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ANSPRACHE VON PAPST LEO XIV.
AN DIE TEILNEHMER AN EINER STUDIENTAGUNG
ÜBER KARDINAL RAFAEL MERRY DEL VAL

Sala Clementina
Montag, 13. Oktober 2025

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Guten Tag!
Liebe Brüder und Schwestern,

anlässlich des 160. Jahrestages seiner Geburt danken wir dem Herrn für die Gestalt des Ehrwürdigen Dieners Gottes Rafael Merry del Val, der 1865 in London in einem Umfeld geboren wurde, in dem Weltoffenheit zum Alltag gehörte: Mit einem spanischen Diplomaten als Vater und einer englischen Mutter verbrachte er eine kosmopolitische Kindheit, die ihn schon früh in verschiedene Sprachen und Kulturen einführte. Er wuchs mit einem Sinn für Universalität auf, den er später als Berufung der Kirche erkennen sollte, und diese Ausbildung bereitete ihn darauf vor, in einer Zeit großer Herausforderungen ein geschmeidiges Werkzeug im diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls zu werden.

Bereits in jungen Jahren wurde er von Leo XIII. in den Dienst berufen, um heikle Angelegenheiten zu regeln. Bald wurde er als apostolischer Delegat nach Kanada entsandt, wo er sich für die Einheit der Kirche und die katholische Erziehung einsetzte. Er war Student an der heutigen Päpstlichen Akademie für Diplomaten, einer Institution, deren Leitung er später übernahm und die heute, 325 Jahre nach ihrer Gründung, an ihre lange Tradition der Ausbildung von Priestern erinnert, die sich treu und großherzig in den Dienst des Apostolischen Stuhls stellen. Dort erkannte er – und gab es durch sein Beispiel weiter –, dass die Diplomatie der Kirche dann gedeiht, wenn man in priesterlicher Treue lebt, mit einem Herzen, das seine Talente Christus und der vertrauensvollen Mission des Nachfolgers Petri zur Verfügung stellt (vgl. 1 Kor 4,1-2).

Er war erst 35 Jahre alt, als er zum Titularerzbischof von Nizäa ernannt wurde. Wenige Jahre später, im Jahr 1903, im Alter von nur 38 Jahren, ernannte ihn der heilige Pius X. zum Kardinal und wählte ihn zu seinem Staatssekretär. Sein junges Alter war jedoch kein Hindernis, denn die Geschichte der Kirche lehrt uns, dass wahre Reife nicht vom Alter abhängt, sondern davon, dass man sich mit dem Maß der Fülle Christi identifiziert (vgl. Eph 4,13). Was folgte, war ein Weg der Treue, der Diskretion und der Hingabe, der ihn zu einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der päpstlichen Diplomatie des 20. Jahrhunderts machte.

Er war jedoch nicht nur ein Schreibtischdiplomat: In Rom war er sehr präsent unter den Kindern und Jugendlichen von Trastevere, denen er Katechismusunterricht gab, denen er die Beichte abnahm und die er liebevoll begleitete. Dort kannten sie ihn als einen volksnahen Priester, Vater und Freund. Es ist dieser zweifache Aspekt – Staatsdiplomat und volksnaher Hirte –, der seiner Gestalt einen besonderen Reichtum verleiht, denn er verstand es, den Dienst an der Weltkirche mit der konkreten Aufmerksamkeit für die Kleinsten zu verbinden (vgl. 1 Petr 5,2-3).

Sein Name ist mit einem Gebet verbunden, das viele von uns kennen: die »Litanei der Demut«. Darin kommt der Geist zum Ausdruck, mit dem er seinen Dienst versah. Erlaubt mir, auf einige Anrufungen einzugehen, denn sie zeichnen ein gültiges Vorbild für alle, die Verantwortung in der Kirche und in der Welt tragen, insbesondere für die Diplomaten des Heiligen Stuhls.

»Vom Wunsch, gelobt zu werden – Befreie mich, o Jesus!« Der Wunsch nach Anerkennung ist eine ständige Versuchung für diejenigen, die Verantwortung tragen. Kardinal Merry del Val kannte ihn aus nächster Nähe, da seine Ernennungen ihn in den Mittelpunkt der weltweiten Aufmerksamkeit rückten. Doch tief in seinem Gebet bat er darum, vom Beifall befreit zu werden. Er wusste, dass der einzige wahre Triumph darin besteht, jeden Tag sagen zu können: »Herr, ich bin dort, wo du mich haben willst, und tue, was du mir heute aufträgst.« Diese stille Treue, die für die Augen der Welt unsichtbar ist, ist es, die bleibt und Frucht bringt (vgl. Mt  6,4).

»Vom Wunsch, um Rat gefragt zu werden – Befreie mich, o Jesus!« Er stand Benedikt XV. und Leo XIII. nahe und war ein direkter Mitarbeiter des heiligen Pius X. Er hätte sich für unentbehrlich halten können, aber stattdessen hat er uns gezeigt, was die Aufgabe eines Diplomaten ist: dafür zu sorgen, dass der Wille Gottes durch den Dienst Petri erfüllt wird, jenseits persönlicher Interessen (vgl. Phil 2,4). Wer in der Kirche dient, versucht nicht, seine eigene Stimme durchzusetzen, sondern die Wahrheit Christi sprechen zu lassen. Und in diesem Verzicht entdeckte er die Freiheit des wahren Dieners (vgl. Mt 20,26-27).

»Von der Angst, gedemütigt zu werden – Befreie mich, o Jesus!« Nach dem Tod von Pius X. erhielt er andere Aufgaben, bemühte sich jedoch, weiterhin mit derselben Treue zu dienen, mit der Gelassenheit dessen, der weiß, dass jeder Dienst in der Kirche wertvoll ist, wenn man für Christus lebt. Auf diese Weise zeigte er, dass seine Aufgabe kein Podest war, sondern ein Weg der Hingabe. Wahre Autorität gründet nicht auf Ämtern oder Titeln, sondern auf der Freiheit, auch fernab vom Rampenlicht zu dienen (vgl. Mt  23,11). Und wer keine Angst hat, an Sichtbarkeit zu verlieren, gewinnt an Verfügbarkeit für Gott.

»Vom Wunsch, gelobt zu werden – Befreie mich, o Jesus!« Del Val versuchte, seine Mission in Treue zum Evangelium und in Freiheit des Geistes zu leben, ohne sich vom Wunsch, zu gefallen, leiten zu lassen, sondern von der Wahrheit, die immer von der Liebe getragen wird. Und er verstand, dass die Fruchtbarkeit des christlichen Lebens nicht von menschlicher Anerkennung abhängt, sondern von der Beharrlichkeit derer, die mit Christus verbunden sind wie die Rebe mit dem Weinstock und zu ihrer Zeit Frucht bringen (vgl. Joh  15,5).

Zwei Sätze reichen aus, um sein Leben zusammenzufassen. Der erste ist sein bischöflicher Wahlspruch, den die Heilige Schrift Abraham in den Mund legt (vgl. Gen  14,21): »Da mihi animas, cetera tolle«, also »Gib mir Seelen, alles andere nimmt«. In seinem Testament verfügte er, dass dies die einzige Inschrift auf seinem Grab sein solle, das sich heute in den Grotten des Petersdoms befindet. Unter der Kuppel, die die Erinnerung an den Apostel bewahrt, wollte er seinen Namen auf diese bloße Bitte beschränken. Keine Ehren, Titel und Biografie: nur der Ruf eines Hirtenherzens.

Die zweite ist die abschließende Bitte der Litanei: »Dass andere heiliger werden als ich, vorausgesetzt, dass ich so heilig werde, wie ich soll.« Hier wird ein Schatz des christlichen Lebens hervorgehoben: Heiligkeit misst sich nicht am Vergleich, sondern an der Gemeinschaft. Der Kardinal verstand, dass wir uns um unsere Heiligkeit bemühen müssen, während wir die Heiligkeit anderer fördern und gemeinsam auf Christus zugehen (vgl. 1 Thess  3,12-13). Das ist die Logik des Evangeliums, und das muss auch die Logik der päpstlichen Diplomatie sein: Einheit und Gemeinschaft, in dem Bewusstsein, dass jeder dazu berufen ist, so heilig zu sein, wie er kann.

Liebe Söhne und Töchter der Familie Merry del Val, möge die Erinnerung an dieses Mitglied eurer Familie, einen wahren Diplomaten der Begegnung, Anlass zu tiefer Dankbarkeit und Inspiration für uns alle sein, insbesondere für diejenigen, die mit dem Nachfolger Petri auf dem Gebiet der Diplomatie zusammenarbeiten. Die Jungfrau Maria, die Rafael Merry del Val mit kindlicher Zuneigung liebte, lehre unsere Familien, die Diplomaten des Heiligen Stuhls und alle, die einen Dienst in der Kirche verrichten, Wahrheit und Nächstenliebe, Klugheit und Kühnheit, Dienst und Demut zu vereinen, damit in allem nur Christus aufleuchte. Vielen Dank.

Lasst uns gemeinsam beten, wie der Herr uns zu beten gelehrt hat: Vater unser...