Welt« (Joh 18,36). Sein Königtum ist nicht das Spiel von Macht, Besitz und Gewinn, das unsere Menschengeschichte zu prägen scheint. Vielmehr ist es die Macht, den Bösen zu bezwingen, der endgültige Sieg über die Sünde und den Tod. Es ist die Macht, die Wunden zu heilen, die das Bild des Schöpfers in seinen Geschöpfen entstellen. Die Macht Christi besteht darin, unsere schwache Natur zu verwandeln und uns durch die Gnade des Heiligen Geistes fähig zum Frieden untereinander und zur Gemeinschaft mit Gott selbst zu machen: »Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben« (Joh 1,12). Das ist die Botschaft von Betlehem heute und allezeit. Das ist das außerordentliche Geschenk, das der Fürst des Friedens vor zweitausend Jahren in die Welt gebracht hat.

5. In diesem Frieden grüße ich alle Palästinenser, bin ich mir doch bewußt, daß dies ein besonders wichtiger Augenblick in eurer Geschichte ist. Ich bete dafür, daß die kürzlich zu Ende gegangene Pastoralsynode, an der alle katholischen Kirchen teilnahmen, euch Mut gibt und die Bande der Einheit und des Friedens unter euch stärkt. Auf diese Weise werdet ihr ein immer wirksameres Zeugnis für den Glauben ablegen, die Kirche aufbauen und dem Gemeinwohl dienen. Den Christen der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften biete ich den heiligen Kuß. Ich grüße die muslimische Gemeinschaft von Betlehem und bete für eine neue Ära des Verständnisses und der Zusammenarbeit unter allen Völkern im Heiligen Land.

Heute blicken wir auf einen Augenblick vor zweitausend Jahren zurück, doch im Geist schließen wir alle Zeiten mit ein. Wir sind an einem Ort versammelt, doch wir erfassen die ganze Erde. Wir feiern ein neugeborenes Kind, doch wir schließen alle Männer und Frauen überall mit ein. Heute rufen wir vom »Manger Square« [Krippenplatz] in jede Zeit und an jeden Ort hinaus, und wir rufen es jedem Menschen zu: »Friede sei mit euch! Fürchtet euch nicht!« Diese Worte ziehen sich durch die Seiten der Schrift. Es sind göttliche Worte, ausgesprochen von Jesus selbst nach seiner Auferstehung von den Toten: »Fürchtet euch nicht!« (Mt 28,10). Es sind die Worte, die die Kirche heute an euch richtet: Fürchtet euch nicht, eure Präsenz und euer Erbe als Christen an dem Ort zu bewahren, wo der Retter geboren wurde.

In der Grotte von Betlehem ist, um die Worte des Apostels Paulus aus der heutigen Zweiten Lesung zu gebrauchen, »die Gnade Gottes […] erschienen« (Tit 2,11). In dem Kind, das geboren ist, hat die Welt »sein Erbarmen, das er unseren Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig« (vgl. Lk 1,54–55), empfangen. Geblendet von dem Geheimnis des Ewigen Wortes, das Fleisch geworden ist, lassen wir alle Furcht hinter uns und werden wie die Engel, indem wir Gott lobpreisen, der der Welt solche Geschenke macht. Mit dem himmlischen Chor singen wir »ein neues Lied« (Ps 96,1):

»Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade« (Lk 2,14).

Kind von Betlehem, Sohn Marias und Sohn Gottes, Herr aller Zeiten und Fürst des Friedens, »derselbe gestern, heute und in Ewigkeit« (Hebr 13,8): da wir in das neue Jahrtausend aufbrechen, heile alle unsere Wunden, stärke unsere Schritte, öffne unser Herz und unseren Geist für »die barmherzige Liebe unseres Gottes«, durch sie »wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe« (Lk 1,78). Amen.

 

 

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